|
[74] 's ist die Zeit, da von dem Herbst der Winter
Sich mit Sturmgebraus und Regen scheidet,
Da die grauen Wolken niedrig hängen
Und in Fetzen fort am Himmel jagen,
Wie gepeitscht von lachenden Dämonen.
Nacht ist's. Wölfe heulen im entlaubten
Wald – und manchmal schlägt in dunkler Ferne
An ein Hund. Die Wege grundlos – öde
Feld und Wiese, wie ein Totenacker ...
Aber in des Käthners armer Hütte,
Wo am Herd der Kienspan rötlich flackert,
Sitzen Mann und Frau und braune Tochter,
Regen fleißig noch die müden Hände.
Vater schneidet sich ein Paar Sandalen,
Mutter sitzt am Webstuhl emsig wirkend,
Und die Tochter tritt das alte Spinnrad.
Vater legt dazwischen seine Arbeit
Nieder, stopft mit schlechtem Kraut die Pfeife
Und erzählt, daß heute auf dem Hof er
Bei dem Herrn gesehn ein seltsam Wunder:
Eine Flinte ohne Feuersteinschloß,
Die doch besser schießt als alle alten
Flinten. Mutter hält im Weben inne,
Spricht von Zauberei von Hexenkünsten
Und verstrickt sich, wieder Willen, immer
Tiefer in die alten Lettenmärchen
Aber leise summt ein Lied die Tochter,
Während schnurrend dazu tönt das Spinnrad –:
[75]
»Sag, wer sind die, welche singen
Abends, wenn die Sonn' zur Ruh?
Arme Waisenkinder sind es,
Von dem Fronherrn schwer bedrückt.
Frierend zünden Feuer draußen,
Weinend bittre Thränen, sie,
Knirschen in das quellbenetzte
Brot aus Rinde und aus Spreu.«
»Kann es nicht begreifen, was dem Peter
Heute ist; sonst schläft er wie ein Dachshund,
Der sich vollgefüllt das runde Bäuchlein –«
Sagt die Mutter, geht zum Lumpenlager,
Wo sonst die Geschwister beide schlafen
Aber jetzt der kleine Bruder Peter
Noch allein in schweren Träumen schlummert.
Fiebernd glühn des Kindes Wangen, fiebernd
Wälzt er auf dem Strohsack sich und murmelt
Wirre Worte. – Vater auch tritt näher,
Schüttelt bang das Haupt, das ungelehrte,
Arme Bauernhaupt, die Mutter aber
Deutet auf die Bohlenwand, wo überm
Bett ein Löchlein ist zu schaun, durch welches
Schneidend kalt der Zugwind fährt ins Zimmer.
»Stopf das Bohrloch zu, der rauhe Herbstwind
Hat das Kind erkältet.« – Schnell ein Pflöckchen
Sucht der Vater und verstopft das Bohrloch.
Aber sieh, welch Wunder! Auf dem Strohsack
Neben Peter schlummert jetzt ein Mägdlein
Schön und rosig, goldgelockt. Die Arme
Hat es um des Knaben Hals geschlungen,
Daß von ihrem Druck sich zu befreien
Er im Schlaf vergebens trachtet. Vater,
Mutter, Schwester stehen, keines Wortes
Mächtig, tief erschauernd vor dem Wunder ...[76]
Aber Menschenlos ist die Gewöhnung
Und das größte Wunder wird gewöhnlich,
Wenn es Tag für Tag sich uns vor Augen
Sichtbar, greifbar drängt. Das fremde Mädchen
Blieb im Käthnerhause, lernte spinnen,
Lernte weben, lernte Handschuh stricken
Vieh und Schafe weiden, Grütze kochen;
Lernte auch die alten Lieder singen
Und von Tag zu Tage heißer lieben
Ihren muntern Pflegebruder Peter ...
Längst vermählt war schon die Schwester; müde
Hatte sich des greisen Vaters Leben
In des Grabes ew'ger Ruh gebettet;
Auf dem Siechbett lag die Mutter. Peter
Sorgte mit dem Mädchen für die Alte.
Und wie's immer kommt in solchen Fällen
Auf der armen Erde, die dein Wechsel
Unterworfen zwar, doch gleich im Wechsel
Stets sich bleibt –: Die beiden hielten endlich
In der kleinen weißen Kirche Hochzeit. –
Glücklich waren sie. Zwei Kinder schenkte
Seine junge blühende Frau dem Peter,
Und als wäre sie des Himmels Liebling,
Kam mit ihrer Heirat Segensfülle
Fried' und Wohlstand in des Käthners Hütte,
Und die Jahre flogen glückbeflügelt ...
