VI. Mogarzea und sein Sohn.

[66] Es war einmal ein junges Menschenkind, das hatte weder Vater noch Mutter. Alles, was ihm von den Eltern geblieben war, stand unter Vormundschaft. Als der Junge die ungerechten Vorwürfe der Vormünder nicht mehr aushalten konnte, ging er in die weite Welt und schlug einen Pfad ein, der führte in eine weite Waldwiese hinein, auf langem Steg ging er weiten Weg.

Als er dann Abends müde wurde und keinen Ruheplatz fand, stieg er auf einen Hügel und sah sich nach allen Seiten um, ob er nicht irgendwo ein Licht erblicke; nach langem Suchen sah er ein Fünkchen Licht kaum noch aufflackern und schlug die Richtung dahin ein. Er ging und ging die halbe Nacht, da kam er an ein großes Feuer. An diesem Feuer schlief ein Mensch, der so groß war wie ein Riese. Was sollte unser Junge nun machen, was sollte er anfangen? Nachdem er sich ein bischen besonnen hatte, kroch er in das eine Hosenbein dieses Mannes und brachte die Nacht dort zu.

Als dieser Mann am nächsten Tage aufstand, sah er[67] aus seiner großen Verwunderung unsern Jungen aus seinem linken Hosenbein fallen.

»Du? Woher?« sagte er.

»Du hast mich in dieser Nacht geboren«, entgegnete der Junge.

»Wenn das wahr ist«, sagte der große Mann weiter, »dann hüte mir die Schafe, und ich werde Dir zu essen geben, aber nimm Dich in Acht, daß Du nicht über die Grenze gehst, sonst wehe Dir!«

Er zeigte ihm mit der Hand, wie weit sein Gut reichte, und sagte darauf:

»Geh' mit Gott!«

Der Junge hütete die Schafe den ganzen Tag, und als er Abends heimkehrte, fand er das Feuer angezündet und half dem Mann die Schafe melken.

Nachdem sie damit fertig waren, setzten sie sich zu Tisch, und während sie aßen, fragte er den großen Mann:

»Wie heißt Du, Vater?«

»Mogarzea«, antwortete der große Mann.

»Mich wundert, daß es Dir nicht überdrüssig ist, hier so allein in der Wüstenei zu sitzen.«

»Du wunderst Dich ohne jeden Grund. Weißt Du denn nicht, daß der Bär nie gutwillig tanzt?«

»Ja, da hast Du Recht«, sagte wiederum der Knabe. »Aber ich sehe Dich immer traurig und ohne Frohsinn, erzähl' mir Deine Geschichte, Vater!«

»Was kann es nutzen, wenn ich Dir Dinge erzähle, die Dich auch traurig machen würden!«

»Laß nur, ich möchte sie auch kennen. Bist Du nicht[68] mein Vater? Glaubst Du, daß Du mich jetzt umsonst zum Sohne hast?«

»Nun gut, wenn das wahr ist, und Du es willst, hör' meine Geschichte.

Ich heiße, wie ich Dir schon gesagt habe, Mogarzea, bin ein Kaisersohn und hatte mich auf den Weg zum Süßmilchsee, der nicht fern von hier ist, aufgemacht, um dort eine Fee zu heirathen. Ich hatte gehört, daß drei Feen da wohnten, aber mir hat das Glück nicht gelächelt: denn die bösen Elfen fielen über mich her und nahmen mir die Seele; seitdem habe ich mich hier niedergelassen, um mich mit meinen Schafen auf diesem Gütchen zu nähren, ohne daß ich noch zu irgend Etwas Lust hätte, ohne daß ich auch nur einen Augenblick mich freuen könnte, und ohne daß ich auch mal lachen könnte.

Die schändlichen Elfen sind so zänkisch, daß sie Niemanden, der ihre Grenzen überschreitet, ungestraft lassen. Darum rathe ich Dir, Dich vorzusehen, damit Dir nicht auch Etwas widerfahre.«

»Schon gut, schon gut, laß mich nur, Vater«, sagte der Junge, und sie legten sich zur Ruhe.

Als der Tag anbrach, stand der Junge auf und machte sich mit der Heerde davon. Ich weiß nicht wie, ich weiß nicht was, aber ihm wollte es gar nicht gefallen, die schönen Wiesenfluren der Elfen anzuschauen und dabei die Schafe auf dem trockenen Boden Mogarzea's zu weiden.

