[700] Kristall (v. griech. krýstallos, »Eis«, zunächst auf den Bergkristall, den man für im höchsten Grade gefrornes, bez. durch himmlisches Feuer verfestigtes Wasser hielt, übertragen und von diesem auf alle übrigen Kristalle), eine regelmäßige, den Körpern von[700] bestimmter chemischer Zusammensetzung wesentlich zukommende, ebenflächig begrenzte Form. Unter besonders günstigen Verhältnissen der Bildung ist die ebenflächige Begrenzung eine allseitige, so bei vielen eingewachsenen natürlichen Kristallen und manchen sorgsam hergestellten künstlichen. Freies Hängen in der konzentrierten Lösung der kristallisierenden Substanz, Schweben in einem nachgiebigen, von der Lösung durchdringbaren Mittel (Gelatine) und langsamer Verlauf des Kristallisationsprozesses sind im allgemeinen die zur Hervorbringung großer und vollkommener Kristalle günstigen Bedingungen. Neben den allseitig ebenflächig begrenzten, schwebend gebildeten Kristallen (s. Tafel »Mineralien«, Fig. 1 und 2) sind zu unterscheiden die sitzend ausgebildeten, die nur auf einer Seite gesetzmäßige Flächen tragen, auf der andern aber ihre Unterlage abformen (s. Tafel »Mineralien«, Fig. 3 und 7), und dann die kristallinischen Aggregate, die gar keine gesetzmäßigen Begrenzungsflächen haben und deshalb als ringsum in der freien äußern Formentwickelung gehinderte Kristalle anzusehen sind (s. auch Kristallisation). Die Wesentlichkeit der Kristallgestalt erkennt man teils daran, daß eine bestimmte Form einer bestimmten chemischen Zusammensetzung entspricht (vgl. Mineralogie, Heteromorphie, Isomorphie, Pseudomorphosen), teils an dem Zusammenhang der äußern Gestalt mit der innern Struktur (vgl. Mineralien, Spaltbarkeit), der sich bei mangelhafter Entwickelung des Kristalls zur Ergänzung der Beobachtung und Ausdeutung seiner äußern Form benutzen läßt. Die Fähigkeit, Kristalle zu bilden, besitzt die große Mehrzahl der anorganischen (natürlichen und künstlich dargestellten) und eine ebenfalls nicht unbedeutende Anzahl der organischen chemischen Verbindungen. Nur ist der Grad dieser Fähigkeit ein sehr verschiedener, so daß gewisse chemische Verbindungen fast nur, andre selten in Kristallen zu beobachten sind. Körper, denen die Fähigkeit, Kristalle oder kristallinische Aggregate zu bilden, überhaupt mangelt, heißen amorph (s. d. und Mineralien). Kristalle können sich bilden bei jeder Art des Überganges kristallisierbarer Substanzen aus dem flüssigen oder gasförmigen Aggregatzustand in den festen (durch Abkühlung von Dämpfen, Verdunstung oder Abkühlung von Lösungen). Die Größe der so entstehenden Kristalle ist je nach der Natur der betreffenden Körper sehr verschieden; manche bilden fast stets sehr große Kristalle, andre aber immer nur Haufwerke sehr kleiner Kristalle (Kristallmehl; s. Kristallisation). Die kleinsten, eben noch mit dem Mikroskop wahrnehmbaren ebenflächig begrenzten Kristallchen werden, einerlei, ob ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten chemischen Körper erkannt ist oder nicht, als Mikrolithe und, sofern sie nach einer oder der andern Richtung hin noch nicht deutlich individualisiert erscheinen, auch wohl als Kristalliten (s. d.) bezeichnet. Der K. vergrößert sich durch Auslagerung immer neuer Schichten auf seine Flächen derart, daß diese parallel mit sich weiter nach außen verschoben werden, und die Winkel, unter denen sich die Kristallflächen schneiden, dieselben bleiben. Wenn demnach das Wachstum der Kristalle nach verschiedenen Richtungen sich ungleich rasch vollzieht und von der ursprünglichen Form abweichende, verzerrte Kristalle, oft durch Streifungen, Vertiefungen auf den Flächen, einseitige Krümmung etc. ausgezeichnet, aber zuweilen auch nur skelettartig entwickelt, entstehen, wie das häufig der Fall ist, so ist doch die Neigung der entsprechenden Flächen gegeneinander gleich, sind die Winkel, die sie miteinander einschließen, dieselben (Gesetz der Konstanz der Kantenwinkel). Es ergibt sich hieraus die große Wichtigkeit der Kristallmessung (Kristallometrie), die mit verschiedenen Meßinstrumenten (vgl. Goniometer) ausgeführt wird. Zugleich erlaubt die regelmäßige Ausbildung der Kristalle eine mathematische Behandlungsweise der Formen; diese ist Gegenstand der Kristallographie (Kristallologie).
