[40] 9. Die Trollhochzeit

Es war einmal in einem Sommer vor langer, langer Zeit, da zogen die Leute von Melbustad mit der Herde zur Alm. Aber sie waren noch nicht lang oben, da fingen die Tiere an so unruhig zu werden, daß es rein unmöglich war, sie in Ordnung zu halten. Zwar probierten viele Mädchen sie zu hüten, aber es wurde nicht besser, bis eine kam, die versprochen war, und der Verspruch war kürzlich gefeiert worden. Da wurden sie auf einmal ruhig und waren ganz leicht zu hüten. Das Mädchen blieb allein oben und hatte kein anderes Wesen bei sich als einen Hund. Als sie nun eines Nachmittags in der Hütte saß, da schien es ihr, als ob ihr Schatz käme und sich neben sie setzte und davon anfing, daß sie jetzt Hochzeit machen wollten. Aber sie blieb ganz still sitzen und gab keine Antwort; denn er kam ihr so wunderlich vor. Nach und nach kamen mehr und immer mehr Leute herein, und die begannen die Tische mit Silberzeug zu decken und Speisen aufzutragen, und die Brautjungfern brachten die Krone und den Schmuck und ein schönes Brautkleid, und das zogen sie ihr an, und die Krone setzten sie ihr auf, wie[40] es damals Brauch war, und Ringe steckten sie ihr an die Finger.

Es schien ihr auch, als ob sie alle die Leute kennte, die da waren; da waren die Frauen vom Dorf und die Mädchen, die mit ihr im gleichen Alter waren. Aber der Hund hatte wohl gemerkt, daß da etwas nicht geheuer war. Er rannte in langen Sätzen hinunter nach Melbustad und heulte und bellte ganz erbärmlich und ließ den Leuten keine Ruhe, bis man ihm folgte. Der Bursche, der ihr Liebster war, nahm seine Flinte und stieg hinauf auf die Alm; aber als er in die Nähe kam, da stand rundherum eine Menge gesattelter Pferde. Er schlich sich an die Hütte und schaute durch einen Spalt in der Tür und sah, wie sie alle drin beisammensaßen. Es war ganz klar, daß das Trolle und Unterirdische waren, und deshalb feuerte er seine Büchse über das Dach ab. In dem Augenblick flog die Tür auf, und ein graues Garnknäuel, größer als das andere, schoß heraus und schnurrte ihm um die Beine. Als er hineinkam, da saß sie im vollen Brautstaat, und es fehlte nur noch ein Ring am kleinen Finger, so wäre sie fertig gewesen.

»Aber um Himmels willen, was ist hier denn los?« fragte er, als er sich umsah. Alles Silberzeug stand noch auf dem Tisch, aber all die schönen Speisen waren zu Moos und Pilzen und Kuhmist und Kröten und Fröschen und derlei geworden.

»Was bedeutet denn das alles?« sagte er. »Du sitzt ja da im Staat wie eine Braut?«

»Wie kannst du nur fragen?« sagte das Mädchen. »Du hast ja selbst hier gesessen und von der Hochzeit gesprochen den ganzen Nachmittag!«

»Nein, ich bin ja eben erst gekommen«, sagte er, »das muß wohl einer gewesen sein, der meine Gestalt angenommen hat.«

Da kam sie auch allmählich wieder zu sich selbst, aber erst nach langer Zeit kam sie wieder ganz zu Verstand, und sie erzählte, daß sie steif und fest geglaubt habe, er selbst und[41] die ganze Verwandtschaft und Bekanntschaft sei dagewesen. Er nahm sie gleich mit in das Dorf, und damit sie kein solches Teufelszeug mehr zu fürchten hätte, hielten sie Hochzeit, während sie noch den Brautstaat der Unterirdischen anhatte. Die Krone und der ganze Schmuck wurde in Melbustad aufgehängt und soll heutigentags noch dort hängen.

Quelle:
Stroebe, Klara: Nordische Volksmärchen. 2: Norwegen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 40-42.
Lizenz:
Kategorien: