[620] Apollon (lat. Apollo), in der griech. Mythologie Sohn des Zeus und der Leto, die ihn nebst seiner Zwillingsschwester Artemis nach der verbreitetsten Sage auf der Insel Delos gebar. Seinem ursprünglichen Wesen nach erscheint A. als ein Gott des Lichtes in seiner heilsamen wie verderblichen Wirkung; zum eigentlichen Sonnengott an Stelle des Helios ist er erst im Laufe der Zeit geworden. Als den »Lichten«, »Leuchtenden« bezeichnet ihn sein Beiname Phöbos, zugleich als den »Reinen«, »Heiligen«; denn als Gott des reinen Lichtes ist er Feind aller Finsternis und alles ihr verwandten Unreinen, Unholden und Frevelhaften. Als Gott des Lichtes war er auch Ordner der Zeiten, und so waren ihm alle Neu- und Vollmondstage sowie der 7. und 20. Tag jedes Monats heilig. Nach der an manchen seiner Kultstätten herrschenden Anschauung zog er im Winter nach Lykien oder Äthiopien oder zu den im fernsten Norden in ewigem [620] Lichte wohnenden Hyperboreern, um im Frühling zurückzukehren und mit seinen Strahlen die Macht des Winters zu brechen. Wenn der Mythus erzählt, er habe gleich nach seiner Geburt mit den ersten Pfeilen seines Bogens den Drachen Python (s. d.) erlegt, so bedeutet dies den Sieg des Frühlingsgottes über den Winter. Als Lichtgott hatte er im Frühling, Sommer und Herbst seine Feste, von denen manche seine natürliche Bedeutung in einzelnen Zügen noch klar erkennen lassen. So bezog sich das ihm im April in Athen gefeierte Fest der Delphinien auf die nach den Winterstürmen eintretende Beruhigung des Meeres und die damit verbundene Wiedereröffnung der Schiffahrt. Die im folgenden Monat in Athen und anderwärts gefeierten Thargelien (s. d.) galten dem Sommergotte, dem man für das Reisen der Feldfrüchte deren Erstlinge, zugleich aber auch Sühnopfer darbrachte, um die verderbliche Hitze abzuwenden. Gleiche Bedeutung hatten die Delien auf Delos. Zur Zeit des höchsten Sonnenstandes, im Juli bis August, wo der Gott seine teils wohltätige, teils verderbliche Macht ausübt, wurden ihm in Sparta die Hyakinthien begangen. Die Erstlinge des Herbstes brachte man ihm an den Pyanepsien dar. Wie A. den Früchten Gedeihen und Schutz verleiht, und nicht bloß gegen die sommerliche Glut, auch gegen Meltau, Rost und das den Saaten feindliche Ungeziefer, wie Feldmäuse und Heuschrecken, so ist er auch Beschützer der Herden und Weiden und wurde unter mancherlei Namen (z. B. Karneios, s. Karneen), die auf Viehzucht deuten, verehrt. In der Sage vom Rinderdiebstahl des Hermes erscheint er selbst als Besitzer einer Herde, die er dem Bruder gegen die von ihm erfundene Leier abtritt; andre alte Sagen lassen ihn die Herden des Laomedon und Admetos hüten, was später als Folge einer Verschuldung aufgefaßt wurde, und als Hirtengott ist er der Liebhaber der Nymphen, wie Daphne, Koronis und Kyrene, der Mutter des Aristäos, gleichfalls eines Herdengottes. Wie seine Schwester Artemis ist er auch Beschützer des zarten Wildes und Erleger der reißenden Tiere, besonders des Wolfes, des Herdenfeindes, der selbst Symbol seiner Unheil bald sendenden, bald abwehrenden Macht war. Auch das Gedeihen der Menschen befördert A. Er wurde bei Hochzeiten angerufen, und als Pfleger der männlichen Jugend weihte ihm diese die erste Schur des Haupthaares. In den Gymnasien und Palästren wurde er neben Hermes und Herakles verehrt, da er Ausdauer im Faustkampf, Gewandtheit und Schnellfüßigkeit verlieh. Als kriegerischem und im Kampfe hilfreichem Gott zollten ihm die Spartaner besondere Verehrung, und diesem galt auch das in Athen gefeierte Fest der Boedromien. Ein andres athenisches Fest, die Metageitnien, verherrlichte A. als den Stifter nachbarlicher Vereinigung. Auch war er der Gott, unter dessen Schutz Kolonien ausgesendet und neue Städte gegründet wurden. An vielen Orten, besonders in Athen, wurde er als Agyieus verehrt, d.h. als Gott der Straßen und Wege, dessen Symbol, eine kegelartig zugespitzte Säule, vor den Häusern aufgestellt war, um Ausgang und Eingang zu bewahren, Gutes einzulassen und Böses abzuwehren, und von den Hausbewohnern mit Ehrengaben reichlich bedacht wurde. Wie zu Lande ist A. auch zur See Geleiter und Beschützer besonders unter dem Namen Delphinios, den er nach dem