Die Gesetzmäßigkeiten, welche die Kristalle in ihren Formen darbieten, erkennt man am besten an den ebenmäßig oder ideal ausgebildeten Kristallen. Aus den in der Natur so häufigen verzerrten Kristallen erhält man ein Bild der ideal ausgebildeten Kristalle, wenn man sich die begrenzenden Flächen gleichweit von einem Punkt im Innern des Kristalls entfernt denkt. Sind die Flächen an einer so abgeleiteten idealen Kristallgestalt untereinander kongruent (gleichwertig), so nennt man diese Gestalt eine einfache Form, sind sie voneinander verschieden, so ist die Gestalt eine Kombination so vieler verschiedener einfacher Formen, als verschiedene Arten von Flächen (ungleichwertige Flächen) an ihr auftreten. Die natürlich vorkommenden Kombinationen gleichen häufig in ihrer Gestalt einer einfachen Form, deren Kanten und Ecken durch die Flächen der andern einfachen Formen gleichsam abgestumpft oder zugeschärft erscheinen. Als Hilfsmittel zu dem Studium der Kristalle dienen teils Modelle, die in Pappe, Holz, Gips, Speckstein oder Glas hergestellt werden und bei Kombinationen, der natürlichen Ausbildung der regelmäßig gewachsenen Kristalle entsprechend, die Flächen derselben einfachen Form gleichweit, die Flächen verschiedener einfacher Formen ungleichweit vom Mittelpunkt abstehend zeigen, teils parallelperspektivische Zeichnungen, teils andre Projektionen der Kristallgestalten.
Die Kristalle sind außerordentlich verschieden gestaltet und oft sehr flächenreich. So kennt man am Kalkspat, einem allerdings sehr formenreichen Mineral, mehr als 200 verschiedene Formen in mehr als 1000 verschiedenen Kombinationen, und ferner gibt es, wie z. B. vom Flußspat, Kalkspat, Humit, Kristalle, die von 300 einzelnen Flächen, ja oft von noch viel mehr, eingeschlossen sind. Viele von diesen Flächen schneiden sich in parallelen Kanten. Alle an einem K. auftretenden, in parallelen Kanten sich schneidenden Flächen bilden eine Zone; die den parallelen Kanten durch den Mittelpunkt des Kristalls parallel gelegte Gerade ist die Zonenachse. Trotz der Mannigfaltigkeit in ihrer Ausbildung lassen sich die Kristalle in verhältnismäßig wenige Abteilungen, sogen. Systeme, gruppieren, deren Eigenschaften am leichtesten an idealen Kristallbildungen erkannt werden können. Viele Kristalle sind nämlich um bestimmte, durch ihren Mittelpunkt hindurchgelegte Gerade oder Achsen (Symmetrieachsen, Deckbewegungsachsen) herum derart symmetrisch gebaut, daß bei einer Drehung um einen Teil von 360° um diese Achse jede Fläche, jede Kante und jede Ecke (kurz jedes Begrenzungselement) in eine gleichbeschaffene Fläche, Kante oder Ecke übergeführt werden kann; oder man kann sie durch bestimmte, durch ihren Mittelpunkt hindurchgelegte Ebenen (Symmetrieebenen) in je zwei Teile zerlegen, die spiegelbildlich gleich sind, jene Ebene als Spiegel gedacht. Bei vielen Kristallen stehen die Symmetrieachsen senkrecht zu den Symmetrieebenen, bei andern sind sie aber nicht an jene gebunden; zum Teil sind die Kristalle an den beiden Enden einer Symmetrieachse ganz gleich ausgebildet,[701] zum Teil verschieden; im letztern Falle spricht man von einer polaren Symmetrieachse und einer hemimorphen Ausbildung des Kristalls. Je nach dem Vorhandensein und der Zahl der Symmetrieebenen und je nach der Zahl und der Beschaffenheit der Symmetrieachsen lassen sich 32 verschiedene Kristallabteilungen aufstellen, die gewöhnlich zu den folgenden sechs Kristallsystemen zusammengefaßt werden:
