Kanalstrahlen

[549] Kanalstrahlen. Teilt man eine Entladungsröhre (s. Elektrische Entladung, S. 614) durch das die Kathode bildende Metallblech derart in zwei Teile, daß der eine die Anode enthält, während beide Teile nur durch in der Kathode angebrachte Öffnungen miteinander in Verbindung stehen, so tritt auf der Seite der Kathode, die der Anode zugekehrt ist, das blaue Kathodenlicht auf, an der andern Seite hingegen zeigt sich ein rötlichgelbes Licht. Von einer jeden Öffnung der Kathode geht ein schwach divergentes Strahlenbündel aus. Im Gegensatz zu den schwach blauen Kathodenstrahlen, die gegen die Achse der Kathodenplatte divergieren, und zwar in um so stärkerm Maße, je größer der Grad der Luftverdünnung wird, konvergieren die gelben Strahlen gegen die Achse der Platte, und die Konvergenz nimmt zu mit wachsender Gasverdünnung. Die Achse eines jeden gelben Lichtbündels liegt in der Richtung, in der bei undurchbrochener Kathode der blaue Strahl vom Mittelpunkte der entsprechenden Öffnung austreten würde. Diese aus den Durchbohrungskanälen der Kathode hervorquellenden gelben Strahlen nennt Goldstein K. Am reinsten erhält man die K., wenn man als Kathode ein den Querschnitt der Röhre nahezu ausfüllendes Drahtnetz verwendet. Geht der Durchmesser der Kanäle bei bestimmter Plattendicke über ein gewisses Maß hinaus, so mischt sich den K. gewöhnliches Kathodenlicht bei. Je dicker die Kathodenplatte ist, um so größer können auch die Durchmesser der Kanäle, bei denen man noch reine K. erhält, werden. Während Kathodenstrahlen lebhafte Phosphoreszenz der Glaswände hervorrufen, besitzen K. diese Eigenschaft nur in schwachem Maße. Nach Goldstein (1902) ist sogar die gewöhnliche rotgelbe Fluoreszenz des von K. getroffenen Glases tatsächlich keine solche, sondern lediglich das Leuchten von vergastem Natrium. Nach W. Wien (1902) hängt die Fluoreszenzerregung von der Natur des Gases ab, ferner auch von der elektrostatischen und magnetischen Ablenkbarkeit der Strahlen. Aluminiumoxyd fluoresziert braun, grün oder blau, Magnesia rot, Zinkoxyd grün. Die Energie der K. beträgt etwa 11–18 Proz. der dem Entladungsrohr zugeführten Energie. Sie werden selbst von starken Magneten nur in geringem Maße beeinflußt. Gegen elektrische Schwingungen üben K. eine starke Schirmwirkung aus, sie absorbieren dieselben in so hohem Maße, daß eine empfindliche Röhre hinter ihnen nicht mehr leuchtet. Endlich rufen sie im Gegensatz zu den Kathodenstrahlen, die reduzierend wirken, eine Oxydation hervor; allerdings wirken sie meist nur zersetzend. Metallniederschläge im Innern der Vakuumröhre werden durch auftreffende K. verflüchtigt. Nach der Ansicht von Goldstein, Wehnelt u. a. sind die K. identisch mit der dicht auf der Kathode haftenden leuchtenden Schicht auf der der Anode zugekehrten Seite; beide bestehen aus den von der Anode zur Kathode wandernden positiven Ionen, die beim Auftreffen auf die Kathode Kathodenstrahlen auslösen oder bei durchbrochener Kathode als K. weiterwandern. Für diese Auffassung spricht der Umstand, daß, wie ein in die Kanalstrahlenbündel gebrachter fester Körper einen Schatten wirft, so auch ein in den dunkeln Kathodenraum eingeführter Körper sich als Schatten auf der Lichthaut der ersten Kathodenschicht abzeichnet. Einen weitern Beweis liefert das Vorhandensein gewisser charakteristischer Eigentümlichkeiten im Spektrum beider, die in dem Spektrum der übrigen Teile des Kathodenlichts fehlen. Wien hat auch die positive Ladung der K. direkt nachgewiesen. Die Geschwindigkeit der K. fand er gleich 3,6×10: cm in 1 Sekunde, das Verhältnis von Masse zur Ladung in CGS-Einheiten 3,2×10-3, die Masse selbst 650 mal so groß wie die eines Wasserstoffatoms, die Ladung gleich der eines[549] Wasserstoffions. Man hat die K. auch Anodenstrahlen genannt, sie können indes nach Goldstein und Ewers unmöglich von der Anode ausgehen. Nach Goldstein (1902) treten den K. verwandte Strahlen tangential an einer gewöhnlichen Kathode aus. Die Strahlen der ersten Kathodenschicht sind den K. wohl ähnlich, aber nicht damit identisch.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 10. Leipzig 1907, S. 549-550.
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