[516] 1072. Verwandlung des Wassers in Wein.

Durchs ganze Luxemburger Land geht im Volke die Sage, daß in der heiligen Christnacht um die zwölfte Stunde alles Wasser sich in Wein verwandle1 und daß derjenige,[516] dem es gelänge, den rechten Augenblick der Verwandlung zu erspähen, einen Trank kosten könne, der über jeden Begriff köstlich und erquickend, ja geeignet sei, den Menschen auf ewige Zeit vor Krankheit und Tod zu bewahren.

Viele haben es schon versucht, diesen Augenblick zu erlauern; keinem aber ist es noch gelungen. Doch, so erzählt die Sage, war einst ein Mann so glücklich, den köstlichen Wein schöpfen zu können, kosten aber konnte er nicht. Das ging so zu. Dieser Mann hatte sich in der hl. Nacht an den Chagrinsbrunnen im Mühlbachtal (früher Gemeinde Eich) begeben. »Dies Wasser«, dachte er, »ist das köstlichste weit und breit, wie köstlich muß erst der Wein werden.« Fleißig lauerte er am Brunnen; aber anstatt sich die Zeit mit frommem Gebet zu vertreiben, sang er einen gemeinen Gassenhauer, kurz, es war ihm nicht um eine heilige Handlung, sondern bloß um den leckeren Genuß zu tun. Nachdem er lange geschöpft und gekostet, füllte sich endlich seine Schale mit perlendem Wein. »Juchhei!« rief er aus, »alles Wasser ist Wein!« – »Und du bist mein!« rief plötzlich neben ihm eine schreckliche Gestalt, faßte ihn am Genick und drehte ihm den Hals um, bevor er noch einen Tropfen genossen hatte. Am anderen Tag fand man den Leichnam des Unglücklichen am Brunnen, das Gesicht zum Nacken gekehrt.


Pfarrer J.B. Klein, nach einem Manuskript von N. Steffen

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Zufolge Sage der Merschertaler Bewohner (Lintgen) verwandelt sich in der Weihnacht alles Wasser in Wein. – Die Wald- sowie alle Haustiere bekommen in der heiligen Nacht die Gabe zu reden; jedoch versteht nur ein an einem Sonntage geborenes Kind (Sonntagskind) diese Sprache. – Alle in der Christnacht geborenen Kinder werden glücklich und entdecken einst einen großen Schatz. – Zu Pretten (Lintgen) wirft man am Weihnachtsmorgen einen alten Hund in die Alzet, damit das Vieh vor Räude geschützt sei. – Im Pratzertal herrscht der Gebrauch, zu Weihnachten einen schwarzen Kater zu fangen, ihn zu töten und abzukochen, worauf er auf freiem Felde begraben wird. Dies tut man, um größere Fruchtbarkeit der Äcker zu erzielen. – Zu Schos (Fischbach) stellt man, in der Nacht vom ersten auf den zweiten Feiertag, mit Wasser gefüllte Eimer im Hausflur auf, um ein gesegnetes und vollkommenes Jahr zu bekommen. – Zu Mösdorf (Mersch) pflegt man zu Weihnachten Stroh aus dem Dache eines armen Taglöhners zu ziehen, und finden sich noch einige Körner vor, so hat man ein glückliches Jahr zu erwarten. – Zu Udingen (Mersch) herrscht der Gebrauch, zu Weihnachten den Essig aufzurühren, weil er dann das ganze Jahr nicht ausgehen soll. – Zu Hünsdorf (Lorenzweiler) nimmt man in der Christnacht zwölf Zwiebelschalen. In jede dieser Schalen, welche die zwölf Monate vorstellen und welche der Reihe nach auf einen Tisch aufgestellt werden, streut man ein wenig Kochsalz. Eine halbe Stunde später hat sich das Orakel vollzogen: unverändert gebliebenes Salz deutet auf trockene, feuchtes Salz auf nasse Monate. – Zu Lintgen vernimmt man, wenn ein fruchtbares Jahr bevorsteht, in der Christnacht punkt zwölf Uhr in dem am »Bus-Berg« gelegenen Walde und auf dem Felde in »Kaselt« dumpfes Klopfen und Rauschen.

J. Wolff

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 516-517.
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