Aus Ungarn.
Es gab einmal eine Zeit, wo unsere Felder noch nicht die wogenden Saaten hatten mit den goldgelben Ähren, wie sie heute jedermann sehen kann. Dazumal irrte der Mensch in den wilden Wäldern umher, und wie er so umherschweifte, begegnete ihm einst ein Greis mit gar klugen Augen und einer hohen und lieblichen Stirne. ›Warum schweift ihr denn so ziellos nach Beute?‹ fragte der Greis den Menschen. ›Daß ich und die Meinen nicht verhungern‹, entgegnete der Mensch. ›Verhungern – ei verhungern!‹ wiederholte jener. ›Hat er denn nicht das Gräslein gesehen, das dort am Waldessaum gedeiht? Unschwer ist's, es zu finden. Denn als ich's erschuf, hab' ich ihm mein Bildnis als Stempel aufgedrückt!‹ Wie dann der Mensch suchte, fand er wirklich ein Gras. Einen hohen Halm hatte es, und droben bog sich eine körnerreiche Ähre. ›Aber was anfangen mit dem Dinge?‹ dachte er und zog dessen Köpfchen durch die gehöhlte Faust, daß ihm die Körner in der Hand blieben. Und wie er so stand und sich die winzigen Samen näher besah, da flatterten ein paar Waldvögel herab und pickten sie flugs auf.
Das hat ihn nun zum Nachdenken gebracht; weil er trotzdem auf nichts Gescheites kam, so warf er die anderen Körner voll Zorn auf den Weg und zertrat sie mit den Füßen. Dann ging er weiter, und wie er[42] sich umblickte, bemerkte er, daß sein Hund die zermalmten Körner aufleckte. ›Mundet es dir‹, dachte er, ›dann kann nicht viel dran sein!‹ und er ging weiter, bis er sein Zelt erreichte.
Dort setzte er sich auf einen Stein und sah etliche Ameisen, die mit Aufwand aller Kräfte so ein paar Weizenkörnlein heimschleppten. ›Wieder die Körner‹, rief er zu seinem Weibe, ›ich kann nicht begreifen, was dies Gezücht daran findet!‹ Da nahm er denn den Tierchen die Beute aus den Zangen und schob sie unter seine Zähne. ›Das schmeckt gar nicht übel‹, rief er. ›Wie wär's, wenn wir solches Zeug sammelten und zwischen Steinen zermalmten!‹ – Sie taten es, machten es mit Wasser und Salz an, buken es und hatten nun Sommer und Winter das von Gott gegebene liebe, tägliche Brot. Und wer das nicht glaubt, möge sich einmal ein Weizenkorn ansehn, wo es an seiner Ähre aufsitzt. Die Narbe ähnelt deutlich einem menschlichen Antlitz, und das eben ist das Ebenbild Gottes.