Am dritten Tage, als er im Schatten eines Baumes stand und die Flöte blies, denn er war, so zu sagen, ein Meister der Flöte, verirrte sich ein Schaf von der Heerde und lief auf die Blumenwiesen der Nachbarinnen, nach ihm[69] andere, denen folgten wieder andere, und als er aufmerkte, hatten viele Schafe die Grenzen überschritten.

Er, immer auf der Flöte blasend, ging hin, um die Schafe, welche die Heerde verlassen hatten, zurückzutreiben als er sich plötzlich vor drei ausgelassenen Mädchen stehen sah, die ihn anhielten und um ihn herum zu tanzen begannen. Als der Junge sah, wie die Dinge lagen, nahm er sich auch zusammen und blies mit ganzem Feuer; sie aber tanzten bis zum Abend.

»Jetzt«, sagte er ihnen, »laßt mich fortgehen, der arme Mogarzea wird Hunger haben; morgen, wenn Ihr wollt, spiele ich Euch noch schöner auf.«

»Wir lassen Dich gehen«, sagten sie, »aber Du weißt, daß, wenn Du nicht kommst, Du unserer Strafe nicht entgehst.«

So kamen sie überein, daß er morgen gleich direkt mit den Schafen und Allem zu ihnen kommen sollte, um ihnen aufzuspielen, und darauf ging Jeder nach Haus zurück. Mogarzea wunderte sich, wie die Milch sich vermehrt habe, und beruhigte sich erst, als der Junge ihm versichert hatte, daß er nicht über die Grenze gegangen sei. Sie aßen und legten sich dann zur Ruhe.

Der Knabe wartete nicht, bis es ganz hell geworden, sondern brach bei frühestem Morgen mit den Schafen stracks zu der Elfen Wiesen auf. Wie er auf der Flöte zu spielen begann, waren auch die Elfen da und tanzten und tanzten bis zum Abend. Da that nämlich der Junge, als ob ihm die Flöte aus der Hand glitt, und wie aus Versehen trat er auf sie und zerbrach sie.

Hättest Du ihn gesehen, wie er sich darauf bejammerte, wie er die Hände rang und weinte, daß er seinen Kameraden[70] verloren habe; Du hättest wirklich Mitleid mit ihm gehabt. Sogar die Elfen wurden erweicht und machten den Versuch, ihn zu trösten.

»Mir käme es sonst nicht darauf an«, sagte er, »nur finde ich keine andere Flöte mehr, die so feurig tönt wie diese, denn sie war aus dem Herzen eines siebenjährigen Kirschbaumstammes.«

»Wir haben einen Kirschbaum im Hof, der ist gerade 7 Jahre alt, wenn Du willst, komm, damit wir ihn abhauen und Du Dir eine andere Flöte schnitzest.«

So gingen sie Alle hin, hieben den Kirschbaum um, und aus Furcht, daß man ihm das Mark berühre, beim Herausschälen, bat der Knabe Alle, mit Hand anzulegen.

Darum sagte er ihnen, nachdem er einen Spalt mit dem Beil gemacht, so groß, daß man mit den Fingern hinein konnte, sie möchten ihre Finger hineinstecken, um ihn nur mit der Gewalt des Armes auseinander zu brechen, damit die Schneide der Axt nicht bis an das Mark des Holzes käme. Darauf steckten sie, dumm genug, wirklich die Finger hinein, rund herum um den Stamm stehend, und während er ihnen sagte: zieht an, zog er das Beil heraus und klemmte ihnen die Finger in den Holzspalt.

Vergebens baten sie ihn, sie daraus zu befreien, vergebens sagten sie, daß sie vor Schmerz fast ohnmächtig würden; auch von den schönen und großen Versprechungen, die sie ihm machten, wollte er nichts hören, sondern blieb kalt wie Stein.

Darauf verlangte er von ihnen Mogarzea's Seele.

»Geh, sie ist in einer Flasche auf dem Fensterbrett«, sagten sie.[71]

Nachdem er sie sich geholt, fragte er, wie er sie wieder an Ort und Stelle bringen könnte, sie setzten es ihm auseinander, in der Hoffnung, daß er sie dann aus ihrer Pein erlösen würde.

