Veränderung

I.

[340] Ein Wort, so häufig in der Sprache des Alltags und leider so selten in erkenntnistheoretischen Untersuchungen, daß mancher es in einem philosophischen Wörterbuch nicht suchen würde. Und doch kann ich voraussagen, daß unsere Untersuchung die Schwierigkeiten nicht bewältigen wird, die dieser allgemein gebrauchte Begriff birgt.

Was immer auf der Welt geschieht, wird von uns nur wahrgenommen, weil und wenn eine Veränderung wahrgenommen wird. Werden und Vergehen, Leben und Tod, das Wachsen der Organismen, die Intensitätsunterschiede unsrer Sinneseindrücke, die Bewegung der Körper im Raume, das sind so die wichtigsten Arten von Vorgängen, von denen unser Bewußtsein einzig und allein als von Veränderungen Notiz nehmen kann. Wir erfahren etwas von der Welt, nur weil wir Veränderungen wahrnehmen. Die Sonne, wie andere Himmelskörper, ist durch Änderung unzähliger Energiezentren oder Atome geworden und wird nach der Meinung vieler Astronomen durch neue Änderungen wieder vergehen; Änderungen optischer Art lassen uns die Sonne rot oder weiß und nach den Tageszeiten und Jahreszeiten heller oder weniger hell erscheinen; die Sonne bewirkt in den Pflanzen Änderungen, die wir als ein Wachsen ansprechen; und die Änderungen der relativen Lage des Beobachters und der Sonne orientieren uns in dem, was wir die Zeit nennen. Aller Inhalt unserer[340] Erkenntnis besteht aus Veränderungen der Objekte der Erkenntnis. Das ist eine sehr geringe Wahrheit.

Die Schwierigkeiten beginnen aber sofort und erzwingen die intensivste Aufmerksamkeit, wenn wir die letzten Worte genauer betrachten. Die Veränderungen gehen nämlich, so sagt unsere Sprache, an den Objekten unsrer Erkenntnis vor sich. Es sind Dinge da, die sich verändern. Nichts scheint einfacher. Ich hatte einmal ein Gewicht von 8 Pfd. und wiege jetzt 180 Pfd.; ich war einmal schwarz und bin jetzt grau. Der Apfelbaum drüben war im Dezember kahl, im Mai blüht er, und jetzt trägt er Früchte. Der Teich, der im Winter zugefroren war, ist jetzt Wasser. Der Quecksilberfaden im Thermometer stand vor drei Stunden um ein Zentimeter niedriger als jetzt. Das letzte Beispiel eröffnet eine weite Aussicht: die Ausdehnung der Körper ändert sich mit dem Wärmegrad; und da die Wärme, mikroskopisch betrachtet, unaufhörlich schwankt, sich ändert, so ändert sich auch eine der auffallendsten Erscheinungen der Körperwelt, die Gestalt, unaufhörlich. Ebenso aber würden wir bei ultramikroskopischer Beobachtung alles andere an der Körperwelt in unaufhörlicher Veränderung begriffen finden, beim Werden und Vergehen, beim Wachsen, bei der Intensität unserer Sinneseindrücke und bei der Bewegung. Die erste Schwierigkeit liegt also in der Tatsache, die eigentlich schon in der ersten flachen Bemerkung versteckt lag: daß wir überhaupt nichts kennen als Veränderungen, daß wir von etwas Bleibendem, von etwas Seiendem nichts wissen. Was übrigens der alte Herakleitos schon gesagt hat.

Nun aber hat wieder der Begriff Veränderung gar keinen Sinn, wenn nicht etwas da ist, was sich ändert. Man könnte mit dem gleichen Rechte und fast in dem gleichen Sinne sagen: wenn nicht etwas da ist, was bleibt. Bleiben und sich verändern sind nicht so sehr Gegensätze als Korrelatbegriffe. Jeder von ihnen kann nur mit Hilfe des andern (verändern kommt aber von ander) definiert und verstanden werden. Gibt es in der Welt, eben nach Herakleitos, nur ein Werden und kein Sein, nur Veränderung und nichts Bleibendes, nur Bewegung und keine[341] Ruhe, »kann man nicht zweimal in denselben Fluß steigen«, – dann fehlt der eine der Korrelatbegriffe, und Veränderung, weil sie sich von nichts Bleibendem abhebt, verliert jeden Sinn.

Der Widerspruch, sprachlich wie jeder Widerspruch, wird vielleicht noch lebhafter empfunden werden, wenn ich an den vorhin gebrauchten Satz erinnere: »Aller Inhalt unserer Erkenntnis besteht aus Veränderungen der Objekte der Erkenntnis.« Die Objekte der Erkenntnis, die Dinge sind – je nachdem – auch Objekte der Wahrnehmung, die an diesen Objekten eben nur Veränderungen wahrnimmt, aber sie sind auch Subjekte der wahrnehmbaren Veränderungen. »Ein Ding ändert sich.« In dem Reflexivum steckt schon die Vertauschung von Subjekt und Objekt.