Die Unterscheidung dieser sechs Kristallsysteme ist deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil jede überhaupt kristallisierende (also nicht amorphe) Substanz stets nur Formen von der gleichen Symmetrie, also eines und desselben Kristallsystems ausbildet, niemals Formen, die verschiedenen Kristallsystemen angehören (Gesetz der Erhaltung der Symmetrie). Um die an den kristallisierten Substanzen auftretenden Formen in einfacher Weise bezeichnen und die gesetzmäßigen Beziehungen zwischen allen an einem Körper auftretenden einfachen Formen, d. h. zwischen den Formen einer Kristallreihe, genauer untersuchen zu können, bezieht man die Kristallgestalten auf ein System von drei durch den Mittelpunkt der Kristalle gelegt gedachten Achsen (Kristallachsen). Diese Achsen werden nicht willkürlich gewählt, sondern den Symmetrieverhältnissen (Symmetrieachsen) des Kristalls entsprechend. Die Kristallformen sind alsdann durch die Lage ihrer Flächen zu diesen Achsen, insbes. durch die Verhältnisse der Abschnitte (Parameter) auf diesen Achsen (Koordinatenachsen) charakterisiert und lassen sich, wie in der Kristallographie gezeigt wird, durch rationale Zahlen (Gesetz der Rationalität der Parameterverhältniszahlen) auf die einfachste an der Kristallsubstanz vorkommende Form, deren Flächen die Achsen in endlicher Entfernung schneiden, die sogen. Grundform, beziehen. Diese Grundform ist für jede Substanz, deren Kristallformen nicht dem regulären System angehören (für das es überhaupt nur eine allen regulär kristallisierenden Substanzen gemeinsam zukommende Grundform gibt), eine andre; die Symmetrieeigenschaften und die Größen, durch welche die Gestalt der Grundform festgelegt wird, sind die kristallographischen Elemente der Substanz, durch die sich dieselben von allen andern kristallisierenden Substanzen wesentlich unterscheidet. Diese Betrachtungen, die auch zu präzisen Bezeichnungsmethoden der Kristallgestalten führen, liegen aber jenseit der von unserm Werk einzuhaltenden Grenzen. Im folgenden sind die einfachen Formen der verschiedenen Kristallsysteme aufgeführt.
I. Reguläres (tesserales, isometrisches) System.
Die Formen werden so gestellt, daß die drei untereinander gleichwertigen, miteinander vertauschbaren Hauptsymmetrieebenen den Flächen und die Hauptachsen, die hier zu Koordinatenachsen genommen werden, den Kanten des Würfels (Fig. 2) parallel verlaufen; die sechs untereinander gleichen Nebensymmetrieebenen sind dann den Flächen der in Fig. 3 dargestellten Form parallel und die einfachen Formen in der durch die Fig. 17 angedeuteten Weise aufzustellen und auseinander zu beziehen. Fig. 1, Grundform: Achtflächner (Oktaeder). Fig. 2, Sechsflächner, Würfel (Hexaeder). Fig. 3, Zwölfflächner: Rhombendodekaeder (Granatoeder). Fig. 46, Vierundzwanzigflächner:[702] Pyramidenwürfel (Tetrakishexaeder, Fig. 4), Pyramidenoktaeder (Triakisoktaeder, Fig. 5), Ikositetraeder (Trapezoeder, Leucitoeder, Fig. 6). Fig. 7, Achtundvierzigflächner: Hexakisoktaeder. Die Fig. 8,9 und 10 stellen von zwei einfachen Formen, Oktaeder und Würfel, Kombinationen (zweizählige) dar: einmal das Oktaeder vorwaltend (Fig. 8), dann das Hexaeder (Fig. 9), während Fig. 10, der sogen. Mittelkristall, beide Formen im Gleichgewicht zeigt. Regulär kristallisieren die meisten schweren Metalle (Quecksilber nur in großer Kälte), Diamant, Bleiglanz, Flußspat, Steinsalz, Spinell, Granat etc.
Die Formen werden so gestellt, daß die Hauptachse senkrecht steht und von den dann senkrecht stehenden vier Nebensymmetrieebenen, von denen je zwei zueinander senkrechte gleichwertig sind, eine auf den Beobachter zugewendet ist.
