Romancēro

[90] Romancēro, span. Bezeichnung für Romanzenbuch, wie solche zuerst um die Mitte des 16. Jahrh. aus Licht traten, als die höfisch gebildeten Kreise, das eigentliche Lesepublikum, den episch-lyrischen Volksgesängen ihre Gunst zuwandten. Bis dahin waren die Romanzen nur in billigen losen Druckblättern mit groben Holzschnittbildern im Volke verbreitet worden (pliegos sueltos, s. d.), von denen sich naturgemäß nur wenige (datierte und undatierte) Exemplare erhalten haben. Einige Romanzen fanden schon zu Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrh. Aufnahme in gedruckte und ungedruckte höfische Liederbücher, z. B. in den undatierten »Cancionero« von Constantina und in den »Cancionero general« von 1511, doch mehr um der höfischen Glossen und Überarbeitungen als um ihrer selbst willen. Das erste eigentliche Romanzenbuch war der »Cancionero de Romances« (Antwerp., o. J.; 2. Aufl. 1550 u. ö.), dem schnell die »Silva de romances« in drei Teilen folgte (Saragossa 1550–51 u. ö.). Dann veranstalteten der Valencianer Andres de Villalta, Pedro de Moncayo, Velez de Guevara, Pedro Flores u.a. kleine Sammlungen, die in neun verschiedenen Teilstücken, je unter dem Titel »Flor de varios romances«, 1589–97 an verschiedenen Orten erschienen. Aus diesen ward am Schlusse des 16. Jahrh. der erste eigentliche, diesen Titel führende »Romancero general« (Madr. 1600) zusammengestellt, der stets erweitert 1602, 1604 und 1614 wieder erschien und 1605 eine »Segunda parte« (von Madrigal) nach sich zog. Inzwischen hatten einzelne Romanzendichter ihre selbstverfaßten Ritter-, Liebes- oder chronikenartigen Geschichtsromanzen in besondern Büchern herausgegeben unter verschiedenen Titeln. So Fuentes (1550), Sepulveda (1551), Timoneda (1573), Linares (1573), Padilla (1583; Neudruck, Madr. 1880), Rodriguez (1585; Neudruck, das. 1878). Spezialsammlungen über bestimmte Helden oder Gegenstände ordnete man seit Beginn des 17. Jahrh. Voran ging der »Romancero del Cid« von Escobar (Lissab. 1605 u. ö.); es folgte ein karolingisches Romanzenbuch von Tortajada (1608 u. ö.); ein flandrisches u.a. Mit dem Sinken des Nationalgefühls schwand auch das Interesse an diesen Volksgesängen; erst mit seinem Wiederaufleben in der Napoleonischen Epoche erwachte es von neuem, angefacht von Deutschland her, wo man den Eigenwert der Romanzen zu schätzen begann. Grimm gab 1815 seine »Silva de romances viejos« heraus. Es folgten Depping mit seiner »Sammlung der besten alten spanischen Romanzen« (1817; in 2. vermehrter Auflage als »Romancero castellano«, Leipz. 1844, in 2 Bdn., und einem 3. Teile von Wolf: »Rosa de romances«); J. Müller 1828 und A. Keller 1840, C. Michaëlis 1871, je mit einem »Romancero del Cid«; Wolf und Hofmann 1856, mit einer vorzüglichen »Primavera y flor de romances«, der besten und vollständigsten Sammlung echter alter Romanzen, bis neuerdings Menéndez y Pelayo eine bedeutend erweiterte spanische Ausgabe besorgte (1899–1900, 3 Bde.). Herder, Diez 1818 und 1823, ein Aarauer Anonymus, Beauregard de Pandin, Mutzl, Duttenhofer, Geibel und Schack, Eitner, Fastenrath brachten Übersetzungen. Die vollständigste Sammlung spanischer Originale wurde in Spanien selbst vorgenommen von A. Duran, dessen »Romancero general« in 5 Bändchen (Madr. 1828–29) in veränderter Ausgabe in die »Biblioteca de autores españoles« Eingang fand (Bd. 10 u. 16, Madr. 1849 u. 1851). Vgl. F. Wolf, Über die Romanzenpoesie der Spanier (1847): Miláy Fontanals, De la poesia heroico-popular castellana (2. Aufl., Madr. 1874); Menéndezy Pelayo, Antologia, Bd. 11 (das. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 90.
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