Für viele Fälle von Veränderungen scheint die naive Weltanschauung der Gemeinsprache recht zu haben, wenn sie bei dem nächsten Objekt der Veränderung nur an einen Zustand, eine Qualität oder eine Quantität denkt und hinter der Veränderung sich etwas Bleibendes vorstellt, gewöhnlich eine Substanz, die unverändert bleibt. Das grüne Blatt wird im Herbste rot, aber das Ding bleibt Blatt; wie der Baum bleibt. Ich bekomme graue Haare, aber mein Ich bleibt. Der Strom schwillt im Frühjahr an, aber im großen und ganzen bleibt der Strom in seinem Strombett. Das letzte Beispiel könnte uns lehren, daß nur die gewiesene Form geblieben ist, aber auch nicht ein Tröpfchen Wasser vom alten Winterstrom. Doch auch in mir ist nur die gewiesene Form geblieben, kaum ein Atom aus der Zeit, da ich ein Säugling war. Und der Chemiker wird nachweisen können, daß auch im herbstlichen Blatt alles etwas anders geworden ist, bis auf die gewiesene, gerichtete Form. Und so frage ich: was ist das Subjekt oder meinetwegen das Objekt der Veränderungen, wenn es nach der Änderung nicht mehr da ist? Sollte das Subjekt oder meinetwegen das Objekt etwa die bloße Form sein? Da müßte doch vorher erst ausgemacht werden, was die Form ist, außerdem, daß sie menschliche Vorstellung ist. Ich will die Frage nachher besonders für zwei Begriffe stellen, bei denen das Verschwinden der Substanz, des Veränderungsträgers,[342] zu bedenklichen Konsequenzen führt: für den Ichbegriff und für den Energiebegriff. Vorher möchte ich nach dem Plan dieses Buches einige Notizen zur Wortgeschichte zusammenstellen, trotzdem Veränderung und die entsprechenden Worte anderer Sprachen nicht zu den Begriffen gehören, die von altersher für den philosophischen Sprachgebrauch zurechtgeknetet worden sind.

II.

Aber eine Eigentümlichkeit, die ich nur bemerken und nicht erklären kann, hat der Begriff. Wir werden im Griechischen, Lateinischen und Deutschen Bezeichnungspaare finden, so zwar, daß die eine Bezeichnung etwas Sinnfälliges hat, die andere eine abstrakte Herkunft; das abstrakte Wort scheint mir durch Lehnübersetzung weiter gegangen zu sein; das sinnfällige Wort weist keine Lehnübersetzung auf, hat aber in alten und neuen Sprachen doch überraschende Entsprechungen.

Das sinnfällige Wort heißt im Griechischen metaballein herumwerfen, sich plötzlich umdrehen, kommt in diesem Sinne bei Homeros vor, wird später von jeder physischen (die Speise verändern = verdauen, den Ort verändern wie die Zugvögel) und moralischen (allous tropous = andere Sitten annehmen) Veränderung gebraucht; das Partizipium (metaballôn) drückt genau wie das Deutsche umgekehrt einen Gegensatz aus. Diesem metaballein entspricht im Lateinischen mutare, wohl bestimmt zusammengezogen aus motivare, abgeleitet aus movere, das sich wieder zu meare (gehen, wandeln) verhält, wie kinein zu kiein (Wir werden die Energie als das neueste Synonym kennen lernen und dann der kinetischen Energie als der lebendigen oder Bewegungs-Energie begegnen.) Mutare bedeutet ursprünglich nur die örtliche Veränderung, die Bewegung, wird aber im klassischen Latein von jeder Änderung, Verwandlung, Vertauschung, jedem Wechsel oder Tausch gebraucht. Interessant für das antike Sprachgefühl ist es, daß mutare prägnant zur Bezeichnung einer Änderung in guter oder schlechter Tendenz benützt werden kann; vinum mutatum heißt verdorbener Wein, mutare[343] militiam heißt beinahe Degradation. Der sinnfällige deutsche Ausdruck ist wechseln; die gegenwärtige Sprachwissenschaft wird wechseln nicht als Lehnwort aus dem lateinischen Stamme vic gelten lassen wollen, redet von gemeinsamem Ursprung und sieht die Gleichung vicissitudines und Wechselfälle als indogermanische Gemeinsamkeit an. (Für die Entlehnung von Wechsel aus vicis möchte ich doch anführen, daß aus einem nicht mehr nachweisbaren vica sich ein spanisches vega, ein portugiesisches veiga gebildet hat, das ausdrücklich die ländliche Wechselwirtschaft, ein Feld bezeichnet, auf dem Wechselwirtschaft getrieben wird.) Einerlei, das deutsche wechseln ist wie das lateinische mutare, der Ausdruck besonders für sinnfällige Veränderungen, für Ortswechsel (Wechsel der Jagdtiere), in neuer Zeit ganz allgemein geworden im Geschäftsverkehr als Übersetzung des italienischen cambio, früher noch genauer Wechselbrief, auch im Französischen heißt es lettre de change; cambio und franz. change haben in der Börsensprache eine noch reichere Wortfamilie angesetzt als das deutsche Wechsel und das englische change.

Die romanischen Worte cambio, change gehen ganz gewiß auf ein mittellateinisches cambire zurück; auch finden sich schon im Mittelalter die Worte cambitor für nummularius oder Bankier und cambitoriae litterae für Wechselbrief. Im alten Latein trifft man schon, wenn auch selten, das Wort cambiare für wechseln, tauschen. Dieses lateinische Wort nun wird allgemein abgeleitet vom griechischen kamptein, krümmen, beugen, und dennoch ist die Herleitung unsicher. Haben wir an kamptein als Sportausdruck zu denken, an das Umlenken in der Rennbahn, so wäre dieselbe Metapher wie bei metaballein da, und man könnte nun doch in mutare eine Lehnübersetzung von kamptein erblicken.1[344] Doch darf ich nicht unerwähnt lassen, daß Bréal das romanische cambiare, cangiare, changer usw. sehr hübsch auf das griechische kampsa oder kampsion (unser Kapsel) zurückgeführt hat, auf das Körbchen der Geldwechsler, deren übriges Gerät (Bank, Tisch) auch sonst in unsere Sprachen übergegangen ist.