Die beiden Achsen, die sich als die Durchschnittslinien dieser und der gleichwertigen Nebensymmetrieebene mit dem horizontalen Hauptschnitt ergeben, bilden zusammen mit der Hauptachse das rechtwinklige Achsensystem, auf das die Formen bezogen werden. Man unterscheidet einfache Formen der Art wie Fig. 11 als tetragonale (quadratische) Pyramiden (Oktaeder) erster Ordnung (Protopyramiden; eine von solchen, an manchen Substanzen in größerer Zahl auftretenden, bald spitzern, bald stumpfern Pyramiden wählt man als Grundform), ferner die oben und unten offene tetragonale Säule (Prisma) erster Ordnung (Protoprisma), nur aus vier Seitenflächen bestehend (Fig. 12), dann (Fig. 13) die durch ihre Stellung von den ebengenannten Formen unterschiedenen Pyramiden zweiter Ordnung (Deuteropyramiden) und (Fig. 14) das Prisma zweiter Ordnung (Deuteroprisma), dessen Flächen den durch die Hauptachse und die horizontalen Achsen gehenden Symmetrieebenen parallel laufen; weiter die ditetragonalen Pyramiden (Fig. 15), die ditetragonalen Prismen (Fig. 16). Die in Fig. 12,14 und 16 den Körper nach oben und unten begrenzende Form ist das dem Hauptschnitt parallel gehende basische Flächenpaar (Pinakoid, Basis, Gerad-Endfläche). Fig. 17 u. 18 sind zweizählige Kombinationen: Fig. 17 Pyramide und Prisma erster Ordnung, Fig. 18 Pyramide erster und Prisma zweiter Ordnung. Tetragonal kristallisieren z. B. Zinnerz, Rutil, Anatas, Zirkon, Honigstein, Bor, Quecksilberjodid.
Die Formen werden, analog wie im tetragonalen System, so gestellt, daß die Hauptachse senkrecht steht.
Von den sechs Nebensymmetrieebenen sind je drei unter 60° sich schneidende untereinander gleich; eine von ihnen ist bei der richtigen Ausstellung gerade auf den Beobachter zugewendet. Es werden dann Gestalten, wie in Fig. 19, als hexagonale Pyramiden erster Ordnung oder Protopyramiden (Dihexaeder, hexagonale Dodekaeder), Formen, wie Fig. 21, als hexagonale Pyramiden zweiter Ordnung (Deuteropyramiden), Fig. 23 als zwölfseitige (dihexagonale) Pyramiden (Didodekaeder), Fig. 24 als zwölfseitige Säulen (dihexagonale Prismen) bezeichnet; Fig. 20 stellt das hexagonale Prisma erster Ordnung (Protoprisma), Fig. 22 das Prisma zweiter Ordnung (Deuteroprisma)[703] dar, beide in Kombination mit dem Flächenpaar (Basis, Pinakoid), das (auch in Fig. 24) den K. nach oben und unten abgrenzt. Fig. 25 zeigt eine Kombination der hexagonalen Säule erster Ordnung mit einer Protopyramide (wie am Quarz), Fig. 26 eine dreizählige Kombination von der hexagonalen Säule erster Ordnung, Basis und einer Pyramide erster Ordnung (Apatit).
Die Formen werden beliebig nach einer der drei untereinander ungleichwertigen Symmetrieachsen, die hier zu Koordinatenachsen genommen werden, aufrecht gestellt, wodurch diese Achse Vertikalachse wird und die beiden andern mit Bezug auf die Grundform als größere (Makrodiagonale) und als kleinere (Brachydiagonale) erscheinen. Von der dargestellten Pyramide (Fig. 27), die für eine bestimmte Kristallreihe die Grundform vorstellt, unterscheiden sich andre durch spitzere, nach der Richtung der Vertikalachse gestreckte Form (Pyramiden der vertikalen Reihe), andre durch eine Streckung in der Richtung der Makrodiagonale (makrodiagonale Pyramiden, Makropyramiden) und wieder andre durch eine Streckung in der Brachydiagonale (brachydiagonale Pyramiden, Brachypyramiden).
Ferner kommen neben den aufrechten Säulen oder Prismen (Fig. 28), die als primäre, als makrodiagonale und brachydiagonale bezeichnet werden, auch liegende Säulen (Domen, Plural von Doma) vor, und zwar werden teils makrodiagonale Domen (Makrodomen, Querprismen, Querdomen, Fig. 29), teils brachydiagonale Domen (Brachydomen, Längsprismen, Längsdomen, Fig. 30) unterschieden. Endlich treten noch drei Flächenpaare auf, eins, den K. nach oben und unten begrenzend, das basische Pinakoid (Endfläche, Basis, in Fig. 28 mit dem Prisma kombiniert), eins, das rechts und links liegt (Fig. 29), das brachydiagonale Pinakoid (Brachypinakoid, Längsfläche), und eins, das vorn und hinten auftritt (Fig 30), das makrodiagonale Pinakoid (Makropinakoid, Querfläche). Beispiele rhombisch kristallisierender Körper: Schwefel, Antimonglanz, Markasit, Arsenkies, Baryt, Cölestin, Aragonit, Topas, Kalisalpeter, Chlorbaryum, salpetersaures Silber, Weinstein. Fig. 31 zeigt eine dreizählige Kombination des Topas (Prisma, brachydiagonales Prisma und Pyramide).