ihm befreundeten Delphin, dem Symbol des schiffbaren Meeres, führte. In dieser Eigenschaft wurde er vielfach in Häfen und auf Vorgebirgen, wie auf dem von Aktion, besonders auch in Athen, verehrt. Als Unheilabwehrer (Alexikakos) im weitesten Sinn erweist A. seine Macht ganz besonders bei Krankheiten; denn wie er in der heißen Zeit Seuchen sendet und mit seinen Pfeilen die Menschen schnell dahinrafft, so vermag er auch wirksamste Hilfe zu verleihen und wurde daher neben seinem Sohn Asklepios als vornehmster Heilgott verehrt. Insbesondere als Erretter von Seuchen, aber auch von andern Nöten sang man ihm zu Ehren den Päan (s. d.) Auch in geistiger Beziehung ist A. ein Erretter vom Verderben. Schon früh hat sich seine ursprüngliche physische Bedeutung überwiegend nach der ethischen Seite entwickelt, so daß er, der reine Lichtgott, zum Gott geistiger und sittlicher Reinheit und somit der Ordnung, des Rechts und der Gesetzmäßigkeit geworden ist. Als solcher straft er unnachsichtlich den übermütigen Frevler, aber gewährt auch dem Schuldbeladenen, der sich als Büßender und Schutzflehender an ihn wendet, Reinigung von der Befleckung des Verbrechens, die als die Klarheit des Geistes trübende, das Gemüt zerrüttende Krankheit angesehen wurde, und damit Heilung der Seele sowie die Wiederaufnahme in die bürgerliche und religiöse Gemeinschaft. A. selbst hatte dazu das Vorbild gegeben, indem er nach dem delphischen Drachenmord 7 Jahre zur Sühnung seiner Blutschuld Knechtsdienste bei Admetos getan, um sich nach Ablauf der Bußzeit reinigen zu lassen und dann erst in Delphi sein Prophetenamt anzutreten. So verlangte er auch Anerkennung der Mordsühne gegenüber dem alten Gesetz der nur neuen Mord und neue Schuld erzeugenden Blutrache. Die durch den Apollonkultus namentlich von Delphi aus verbreiteten Sühnegebräuche trugen zur Verbreitung milderer Rechtssitten außerordentlich bei. Als alles Dunkel durchdringender Lichtgott ist A. ferner der Gott der Weissagung, die bei ihm durchaus ethische Bedeutung hat, indem er als Prophet den Willen seines Vaters Zeus verkündet und damit dessen Ordnung in der Welt verbreiten hilft. Er ist Vorsteher jeder Art von Weissagung, besonders aber derjenigen, die er durch menschliche Werkzeuge, vornehmlich Frauen, in ekstatischem Zustand erteilen läßt. Groß war die Zahl seiner Orakelstätten; alle überstrahlte aber an Ansehen und Bedeutung die in Delphi. Erhebend und begeisternd auf das menschliche Gemüt wirkt A. auch als Gott der Musik, die ihm vorzugsweise eigen ist. Bei Homer erscheint er nur als Zitherspieler, während der Gesang den Musen zukommt; im Laufe der Zeit aber wurde er neben den Musen auch zum Gotte des Gesanges und der Dichtkunst und damit zum Musagetes (»Musenführer«) sowie zum Meister des Reigentanzes, der sich mit Musik und Gesang verbindet. Wie mit den Musen, so steht er als Freund alles dessen, was das Leben verschönt, auch mit den Chariten (Grazien) in engster Verbindung.
Bei diesen vielfachen Beziehungen zum Natur- und Menschenleben nahm A. im Kult zu allen Zeiten eine hervorragende Stellung ein; schon bei Homer wird er mit Zeus und Athene in der Weise zusammengestellt, daß die drei Gottheiten fast den Inbegriff aller göttlichen Macht bezeichnen. Seine Verehrung erstreckte sich gleichmäßig über die ganze Griechenwelt. Die beiden Mittelpunkte seines Kults waren Delos. seine Geburtsstätte, wo bei seinem prächtigen Tempel alle 5 Jahre die von den griechischen Staaten durch feierliche Gesandtschaften beschickten Festspiele der Delien gehalten wurden, und Delphi mit seinem Orakel und seinen mannigfachen Festen. Unter seinen Kultusstätten in Asien war die bedeutendste Patara in Lykien.[621]
Den Römern wurde A. unter dem letzten König, Tarquinius Superbus, durch die Erwerbung der Sibyllinischen Bücher (s. d.) bekannt. Durch deren Einfluß bürgerte sich sein Kult bald so ein, daß ihm als Heilgott (medicus) 431 v. Chr. ein Tempel errichtet wurde, von dem die Prozessionen bei den Supplikationen (s. d.) auszugehen pflegten. Bei den seit 399 angestellten Lektisternien (s. d.) nimmt A. die erste Stelle ein. Im zweiten Punischen Kriege wurden ihm infolge eines Orakelspruchs 212 die Apollinarspiele eingerichtet.