Die abstrakte Bezeichnung für den Begriff Veränderung ist rascher zu übersehen. Von allos, alias, bildete sich allois: was verschieden ist (wieder prägnant: das Übel); davon alloioô und alloiôsis verändern und Veränderung, (alloiôsis) wurde ein Terminus verschiedener Disziplinen. Aus dem entsprechenden lateinischen alius (Einer unter Vielen) wurde das komparativische alter (Einer von Zweien). Es ist vielleicht nicht unwichtig, erkenntnistheoretisch darauf hinzuweisen, daß eine Veränderung immer der Übergang von einem Zustand zu einem zweiten ist, daß also zum abstrakten Ausdruck der Veränderung alter besser geeignet ist als alius; wir haben auch im Deutschen und im Slawischen für der Andere komparativische Lehnübersetzung von alter. Aus alter bildete man ein alterare, offenbar Lehnübersetzung von alloioein (bei Boethius in einer Übersetzung des Aristoteles), das dann in böser Tendenz gebraucht wurde und so im Französischen altérer (auch: le vin s'altère) und im medizinischen Sinn des englischen alteration geblieben ist. Aus der lateinischen Weiterbildung alternus, abwechselnd, entstand das neue Wort alternare.

Ich kann nicht anders, als in unserm ander, ursprünglich und bis in unsere Zeit hinein = der Zweite, eine Lehnübersetzung von alter zu sehen, in unserm verändern eine angepaßte Lehnübersetzung von alternare. Verändern ist erst mhd. nachzuweisen, zuerst in der uns fast philosophisch anmutenden Form verandern; in transitiver Bedeutung heißt es noch bis zu Fischart und Grimmelshausen auch metamorphosieren, d.h. durch Zaubermittel verwandeln; die sinnfälligste, die Veränderung des Ortes, wird prägnant gemeint, wenn sich das Wort auf Verlegung eines Gerichts oder auf Entlassung aus einem Dienst bezieht. (Noch in heutigen Dienstbüchern findet man mitunter als Grund, weshalb ein Dienstbote fortgeht: »um sich zu verändern«;[345] ich vermute, daß da ein Pleonasmus vorliegt: er wechselt den Dienst, um den Dienst zu wechseln.) Auch auf Verheiratung wird verändern und Veränderung bezogen.

III.

Man sieht vielleicht, daß der Begriff in allen diesen Wortformen für eine exakte Auffassung des Weltgeschehens nicht recht geeignet war. Die ewige Crux des Veränderungsbegriffes, die Frage nach dem, was etwa bei einer Veränderung bleibt, wurde vielleicht von den vorklassischen Griechen gestellt, das Verhältnis von Sein und Werden wurde logisch untersucht, aber die Griechen der eigentlich klassischen Zeit waren zumeist zu kindliche Naturforscher und zu schülerhafte Psychologen, um die Erhaltung der Energie und die Einheit des Individuums als Probleme des Veränderungsbegriffs fassen zu können. Das Mittelalter vollends hatte an seinem Judengott das Bleibende, das unveränderliche Sein und brauchte, ja konnte andere Subjektträger von Veränderungen nicht verlangen. So kam es, daß der Begriff der Veränderung erst in moderner Zeit, eigentlich erst mit und nach Kant, den Philosophen in seiner ganzen Schwierigkeit aufzugehen begann.

Spinoza, der unfertige und unselbständige Spinoza, der die Cogitata Metaphysica schrieb, hat (II. Tl. IV. Kap.) sich noch bemüht, die Unveränderlichkeit Gottes zu beweisen, und bei dieser Gelegenheit eine Definition des Begriffes Veränderung gegeben. Keine neue Definition. Per mutationem intelligimus hoc loco omnem illam variationem, quae in aliquo subjecto dari potest, integra permanente ipsa essentia subjecti. Auf die Theologie Spinozas, auf seinen Beweis, daß Gott weder von einem andern noch von sich selbst geändert werden könne, wollen wir nicht eingehen, trotzdem die Bemerkung, Gott zürne nicht und werde nicht traurig, man verwechsle da Ursache und Wirkung, schon den reifem Spinoza des theologisch-politischen Traktats verrät. Man achte aber auf die der Scholastik entnommene Unterscheidung zwischen variatio und mutatio. Die variatio, die Verschiedenheit, setzt kein Bleibendes voraus, kein Subjekt, ja[346] auch kein Objekt der Änderung, nichts Wesentliches, das zu bleiben hätte. Die atomistische Weltanschauung, die überall nur Umlagerung erblickt, hat genau genommen kein Recht, von einer Veränderung einer bestimmten Lage zu sprechen, weil keine einzige Lage vor einer andern die Auszeichnung besitzt, wesentlich zu sein. Der Kartesianer Spinoza, der in dieser ganzen Schrift allein zu Worte kommt, – weil Spinoza mit der Architektur seines eigenen Gedankenbaues noch nicht zufrieden war, oder weil er durch eine Darstellung der Kartesianischen Philosophie noch oder schon eine Stellung zu erringen glaubte, oder gar weil damals, etwa 1662, das Bekenntnis zu Descartes just soviel Tapferkeit erforderte, als der noch ringende Spinoza aufbrachte, – begnügte sich damit, auf den Unterschied zwischen variatio und mutatio hinzuweisen. Die Schwierigkeit, daß man nur von etwas Bleibendem aussagen dürfe, daß es sich verändere, ist in der Gegenüberstellung der beiden Begriffe variatio und mutatio zutiefst mitverstanden, wird aber noch nicht klar ausgesprochen.

Ganz scharf sieht erst Kant die Schwierigkeit schon in seiner Dissertation; und in der Vernunftkritik (S. 230) scheint er sogar den Ausdruck Veränderung eliminieren zu wollen: »Veränderung ist eine Art zu existieren, welche auf eine andere Art zu existieren ebendesselben Gegenstandes erfolget. Daher ist alles, was sich verändert, bleibend, und nur sein Zustand wechselt. Da dieser Wechsel also nur die Bestimmungen trifft, die aufhören oder auch anheben können, so können wir, in einem etwas paradox scheinenden Ausdruck, sagen: nur das Beharrliche (die Substanz) wird verändert, das Wandelbare erleidet keine Veränderung, sondern einen Wechsel, da einige Bestimmungen aufhören und andere anheben.« Kants »Berichtigung des Begriffs von Veränderung« zielt freilich zunächst nur darauf ab, durch den Begriff der Zeit, die man nur an etwas Beharrliches »anheften« könne, zu zeigen, daß Entstehen und Vergehen nicht zu den Veränderungen gehören. Aber er hat doch gelehrt, »etwas paradox«, daß nur das Beharrliche verändert wird, daß das Wandelbare nur einen Wechsel erleidet. Er hat damit das Problem erkannt: was ist das Subjekt, der Träger der Veränderungen, die[347] wir doch allein von aller Substanz kennen? Und er hätte schon nach dem sprachlichen Ausdruck des Problems fragen können.