Die Formen werden so gestellt, daß die Symmetrieebene gerade auf den Beobachter gerichtet ist und vertikal steht; die zu dieser Ebene Senkrechte durch den Mittelpunkt ist die Orthoachse oder Orthodiagonale, die mit zwei in der Symmetrieebene gelegenen und durch deren Durchschnitt mit zwei senkrecht zu ihr stehenden Kristallflächen bestimmten Geraden zusammen das Koordinatensystem bildet. Von diesen letzten beiden Achsen, die miteinander einen dem Neigungswinkel jener Flächen gleichen Winkel bilden, wird die eine senkrecht gestellt (Vertikalachse), während die andre (Klinodiagonale) nach dem Beobachter sich hinneigt.
Pyramiden, Prismen, Domen und Flächenpaare sind dann ähnlich wie im rhombischen System zu bezeichnen, nur daß statt »makrodiagonal« und »brachydiagonal« die Adjektive »orthodiagonal« und »klinodiagonal« anzuwenden sind. Doch wird, dem Vorhandensein nur einer Symmetrieebene entsprechend, eine Pyramide hier nur aus vier Flächen, ein Orthodoma nur aus zwei Flächen bestehen, da, wie aus Fig. 32 u. 33 ersichtlich ist, nur je die Hälfte der begrenzenden Pyramiden- und Orthodomenflächen untereinander kongruent ist. Sie zerfallen demnach in zwei Hälften (Hemipyramiden und Hemidomen, in den Figuren mit + und bezeichnet); in der Tat sind an den monoklinen Kristallen oft nur solche halbe Pyramiden und Domen entwickelt. Beispiele monoklin kristallisierender Körper: Realgar, Gips, Epidot, Augit, Hornblende, Orthoklas; Eisenvitriol, Borax, Bleizucker. Fig. 34 zeigt eine von dem klinodiagonalen Flächenpaar (Klinopinakoid), einer Hemipyramide und einer Säule gebildete Kombination des Gipses.
Jedes Flächenpaar, d. h. jede Fläche und ihre Parallelfläche, ist in seinem Auftreten unabhängig von allen übrigen. Man wählt drei Ebenen, die drei eine Ecke bildenden Kristallflächen parallel verlaufen, zu Koordinatenebenen; ihre Schnittlinien sind dann die Achsen, von denen, wie im rhombischen System, eine beliebige vertikal gestellt wird (Vertikalachse), während die beiden andern mit Bezug auf ein viertes, jene Achse in endlicher Entfernung schneidendes[704] Flächenpaar (Grundform) als Makrodiagonale und Brachydiagonale unterschieden werden. Da sich alle Flächenpaare als einfache Formen darstellen, spricht man von Viertelspyramiden (Tetartopyramiden, in Fig. 35 mit 'P, P, P' und P, bezeichnet), von Hemibrachydomen, von Hemimakrodomen, von Hemiprismen. Beispiele triklin kristallisierender Körper: Axinit, Albit, Oligoklas, Anorthit, Kupfervitriol.
Bei vielen kristallisierten Substanzen treten diejenigen Flächen, die an gleich gestalteten Kristallen anderer in demselben System kristallisierender Substanzen in bezug auf eine bestimmte Gattung oder Gruppe von Symmetrieebenen symmetrisch gelegen sind, in Gegensatz zueinander, derart daß sie sich zu zwei (korrelaten) spiegelbildlich gleichen Formen zusammensetzen, die sich wie zwei einfache Formen verhalten und in ihrem Auftreten nicht aneinander gebunden sind. Man nennt diese im Gegensatz zu den bisher beschriebenen Vollflächnern (Holoedern, daher: Holoedrie) Halbflächner oder halbflächige (hemiedrische, daher: Hemiedrie) Gestalten.
