[462] Parnassos, ein in der Mythologie vielgenanntes Gebirge Griechenlands, das als Sitz des pythischen Orakels von den Dichtern als Mittelpunkt (»Nabel«) der Erde betrachtet wurde. Man versteht im weitern Sinne darunter die vom Öta her südöstlich durch Doris und Phokis bis zum Pleistosfluß (heute Xeropotamos) hinstreichende Gebirgskette, die unter dem Namen Kirphis (jetzt Sumaliäs) zwischen Kirrha und Antikyra am Korinthischen Meerbusen endigt. Im engern Sinne bezeichnet P. bloß den höchsten Kamm dieses Gebirges, mit den beiden Spitzen Tithorea im N. und Lykoreia (jetzt Liakura, 2459 m) im S. in der Nähe von Delphi. Die Gipfel sind einen großen Teil des Jahres mit Schnee bedeckt; die Abhänge tragen dichte Tannenwaldungen, denen sich im Altertum am Fuße Haine von Lorbeer-, Myrten- und Ölbäumen anschlossen, und haben zahlreiche Klüfte und Abgründe. In einem derselben, am südlichen Abhang, befanden sich das delphische Orakel und die Kastalische Quelle. Etwa 250 m oberhalb Delphi und 627 m ü. M. lagen die Phädriaden, Felsen, von denen die Gotteslästerer und Tempelschänder hinabgestürzt wurden. Der Berg war dem Apollon, dem Dionysos und den Musen, auch den korykischen Nymphen geheiligt, und besonders galt die Kastalische Quelle (s. d.) als die Quelle dichterischer Begeisterung. Daher die Redensart »den P. besteigen« für »dichten«, wie auch poetische Wörterbücher den Titel Gradus ad Parnassum (s. d.) erhielten.