346. Die Muylen-Kapelle.

[421] Mündlich von C. van Swygenhoven.


Zur Zeit, als die Türken in Flandern waren, lebte im Dorfe Tevalphene bei Alost ein mächtiger Rittersmann. Eines Tages rückten die bösen Heiden in die Gegend, wo dieser Ritter wohnte, und sie waren in so großer Zahl, daß es nicht zu sagen ist. Darum versammelte der Ritter all seine Soldaten und gab jedem, was ihm zum Kampfe nöthig war, und sagte ihnen, sie sollten nicht bange sein vor den Türken, denn das seien nur Heiden und sie seien Christen, die durch Jesu theures Blut von der Gewalt des Satans und all der Anhänger desselben erkauft und erlöset wären. Und als er so sprach, rückten die Türken heran, und deren Heer war so groß, daß es gewiß zehn Stunden weit und breit bedeckte. Doch der Ritter hatte keine Angst, aber er faltete seine Hände zusammen und schlug seine Augen zum Himmel und betete also: »Heilige Muttergottes, hilf uns mit deinem süßen, lieben Söhnlein, dem Kinde Jesu, daß wir diese argen Heiden besiegen mögen.«[421]

Und als er kaum das Gebet gesprochen hatte, da erschien die Mutter Jesu Christi am Himmel und ritt auf einem Maulthiere und gab den Soldaten ein Zeichen, daß sie angreifen sollten, und der Ritter, der das auch sah, rief ihnen zu: »Haut ein, ihr lieben Soldaten und Gesellen, die Muttergottes hilft uns, und wenn wir Victorie haben, wollen wir ihr dafür auch eine Kirche bauen.« Und da schlugen die Soldaten hart auf die Heiden los, bis dieselben fortliefen. Der Ritter aber hat zum Danke eine Kapelle bauen lassen und die Muylen-Kapelle genannt, weil er Mariam auf einem Maulthier gesehen. Jetzt liegt das Kirchlein in Ruinen und nur eine hohe Mauer steht noch fest, und die kann auch keine Gewalt, und selbst kein Pulver und keine Kanonen, umwerfen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 421-422.
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