Radikāl

[554] Radikāl (v. lat. radix, »Wurzel«), auf die Wurzel bezüglich; tief, bis auf die Wurzel eingreifend, gründlich, von Grund aus (vgl. Radikalismus); als Hauptwort (das R.) in der Chemie ursprünglich der hypothetische nähere Bestandteil der organischen Säuren, dessen Zusammensetzung sich ergibt, wenn man von den diese Säuren konstituierenden Elementen den Sauerstoff entfernt denkt. Das R. der Essigsäure C2H4O2 ist mithin die Atomgruppe C2H4. Das R. spielt also in der organischen Säure etwa dieselbe Rolle wie in der anorganischen Säure (Säureanhydrid, z. B. SO3) das Element. Letzteres ist ein einfaches, jene Atomgruppe der organischen Säuren ein zusammengesetztes oder organisches R. Später hat man Radikale in allen organischen Verbindungen angenommen, und man nannte daher auch die organische Chemie die Chemie der zusammengesetzten Radikale im Gegensatz zur Chemie der einfachen Radikale, der anorganischen Chemie. Die Radikaltheorie, die lange Zeit die Chemie beherrschte (Berzelius, Liebig), ist gegenwärtig durch die Strukturtheorie verdrängt. Man versteht jetzt unter zusammengesetzten Radikalen lediglich Atomgruppen oder Reste aus Verbindungen, die bei chemischen Prozessen unverändert in neue Verbindungen übergehen, wie z. B. das Äthyl C2H5, das bei der Verwandlung des Alkohols C2H5.OH im Jodäthyl C2H5J erhalten bleibt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 554.
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