Einstmals gingen Mann und Frau zu Pfingsten
In das Kirchlein, wo vor fünfzehn Jahren
Ihre Ehe eingesegnet worden, –
Als die Eingangsliturgie erklungen
Und der gute, alte, dicke Pastor
Von der Kanzel ehrlich, aber etwas
Schläfrig sich als Pred'ger ließ vernehmen,[77]
Sah zu seinem hellen Schrecken Peter,
Daß sein Weib, zur Seite blickend, lachte,
Lachte, daß die hellen Thränen rannen
Und sie sich die Augen wischen mußte.
Zornig ward er, aber in der Kirche
Wollte sich ein Ehezwist nicht schicken,
Darum schwieg er und erhob zur Kanzel
Aug und Ohr. – Doch auf dem Heimweg spricht er
Ernst und vorwurfsvoll zum lieben Weibe:
»Schäm dich, Frau, zu lachen in der Kirche,
Schäm dich, Frau, zu lachen vor dem Pastor!«
»Hättest du« – erwidert sie ihm schmunzelnd –
»Hättest du gesehn, was ich gesehen,
Wärst du wohl vor Lachen gar gestorben!«
»Was denn sahst du?« – »Nichts.« – »Ich will es wissen!«
»Ei, warum?« – »Ich will es wissen, sag' ich!«
»Nun denn, Beichte gegen Beichte! Sag' mir,
Wie ich in dein Elternhaus gekommen,
Und ich will dir sagen, was ich schaute.«
»Topp! Zu Hause will ich dir's erzählen,
Aber du sprich gleich.« – »So hör! Ich blickte,
Während unser alter, dicker Pastor
Uns das Evangelium erklärte,
Auf die lange weiße Wand zur Linken.
Plötzlich sah ich dort den Teufel stehen,
Der auf eine ausgespannte Roßhaut
Grinsend schrieb die Namen jener Bauern,
Die da schliefen in den Kirchenstühlen,
Oder eitle Worte schwatzten, oder,
Weltlichen Gedanken hingegeben,
An den Branntwein, an die Mädchen dachten.
Und der Teufel schrieb und schrieb, doch leider
War die Haut zu klein für alle Namen!
Da erboste sich der Teufel, zerrte
An der Haut, schlug aus mit seinem Bockssuß,[78]
Stieß die Hörner schnaubend an die Mauer.
Sieh, da mußt ich lachen, herzlich lachen!« –
Wunderlich und grausig schien die Rede
Seiner Frau dem braven Peter. – Endlich
Waren sie zu ihrer fernen Wohnung
Heimgekehrt. – »Nun halte dein Versprechen –
Drang die Frau in ihn – und sag, wie kam ich
In dies Haus?« – Da führte er zur Wand sie,
Wo noch immer in dem kleinen Bohrloch,
Wie vor dreißig Jahren, saß das Pflöckchen.
»Kannst fürwahr nicht anders, liebes Weibchen,
Als auf Windesflügeln durch dies Löchlein
Hergekommen sein; so meinten Vater,
Mutter, Schwester; selber war ich damals
Noch ein kleiner, dummer Junge.« – Also
Redend, zieht er aus dem Loch das Pflöckchen.
Aber jäh, wie von der Erd' genommen,
Ist in diesem Augenblick verschwunden
Von der Seite ihm die Frau. Vergebens
Ruft er – klagt er – weint er. Niemals kehrte
Wieder die so wunderbar Gefundne,
Wunderbar Verlorne. Mit den Kindern
Blieb allein in seinem Hause Peter. –
Aber immer noch lag Glück und Segen
Auf dem Thun und dem Besitz des Käthners
Seine Kinder wurden brave Menschen
Und gedachten stets mit heißer Liebe,
Heißer Sehnsucht der verlornen Mutter,
Wie wir eines alten, schönen Märchens
Aus der fernen Jugendzeit gedenken..
Ende
1 | Dieses Märchen findet sich auch bei den Esthen in Nordlivland. |
Buchempfehlung
Glückseligkeit, Tugend und Gerechtigkeit sind die Gegenstände seines ethischen Hauptwerkes, das Aristoteles kurz vor seinem Tode abschließt.
228 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro