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[94] 1. Wie schlank und schmächtig du bist! Du kommst mir vor wie eine Nadel in einem Etui. Alles, was du anziehst, steht dir, – die Uhrkette mit inbegriffen.
2. Wie schlank und zierlich du bist, – wie die Wage eines Juweliers! Gib acht, dass unsere Liebe nicht bekannt wird. Leugne nur immer, und ich will auch nichts zugeben!
3. Du, mit der breiten Brust! Anderthalbe Elle brauchst du zur Weste. Deine Augen bilden den Schmuck deines Gesichts; Knöpfe bilden den Schmuck der Weste.
4. Wie mir deine Stärke gefällt! Deine beiden Arme sind Leuchterarme oder Säulen. Bitte – Edelstein meines Herzens – ich beschwöre dich bei Gott: warum willst du mich töten?
5. Du Schönste auf der Welt! Was für Augen du hast! Dein Mund ist zierlich und voller Zärtlichkeit. Sei nicht traurig, du Edelstein meines Herzens! Deinetwegen wachse ich ja auf!
6. Du mit dem Gesichte wie eine Rose, weiss und rot! Und die Lilie, wie gut passt sie in die Mitte! Wer eine verheiratete Frau liebt, (der ist) wie der Dieb, wenn er stehlen geht!
7. Einen Zauber will ich dir befestigen auf der Spitze deines Hutes. Ich werde dich dazu bestimmen, mich allein zu lieben und die anderen Liebsten zu vergessen.
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8. Ein weisses Kleid will ich dir machen und eine Schürze dazu, rot wie Feuer. Ich nehme dich nicht mit zum Feuerwerke; denn du hast ja Angst vorm Knallen.
9. Ein weisses Kleid hast du beständig an. Aber was ziehst du eigentlich Sonntags an? Braut bist du das ganze Jahr, aber zur Hochzeit kommt es doch niemals.
10. Mein Liebster da hat sich schwarz gekleidet, als sei ihm ein Freund gestorben. Nein, seine teure Mutter ist ihm gestorben, die ihn mit ihrer Milch aufzog.
11. Stiefeletten, weisse Strümpfe, strohgelbe Handschuhe an den Händen! Könnte ich heute nacht eine Taube werden, so käme ich zu dir hinauf und bliebe zwei Stunden bei dir.
12. Du mit der Zigarette im Munde, – gib acht, dass du dir deine Lippen nicht verbrennst! Denn von den Lippen kommt's dann ins Gesicht und verbrennt dir noch deine hübschen Augen!
13. Die Schlange kroch mir in den Ärmel, zeigte mir die Zähne und biss mich. Mach' die Augen auf und schau' mich an: sieh', wohin mich die Liebe gebracht hat!
14. Ich fühle mich krank und dem Tode nahe. Herr Doktor, was verordnest du mir? Verordne mir ein hübsches Mädchen und lass sie immer um mich herumspazieren!
15. Mein Herz ist ein Diamantring im Schaufenster eines Juweliers. Die Liebe, mit der ich dich liebe, mein Edelstein, – niemand kann sie mir erklären!
16. Zwei Wunden habe ich im Herzen. Die eine heilt, die andere verschlimmert sich. Durch dich, Edelstein meines Herzens, ist es dahin gekommen, dass ich von den Leuten über mich reden höre.
17. Zwei Vögel sitzen in einem Käfig. Sie geben einander guten Rat. Der eine spricht: »Wo kann ich entkommen?« Der andere spricht: »Wo soll ich hinausfliegen?«
18. Lege deine Hand in meine Hände! Drücke mich und ich will dich drücken! Bald wird jene Stunde kommen, in der du mich erfreuen wirst, und ich dich.
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19. Leg' deine Hand in meine Hände, wie versiegelte Briefe! Du, die du das Gewicht meines Körpers getragen hast, – weh' dir, dass du ihm jetzt Leiden verursachst!
20. Liebste, ich muss verreisen und zwischen zwei und drei Uhr aufbrechen. Liebste, ich bitte dich um eine Gefälligkeit: bis ich komme, musst du ruhig bleiben!
21. Wo ist mein Liebster? Wo ist er? Wer weiss, wo er jetzt zu finden ist? Er ist zu finden zwischen Himmel und Wasser und schlägt sich mit den Matrosen2 herum.
22. Pezzolato3 starb auf vier Raviuoli4.
Seine Mutter beweinte ihn,
und sein Vater streichelte ihn.
Das Meer hat seine hübschen Fische,
die Landschaft ihr hübsches Grün,
die Frau hat ihren hübschen Mann,
Und das Mädchen muss ein Verhältnis haben.
Herz meines Herzens, Giosomina,
ich will dein Gärtner sein!
Ich will mich gern abarbeiten und Wasser giessen, –
mir genügt es, wenn ich mich an
deinen Blumen erfreuen darf.
23. Es raschelte das Stroh!
Eine alte Frau hatte einen Jungen.
Sie nannte ihn Virdirandu5,
aber der Kaplan wollte ihn nicht taufen.
Sie gab ihm Schrotbrot zu essen,
damit er als Arzt lerne.
Sie gab ihm Kleiebrot zu essen,
damit er gutes Benehmen erlerne.
Sie gab ihm Reis zu essen,
damit er erlerne, einen kräftigen Wind zu blasen.
24. Wie raschelt die Heuschrecke in Liberatas Kästchen! Wie raschelt die Maus in Maddalenas Kästchen!
25. (Kinderreim.) Frieden und Frieden! Die Madonna mir zu Häupten! Die Madonna verbirgt mich, und Christus deckt mich zu.
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26. (Auszählreim.) Eine Socke, – Strumpf, – Schuh, – stinkend, – tschinkend, – von dir kommt der Gestank!
27. Ich bin ein junges Landmädchen und bin auf den Bergen aufgewachsen. Mein Leben ist sich immer gleich: auf dem Felde hüte ich das Vieh.
Ich halte das Melonenfeld und die Feigenbäume in gutem Stande, verfolge auch oft die Diebe. Um das Feld in seinem ganzen Umfange laufe ich und mache die Runde, wie ein Soldat.
Als einzigen Gefährten habe ich den Hund (der wacht), dass niemand etwas vom Felde stiehlt. Wenn es von Zurrico6 her hell wird, weiss ich schon, wie ich von der Tenne7 meinen Weg herunterfinde.
Ist's acht Uhr (so heisst's): »Spann' an!« Und ich mache mich daran, meine beiden anzuschirren. Beginnt die Sonne gar zu grausam zu werden, so verberge ich mich vor ihr auf der Tenne.
Auf meinen Kopf setze ich den Hut, damit er mir etwas Schatten gewährt. Bald sehe ich meine Mutter kommen; die bringt mir dort das Essen in ihrer Hand.
Sie hat alles in ein altes Tuch eingebunden: einen warmen Kloss aus Weizen- und Gerstemehl, ein Stückchen Thunfisch und vier Zwiebeln, oder zwei kleine Käse oder zwei Saubohnen.
Wenn sich die Sonne neigt, – dann ziehe ich die Rinder hinter mir her, bringe sie wieder in den Stall und füttere sie und gebe ihnen zu saufen.
Grünkohl, Weisskohl und Blumenkohl, – alles, was in der Erde gezogen wird, schneide ich ab, sobald es eben reif ist, und nehme es mit nach dem Stalle.
Meine Mutter ist schon fertig und sattelt die Eselin. Dann rufen wir den Nachbarssohn herbei und schicken ihn mit den Grünwaren nach der Stadt, nach dem Grün Warenhändler, damit die Sachen verkauft werden.
28. Das junge Mädchen guckte zum Fenster heraus und wärmte sich ein wenig im Sonnenscheine. Als sie mich sah, zog sie sich wieder ins Zimmer zurück. Wie könnt ihr von mir verlangen, dass ich nicht verende?
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29. Mein Herz ist eine Felsplatte mitten im Meere; die Strömung schlägt beständig gegen sie. Kein junges Mädchen gibt's je hier auf der Welt, das ihren Liebhaber nicht gern hätte.
30. Ich war Dienstmädchen bei feinen Leuten und ging immer mit dem Korbe auf den Markt. Der eine lächelte mir zu, und der andere zwinkerte mir zu, und – Herr Pfarrer! – wieviel Sünden beging ich!
31. Schnurrbart ging auf die Jagd. Gerupfte Vögel brachte er heim. Er legte sie in den Schrank. Die grosse Katze nahm sie ihm weg.
32. Die schneckenfarbige Katze, – was tat sie mit der Maus? Sie riss ihr hinten alles heraus und liess ihr vorn alles stehen.
33. Die schneckenfarbige Katze, – wozu fing sie die Maus? Sie riss ihr den Schwanz aus und liess ihr den Hintern nackt.
34.
Píʒʒi, píʒʒi, kámęllâr,
Appaĭpîja, áppaĭpâ,
Bęlla kášša ğígğivâ!
Dieser Kinderreim enthält nur Wörter italienischen Ursprungs, von denen die Ausdrücke appaĭpîja und appaĭpâ uns hinsichtlich der Bedeutung allerdings unklar bleiben; aber es ist kein Schrift-Italienisch, das uns hier entgegentritt, sondern maltesisches Sizilianisch. In ersteres umgesetzt würden die drei Verse sich folgendermaassen ausnehmen:
Pezzi, pezzi, camellajo!
Appaipìja (?) appaipà (?)!
Bella cascia di giuoco di fuoco!
Das würde also – so gut es geht – zu übersetzen sein:
Stücke, Stücke, – Kameltreiber!
Appaipìja, appaipà!
Ein hübscher Kasten Feuerwerk8.
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35. Sankt Nicolas bat ich um eine Glücksgabe; zwei gute Dinge schenkte er mir da: das eine war, dass ich Pocken, und das andere, dass ich einen roten Ausschlag im Gesicht bekam!
36. Ich will ganz und gar nicht heiraten. Im Hause meiner Mutter habe ich's ja so gemütlich. Sollte mich aber doch einmal der Teufel packen, so nehme ich mir eine aus La Valletta.
Habe ich aber keine Lust, mir eine aus La Valletta zu holen, weil sie Schuhe anzieht, so gehe ich vier Schritte weiter9 und hole mir eine aus Hamrun.
Will ich keine aus Hamrun haben, weil sie Kleie verkauft, so gehe ich vier Schritte weiter und hole mir eine aus Birchircara.
Will ich keine aus Birchircara haben, weil sie in Porzellan arbeitet, so gehe ich vier Schritte weiter und hole mir eine aus Balzan.
Will ich auch keine aus Balzan haben, weil ihre Füsse immer im roten Erdstaube herumtreten, so gehe ich vier Schritte weiter und hole mir eine aus Lia.
37. Es geschah, was geschah!
Wir kauften ein Pfund Leinwand,
gesponnene, ganz feine:
sie sah wie Schiffstaue aus.
Die Grossmutter ging aus, um nachzusehen;
sie machte sich ihr Bein an einer Gurke schmutzig.
Sie stieg auf das Dach
und rief den Ölverkäufer herbei.
Sie stieg in den Keller hinunter
und prügelte die Sau durch.
Sie begab sich nach der Stadt
und kaufte einen Hund.
Dem gab sie ein Stück Brot mit Öl
und sprach: »Wie habe ich mich gequält, das zu holen!«
Sie ging in den Garten
und rief die Caterina herbei,
damit sie das Feigenfass öffne
mit Peppo und Giammarin.
38. Es war einmal ein Junge; der war krank. Er sprach: »Mutter, hol' mir den Arzt! Den Arzt vom Krankenhause, – und ein gebratenes Schwein, und eine Flasche Wein! Dreck dem Arzte ins Gesicht!«
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39. (Spruch der kleinen Mädchen in Città Vecchia:)
Wir besuchten San Gregorio
und wickelten ein Betttuch um uns
Wir liessen den Nabel draussen;
die Wespen stachen uns in ihn hinein.
40. Mein Liebster kam durch die Strasse; vor der Tür pfiff er. Ich hatte zu tun und konnte nicht hinaus, aber in meinem Herzen blieb die Erinnerung lebendig.
41. Mein Liebster wohnt an der Strassenecke. Wie passt seine Farbe zur meinigen. Als man sah, dass ich mit ihm sprach, – wie hat ihn da seine Mutter ausgezankt!
42. Mein Liebster will abreisen. Wie mache ich's, dass ich mit ihm komme? Wenn er aus dem Hafen fahrt, sollen meine Arme seine Ruder sein!
43. Zwei Augen hat mein Liebster. Wie fange ich's an, dass ich sie ihm abspenstig mache? Ich werde eine Partie Kegel mit ihm spielen und ihm die Augen im Mondenscheine abnehmen.
44. Zwei Uhren hat mein Liebster über seinem Nankinganzuge. Wenn er zur Tür hereinkommt, koche ich ihm Kaffee.
45. Ich will euch einen guten Abend wünschen; denn wir müssen nun von hier fortgehen. Habt heute nacht Geduld! Ein andermal bleiben wir die ganze Nacht da10.
1 | Die Übersetzung der poetischen Texte unserer Sammlung wird nicht in Reimform gegeben, weil möglichst wörtliche Übersetzung wichtiger erschien als gebundene Rede. Jede Nummer bildet ein selbständiges Gedicht. |
2 | Oder »mit den beiden Meeren«; der betr. Ausdruck (malbahrên) wurde mir bald so, bald so erklärt. |
3 | S.S. XI, in der Anm. |
4 | raviuoli – ein italienischer Ausdruck – sind viereckige Stückchen aus trockenem Teig, – also eine Art Makkaroni. Der Malteser kann sie als seine Lieblingsspeise bezeichnen und isst dann auch riesige Mengen von diesen gesottenen Stückchen, wobei als Zutat meist Paradiesäpfelsauce figuriert. |
5 | = Ferdinando. |
6 | Das Städtchen Zurrico (in der Malteser konventionellen Orthographie Zurrieq) liegt nahe dem Meere an der Südküste der Insel Malta, etwa 7 engl. Meilen von La Valletta entfernt. |
7 | Da bringt das Mädchen die Nacht zu. |
8 | Das betr. Wort des Textes, d.h. dschigdschivâ (denn das mit dem Haken versehene g ist wie dsch zu sprechen!), ist jedoch eine durch den Kindermund und durch den Zwang des. Reimes verballhornte Wortform; die normale Form lautet dschigdschivôgu (s. Maltes. Studien, S. 64, Ged. 8, Vers 3). |
9 | Die in diesem Gedichte genannten Ortschaften liegen alle nahe bei der Hauptstadt La Valletta, – allesamt an der Strasse nach der alten Hauptstadt der Insel, d.h. Città Vecchia. |
10 | Dasselbe steht in gereimter Form am Schlüsse der »Einleitenden Bemerkungen«, S. XVI. |
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