[641] Säuren, wasserstoffhaltige chemische Verbindungen, die mit Basen Salze bilden, aber nicht immer die Eigenschaft der bekanntesten S., wie Salpeter- oder Schwefelsäure, sauer zu schmecken und sauer zu reagieren (blaues Lackmuspapier zu röten), besitzen. Manche S. sind bei gewöhnlicher Temperatur starr, andre flüssig oder gasförmig, einige sind sehr beständig, andre ungemein leicht zersetzbar, so daß man sie nur in ihren Lösungen kennt; ja, es gibt S., auf deren [641] Existenz man überhaupt nur aus ihren Salzen schließen kann, weil sie sich bei dem Versuch, sie aus letztern abzuscheiden, sofort zersetzen. Zu diesen S. gehört z. B. die Kohlensäure, denn was im gewöhnlichen Leben die Kohlensäure genannt wird, ist nicht die wasserstoffhaltige Säure H2CO3, sondern ihr Anhydrid CO2. Die Lösung des Kohlensäureanhydrids in Wasser enthält Kohlensäure. Die Haloide Chlor, Brom, Jod und Fluor bilden direkt mit Wasserstoff S. (Wasserstoffsäuren, Haloidsäuren), z. B. HCl Clorwasserstoff, HBr Bromwasserstoff etc., und diesen reiht sich eine kleine Zahl von S. an, gebildet aus Wasserstoff und einem einwertigen zusammengesetzten Radikal, wie Cyan CN (HCN Cyanwasserstoff). Die große Mehrzahl der S. enthält ein sauerstoffhaltiges Radikal (Sauerstoffsäuren, Oxysäuren) und einige analog ein schwefelhaltiges Radikal (Sulfosäuren). Man kann dann weiter Mineralsäuren, die keinen Kohlenstoff enthalten (Schwefel-, Salpeter-, Phosphorsäure etc.), und organische S., die aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen (Äpfelsäure, Zitronensäure, Essigsäure etc.), unterscheiden. Letztere S. enthalten die Karboxylgruppe COOH (Karbonsäuren) ein-, zwei- oder dreimal (Di- oder Trikarbonsäuren). Zum bessern Verständnis des Charakters der S. bezieht man sie auf den einfachen oder mehrfachen Typus Wasser (HHO), in dem die Hälfte des Wasserstoffs durch ein einfaches oder zusammengesetztes Säureradikal von gleicher Wertigkeit ersetzt ist, und man unterscheidet:
1. Monohydrische S., Typus HHO, in dem H ersetzt ist durch ein einwertiges Radikal, z. B. Salpetersäure NO2HO.
II. Polyhydrische S.
Dihydrische S., Typus H2H2O2, in dem H2 ersetzt ist durch ein zweiwertiges Radikal, z. B. Schwefelsäure SO2H2O2, Kohlnesäure COH2O2.
Trihydrische S., Typus H3H3O3, H3 ist ersetzt durch ein dreiwertiges Radikal, z. B. Phosphorsäure POH3O3.
Tetrahydrische S., Typus H4H4O4, in dem H4 ersetzt ist durch ein vierwertiges Radikal, z. B. Kieselsäure SiH4O4 etc.