Herbart scheint mir diese feine Untersuchung Kants nur noch einmal gedacht zu haben, als er im Begriffe der Veränderung einen Widerspruch fand und die Summe aller Veränderungen, alles wirkliche Geschehen »Übersetzung des Was der Wesen in eine andere und fremde Sprache« nannte.

Daß die Schwierigkeit des Begriffs sprachlicher Art sei, ist vorauszusehen gewesen. Ich kann die Untersuchung nicht weiter führen, ohne mich auf ein wichtiges Ergebnis meiner Sprachkritik zu berufen. Ich habe zu zeigen versucht, daß die Wirklichkeitswelt uns höchstens durch Eigenschaften und Zustände zur Erkenntnis kommt, also in der sprachlichen Form der Adjektive, daß die vermeintlichen eigentlichen Wirklichkeiten, die Dinge oder Substanzen, von denen wir in der sprachlichen Form der Substantive reden, gar keine Erkenntnisobjekte sind, einzig und allein im Sprechen und Denken vorhanden. Von dieser Lehre scheint mir nun einiges Licht zu fallen auf den Begriff der Veränderung. Die Schwierigkeiten werden nicht gehoben, enthüllen sich aber als die uns wohlbekannten Schwierigkeiten oder Unzulänglichkeiten der menschlichen Sprache. Sein und sich verändern sind Korrelatbegriffe. Nur das Bleibende oder Seiende kann sich ändern. Was wir aber von der Welt überhaupt wahrnehmen, ist immer nur die Änderung, nicht das Sein. Das ist ja dasselbe, als wenn ich gesagt hätte: die Wirklichkeitswelt gelangt zu uns nur durch Adjektive, nicht durch Substantive. (Vgl. die Art. substantivische und verbale Welt).

Jetzt darf ich den Versuch machen, den Begriff der Veränderung, wie ich versprochen habe, an den beiden dominierenden Hypothesen zu prüfen, an der dominierenden Hypothese der Geisteswissenschaften, dem Ichbegriff, und der dominierenden Hypothese der Naturwissenschaften, dem Energiebegriff.

IV.

Daß alle unsere Geisteswissenschaften, weil sie unser Innenleben zum Gegenstande haben, auf dem Ichgefühl beruhen, und[348] daß die modernen Naturwissenschaften, weil sie ein einziges, einheitliches oder einigendes, Prinzip suchen, den Energiebegriff fordern, brauche ich hoffentlich nicht auszuführen; daß beide Begriffe nicht Wirklichkeitswerte, sondern Hypothesen sind, das ist jedem ernsthaften Erkenntnistheoretiker lange klar gewesen und wird durch Heranziehung des Begriffs Veränderung vielleicht noch etwas klarer werden.

Ich erwerbe einige Kenntnis meiner selbst, meines Ich, genau so, wie ich Kenntnisse des übrigen Weltgeschehens erwerbe: durch Wahrnehmungen, von Veränderungen. Wenn sich nichts veränderte, weder in mir noch um mich, so wäre mein Dasein schwerlich ein Leben zu nennen. Es ist wohl nicht zuviel gesagt: nicht einmal das dumpfe Gemeingefühl besäßen wir ohne die Veränderungen, die wir Stoffwechsel nennen.

Das Granitteilchen in der Mitte eines Granitfelsens kennt sich nicht, lebt nicht, weil es nichts erlebt. Leben oder erleben heißt: Veränderungen erleben. Was immer wir nun an uns selbst wahrnehmen, äußerlich oder innerlich, das ist, sprachlich ausgedrückt, adjektivischer Art. Eine einzige Wahrnehmung substantivischer Art glauben wir außerdem zu besitzen: unser Ich. Das Ganze, die Einheit, der Träger aller unserer Wahrnehmungen und Gefühle scheint ja auch noch da zu sein, die Basis oder die Krönung, der Fuß oder der Kopf des Ganzen, man weiß nicht recht, das Bleibende vor oder hinter (man weiß nicht recht) allen Änderungen. Dieses Ichgefühl ist so stark, daß der Vater der modernen Philosophie das »cogito ergo sum« zur Gegeninstanz des radikalen Zweifels gemacht hat; es ist so stark, daß Schopenhauer aus ihm seine Willensphilosophie herausgesponnen hat; ist so stark, daß der naive Realismus jedes Negers und jedes abendländischen Bauernjungen sein Ich für die sicherste und für die wichtigste Gewißheit hält. Ich aber glaube dagegen, daß das Ichgefühl eine Täuschung ist, der ich mich natürlich ebenfalls nicht entschlagen kann, daß jedes menschliche Individuum vielleicht von den Blutkörperchen aufgebaut wird, wie die Bienen ihren Stock bauen, daß die von mir durchaus nicht geleugnete [349] Einheit des menschlichen Individuums genau so rätselhaft, nicht rätselhafter ist als der Zweckverband eines Bienenstocks; ich glaube, daß das Ichgefühl ein Werk des organischen Gedächtnisses ist, wie die geistige Einheit dieses meines Buches dadurch hergestellt wird, daß mein Gedächtnis den Faden heute anknüpft, wo er gestern abgerissen worden ist. Zusammengehalten werden die Vorstellungen von und die Erinnerungen an Veränderungen, beim Ich wie bei andern Substantiven, eigentlich immer nur durch ein Wort, durch einen Namen. Das Individuum, das Franz Beutter heißt, hängt mit Recht an seinem Namen; sein Ich hängt davon ab. Als Kind hat er sich selbst früher Franz genannt, lange bevor ihm durch das substantivische Ich der Schein, die Täuschung des Ichgefühls, aus der Sprache der Erwachsenen mitgeteilt wurde. Die Täuschung des Ichgefühls führt aber noch weiter. Der Widerspruch im Veränderungsbegriff scheint durch das Ichgefühl gelöst. Ich erlebe nur Veränderungen, aber ich bin, mein Ich ist, ist das Subjekt dieser Veränderungen, ist das Bleibende, das sich ändert. Und so mag die täuschende Vorstellung des Ich das Vorbild geworden sein, nach dem das menschliche Denken oder Sprechen die Substantive aller Sprache gebildet hat, die Subjektträger der Veränderungen, die Unwirklichkeiten, an die die Sprache die adjektivischen Wirklichkeiten hängt. Unser Denken kann an das Weltgeschehen nicht heran, weil das Weltgeschehen aus Veränderungen besteht und die menschliche Sprache Subjekte dieser Veränderungen verlangt: Worte, Götter.

