Von Geld- und Korndrachen.
1.

[58] Ein Bauerwirt fuhr nach Riga, um sich dort einen Korndrachen1 zu holen. Nach längerem Feilschen wurde er mit dem Kaufmann handelseinig und wollte sich den Drachen ordentlich ansehen. Der Verkäufer aber gab ihm ein zusammengebundenes Stückchen Zeug und sagte: »Sieh zu, daß du es uneröffnet nach Hause bringst und bezähme deine Neugier! Daheim aber öffne es und schüttele es über dem Kornkasten in deiner Kleete aus.« Der Bauer nahm das Stückchen Zeug und fuhr fort. Unterwegs aber konnte er sich vor Neugier nicht lassen – und öffnete nach längerem Kampfe die Umhüllung; da fand er nichts als ein Endchen Schnur aus Lindenbast. »Der verdammte Betrüger!« schrie der Enttäuschte und warf Schnur und Umhüllung in den Graben am Rande der Straße.

Nach einiger Zeit mußte der Wirt wieder zur Stadt fahren. Er unterließ es nicht, jenen Verkäufer aufzusuchen und ihn gehörig auszuschimpfen. Der aber sagte: »Warum warst du so neugierig? Übrigens kann noch alles gut werden. Kehre zu der Stelle zurück, wo du das Endchen Schnur in den Graben geworfen und sieh zu, was du dort findest!« Der Bauer that also. Ach wieviel Mehl und Korn war in dem Graben zusammengebracht! Nun begriff er wohl, daß der Korndrache das gethan hatte und suchte solange bis er das Endchen Schnur und das Stückchen Zeug wiederfand. Dann fuhr er fröhlich nach Hause, schüttelte die Umhüllung über dem Kornkasten aus, so daß die Schnur in denselben[59] hineinfiel und ging beruhigt zu Bette. In der Nacht aber – wie in allen folgenden Nächten – flog der Puhkis, in Gestalt eines feurigen Drachens, aus der Kleete und trug aus den Vorratskammern der umwohnenden Bauern rastlos Mehl, Korn und andere Lebensmittel heim, so daß der Wirt mit jedem Tage reicher wurde.


2.

Ein Wirt hatte zwei Drachen; der eine trug ihm Korn, der andere Geld zu, beide aber hausten auf dem Dachboden. Sobald ein gutes Gericht bereitet oder frisches Brot gebacken worden, trug der Wirt selbst das beste davon auf den Boden hinauf. Dies hatte ein junger Knecht bemerkt und brannte vor Neugier, die Drachen zu sehen.

Als der Wirt einmal nicht zu Hause war, begab sich der Bursche auf den Boden und schaute sich daselbst um; aber wie und wo er auch suchen mochte, von den Drachen war nichts zu sehen noch zu hören; wohl aber stand in einem Winkel eine Schüssel voll schöner fetter Kohlsuppe. Der Knecht verzehrte mit Appetit die Suppe, spie in die Schüssel und ging fort. Gegen Abend kehrten die Drachen von ihrem Ausfluge zurück und wollten sich über die Suppe hermachen – aber, siehe da, die Schüssel war leer und noch dazu besudelt. Da ergrimmten die Drachen, fuhren mit Schnauben zum Dache heraus und setzten dasselbe mit ihren feurigen Schweifen in Flammen, so daß des Bauern ganzer Hof niederbrannte.


3.

Es war einmal ein reicher Bauer, der viele Drachen in seinem Dienste hatte und mit ihnen sogar Handel trieb. Zu dem kamen eines Tages drei Wirte aus der Nachbargemeinde, um Drachen zu kaufen. Er ließ sich auch nicht lange bitten und nahm von jedem als Kaufpreis einen Silberrubel. Dann[60] warf er die Münzen in den Ofen, der bei ihm Tag und Nacht geheizt wurde, und sagte: »Seht mal, diese Silberrubel werden in der Glut nicht schmelzen!« Darob entsetzten sich zwei von den dreien, ließen Drachen Drachen sein und fuhren Hals über Kopf davon. Der Dritte aber sprach: »Möge es mir im Jenseits ergehen wie es will, möge ein Fichtenbaum durch mein Herz wachsen, wenn ich einmal tot bin; was kümmert's mich! Hab ich nur hier auf Erden Reichtum und Lust die Fülle!« Er nahm den erstandenen Drachen und wurde ein reicher Mann. Als er aber gestorben und beerdigt worden war, wuchs eine Fichte aus seinem Grabe heraus.

1

Lettisch Puhkis.

Quelle:
Andrejanoff, Victor von: Lettische Märchen. Nacherzählt von -, Leipzig: Reclam, [1896], S. 61.
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