Von Schätzen.
1.

[55] Es war einmal ein arger Trunkenbold, der all sein Hab und Gut versoffen hatte. Als er sah, daß ihm kein Wirt mehr Kredit geben wollte, ging er zu einem nahen Berge, um daselbst Geld zu leihen. Am Fuße des Berges, unter einer uralten Eiche, stand ein schwarzer Mann; zu dem sprach er: »Leihe mir Geld!« Der aber antwortete: »Wozu brauchst du, Trunkenbold, Geld? Du würdest es doch im Handumdrehen durchbringen. Mach', daß du fortkommst!« ...

Bald darauf geschah es, daß ein armer Viehknecht an derselben Eiche vorüberkam. Wieder erschien der schwarze Mann und bot ihm, ungefragt und ungebeten, ein Darlehn an.

»Ach,« seufzte der Viehknecht, »wie dürfte ich von dir Geld leihen; werd ich's doch niemals abgeben können!«

»Gleichviel,« meinte der Schwarze, »gieb's nach Jahren allmählich zurück, wenn auch nur zu einem Pfennige!«

Dabei griff er mit der Hand in eine Höhlung des Baumes und zog einen stattlichen Sack mit Gelb heraus. »Hier, nimm! – Und wenn du das Darlehn abzahlen willst, so komm nur hierher und rufe: Martin aus dem See, ich bringe dir Geld!«

Der Viehknecht dankte und setzte seinen Weg fort. Bald hatte er einen eignen Hof, Weib und Kinder, und wurde mit jedem Tage wohlhabender. Als er soviel beisammen zu haben glaubte, um das Darlehn ohne sonderliche Mühe wiedererstatten zu können, begab er sich an den bekannten Ort und rief, wie ihm geheißen worden: »Martin aus dem[56] See, ich bringe dein Geld zurück!« Aber kein schwarzer Mann trat aus dem Baume hervor. Endlich, nach mehrmaligem Rufen, erschien, wie aus der Erde gewachsen, ein kleiner Knabe und sprach: »Von jenseits des Meeres ist eine große Bremse gekommen und hat den Martin zu Tode gestochen. Behalte nur ruhig das Geld!«


2.

In der Nähe des Rittergutes Kaipen in Südlivland befindet sich ein kleiner Quell, der reines, frisches Wasser spendet. Vor vielen Jahren weideten dort Hütermädchen das herrschaftliche Vieh. Einst, ihr Frühstück an der Quelle verzehrend, fingen sie an, sich von den Schätzen zu unterhalten, welche in derselben verborgen sein sollten.

»Die alten Leute sagen, daß ein ganzer Kasten voll Geld in dieser Quelle liege, niemand aber weiß, wie denselben zu holen,« meinte die eine. Die andere aber sagte: »Ich gäbe sofort die beiden besten Stiere unserer Herde für den Schatz hin!« Kaum gesagt, beginnt's in der Quelle zu klirren und zu rauschen – und langsam steigt ein großer eiserner Kasten empor. Zu gleicher Zeit aber gewahren die Mädchen zwei mächtige weiße Wölfe, die gerade auf die Herde zulaufen. Da erschraken die Armen sehr, schrieen um Hilfe und hetzten ihre Hunde auf die Raubtiere. Diese flohen – sofort aber sank auch der Kasten mit Geklirr und Gebraus in die Tiefe zurück.


3.

In einer schönen Sommernacht kehrte ein junger Bauer aus dem Kruge1 nach Hause zurück. Unterwegs sah er am Saume des Birkenwäldchens ein Feuer brennen. Da ihm seine Pfeife ausgegangen war, trat er hinzu und wollte sie[57] wieder anzünden; aber vergebens, der Tabak geriet nicht in Brand. Ungeduldig nahm er einige Kohlen, legte dieselben auf die Pfeife und ging, immer ohne Erfolg an ihr saugend, weiter. Nach einiger Zeit bemerkte er, daß statt der Kohle drei Rubelstücke aus reinstem Silber auf der Pfeife lagen. Da gedachte er dessen, was das Volk zu reden pflegt – daß nämlich da, wo in der Nacht ein einsames Feuer brennt, »Geld trockne«.


4.

In einer Bauernhütte hatte es wunderlich zu spuken angefangen. Nachts, wenn alles finster, schrie's hinter dem Ofen: »Ich werde platzen! Ich werde platzen!« Die Hausbewohner wußten nicht, was daraus zu machen. Sie untersuchten sorgfältig alles, fanden aber nichts; schließlich gewöhnten sie sich an den nächtlichen Ruf. Eines Abends kehrte der Bauer angetrunken und übel gelaunt aus dem Kruge zurück. Er setzte sich an den Tisch und aß ein paar Bissen; plötzlich verschluckte er sich, fing zu husten an und löschte dabei das Talglicht aus, so daß es finster ward. Sogleich schrie's hinter dem Ofen: »Ich werde platzen! Ich werde platzen!« Da ergrimmte der Bauer und wetterte: »Nun, so platze doch endlich einmal, wenn dich der Teufel reitet!« Kaum gesagt, platzte hinter dem Ofen eine Bockshaut und eine Menge Gold- und Silbergeld rollte in die Stube hinein.

1

Einfaches Wirtshaus auf dem Lande.

Quelle:
Andrejanoff, Victor von: Lettische Märchen. Nacherzählt von -, Leipzig: Reclam, [1896], S. 58.
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