Tief versteckt in der täuschenden Annahme eines Subjektträgers der Veränderungen, eines substantivischen Ich über dem adjektivischen Weltgeschehen, birgt sich das unauflösbare Rätsel des Begriffs der Ursache. Hume hat die Kühnheit gehabt, den Ursachbegriff aus dem Denken hinauszuwerfen und ihn durch den Zeitbegriff zu ersetzen. Es ist, weil alle Veränderungen an die Zeit geknüpft sind, die keckste Metapher, die je von einer Menschenphantasie gewagt worden ist. Aber doch nur eine Metapher. Und dennoch eine Großtat, weil sie zum ersten Male, seitdem Menschen philosophierten, den Ursachbegriff von dem[350] Irrtum der Dinglichkeit erlöste. Der naive Realismus, im Wortaberglauben befangen, hatte vorher niemals Anstoß daran genommen, daß Ursache sich für die der Wirkung vorausgehende Sache ausgab, daß das lateinische causa wie das griechische aitia zugleich die Ursache einer Veränderung und das juristische Streitobjekt bezeichnete, daß im Französischen sich nur zufällig die Doublette cause und chose für Ursache und Sache herausgebildet hatte, fast ebenso im Italienischen (causa und cosa). Die Sache liegt so: die menschliche Sprache oder das menschliche Denken weiß einzig und allein das vom Geschehen, was am Geschehen Veränderung ist; es hypostasiert nach dem Modell des Ichgefühls substantivische Subjektträger der Veränderungen, aus Denkökonomie, wie Mach sagen würde; aber das Denken ist durch jahrtausendelange Erfahrung auch zu der Vorstellung einer Notwendigkeit des Geschehens gelangt, einer Verkettung der Veränderungen, zu der sogenannten Kausalität, und selbst für dieses Gedankenverhältnis hat die Sprache ein Ding hypostasieren zu müssen geglaubt, nach dem gleichen Modell des Ich, die dem in der Zeit folgenden Ding, der Wirkung, ein vorausgehendes Ding zum Schöpfer machte, die Vor-Sache, die Aus-Sache, die Ur-Sache. Ich kann hier nur flüchtig darauf hinweisen, daß die optische Täuschung einer menschlichen Willensfreiheit auf diese Hypostasierung eines Ursachbegriffes zurückgeht: die Menschen und die sogenannten toten Dinge erfahren Veränderungen; bei den Dingen nimmt man, weil man von ihrem Innern gar nichts weiß, äußere Ursachen an und spricht von Kausalität; bei Menschen hat man bis auf Spinoza die äußere Kausalität geleugnet, weil die Täuschung des Ichgefühls dazu führte, die das Leben begleitenden Lust- und Unlustgefühle wieder nach dem Modell des Ichbegriffs einem substantivischen Willen zuzuschreiben, und weil dieser Scheinbegriff, der doch der Handlung vorauszugehen schien, genau wie die Ursache der Wirkung, ohne das liberum arbitrium indifferentiae keinen Sinn gehabt hätte. Niemand ahnte, daß Indifferenz die Erscheinung des Willens ausschließt, daß Buridans Esel recht gehabt hätte. (Vgl. Art. Schopenhauer V.)[351]

Der Ichbegriff hat mich zum Ursachbegriff hinübergeleitet, und mit dem Ursachbegriff stehe ich bei der dominierenden Hypothese der neuen Naturwissenschaften, beim Energiebegriff. Der Energiebegriff hat seit etwa 60 Jahren eine neue, vorher ungeahnte Bedeutung gewonnen. Zwei Bedeutungen eigentlich, die ich jetzt auf die eine Hypostase, auf das sprachliche Substantiv zurückführen will.

Die erste Bedeutung ist in dem unzähligemal wiederholten ersten Satze der mechanischen Wärmetheorie zu finden, in der Lehre von der Erhaltung der Energie; hier stellt sich die Energie ursprünglich als ein adjektivisches Wesen vor, als eine Qualität oder Eigenschaft, als »die Fähigkeit, Arbeit zu leisten«. Sieht man aber genauer zu, so ist Arbeit im Sinne dieser mechanischen Wärmetheorie nichts anderes als die Summe von Änderungen, die jeweilen mit einem Maße besondrer Art gemessen werden können. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie lehrt die Proportionalität der Änderungen bei verschiedenartigen Maßstäben. Lange vorher hatte die Naturwissenschaft die Konstanz oder die Erhaltung der Materie gelehrt, gelehrt, daß bei allen Veränderungen der sekundären Eigenschaften die Substanz bleibe, der Stoff, der Träger der Veränderungen. Die neue Lehre von der Erhaltung der Energie überträgt den Seinscharakter nun von der Substanz auf die Energie, straft ihre eigene Definition Lügen und macht die Energie aus einer bloßen Qualität, aus der Fähigkeit zur Arbeitsleistung, doch wieder zu einer Substanz. Man mache sich das nur einmal an dem Sinne klar, den die beiden Lehren (die von der Erhaltung der Materie und die von der Erhaltung der Energie) haben. Wenn sich nach der neuen Physik Wärme z.B. in Elektrizität und dann in mechanische Arbeit wandelt oder ändert, so beobachten wir Veränderungen in der Wirklichkeitswelt, ohne daß scheinbar die Eigenschaft eines Subjektträgers sich geändert hätte. Die Änderungen waren Vorgänge, aber nicht Vorgänge an einem Ding, an einem Subjekt, an einer Substanz. Nun aber zeigten die Experimente, welche in der älteren Physik die Erhaltung der Materie erwiesen, das gleiche Bild. Wie die Wärme verschwindet und[352] als proportionale Elektrizität wiedergefunden wird, so verschwindet der Kohlenstoff, um als proportionale Menge von Kohlensäure wieder nachgewiesen zu werden. Konstanz der Materie wie Erhaltung der Energie kann einzig und allein an Veränderungen beobachtet werden, die im Laboratorium deutlicher als im Naturgeschehen den Charakter von Metamorphosen oder von Transformationen haben. In der ersten Bedeutung wurde so Energie aus einem Qualitätsbegriff zum Oberbegriff der verschiedenen Arbeitsleistungen oder Veränderungen oder Transformationen. Wärme, Elektrizität, Bewegung (mechanische Arbeit) wurden ein Plural von Energien.

Da war nur noch ein Schritt zu machen, und man bildete aus diesem Plural wieder einen Singular: die Energie, die – und es wurde die zweite Bedeutung des Wortes – an die Stelle der abgetanen Materie gesetzt wurde. Die Atome hießen Energiezentren. Und alles blieb so ziemlich beim alten.

Es will mich bedünken, daß es nicht allein die grundlegende Tendenz aller dieser Untersuchungen ist, was mich immer wieder aus der Erkenntnistheorie in die Sprachkritik führt; es will mich bedünken, daß jedesmal, wenn die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Begriff gerichtet worden ist, bald das Tautologische, bald das Widersprechende des menschlichen Denkens aus dem Wortklange des Begriffes schon klar wird. So hier aus den Wortklängen: Ursache, Wirklichkeit, Kraft, Energie (vgl. Art. Energie). Da ich aber in diesem Buche gar nichts anderes mit so vielen Beispielen belegt habe, wie die eine historische Erfahrung, daß die sogenannte Kultur von Jahrhundert zu Jahrhundert wandert, von Volk zu Volk. Sachen entlehnend und Worte entlehnend, da der Teil der Kultur, welcher Philosophie heißt, wieder nur Worte entlehnen kann, alte Worte, die auch in ihrer Jugendzeit niemals die Wirklichkeit erfassen konnten, – darum wird es uns nicht überraschen, wenn wir jetzt in allem Gerede über das eben angeführte Begriffsbündel eitel Tautologien und Widersprüche entdecken werden.[353]

V.

Dem Energiebegriff ist der Widerspruch eigentlich schon in die Wiege gelegt worden. Bei Aristoteles, auf den Wortgeschichte leider immer zurückgehen muß, ist die Konfusion schon so, daß sie von der Scholastik kaum überboten werden konnte. Die Energie ist die Ursache jeder Kraftäußerung (phaneron hoti proteron energeia dynameôs estin, Met. IX. 8), die Kraft ist die Ursache ihrer selbst. Und mehr als zweitausend Jahre später, als Robert Mayer genialisch das Gesetz von der Erhaltung der Energie aufgestellt hatte, kamen ihm Leute, die sich längst nicht mehr Aristoteliker nannten, mit den alten Einwürfen aus der Rüstkammer der griechischen Terminologie. Die Schwierigkeit, die diese ganze Untersuchung aufzuzeigen unternahm, wurde dem armen Entdecker entgegengehalten, aber von unklaren oder vielleicht auch unehrlichen Gegnern. Was sich verändert, kann doch nicht zugleich das Bleibende sein. Die Kraft, die verwandelt wird, kann doch nicht die Kraft sein, die erhalten wird. Mayer war nicht wortabergläubisch. Verzweifelt rief er aus: »Es handelt sich ja nicht um die Frage, was die Kraft für ein Ding sei, sondern darum, welches Ding wir Kraft nennen wollen.« Ostwald (Naturphilosophie² S. 65) hat ganz recht, wenn er dazu an den Astronomen erinnert, der die nicht mehr zu überbietende Dummheit gesprochen haben soll: »Wer steht uns dafür, daß der Stern, den die Astronomen für Uranus halten, auch wirklich Uranus sei?« (Gewöhnlich wird so zitiert: »Alles will ich den Astronomen glauben; woher wissen sie aber, wie die Sterne heißen?«) Der witzige Fechner war weiser wie alle andern, da er zu dem alten Spaße bemerkt: »Ich kann in der Tat den Unterschied dieser Frage von den meisten Haupt- und Streitfragen, um welche die Philosophie sich dreht, worin die verschiedenen Systeme einander hart entgegentreten, kaum entdecken, falls man nur recht zum Grunde des Streites geht.« Ostwald ist zum Grunde des Streites nicht gegangen, er hätte sonst nicht in einem Worte, im Energiebegriff, die vollständige Lösung des alten Problems finden können. Ich aber behaupte, daß der neumodische Energiebegriff nur[354] ein neuer Name für die uralten Vorstellungen des naiven Realismus ist. Wir wissen seit Schopenhauer, daß Substanz und Materie zwei verschiedene Worte für die gleiche Vorstellung sind, daß ferner die Kausalität eben auch nichts weiter ist, als wieder die Materie oder die Wirklichkeit, vorgestellt unter dem Bilde der aufeinander folgenden Veränderungen. Und Schopenhauer staunt (W. a. W. u. V. I. S. 10) das Wunder der deutschen Sprache an, die den Inbegriff alles Materiellen Wirklichkeit nennt: was wirkt. Ich kann mir nicht helfen: »die Italiener nennen es cavallo, wir sagen Pferd, und es ist auch ein Pferd.« Meine Anschauung von der Wortgeschichte läßt mich die Weisheit der philosophischen Sprache nicht anstaunen.

