VIII. Leila und Keila.

[26] Im Türkenlande lag eine Stadt; in dieser Stadt lebte ein gewisser Statthalter, dessen Herz sehr schlecht war, und der, weil er keine Bezahlung von Seiten des Sultans erhielt, die Armen zu bedrücken pflegte.

Einmal hatte er einen Handel mit einem armen Tischler, und um sich zu rächen, legte er ihm auf; eine Summe von dreihundert Unzen Gold zu bezahlen. Der arme Tischler besass weiter nichts als diese Summe und befand sich (nach deren Weggabe) im grössten Kummer und am Verhungern. Er besass nun eine Tochter namens Leila. Diese war bucklig, hässlich, ihr Gesicht war pockennarbig, auf einem Auge war sie blind und hatte eine ganz dunkle Hautfarbe; in kurzen Worten: sie konnte das Meer wild machen. Sie hatte eine Freundin, namens Keila; in dem Masse, wie Leila hässlich war, war Keila hübsch. Die beiden jungen Mädchen hatten sich sehr lieb, – man konnte sie für Schwestern halten.

Einst – und zwar an dem Tage, der dem folgte, an dem der Vater Leilas das Geld an den Statthalter gezahlt hatte – traf unsere Leila bekümmerten Herzens mit Keila zusammen. Letztere merkte sofort, dass Leila etwas zugestossen war; deshalb fragte sie sie, was ihr geschehen sei. Mit Tränen in den Augen er zählte ihr Leila, was der Statthalter ihrem Vater angetan habe. Keila versetzte darauf: »Du hast ein Recht, zu weinen; aber quäle trotzdem dein Herz nicht zu Tode! Bitte Gott, dass er uns ein Mittel ausfindig machen möge, damit dein Vater sein Geld sogar mit Zinsen wiedereinheimst!«

Als nach etwa vier Tagen Keila nach der Kirche ging und diese betrat, traf sie mit Leila zusammen und sprach zu ihr: »Höre, Leila! Ich habe dir etwas zu sagen!« Und auf der Stelle erzählte sie ihr, was für einen Plan sie gefasst habe. Dieser gefiel der Leila sehr, und sie nahm Keila mit zu ihrem Vater und hiess die Freudin ihm alles erzählen, was sie selber eben gehört hatte. Der arme Tischler erklärte Keila, dass ihr Plan sehr gut sei, und dann kamen sie überein, schon am folgenden Tage mit der Ausführung zu beginnen. – Ihr müsst nun wissen, dass die türkischen Frauen einen Schleier haben, der ihnen das ganze Gesicht bedeckt und nur die Augen herausschauen lässt. Also, – am nächsten[27] Morgen um zehn Uhr –, begab sich Keila zum Statthalter und bat ihn, sie zu empfangen, denn sie wolle ihn um eine Gnade bitten. Der Statthalter liess ihr sagen, dass er sie erwarte. Sofort stieg Keila zu ihm hinauf in den Palast, begab sich in den Saal, in dem er sich aufhielt, und sprach zu ihm, indem sie sich vor ihm auf die Kniee warf: »Herr, ich lebe in beständiger Misshandlung von seiten meines Vaters! Er will mich auch nie heiraten lassen, und jedem, der mich zur Frau wünscht, sagt er irgend etwas schlechtes (von mir). Ich komme um dich zu bitten, mich aus seinen Händen zu befreien!« »Höre, meine Tochter!« antwortete der Statthalter, »ich glaube dir ja; aber es ist nötig, dass ich wisse, was dein Vater sagt!« »Herr, ich schäme mich es dir zu sagen!« »Wenn du es mir nicht sagst, kann ich dir aber nicht helfen!« »Nun, wenn du es wissen willst, so wisse, dass er sagt, ich sei hässlich, von dunkelster Hautfarbe, bucklig, auf dem einen Auge blind, habe das ganze Gesicht von Pockennarben zerfressen und sei alt!« »Wie kann ich denn aber wissen, ob du hässlich bist, wenn ich nicht dein Gesicht zu sehen bekomme! Zeige dein Gesicht, meine Tochter! Lass mich sehen, ob das wahr ist!« Nun dürfen die türkischen Frauen nach ihrem Gesetze ihr Gesicht vor keinem Manne ausser vor ihrem Ehemanne unverschleiert zeigen. Trotzdem nahm unsere Keila den Schleier von ihrem Gesichte ab, und jener andere geriet in Verwunderung über dessen Schönheit. »Zermartere dein Herz nicht!« sprach der Statthalter zu ihr; »denn jetzt werde ich dich aus den Händen deines Vaters befreien, da ich dich zur Frau begehre!« Unsere Keila sprach in ihrem Herzen: »Dahin wollte ich dich haben! Ich habe dich dahin gebracht, wohin ich dich haben wollte!« Kurz, die beiden kamen überein, dass noch an diesem Tage der Statthalter zum Tischler gehen und ihn bitten solle, ihm die Tochter zur Frau zu geben.