Zu einem der vornehmsten Götter Roms erhob ihn Augustus, der sich für seinen besondern Schützling hielt und ihm den Sieg bei Aktion zu verdanken glaubte, durch Errichtung eines prächtigen Tempels auf dem Palatin (29 v. Chr.) und Übertragung der Säkularspiele (s. d.) auf ihn und Diana (17 v. Chr.).
Der vielseitigen Bedeutung des A. entspricht die Mannigfaltigkeit seiner Symbole. Die gewöhnlichsten sind Kithara und Bogen, je nachdem man den Gott des Gesanges oder den ferntreffenden Schützen darstellen wollte. Dem delphischen Weissagegott, dem pythischen A., eignet der Dreifuß, den man ihm auch vorzugsweise als Weihgeschenk darbrachte. Unter den Pflanzen war ihm der bei Sühnungen gebrauchte Lorbeer heilig, der seine Tempel umgab, und die Palme, da er unter einer Palme geboren war; unter den Tieren besonders der Wolf, das Reh, der Delphin, der Schwan, mit Beziehung auf Weissagung der Habicht, der Rabe, der Geier, die Krähe, die Schlange. Auch der Greif ist ein Symbol von ihm. Vgl. Schönborn, Über das Wesen Apollons und die Verbreitung seines Dienstes (Berl. 1854); Roscher, Studien zur vergleichenden Mythologie der Griechen und Römer, Heft 1 (Leipz. 1873); Stengel in den »Jahrbüchern für klassische Philologie«, 1884, S. 351 ff.; Milchhöfer, Der attische A. (München 1873); Hecker, De Apollinis apud Romanos cultu (Leipz. 1879).
A. war ein Lieblingsgegenstand der bildenden Kunst. Während sie ihn vor Pheidias kräftiger und reifer auffaßte, kommt die jugendliche Bildung in der Blütezeit zu ausschließlicher Geltung. Hervorragenden Einfluß auf die Gestaltung des Apollonideals übten im 4. Jahrh. Praxiteles und Skopas. Der A. Sauroktŏnos (»Eidechsentöter«) des erstern, ein Erzwerk, ist in mehreren Kopien in Marmor und Bronze erhalten, die ihn als knabenhaften nackten Jüngling mit weichen Zügen zeigen (s. Tafel »Bildhauerkunst III«, Fig. 6). Den A. Musagetes des Skopas stellte Augustus als Kultbild in dem palatinischen Tempel (s. oben) auf; auf ihn führt man die Statue des Vatikans zurück, die den begeisterten Gott in langem Kitharödengewand und mit fast weiblicher Formenfülle darstellt. Als sieghaften Gott zeigt ihn der A. von Belvedere im Vatikan zu Rom, eins der bewundertsten Kunstwerke (s. Tafel »Bildhauerkunst V«, Fig. 8), die Kopie eines ältern Originals, dem der sogen. Steinhäusersche Apollonkopf in Basel näher steht. In welcher Tätigkeit er dargestellt war, ob in der ausgestreckten Linken den Bogen oder die Agis haltend, wie man auf Grund des sogen. Apollon-Stroganow in Petersburg, einer in neuerer Zeit als unecht erklärten Bronzestatuette, vermutet hat, ist streitig (vgl. A. Feuerbach, Der vatikanische Apollo, 2. Aufl., Stuttg. 1855; Stephani, A. Boedromios, Petersb. 1860; O. A. Hoffmann, Herm-Apollo Stroganoff, Marb. 1889 u.a.). Ruhig träumerisch zeigt ihn der sogen. Apollino in Florenz. Den kräftigern ältern Typus des A. mit Leier und Greifen, den rechten Arm auf das Haupt legend (Motiv des sogen. A. Lykeios) gibt eine Statue des kapitolinischen Museums (s. Abbildung). In mythischen Szenen kommt A. besonders häufig als Verteidiger seines delphischen, von Herakles entführten Dreifußes, als Schützer seiner Mutter Leto gegen Tityos, als Bezwinger des Drachen Python (vgl. Schreiber, A. Pythoktonos, Leipz. 1879) und als Besieger des Marsyas (s. d.) vor. Vgl. Overbeck, Griechische Kunstmythologie, 3. Bd., 5. Buch (Leipz. 188789).
Buchempfehlung
Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.
86 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro