[347] Fasten, im allgemeinen die Enthaltung von Nahrungsmitteln während einer gewissen Zeit, im besondern nach dem kirchlichen Sprachgebrauch entweder die gänzliche Enthaltung während eines Tages (jejunium a vespera ad vesperam) oder die Enthaltung von Fleischspeisen (abstinentia). Das F. spielt in der Geschichte der Religion eine wichtige Rolle, teils als Übung der Enthaltsamkeit und Entsinnlichung, teils als Förderungsmittel der Ekstase und Begeisterung, teils als Vorbereitung zu großen Entschlüssen und Taten, teils als Zeichen der Trauer, teils endlich als ein an sich gutes und verdienstliches, weil den Himmel erweichendes Werk. Besonders im Morgenland, wo längere Enthaltung von Speisen wegen des Klimas weniger beschwerlich ist als bei uns, findet sich das F. als uralter Gebrauch, der den Menschen den Göttern näher bringt. Verzichtleistung auf den Genuß des Fleisches und berauschender Getränke gehört als ein Stück der den Menschen dem Kreislauf der Geburten entreißenden und vergötternden Askese ebenso wesentlich zur brahmanischen wie zur buddhistischen Religion. Auch war, wie schon Herodot weiß, das F. in Ägypten, dem Stammland so vieler religiöser Gebräuche und Vorstellungen des Altertums, im Schwange. Die altägyptische Religion selbst steht freilich der Askese fern, und vollends für die positive Schätzung irdischer Lebensgüter und für den nüchternen Realismus der Religion Zoroasters ist es bezeichnend, daß hier das F. keine solche Stätte im religiösen Tun gewonnen hat. In der Welt der Griechen und Römer finden sich nur ganz vereinzelte, mit den asketischen Neigungen der hellenistischen Zeit zusammenhängende Beispiele dafür, wie das der Pythagoreer, die zwar das Fleisch nicht ganz mieden, vorzugsweise aber von Honig, Brot und Wasser leblen. Auch der religiösen Praxis der Israeliten ist das F. erst im Laufe der Zeiten eingeimpft worden, und zwar als Ausdruck der »Demütigung«. Während die priesterliche Gesetzgebung das F. nur für den Fall des Versöhnungsfestes (3. Mos. 16, 29. 31; 23, 27. 32) vorsieht, gewann es im pharisäischen Judentum, das zwei Fasttage in der Woche (Montag und Donnerstag) kennt, bald neben Gebet und Almosen den Wert eines guten und verdienstlichen Werkes (Luk. 18,12). Der jüdische Kalender stellte Fasttage als Erinnerungen an nationale Unglückszeiten auf, und endlich brachte der Talmud System und Methode in das F. Später unterschied man ganze und halbe Fasttage; bei erstern währt die gänzliche Enthaltung von Speise und Trank vom Anbruch des Tages bis zum Anbruch der Nacht (dem Sichtbarwerden der Sterne), nur am Versöhnungstag von Abend bis Abend.
In Anlehnung an die jüdische Sitte hat sich trotz Jesu grundsätzlich ablehnender Haltung (Matth. 6,1618; 9,1417) das christliche F. entwickelt, doch so, daß schon in der ältesten Zeit, wie die Vorschrift der »Apostellehre« (s.d.) beweist, die jüdischen Tage durch Mittwoch und Freitag ersetzt wurden. Diese Tage bezeichnete man später als stationes (»Wachttage«) und begründete sie aus der Leidensgeschichte Christi (Mittwoch: Tag der Gefangennahme; Freitag: Todestag). Gefastet wurde bis 3 Uhr mittags (semijejunium). Die griechische Kirche hat an diesen Tagen festgehalten, während die römische den Sonnabend als Fasttag aufnahm und den Mittwoch fallen ließ. Neben dem Wochenfasten ist die spezifisch christliche Sitte des Fastens vor Ostern schon frühzeitig entstanden, wobei aus Matth. 9,15 die Pflicht abgeleitet wurde, die 40 Stunden der Grabesruhe Christi durch F. auszuzeichnen. Daraus wieder entwickelte sich, nicht vor dem 4. Jahrh. nachweisbar, im Anschluß an Matth. 4,2 (2. Mos. 34,28; 1. Kön. 19,8) die große 40tägige Fastenzeit vor Ostern (Quadragesimalfasten; Jejunium quadragesimale), deren Anfang sich in der griechischen (Montag nach Sexagesimä) und in der lateinischen (Aschermittwoch) Kirche verschieden feststellte. Vgl. Linsenmayr, Entwickelung der kirchlichen Fastendisziplin bis zum Konzil von Nicäa (Münch. 1877); Funk, Die Entwickelung des Osterfastens (in den »Kirchengeschichtlichen Abhandlungen«, Bd. 1, Paderb. 1897).