»Ihr werdet viele Menschen so gequält haben, daß sie ihr Leben lang Todespein gelitten haben; geduldet Euch nun auch einmal eine Nacht, der Himmel wird wahrhaftig nicht gleich darum einstürzen.«

Darauf machte er sich mit den Schafen und mit Mogarzea's Seele auf den Weg; die Elfen aber jammerten so, daß es Einem das Herz vor Mitleid zerreißen konnte. Als er zu Hause ankam, fuhr Mogarzea ihn hart an, daß er sich so verspätet habe. Als einzige Antwort sagte ihm der Knabe, sich auf den Rücken zu legen; kletterte dann auf seine Brust und sprang ein paar Mal drauf hin und her, bis, hast Du nicht gesehen, die faule Seele, die die Elfen in ihn gehext, herausfuhr und er ihm die seine zum Einschlucken gab; Mund und Nase hielt er ihm mit den Händen zu, gab ihm das Wasser, das in der Flasche gewesen war, zu trinken und legte ihm ein Pflaster auf, das er von den Elfen mitgenommen hatte.

Kaum hatte er es ordentlich aufgelegt, als Mogarzea plötzlich wie ein Reh in die Höhe sprang und sagte:

»Ob Du mein Sohn bist oder nicht, was willst Du von mir aus Dank für das, was Du mir angethan?«

»Sag' mir, wo der Milchsee ist, und wie ich es anfangen soll, um eine der drei Feen, die dort sind, zur Frau zu nehmen, und laß mich für immer Dein Sohn sein.«

Er nahm die Wünsche des Knaben an und sie setzten sich zu Tisch, ohne daß er sich noch wunderte, woher die[72] Schafe so viel Milch gaben; sie vergnügten sich mit Jodeln, Gesängen und Tänzen die ganze Nacht.

Als sie sahen, daß der Tag, ohne daß sie geruht hatten, herannahte, beschlossen sie, sich zusammen aufzumachen und die angeführten Elfen aufzusuchen; was sie auch thaten. Als Mogarzea sie sah, nahm er den Baum mit ihnen auf den Rücken und machte sich nach seines Vaters Reich auf, wo Alles voller Freuden war, als er muthig und guter Dinge, wie früher, heimkehrte. Er aber zeigte seinen Retter, der mit den Schafen hinter ihm herkam.

Alle dankten dem Knaben für seine Schlauheit und dafür, daß er Mogarzea von dem Unglück befreit hatte. Drei Tage lang währte die Fröhlichkeit im Palast.

Nachdem diese drei Tage vergangen, nahm der Knabe Mogarzea bei Seite und sagte ihm:

»Ich will jetzt aufbrechen; bitte, sage mir, wo der Süßmilchsee ist, und so Gott will, komme ich mit meiner Frau zurück.«

Mogarzea versuchte erst, ihn zurück zu halten, als er aber sah, daß er sich vergebens den Mund müde redete, theilte er ihm mit, was er gehört hatte, denn gesehen hatte er nichts, wegen der Elfen.

Der Knabe nahm seine Flöte und einige Zehrung mit auf den Weg, brach auf und ging und ging drei Sommertage bis zum Abend, da gelangte er an den Milchsee, der in dem Reiche einer Fee lag. Am nächsten Morgen in aller Frühe begann er am Rande des Sees auf der Flöte zu blasen als er was erblickte? eine schöne Fee, deren Haar ganz und gar aus Gold, und deren Kleider so kostbar, wie[73] er sie noch nie gesehen; in die Sonne konnte man eher schauen als auf sie, und sie begann zu tanzen. Der Knabe blieb starr, mit den Augen auf sie geheftet; als die Fee aber merkte, daß er nicht mehr auf der Flöte blies, verschwand sie. Am nächsten Tage machte sie es wieder so. Als er am dritten Tage, immer blasend, sich ihr etwas näherte, und sie vor Freude des Tanzes nicht darauf achtete, stürzte er plötzlich auf sie zu, nahm sie in den Arm, küßte sie und riß ihr die Rose vom Haupte.

Sie stieß einen Schrei aus, dann begann sie, ihn zu bitten, er wöge ihr die Rose zurückgeben, er aber wollte nicht. Das Holz und der Stein weinten über ihren Kummer, wie sie wehklagte und ihn bat. Als er aber die Rose an seinen Hut steckte, ging sie ihm immer nach.

Wie sie nun einsah, daß er nicht zu bewegen war, ihr die Rose zurück zu geben, kamen sie überein, sich zu heirathen. Darauf gingen sie zu Mogarzea, damit der Kaiser sie verheirathe, und blieben dort. Im Monat Mai aber in jedem Jahre ging sie nach dem Milchsee, um die Kinder, die sie bekam, dort zu baden.

Nach dem Tode des Kaisers theilte Mogarzea das Reich mit seinem Erretter.

Quelle:
Kremnitz, Mite: Rumänische Märchen. Übersetzt von -, Leipzig: Wilhelm Friedrich, 1882, S. 66-74.
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