Beweis [1]

[799] Beweis, die Darlegung der Wahrheit oder Falschheit eines Urteils aus Gründen. Die äußere Form, in der die Beweise auftreten, oder in die sie sich bringen lassen, ist die des Syllogismus (s. Schluß) oder einer Kette von Syllogismen, wobei die Axiome und Definitionen die Obersätze darstellen. Doch wird bei der Ausstellung von Beweisen meist nicht bis auf diese letzten Prinzipien zurückgegangen, sondern es werden an Stelle derselben Sätze zu Grunde gelegt, die zwar selbst der Begründung bedürften, die aber als gültig angenommen werden. So benutzt die Geometrie, obwohl es ihr möglich wäre, alle ihre Lehrsätze unmittelbar aus den Axiomen und Definitionen herzuleiten, doch, um Wiederholungen zu vermeiden, die bereits bewiesenen Sätze als Grundlagen für den B. weiterer; in andern Wissenschaften und bei den im praktischen Leben vorkommenden Beweisführungen muß man sich dagegen begnügen, den zu beweisenden Satz aus irgend welchen allgemein zugestandenen Sätzen abzuleiten, da hier kein dergleichen einfaches System von Axiomen zur Verfügung steht wie in der Geometrie. Daher die Überlegenheit der geometrischen Beweise über alle andern, welch letztere sehr häufig durch die spätere Erkenntnis der Unsicherheit oder Unwahrheit ihrer Voraussetzungen entwertet werden, was bei jenen ausgeschlossen ist. In allen Fällen, in denen Streit über die Gültigkeit eines Beweises entsteht, betrifft derselbe demgemäß zumeist nicht sowohl die Richtigkeit des Schlußverfahrens (die Form des Beweises) als vielmehr diejenige der Voraussetzungen des Beweises (den Stoff desselben). Nur aus diesem Gesichtspunkt besteht auch ein Unterschied zwischen sogen. Erfahrungsbeweisen und Vernunftbeweisen, indem die letztern Sätze von unbedingter Gültigkeit (Urteile »a priori«, s. d.), die erstern dagegen Erfahrungssätze, deren Gewißheit immer nur eine relative ist, zur Grundlage haben. Beim indirekten B. (s. Apagoge) wird der Erweis der Falschheit eines oder mehrerer Sätze benutzt, um darauf den B. der Wahrheit eines andern zu gründen. Für das Verfahren bei Aufsuchung eines direkten Beweises lassen sich keine allgemeinen Vorschriften geben;[799] doch handelt es sich dabei immer darum, einen oder mehrere Mittelbegriffe zu finden, deren Zusammenhang mit dem Subjekt und Prädikat des zu erweisenden Satzes bekannt ist, und durch die daher diese selbst in Zusammenhang gebracht werden können. Sehr häufig läßt sich wenigstens zeigen, daß der zu erweisende Satz die notwendige Folge eines andern ist, wodurch der B. des erstern auf den des letztern zurückgeführt ist, was unter Umständen eine große Erleichterung bedeuten kann. Die hauptsächlichsten logischen (d. h. Form-) Fehler bei Beweisen, die sich fast immer in der rhetorischen Einkleidung des Gedankenganges verstecken und durch die Zurückführung desselben in die Form nackter Syllogismen hervorgezogen werden, sind: die ignoratio elenchi, darin bestehend, daß aus den benutzten Voraussetzungen sich ein von der zu beweisenden Behauptung abweichender Schluß ergibt; die petitio principii (circulus in demonstrando), darin bestehend, daß der zu beweisende Satz selbst als Beweisgrund mit benutzt wird; das hysteron proteron, wenn Voraussetzungen benutzt werden, die schwieriger zu beweisen oder einzusehen sind als der Satz selbst. Wird mehr oder weniger bewiesen, als der letztere enthält, so ist wenigstens das Ziel des Beweises verfehlt (qui nimium probat, nihil probat). Außerdem werden durch alle Schlußfehler (s. Schluß) auch die Beweise fehlerhaft.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 799-800.
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