In der griechischen Kirche bildeten sich später vier große Fastenzeiten aus: das Osterfasten, das Petersfasten, vom Sonntag nach Trinitatis bis zum Peter-Paulstag (29. Juni), das Marienfasten als Vorbereitung auf den Tag der Himmelfahrt Mariä (daher Himmelfahrtsfasten) vom 1.14. Aug. und das Adventsfasten, vom 15. Nov. (dem Tage nach dem Feste des Apostels Philippus, daher Philippsfasten) bis zum 24. Dez. Auch die lateinische Kirche kannte ein mit dem Sonntag nach Martini (11. Nov.; daher Martinsfasten) beginnendes Adventsfasten, das später bald 5, bald nur 4 Wochen vor Weihnachten währte (s. Advent). Die wichtigsten F. der heutigen römischen Kirche sind: die Fastenzeit vor Ostern (s. oben), für deren Feier in der Regel eine besondere bischöfliche Verordnung (s. Fastenbriefe) erlassen wird, die Quatemberfasten (s. Quatember); die Vigilien oder die Tage unmittelbar vor den großen Festen (heilige Abende); alle Freitage des Jahres, wenn nicht das Christfest auf einen fällt. Der Sonnabend wird praktisch als Fasttag nicht mehr beobachtet.
In der griechischen Kirche werden die F. noch heute mit großer Strenge gehalten. Während der Osterfasten sind nach der ersten Woche (s. Butterwoche) nur Mehl- und Pflanzenspeisen, in den drei letzten Tagen der Karwoche nur Brot und Wasser erlaubt. Dagegen erfuhr die abendländische Praxis schon im spätern Mittelalter eine bedeutende Lockerung, indem die eigentlichen Fasttage zu bloßen Abstinenztagen herabgedrückt, die Abstinenz (s.d.) auf die Abwesenheit des Fleisches beschränkt und sämtliche Fische mit Einschluß des Fischotters als Nichtfleisch behandelt wurden. Dazu kam das zum Rechte der Jurisdiktion gehörende System päpstlicher und bischöflicher Fastendispensationen. S. Butterbriefe. Strenger und häufiger sind die F. in den Klöstern, und manche Orden, wie z. B. die Kartäuser, genießen das ganze Jahr hindurch bloß Vegetabilien. In der protestantischen Kirche hat sich eine gewisse Fastenpraxis als »seine äußerliche [347] Zucht« bis gegen Mitte des 18. Jahrh. erhalten. Einen gewissen Ersatz bieten die Buß- und Bettage (s. Bußtage), obwohl an ihnen die Enthaltung von bestimmten Speisen und Getränken nicht geübt wird.
Auch bei den Mohammedanern ist das F. (arab. saum, pers. roza) als ein Mittel zur Linderung der Sünde eine religiöse Satzung. Das F. während der 30 Tage des Monats Ramasan (von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang) ist im Koran (Sure 2,180) selbst vorgeschrieben und daher für alle Mohammedaner obligatorisch. In Indien unterscheiden sich heute die Parsi von den sie umgebenden Mohammedanern und Hindu sehr bemerkbar durch Nichtfasten. Wie bei ihnen der Grundsatz herrscht, daß dem Leibe sein Recht werden müsse, im übrigen aber der Zweck des Lebens in der Arbeit gesucht wird, so spricht sich umgekehrt in dem Fastengebot von vorherein ein bezeichnendes Mißtrauen bezüglich der Vereinbarkeit der geistigen und der leiblichen, der religiösen und der profanen Zwecke des Daseins aus, und insofern bildet das F. einen sichern Maßstab für die ethische Grundansicht einer Religion.