Herztöne

[256] Herztöne entstehen dadurch, daß bei der Zusammenziehung der Herzmuskulatur (Systole) wie bei der Erschlaffung derselben (Diastole) die verschiedenen Klappenapparate des Herzens plötzlich straff gespannt werden, etwa wie ein lose gehaltenes Stück Tuch, das man plötzlich mit beiden Händen kräftig anspannt. Man unterscheidet zwei verschiedene Töne, von denen der erste durch die Spannung der zwei-, resp. dreizipfeligen Klappe bei der Systole, der zweite durch die Spannung der wagentaschenförmigen Klappen im Anfangsteil der großen Arterien bei der Diastole wahrgenommen wird (vgl. Blutbewegung, S. 84). An dem Zustandekommen des ersten Tones ist auch noch die Zusammenziehung des Herzmuskels selbst beteiligt, die wie jede Muskelzusammenziehung ein Geräusch verursacht, auch wirkt dabei noch die systolische Anspannung der Lungenschlagader und der Aorta mit. Legt man das Ohr direkt auf die Brust in der Herzgegend an oder setzt hier ein Hörrohr auf, so hört man die H. Obwohl dieselben hierbei eine aus verschiedenen Quellen zusammenfließende Schallerscheinung darstellen, so herrscht doch an bestimmten Stellen der Brustwand der Ton einzelner Klappen vor; z. B. hört man am besten a) den Herzton der zweizipfeligen Klappe an der Herzspitze (im fünften Rippenzwischenraum etwas nach innen und unten von der linken Brustwarze); b) den Herzton der Aortaklappen im zweiten rechten Zwischenrippenraum hart am rechten Brustbeinrand; c) den Herzton der dreizipfeligen Klappe in der Mitte des Brustbeins zwischen den Ansatzstellen der fünften Rippenknorpel; d) den Herzton der Lungenschlagader im zweiten linken Rippenzwischenraum hart am linken Brustbeinrand. Selbstverständlich werden beim Fortfallen der Töne auch an ihre Stelle tretende Herzgeräusche an jenen Stellen am besten gehört. Die H. können vollkommen rein, aber abnorm laut und kräftig sein, besonders bei der Herzhypertrophie und bei nervösem Herzklopfen. Abnorm schwach sind die H. bei Herzschwäche aller Art, ferner bei alten und bei sehr fetten Individuen. Bei Erkrankungen des Herzklappenapparats (s. Herzentzündung 2) wird der Ton begleitet oder völlig vertreten durch ein schabendes, reibendes oder brausendes Geräusch (Herzgeräusch). Je nachdem dieses Geräusch bei der Systole oder Diastole auftritt, nennt man es ein systolisches oder diastolisches Geräusch; geht es dem Ton unmittelbar vorher, ein präsystolisches etc. In manchen Fällen sind auch beide Töne in Geräusch verwandelt. Die krankhaften Veränderungen der Herzklappen bestehen in frischen oder chronischen Auflagerungen auf den Klappen, in Schrumpfungen und Verengerungen der Ausgangspforten der Anfangsteile der großen Schlagadern und in Schrumpfungen der Klappen selbst, wodurch dieselben schlußunfähig werden (Inkontinenz oder Insuffizienz). Mangelhafter Klappenschluß kommt häufig auch dadurch zustande, daß, ohne anatomische Veränderungen der Klappen, diese infolge ungenügender Wirkung der Papillarmuskeln nicht in die richtige Stellung gebracht werden. In allen diesen Fällen entstehen, teils durch Verengerung der Strombahn, teils durch Zusammentreffen rückläufiger Strömung mit der normalen Stromrichtung, Wirbel und Strudel in dem Blutstrom, wodurch Klappen und Herzwände in hörbare Schwingungen versetzt werden. Musikalische systolische H. hört man zuweilen an der Herzspitze, wenn abnorme, quer durch die linke Herzkammer ziehende Sehnenfäden oder stark verdickte und geschrumpfte Sehnenfäden der Mitral- (zweizipfeligen) Klappe bei der Systole plötzlich stark gespannt werden. Neben den bisher erwähnten organischen endokardialen Herzgeräuschen gibt es anorganische endokardiale, als anämische oder akzidentelle (oder auch als Aftergeräusche) bezeichnete, meist systolische H. Man findet sie bei Anämischen, auch bei länger dauernden fieberhaften Krankheiten, in deren späterm Verlauf und Rekonvaleszenz man sie beobachtet, während sie mit dem Erstarken des Patienten von selbst verschwinden. Ihre Entstehungsweise ist nicht ganz klar; in vielen Fällen liegt ihnen wohl eine ungenügende Funktion des an der richtigen Klappenstellung beteiligten Muskelapparats zugrunde. Ein exokardiales Herzgeräusch, nämlich ein Reibungsgeräusch, tritt bei der Herzbeutelentzündung auf, hervorgerufen durch das Aneinanderreiben der rauhen, von geronnenem Faserstoff überzogenen Flächen des Herzbeutels mit der sich lebhaft bewegenden Herzoberfläche. Die Herzgeräusche sind nach dem Gesagten nur Symptome von Krankheiten und somit nicht direkt Gegenstand der Behandlung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 9. Leipzig 1907, S. 256.
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