Auch Halbflächner der Hemieder treten an manchen Substanzen auf und werden dann als Viertelflächner (Tetartoeder, daher: Tetartoedrie) bezeichnet. Diejenigen korrelaten (komplementären) Teilflächner oder Meroeder (daher: Meroedrie), die keine Symmetrieebene mehr besitzen, also nur spiegelbildlich gleich, aber nicht mehr kongruent sind, werden enantiomorph genannt. So viel Gattungen von Symmetrieebenen in einem Kristallsystem vorkommen, und so viel verschiedene Gruppen dieser Gattungen gebildet werden können, in so viel verschiedene Arten von Hemiedern kann ein Holoeder zerfallen. So können im regulären System aus einem Holoeder je zwei Hemieder entstehen: 1) durch Zerfall nach den drei untereinander gleichen Hauptsymmetrieebenen (tetraedrische oder geneigtflächige Hemiedrie); das Oktaeder, Fig. 36, bei dem der Gegensatz nach diesen Hauptsymmetrieebenen durch die Schraffierung angedeutet ist, liefert zwei korrelate, durch ihre Stellung voneinander unterschiedene Formen, die beiden in Fig. 37 und 38 in ihrer richtigen Stellung gegeneinander gezeichneten Tetraeder; 2) durch Zerfall nach den sechs untereinander gleichen Nebensymmetrieebenen (pentagonale oder parallelflächige Hemiedrie): aus dem Pyramidenwürfel (Fig. 39) entstehen alsdann die beiden in Fig. 40 und 41 dargestellten korrelaten Pentagondodekaeder; und 3) durch Zerfall nach den beiden Arten von Symmetrieebenen, also nach allen überhaupt vorhandenen Symmetrieebenen (plagiedrische Hemiedrie): alsdann ergibt das Hexakisoktaeder zwei korrelate, von je 24 Fünfecken (Pentagonen) begrenzte, enantiomorphe Formen (Pentagonikositetraeder, Gyroeder, Plagieder), von denen die eine in Fig. 46 (S. 706) dargestellt ist. Wir fügen einige Abbildungen auf ähnliche Weise ableitbarer Hemieder samt der Angabe ihrer holoedrischen Stammgestalten bei.
Kristallisiert eine Substanz hemiedrisch, so gehören (nach dem Gesetz der Erhaltung der Symmetrie, s. oben) alle an ihren Kristallen auftretenden Formen derselben Art der Hemiedrie an. Viele Teilformen unterscheiden sich von den holoedrischen Formen, aus denen sie abgeleitet werden, nur in ihrem physikalischen, nicht aber in ihrem geometrischen Verhalten; so sind z. B. die Hälftformen des Würfels im regulären System dem holoedrischen Würfel in ihrer Gestalt zwar gleich, nicht aber in ihrem physikalischen Verhalten. Letzteres ist auch verschieden, je nachdem der Würfel der[705] tetraedrischen, der pentagonalen oder der plagiedrischen Hemiedrie zugehört. Bei einigen Substanzen sind infolge der Meroedrie, der sie unterliegen, die beiden an derselben Symmetrieachse gelegenen Enden der Kristalle verschieden (polar) entwickelt. So tritt in der hexagonalen Kombination des Turmalins (Fig. 54) von der Basis nur eine Fläche am untern Ende auf, während das obere rhomboedrisch entwickelt ist. An dem rhombischen Kieselzinkerzkristall (Fig. 55) ist, abgesehen von sonstigen Verschiedenheiten, nur eine Basisfläche am obern Ende entwickelt, während ihre Parallelfläche am untern Ende fehlt. Diese hemiedrische Erscheinung führt auch wohl den Namen der Hemimorphie. Weitere Beispiele hemiedrischer Entwickelung sind der Eisenkies (Pyrit), welcher der pentagonalen (pyritoedrischen) Hemiedrie des regulären Systems angehört und häufig Kombinationen eines Pentagondodekaeders (des sogen. Pyritoeders) mit dem Oktaeder, wie in den Fig. 56 u. 57, zeigt, dann der Kalkspat und das Rotgiltigerz, die in der durch Rhomboeder erster Ordnung (wie Fig. 50, 51 u. 52) und Skalenoeder (Fig. 53) charakterisierten rhomboedrischen Hemiedrie des hexagonalen Systems kristallisieren, und von denen das erste Mineral häufig die Kombination des Prismas erster Ordnung mit einem flachen Rhomboeder, wie in Fig. 58, das zweite die Kombination des Prismas zweiter Ordnung mit einem steilern Rhomboeder, wie in Fig. 59, aufweist.
