Schelmenroman

[733] Schelmenroman, deutsche Bezeichnung für einen Roman in dem gusto picaresco (Spitzbubenstil), der, nachdem Mendoza in seinem »Lazarillo de Tormes« (1553) ein Muster der Gattung aufgestellt hatte, in Spanien sehr beliebt war und sich auch über das Ausland verbreitete. Die Verfasser dieser Romane führen ihre Helden in einem abenteuerlichen Lebenslauf durch die verschiedenartigsten Gesellschafts- und Berufsklassen hindurch und erhalten so die Gelegenheit zur Entwerfung eines satirischen Zeitgemäldes. In Deutschland wurde der S. durch die Bearbeitung des »Guzman de Alfarache« von Ägidius Albertinus (Münch. 1613) eingeführt, es folgten weitere Übersetzungen[733] und Bearbeitungen spanischer Vorbilder. unter anderm der »Picara Justina« von Andreas Perez (Frankf. 1626–27), wo ein abenteuerndes Weib die Hauptrolle spielt. Auch kam es vor, daß die Bearbeiter den Schauplatz nach Deutschland verlegten. Das hervorragendste deutsche Originalwerk der Gattung ist der »Simplicissimus« von Grimmelshausen (s. d.), der dann wieder zahlreiche Nachahmungen hervorrief. Auch verfaßte Grimmelshausen einen S. mit weiblicher Hauptperson (die »Landstörtzerin Courasche«). Die berühmtesten Werke der Gattung in Frankreich sind der »Francion« von Charles Sorel (1622, deutsch 1668) und der »Gil Blas« von Lesage (1715–35); letzterer hat den Schauplatz nach Spanien verlegt. In der allgemeinen Literaturgeschichte ist der S. vor allem wegen seines realistischen Zeitgehaltes von Bedeutung. Vgl. Bobertag, Geschichte des Romans in Deutschland, Bd. 2 (Berl. 1884); Schultheiß, Der S. der Spanier und seine Nachbildungen (Hamb. 1893).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 17. Leipzig 1909, S. 733-734.
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