Keila verliess eilends den Palast und traf Leila, der sie berichtete, dass der Statthalter sie richtig für die Tochter des Tischlers halte, und erzählte ihr alles. Am Nachmittage begab sich nun der Statthalter zum Tischler und sprach zu ihm: »Du hast eine junge Tochter, die Leila heisst?« »Jawohl!« »Warum lässt du sie nicht heiraten, wie es doch der Koran gebietet?« »Herr! Wer mochte eine, wie sie, haben?« »Warum das?« »Sie ist alt, blind, ganz dunkelfarbig, hässlich, bucklig und pockennarbig im[28] Gesichte!« Der Statthalter sprach jetzt bei sich: »Lüg' du nur! Ich habe deine Tochter heute morgen gesehen und habe auch gesehen, wie schön sie ist!« (Und laut fuhr er fort:) »Du willst sie mir nicht geben? Dann nehme ich sie dir weg!« Und weiter sprach er: »Höre! Willst du mir deine Tochter zur Frau geben?« »Willst du sie so haben, wie sie ist?« »Gewiss! Ich will sie alt, blind, dunkelfarbig, hässlich, bucklig und pockennarbig!« »Hast du Appetit mich zu verspotten?« »Ich scherze nicht! Willst du, oder willst du nicht?« »Nun, mein Herr, wenn du sie zu deiner Frau haben willst, so nimm sie! Aber wer sagt mir, dass du, wenn du sie siehst, sie nicht wieder fortjagst?« »Nein! Ich jage sie nicht wieder fort! Und jetzt lasse ich dir einen Notar holen, und wir setzen die Schriftstücke auf!« »Gut mein Herr! Aber wir wollen es so machen: du gibst mir jetzt gleich 120 Unzen Gold; und wenn du meine Tochter verstossen solltest, gibst du mir weitere 200 Unzen!« »Alles recht!« versetzte der Statthalter und holte einen Notar herbei, zu dem er sprach: »Herr Notar, schreib' nieder, dass ich die Tochter des Tischlers heiraten werde: alt, blind auf einem ihrer Augen, dunkelhäutig, bucklig und pockennarbig! Dem Vater gebe ich jetzt 120 Unzen Gold, und sollte ich die Tochter jemals verstossen, so werde ich ihm weitere 200 Unzen geben.« Der Notar brachte das zu Papier, beide Teile setzten ihren Namen darunter und gingen wieder ihrer Beschäftigung nach.

So war denn alles den Wünschen Leilas und Keilas gemäss verlaufen. Aber Leila war doch etwas unruhig und hatte grosse Angst, dass der Statthalter, wenn er merken würde, dass man ihn zum besten gehabt, sie in ein Zimmer einschliessen und zu Tode peitschen würde. Keila sprach ihr Mut ein, und die andere beruhigte sich schliesslich.

Die Hochzeitsfeier nahte nun; man begab sich nach der Kirche und dann zum Tischler. Die Musik begann; man trank verschiedenes, und dann begann das Tanzen. Dem Statthalter aber kam es wie hundert Jahre vor, bis er endlich sich allein befand mit seiner Frau. Als die beiden nach dem Harem gelangt waren, sprach er zu ihr: »Mein Herz, lege jetzt den Schleier ab und lass mich das hübsche Gesicht da gemessen!« Leila tat den Schleier ab. Als der Statthalter das Gesicht sah, – da wurde er nicht schlecht wütend und jagte sie sofort hinaus. Leila verlor kein Wort, sondern eilte, so schnell sie konnte, davon und begab sich[29] zu ihrem Vater. Der Statthalter wagte nicht zu atmen; denn, wenn er erzählt hätte, was ihm geschehen war, hätte ihn ja jeder ausgelacht und er hätte sein Amt verlieren können, denn er hatte ein junges Mädchen dahingebracht, dass sie ihr Gesicht ihm ohne Schleier zeigte! So musste er denn, wohl oder übel, zum Tischler gehen und ihm 200 Unzen Gold auszahlen, wie der Kontrakt verlangte.

Als der Statthalter wieder (vom Tischler) fortging, machte er (noch einmal) halt und fuhr jenen an: »Du hast mich ja mannhaft hineinfallen lassen!« »Höre, mein Herr! Vor kurzem hast du mir 300 Unzen abgenommen, und heute habe ich dir dasselbe abgenommen!« »Elender Kerl, der du bist, – du hast mir 320 Unzen, nicht bloss 300, abgenommen!« »Mein Herr, die dazukommenden 20 Unzen bilden die Zinsen dabei!« Bei diesen Worten musste der Tischler lachen; der Statthalter aber begann zu fluchen; und dann ging jeder an sein Geschäft.

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 26-30.
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