Die Griechen hatten das Wort energeia, das – wie eben erzählt – von Aristoteles zu einer Ursache seiner selbst, zu einer Ursache der Kraft mißbraucht worden ist. Die Scholastiker schufen schlechte Lehnübersetzungen von energeia und dynamis, actus und potentia; man weiß, welche Rolle die beiden halblateinischen Worte im scholastischen Denken und Reden spielten. Ich erinnere nur daran, daß der liebe Gott, insofern er in der natura naturata sichtbar wurde, der actus purus war. In actu und in potentia waren Gegensätze, bei denen die Scholastiker sehr viel zu denken glaubten. Das Weltgeschehen, die Reihe von Veränderungen, aus denen es besteht, war actualitas, welches Wort mit Wirklichkeit ganz gut übersetzt wurde (von Eckhart). (Im südwestlichen Deutschland wird wirklich heute noch ganz volkstümlich im Sinne von gegenwärtig oder actuell gebraucht, und die Leute wissen schwerlich, daß sie da scholastisch reden.) Ich habe nun auch die Reihe von Lehnübersetzungen aitiacausa – Ursache aufgestellt. Und komme nun zum Schluß: Kausalität oder die ewige Kette von Ursachen und Wirkungen ist nichts anderes als die Summe aller Veränderungen, die wir wahrnehmen, und die unsere Welt ist; Wirklichkeit ist die gleiche Summe der wahrgenommenen Veränderungen, die unsere Welt ist. Von den Ursachen und von der Wirklichkeit wissen wir nichts als die Veränderungen, die wir wahrnehmen. Und wir nennen diese Wahrnehmungen bald naiv Wirklichkeiten, bald[355] wissenschaftlich Ursachen, je nachdem wir sie besitzen oder erklären wollen; aber beide Worte sind Bilder, hergenommen von unserm einzigen Innenleben, von unserm täuschenden Ichgefühl, das uns die Vorstellung von einer wirkenden Ursache oder von einer bleibenden Wirklichkeit, in der Sprache, gegeben hat, und darum ist es ganz einerlei, ob wir das, was wir nicht wissen, was wir in die eine Welt, die wir haben, zweitens und überdies hineinlegen, so oder so benennen: Ursache, Wirklichkeit, Kraft oder Energie. Wie geistreich und wie streng wissenschaftlich wir immer diese Worte auch zu Sätzen verknüpfen, es können nur Tautologien herauskommen.

»Was wir in die eine Welt, die wir haben, zweitens und überdies hineinlegen.« Ich möchte den Satz gern ändern, wenn ich könnte. Denn ich bekämpfe nicht die Weltanschauung, welche sich in einem der ordnenden Worte Ursache, Wirklichkeit, Kraft oder Energie ausspricht; ich bekämpfe nur die Sprache selbst, welche das, was für uns allein in Veränderungen da ist, durch Worte richtig, adäquat zu ordnen vermeint. Welche glaubt, die Ordnung sei in der Wirklichkeitswelt.

VI.

Was wir unser Leben nennen, das ist – wie gesagt – Wahrnehmung von Veränderungen. Wir wissen nichts außer den Veränderungen, wir wissen nichts von den Subjekten oder Objekten der Veränderung. Nun muß aber auch das gesagt werden: daß unser Leben oder gar unser Denken ohne die Hypothese von Veränderungsträgern keinen Sinn hätte. Versuchen wir es, uns das Spiel der Atome in einem Körper oder das Spiel der Veränderungen im Weltlauf vorzustellen, ohne Subjekte des Erlebens und ohne Einheiten des Geschehens, so ist dieser Versuch eine Selbsttäuschung. Wie eine Schneeflocke im Schneegestöber, ohne bewußte Ursache oder Wirkung hin und her getrieben, wäre der Mensch. Er hätte kein Weltbild, er hätte keine Welt. Er hätte auch keine Sprache für seine Welt. Wir haben aber eine untrügliche Sicherheit dafür, daß wir Einheit[356] und Ordnung in die Veränderungen nicht nur hineinlegen, daß ein Zusammenhang unabhängig und vor der Menschensprache da ist, daß das sogenannte Ich und das sogenannte Naturgesetz nicht erst von der Sprache erfunden worden sind. Ich finde diese Sicherheit in einer einzigen Erfahrung: es gibt Veränderungen, die wir voraussagen können. Ein Voraussagen wäre nicht möglich, wenn in der Innern und äußern Welt nicht etwas vorhanden wäre, was wir mit dem schlechten Menschenworte Ordnung bezeichnen. Seit Menschengedenken sind solche Regelmäßigkeiten beobachtet worden: Naturgesetze. Der Fortschritt des Wissens kann daran gemessen werden, wie das Voraussagen genauer geworden ist. Unter der Herrschaft des Ptolemäischen Systems konnte man schon die täglichen und jährlichen Veränderungen voraussagen, auch Sonnen- und Mondfinsternisse. Die Lebensarbeit Newtons hat dazu geführt, daß man Größe und Bahn eines unsichtbaren Planeten voraussagen konnte. Das war noch nicht das Äußerste. Die Elementenreihe, die Mendelejew aufstellte, ließ unbekannte Elemente mit ihren Eigenschaften voraussagen. Noch nicht genug. Heute denkt man daran, eine Tabelle von Energieformen zu entwerfen und so vielleicht einmal unbekannte Energieformen vorauszusagen. All das wäre nicht möglich, wenn (um den Schluß auf den abstraktesten Ausdruck zu bringen) die Welt nicht noch etwas anderes wäre außer den Veränderungen, die wir allein wahrnehmen. Wenn nicht Etwas wäre, was sich verändert.

