1011. Das verbrannte Kind.

[15] Ja, die Gespenstergeschichten, wie die Leute sie erzählen, glaube ich nicht mehr. Das isch alles nytt. Aber ich will euch eine Geschichte erzählen, die ist sichere Wahrheit. (Eine nicht seltene Einleitung der Sagenerzähler.) Ds Gläusi-Maxis Hüs ufem obärä Lunggästutz das isch einisch abbrunnä. Ich und der Vatter und my Briäder, der Josti, sind derby gsy und hennt ghulfä fleekä-und-leschä. Die Kinder hatten in Abwesenheit der Eltern mit Feuer gespielt, und eines aus ihnen hat in einem Schlottitscheepi feurige Kohlen ins Stübli getragen und hinter einem Kasten versteckt; nahe bei dem Kasten lag das jüngste Kind in der Wiege und schlief. Das Haus geriet natürlich in Brand und brannte bis auf die Stockmauern nieder. Aus dem brennenden Hause holte der Josti das Wiegenkind, aber es war schon tot. Als einige Tage später unser Vater beim Grieserbrunnen vorbeiging, begegnete es ihm, obwohl es schon beerdigt war. Und im neuen Hause, das sie gebaut haben, wurde es öfters bemerkt. Leute, die von unten heraufkamen, sahen es in der Stube auf einem Tischeck sitzen. Wyls verhilässget wordä syg, hennt diä Geischlächä gseit. (In Wirklichkeit hat keiner etwas davon gewusst.)


Frau Zieri-Tresch, 68 Jahre alt, Maderanertal.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 15.
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