Tischzuchten

[573] Tischzuchten nannte man im Mittelalter die Vorschriften über Sauberkeit und anständiges Benehmen bei Tisch, deren Einhaltung damals um so wichtiger war, als man ohne Gabel mit der bloßen Hand aß, gewöhnlich ein Herr mit einer Dame von einem Teller. Aus dem 12. Jahrh. stammt eine lateinische Tischzucht der »Phagifacetus« (ins Deutsche übersetzt von Sebastian Brant, 1490). In deutscher Sprache hat Thomasin von Zirkläre (s. d.) in seinem Lehrgedicht solche Vorschriften gegeben. Sehr zahlreich sind die deutschen T. aus dem 14. und 15. Jahrh., auch die englische und die französische Literatur haben in diesem Zeitraum Werke verwandten Inhalts aufzuweisen. Im Zeitalter der grobianischen Literatur (s. Grobian) waren die parodistischen Verdrehungen der T., die Anweisungen zu einem unanständigen Benehmen bei Tische, sehr beliebt; das erste selbständige Werk dieser Art: »Grobianus Tischzucht«, erschien in Worms 1538. Vgl. Geyer, Altdeutsche T. (Programm, Altenb. 1882).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 573.
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