Die monohydrischen oder einbasischen S. bilden nur eine Reihe Salze, indem das in ihnen enthaltene Atom Wasserstoff durch 1 Atom eines einwertigen Metalls ersetzt wird. Aus Salpetersäure HNO3 entsteht salpetersaures Kali KNO3. Die dihydrischen oder zweibasischen S. bilden zwei Reihen Salze. Schwefelsäure H2SO4 gibt normales (neutrales) schwefelsaures Kali, indem 2 Atome Wasserstoff durch 2 Atome des einwertigen Kaliums ersetzt werden, K2SO4, oder schwefelsauren Kalk, indem 2 Atome Wasserstoff durch 1 Atom des zweiwertigen Calciums ersetzt werden, CaSO4, außerdem saures schwefelsaures Kali, indem nur 1 Atom Wasserstoff durch Kalium ersetzt wird, HKSO4. Ebenso bildet trihydrische oder dreibasische Phosphorsäure H3PO4 drei Reihen Salze: normales (basisches) phosphorsaures Kali K3PO4, halbsaures (neutrales) phosphorsaures Kali HK2PO4 und saures phosphorsaures Kali H2KPO4 etc. Wie die Existenz mancher noch nicht dargestellter S. aus der Zusammensetzung ihrer Salze sich ableiten läßt, so ergibt auch nur die Untersuchung der Salze die Stellung der S. in einer der genannten Klassen, denn nur der durch Metall vertretbare Wasserstoff der S. bedingt deren Charakter. So ist Ameisensäure CH3O2 nicht di-, sondern monohydrisch, denn ihre Salze sind nach der Formel CHMO2 zusammengesetzt, und daraus ergibt sich, daß die Säure der Formel CHOHO entspricht, wie die gleichfalls monohydrische Essigsäure C2H4C2 der Formel C2H3OHO. Als Orthosäure eines Elements oder Radikals bezeichnet man diejenige S., welche die größte Anzahl Hydroxyl- (OH-)Gruppen enthält. Nicht immer kennt man aber die S., die so viele OH-Gruppen enthalten, als der Wertigkeit des Elements entspricht. So scheint die Säure P(OH)5 nicht zu existieren. In solchem Falle bezeichnet man als Orthosäure diejenige Säure, die aus der eigentlichen Orthosäure durch Abspaltung von 1 Molekül H2O hervorgeht, also P(OH)5-H2O = PO(OH)3. Tritt aus einem oder mehreren Molekülen einer Oxysäure sämtlicher Wasserstoff mit dem erforderlichen Sauerstoff in der Form von Wasser aus, so entsteht ein Säureanhydrid, z. B.:
H2SO4 [Schwefelsäure] H2O = SO3 [Schwefelsäureanhydrid]
H4SiO4 [Kieselsäure] H4O2 = SiO2 [Kieselsäureanhydrid].
Früher nannte man diese Anhydride wasserfreie S., und die eigentliche Säure galt als Hydrat. Noch gegenwärtig nennt man die Verbindungen CO2 und SO2 Kohlensäure und Schweflige Säure, obwohl sie die Anhydride der genannten S. sind. Anhydrosäuren entstehen, wenn aus den S. nur ein Teil des Wasserstoffs mit dem erforderlichen Sauerstoff in Form von Wasser austritt. Diese Reaktion findet in der Regel an 1 oder 2 Molekülen einer dreibasischen oder an 1 oder mehreren Molekülen einer vierbasischen Säure statt. Durch Verlust von 1 Mol. H3O geht eine dreibasische Orthosäure in eine einbasische Metasäure über: PO(OH)3-H2O = HPO3. Erfolgt die Wasserabspaltung aus 2 Molekülen der Orthosäure, so entsteht eine vierbasische Pyrosäure: 2 PO(OH)3-H2O = H4P2O7. In ähnlicher Weise entstehen durch Austritt von H., O aus mehreren Molekülen andrer mehrbasischer S. die Polysäuren. Viele organische S. besitzen außer ihrer Basizität noch andre Funktionen, d.h. sie verhalten sich auch wie Alkohole, Phenole, Aldehyde, Ketone, Amide etc. Man nimmt an, daß sie außer der ihre Säurenatur bedingenden COOH-Gruppe noch die Atomgruppen OH, COH, CO, NH2 enthalten. Danach spricht man von Alkohol-, Phenol-, Aldehyd-, Keton-, Amidosäuren etc. Bildet ein Element mehrere S., so wird die sauerstoffärmere in der Weise benannt, daß man den Namen des Elements durch Anhängen von »ige« in ein Eigenschaftswort verwandelt und dieses mit dem Substantiv Säure vereinigt, also z. B. Antimonsäure, Antimonige Säure, Salpetersäure, Salpetrige Säure. Existieren noch mehr S. desselben Elements, so ergibt die, welche weniger Sauerstoff enthält als die »ige Säure«, noch die Vorsilbe »unter« (Unterphosphorige Säure) und ebenso die, welche zwischen der »igen Säure« und der »Säure« steht (Unterschwefelsäure); die sauerstoffreichste Säure eines Elements wird durch die Vorsilbe »Über« charakterisiert (Überchlorsäure).
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro