Klassiker und klassisch

[96] Klassiker und klassisch (lat.; hierzu die Porträttafeln »Deutsche Klassiker des 18. und des 19. Jahrhunderts«), Ausdrücke von verschiedener Bedeutung, denen kein deutsches Wort vollkommen entspricht. Ihre ursprüngliche Anwendung erklärt sich aus der dem Servius Tullius zugeschriebenen, auf den Vermögensunterschieden beruhenden Einteilung aller römischen Bürger in sechs Klassen. Nach deren Vollzug pflegte man zunächst die Angehörigen der ersten und reichsten Klasse speziell als classici (wie die der letzten und ärmsten als proletarii) zu bezeichnen. Dann verallgemeinerte sich der Name, und »classicus« wurde zur Bezeichnung eines gewissen Vorzugs und Vorranges überhaupt; ein testis classicus war ein glaubwürdiger, entscheidender Zeuge, ein scriptor classicus ein mustergültiger Schriftsteller. Hierauf beruht die Doppelbedeutung jener Ausdrücke in den modernen Sprachen. Daß die moderne Bildung in ihrem Ursprung die griechisch-römische als Muster ansah, macht es begreiflich, daß »klassisch« in mannigfachen Verbindungen völlig gleichbedeutend wurde mit griechisch-römisch oder zur griechisch-römischen Bildung und Kultur gehörig. In diesem Sinne reden wir noch jetzt von klassischen Sprachen, klassischer Philologie etc. Neben dieser historischen ist aber zugleich die sachliche Bedeutung der Ausdrücke in Geltung geblieben. Innerhalb der Antike werden die Blütezeiten und ihre geistigen Erzeugnisse, vor allem künstlerischer Art, speziell mit dem Namen klassisch beehrt. In gleichem Sinne haben die modernen Kulturvölker ihre klassischen Zeiten und ihre Klassiker; letzteres ist vor allem der Ehrenname der »klassischen« Schriftsteller. Die klassische Zeit der Griechen ist die des Perikles, der Römer die des Augustus; den Italienern gilt das 15. Jahrhundert oder das Zeitalter des Lorenzo de' Medici, den Spaniern und Engländern das 16., den Franzosen das 17. (das Zeitalter Ludwigs XIV.), den Deutschen das 18. (insbes. die Weimarer Periode) als ihre klassische Zeit. Doch werden auch andre hervorragende Schriftsteller, die ihrer Zeit Neues boten und Werke von dauernder Bedeutung hinterlassen haben, als Klassiker bezeichnet. In diesem Sinn ist der Ausdruck für die auf den beigehefteten Tafeln abgebildeten Autoren zu verstehen. Juristische Klassiker im engern Sinne sind die Juristen, aus deren Schriften die Pandekten ausgezogen sind.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 96.
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