[114] Essäer (Essener), eine von Philo, Plinius und Josephus beschriebene, im 2. Jahrh. v. Chr. entstandene jüdische Ordensgesellschaft in Palästina, die einen erhöhten Pharisäismus kultivierte, aber auch vom Parsismus, Pythagoreismus und vielleicht vom Buddhismus beeinflußt wurde. Während die zwei großen politischen Parteien, Pharisäer (s.d.) und Sadduzäer (s.d.), in gegenseitiger Fehde das Staatsleben bestimmten, haben die E. in einer geheimen Bruderschaft ohne politische Tendenz die höchste Stufe priesterlicher Heiligkeit durch arbeitsames, tugendhaftes Leben, durch Andacht, Entsagung und Weltflucht erstrebt, wie dies ihr Name bekundet, der nicht mit Philo vom griech. hósios, »heilig«, oder vom aramäischen asia, »Arzt«, sondern vom syrischen hase (hebräisch chassid), »fromm«, abzuleiten ist. Sie waren strenggläubig, einfach, enthaltsam und keusch. Gering an Zahl (zu Philos Zeit 4000 Mitglieder) über ganz Palästina zerstreut, waren die E. einheitlich organisiert, sie wohnten in Ordenshäusern, waren ihren Vorgesetzten unbedingten Gehorsam schuldig, erhielten beim Eintritt in den Orden Axt, Schürze und weißes Gewand und hatten eine längere Probezeit zu bestehen. Sie hielten auf strenge Sabbatfeier, regelmäßiges Beten und Fasten, lebten äußerst mäßig und anspruchslos und empfahlen die Ehelosigkeit als eine höhere, wenn auch nicht unerläßliche Stufe der Vollkommenheit. Trotzdem adoptierten sie Kinder und erzogen sie für die Zwecke des Ordens. Tägliches Baden entsprach der innern Reinigung, an welche die weiße Kleidung erinnerte. Das Schlachten eines Tieres war verboten, ebenso der Eidschwur. Ihren Unterhalt erwarben die E durch Landwirtschaft, Ausübung der Heilkunde, durch sympathische Kuren, Geisterbeschwörungen und Betreibung derjenigen Handwerke, die dem Frieden und nicht dem Kriege dienten. Den Handel verabscheuten sie als eine Hauptquelle der Hab- und Herrschsucht. Jede Art von Herrschaft galt unter ihnen für frevelhafte Zerstörung der Naturordnung. Sie lebten in Gütergemeinschaft, so daß keiner in Kleidung, Wohnung und Nahrung vor dem andern einen Vorzug hatte. Erwerbsunfähige Mitglieder wurden sorgfältig gepflegt, auch Notleidende außerhalb des Bundes unterstützt. Gemeinschaftliche Mahlzeiten, die den Charakter von Opfermahlen hatten, mit Gebet und Gesang belebten die gegenseitige Verbindung. Die Frucht ihres regen Gesetzesstudiums war ein ziemlich reiner Gottesglaube, die Lehre von der Unsterblichkeit, von Lohn und Strafe im Jenseits, von opferwilliger Glaubensstärke, die sie in Verfolgungszeiten bewährten. Der asketische und theosophische Zug, der den Orden[114] der E. charakterisiert, ist auch früh schon ins Christentum eingedrungen; die essäische Form des letztern ist die Sekte der Elkesaiten (s.d.). Vgl. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, Bd. 2 (3. Aufl., Leipz. 1898).