Mehrere Kristalle, seien es einfache Formen oder Kombinationen, können unregelmäßig, aber auch gesetzmäßig verwachsen sein. Je nach der Zahl der gesetzmäßig verbundenen Einzelkristalle spricht man von Zwillingen, Drillingen, Vierlingen oder Doppelzwillingen etc., auch wohl von »fortgesetzter Zwillingsbildung« und »polysynthetischen Kristallen«. Die Gesetzmäßigkeit der Verwachsung besteht in der Regel darin, daß die Fläche, nach der sich die Verwachsung so vollzogen hat, daß die miteinander verbundenen Kristalle symmetrisch zu dieser Fläche gelegen sind (Zwillingsebene), bei den in Betracht kommenden Kristallen die gleiche Lage in bezug auf die Achsen hat und einer Kristallfläche, aber keiner Symmetrieebene, parallel geht.
So sind in Fig. 60 zwei Oktaeder, beide stark verkürzt, nach einer Oktaederfläche miteinander verwachsen (Magneteisen, Spinell), in Fig. 61 zwei Kristalle der oben (vgl. Fig. 34) erwähnten Gipskombination mit einer Fläche des orthodiagonalen Pinakoids. Weil man sich derartige Zwillinge auch so vorstellen kann, als ob ein K. nach der Verwachsungsfläche halbiert und die beiden Hälften dann um 180° gegeneinander gedreht wären, nennt man solche Zwillinge auch Hemitropien. Die ebengenannten Beispiele stellen sogen. Berührungs- oder Juxtapositionszwillinge dar, d. h. die beiden Kristalle berühren sich nur, während Fig. 62 (sogen. eisernes Kreuz, beim Eisenkies) und Fig. 63 (Fahlerz) Penetrations-[706] oder Durchdringungszwillinge (Durchwachsungszwillinge) sind, der erstere aus zwei Pentagondodekaedern, der letztere aus zwei Tetraedern zusammengesetzt (vgl. auch die Abbildungen der Zwillingsverwachsungen bei Harmotom und Staurolith). Zuweilen entstehen bei hemiedrisch kristallisierenden Körpern infolge der Zwillingsbildung Gestalten, die den Holoedern durchaus gleichen und erst bei näherer Untersuchung sich als Zwillinge (Ergänzungszwillinge) erweisen. Auch kann zuweilen ein K. von durchaus einheitlichem Ansehen aus sehr vielen kleinen zwillingsartig verwachsenen Kriställchen (Subindividuen) bestehen, die oft einem ganz andern Kristallsystem angehören, als dasjenige ist, dem die große Form auf Grund von bloßen Kristallmessungen zugezählt worden ist; man hat solche polysynthetische Kristalle mimetische genannt, begreift aber unter dieser Bezeichnung zuweilen auch die pseudosymmetrischen Kristalle, wie Biotit, Carnallit etc., die in ihren Formen einen höhern Grad von Symmetrie andeuten, als er ihnen auf Grund genauerer, besonders physikalischer Untersuchungen zukommt.
So ist der Mikroklin, dessen Kristalle monoklin erscheinen, ein mimetischer K., der in Wirklichkeit asymmetrisch ist; durch wiederholte, äußerst seine polysynthetische Zwillingsbildung ahmt er die monokline Symmetrie so täuschend nach, daß er erst auf Grund mikroskopischer und optischer Untersuchung als triklin erkannt werden kann.
Der Morphologie der Kristalle (Kristallographie im engern Sinne) wird die Betrachtung der physikalischen (Kristallophysik) und der chemischen Eigenschaften der Kristalle (Kristallochemie) angereiht. Zwischen den morphologischen und physikalischen Eigenschaften der Kristalle bestehen sehr enge Beziehungen, indem jede geometrische Symmetrieebene auch eine solche in physikalischer Beziehung ist. Besonders kommen diese Beziehungen zum Ausdruck in der Spaltbarkeit (s. d. und Mineralien), dann in dem Verhalten zu auslösenden Reagenzien (s. Ätzfiguren) und in den optischen (s. Kristalloptik), thermischen und elektrischen Eigenschaften der Kristalle. Was die letztern anlangt, so sind die Kristalle entweder schlechte oder gute Leiter. Die erstern, wie Quarz, Schwefel etc., können durch Reiben, Spalten, Pressen und Zerreißen, besonders aber durch Erwärmen oder Abkühlen (Pyroelektrizität, s. d.) elektrisch erregt werden. Die Verteilung der positiven und negativen Elektrizität erfolgt dann, wenn die K. frei von störenden Sprüngen, Rissen und Einschlüssen sind, ganz im Sinn ihrer Symmetrie. An den Enden gleichwertiger Symmetrieachsen entsteht gleiche (entweder positive oder negative) Elektrizität, seitlich dazu entgegengesetzte; die beiden Enden der polaren (hemimorphen) Symmetrieachsen zeigen entgegengesetzte Elektrizität. Dabei zeigt sich die Eigentümlichkeit, daß dasjenige Ende des Kristalls, das beim Erwärmen positiv wird (G. Rose nannte es das analoge), beim Abkühlen negativ, und umgekehrt, daß das beim Erwärmen negative (antiloge) Ende beim Abkühlen positiv wird. Wird der durch Temperaturwechsel (Erwärmen oder Abkühlen) elektrisch erregte K. mit einem Gemenge von seinem Schwefel- und Mennigepulver bestäubt, so bleiben die durch die Bewegung negativ erregten Schwefelkörnchen an den positiv elektrischen Teilen des Kristalls haften und färben diese gelb, während das rote, positiv erregte Mennigepulver die negativ elektrischen Stellen des Kristalls bedeckt. Auf diese Weise gelingt es bei vielen Kristallen (z. B. beim Quarz), den feinern Bau (Zwillingsverwachsungen) kennen zu lernen, ohne sie irgendwie zu verletzen. Auch die Leitungsfähigkeit der Kristalle entspricht der ihnen eignen Symmetrie; sie ist in gleichwertigen Richtungen dieselbe, in ungleichen verschieden; die Unterschiede in den kristallographisch verschiedenen Richtungen sind aber im allgemeinen nur gering. Chemisch-isomere und physikalisch-allotrope Körper haben eine sehr verschiedene Leitungsfähigkeit, während isomorphe Verbindungen sich untereinander nur wenig unterscheiden. Bei den binären Verbindungen, deren elektronegativer Bestandteil ein Element der sechsten Reihe des periodischen Systems (Sauerstoff, Schwefel, Selen, Tellur) ist, steigt die Leitungsfähigkeit mit dem Atomgewicht dieses Bestandteils; aber gerade entgegengesetzt ist das Verhalten derjenigen binären Verbindungen, deren elektronegativer Bestandteil ein Element der siebenten Reihe des periodischen Systems (Fluor, Chlor, Brom, Jod) ist. Es steigt also die Leitungsfähigkeit in der Reihe Oxyde, Sulfide, Selenide und Telluride ein und desselben Metalls bei gleichem Bau, während in der Reihe der Fluoride, Chloride, Bromide und Jodide desselben Metalls der Widerstand geringer wird. Zu den Leitern gehören die Metalle, Legierungen, einzelne Metalloide, die Mehrzahl der Sulfide, Telluride, Selenide, Bismutide, Arsenide und Stibide, ein Teil der Oxyde und einzelne Haloide (letztere erst bei höherer Temperatur), zu den Isolatoren zählen die meisten Metalloide, einzelne Sulfide, der größte Teil der Oxyde, fast alle Haloide und alle Sulfo- und Oxysalze.
Bezüglich der thermischen Eigenschaften sei erwähnt, daß die regulären Kristalle bei Erwärmung sich nach allen Richtungen gleichmäßig ausdehnen und also keine Veränderung ihrer Gestalt erleiden, während bei den Kristallen der übrigen Systeme die Ausdehnung ungleichmäßig ist und demgemäß bei diesen eine Änderung der Kantenwinkel eintritt; die kristallographischen Elemente der Grundform sind also (innerhalb gewisser Grenzen) abhängig von der Temperatur. Dagegen bleibt die Symmetrie der Kristalle bei Temperaturänderung stets dieselbe, und ebenso bleiben parallele Flächen stets parallel, auch parallele Kanten stets untereinander parallel; ebenso bleibt die Beziehung der Formen zu der Grundform durch dieselben[707] rationalen Zahlen ausdrückbar (Gesetz der Erhaltung der Symmetrie und der Zonen).
Die Beziehungen zwischen den morphologischen Eigenschaften und der chemischen Zusammensetzung der Kristalle äußern sich einmal in der Tatsache, daß einer Substanz von bestimmter chemischer Zusammensetzung auch eine bestimmte Kristallreihe, durch die kristallographischen Elemente ihrer Grundform vor allen andern wohl unterschieden, zukommt, dann in der Erscheinung der Isomorphie (s. d.), Morphotropie (s. d.) und Isodimorphie (vgl. Heteromorphie). Vgl. Artikel »Mineralien« und über Geschichte und Literatur der Kristallographie Art. »Mineralogie«. Über Afterkristalle s. Pseudomorphosen; über flüssige Kristalle s. Kristalle, flüssige; vgl. auch Mischkristalle.
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