Gichtel

[828] Gichtel, Johann Georg, Schwärmer und Mystiker, geb. 14. Mai 1638 in Regensburg, gest. 21. Jan. 1710 in Amsterdam, wurde 1664 in Regensburg Advokat. Durch Verkehr mit Schwärmern, namentlich mit dem Holländer Breckling, religiös erregt, kam er 1668 infolge seiner Befehdung der Orthodoxie ins Gefängnis und an den Pranger. In Amsterdam, wohin er geflüchtet war, lernte er Jakob Böhmes (s.d.) Schriften kennen, die er zuerst vollständig herausgab (1682). Er selbst schrieb die »Theosophica practica« (hrsg. von Arnold, 1701–08, 3 Bde., und von Überfeld, 1722, 6 Bde.; Berl. 1768, 7 Bde.). Seine Lehre, daß man einzig auf den »Gott in uns« hören, dagegen um die Bedürfnisse des Lebens sich nicht bekümmern solle, rief Arbeitsscheu und Zerwürfnisse in den Familien hervor. Seine Anhänger nannten sich Engelsbrüder, weil sie sich bis zur Reinheit der Engel zu erheben hofften, indem die vollkommenen Glieder (Melchisedeksche Priester) sich des ehelichen Umganges enthielten und nur von freiwilligen Gaben lebten. Gichtelianer haben sich in Norddeutschland bis ins 19. Jahrh. herein erhalten. Vgl. Reinbeck, Gichtels Lebenslauf und Lehren (Berl. 1732); Harleß, Jakob Böhme und die Alchimisten (2. Ausg., Leipz. 1882; im Anhang); Lipsius in Ersch und Grubers »Enzyklopädie«, 1. Sekt., Bd. 65.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 828.
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