Ich habe schon einmal das Gedächtnis der Organismen das letzte Rätsel des Lebens genannt. Das Ichgefühl, unsere Täuschung, läßt sich wohl auf das Gedächtnis des individuellen Organismus, die Entwicklung läßt sich vielleicht auf das ererbte Gedächtnis verwandter Organismen zurückführen. Ich meine, daß man mit einiger Erweiterung des Gedächtnisbegriffs zunächst die Kristallbildung und sodann alle Naturgesetze auf ein Gedächtnis der sogenannten toten Materie zurückführen könnte. Dann hätten wir zwar noch keinen Subjektträger der Veränderungen, aber eine Vorstellungsmöglichkeit für ihren Zusammenhang. Ich weiß, daß so eine Begriffserweiterung vor ihrer Verifizierung[357] durch Tatsachen nicht angeht. Und ich weiß weiter, daß die Ausdehnung des Gedächtnisbegriffs auf die Regelmäßigkeiten der Natur noch nicht hinreichen würde, daß ein höherer Gedächtnisbegriff erst wieder eine Einheit zwischen dem Ich und dem Weltgeschehen herstellen könnte. Ich werde sagen, daß man das Gedächtnis als potentielle Zeitenergie auffassen könnte. (Vgl. Art. Zeit, VIII.)

Jetzt bescheide ich mich, anstatt Welterklärung ein wenig Grammatik zu geben. Was wir allein wahrnehmen, das sind die adjektivischen Veränderungen. Das Sein, das sich ändert, die Substantive, sind und bleiben uns ewig unbekannt. Aber verändern ist ein Verbum, und wir wüßten alles, wenn wir dahinter kämen, was uns zwingt, eine Reihe von Veränderungen zu der Einheit eines Verbums zu verbinden. Die echtesten und gewiß ältesten Verben, die Verben des Handelns, werden (K. d. Sprache III², S. 59, ferner Art. adjektivische Welt) erst durch die Vorstellung eines menschlichen Zweckes gebildet; graben, stricken, weben, ackern usw. usw. sind zwecksetzende Zusammenfassungen mikroskopischer Änderungen; jeder Moment gibt im Kinematographen ein Zustandsbild, erst das Gehirn des handelnden Menschen oder des Zuschauers macht einen Vorgang daraus. Nach diesen Verben des Handelns sind die Verben gebildet, die Vorgänge in der Natur ausdrücken wie: regnen, wachsen, welken, fallen, fließen usw. usw. Auch bei ihnen besteht der Vorgang aus unzähligen Veränderungen, von denen keine einzelne den Vorgangscharakter zeigt, die zusammen erst, durch ein einigendes Band gebunden, zu Verben werden. Was ist das, was beim Verbum des Handelns deutlich ein menschlicher Zweck ist? Was wir bei den Vorgängen der organischen Natur noch mit Zwecken vergleichen und teleologisch nennen? Und was bei den Vorgängen in der unorganischen Natur unter dem Namen Gesetz (oder ähnlich) die gewiesene, gerichtete Form erhält, ohne die die Gesamtvorstellung eines Verbums nicht möglich ist? Wer das wüßte! Es ist aber nicht wißbar, weil Menschensprache nicht an die innere Natur herankann. Weil wir mit den Worten der Sprache an die Wirklichkeitswelt nicht[358] heran können, am wenigsten heran können von allen drei Seiten zugleich.

Ich meine das so: Die Veränderungen, die allein uns die Wirklichkeitswelt vermitteln, gehen in unsere Wahrnehmungen durch das Tor der Sinne, immer an einen Ort gebunden, immer äußerlich lokalisiert wie innerlich; es sind die wahrnehmbaren Veränderungen der adjektivischen Welt, die unsere Sprache mit Adjektiven benennt: grün, hart, süß, laut usw. Wollen wir dieses Bild der Welt nacheinander verfolgen, die Veränderungen mit dem Faden der Zeit fortspinnen, so verlassen uns unsere Sinne, ihr Tor schließt sich, und nur noch unser Gedächtnis hilft uns vor- und rückwärts, indem es die Einzelerinnerungen als Zwecke oder gar als Gesetze aneinanderreiht; das sind die unsichtbaren, aber gewollten oder gefürchteten Veränderungen der verbalen Welt, die wir mit Verben, d. i. ganz richtig mit Zeitwörtern, benennen. Wollen wir endlich die schöne Welt des sinnlichen Scheins zugleich mit der gewollten oder gefürchteten Welt der verbalen Menschenzwecke und Naturgesetze auffassen, Raum und Zeit miteinander verweben und das Gewebe bewundern, so hilft uns die logisch erschlossene Hypothese der Dingwelt; so lassen wir Raum und Zeit sich zur Kausalität verflechten, die Dinge werden zu substantivischen Ursachen der Sinneseindrücke, werden zu Subjekten und Objekten der verbalen Vorgänge, und wir haben eine substantivische Welt, die wir mit Substantiven benennen, welche wir gröblich die Hauptworte nennen.

Eine Sprache aber mit Worten, die zugleich adjektivisch, verbal und substantivisch wären, eine Sprache, die die Welt nicht erkennend zerspaltete, haben wir nicht. (Vergl. die Artikel Richtung und verbale Welt.)

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Ich gebe der Erwägung anheim, ob unser Roßtäuscher nicht damit zusammenhängen kann, daß der Zirkuskünstler, der beim Rennen von einem Pferde aufs andere sprang, mutator equorum hieß, griechisch metabatês; mutator aber sonst auch der Eintauscher, der Kaulmann; eine andere Bezeichnung für den Springer, desultor, hat in unserem desultorisch, abspringend, einen andern Weg genommen. Der zweite Teil des Wortes Roßkamm ist ja schon auf cambitor zurückgeführt worden.

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 2 1923, Band 3, S. 340-359.
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