Vergeltung

[71] Vergeltung, die Rückkehr eines gewissen Quantums von Wohl (Belohnung) oder Wehe (Strafe) auf den Wohl- oder Wehetäter. Der Trieb zur V. erlittener Unbill (Rache, s. d.) ist eine der elementarsten Äußerungen der Menschennatur, dagegen ist die Forderung, daß auch Gutes mit Gutem zu vergelten sei, obwohl auch sie als Ausfluß des natürlichen Egoismus betrachtet werden kann (der Wohltäter, dem wir seine Wohltaten vergelten, wird um so geneigter sein, neue zu erweisen), erst ein Ergebnis fortgeschrittener sozialer und sittlicher Entwickelung und beschränkt sich bei rohern Völkern auf das gegenseitige Verhältnis der Mitglieder einer Familie, eines Stammes etc.; der Grundsatz endlich, daß selbst Böses mit Gutem zu vergelten sei, ist ein spezifisch christlicher. Aus der Verallgemeinerung des Vergeltungsgedankens entspringt die Annahme einer sittlichen Weltordnung, durch die jedem sein Schicksal »nach Verdienst« bestimmt wird; wird dabei das Vergelteramt der Gottheit übertragen, so verwandelt sie sich in den moralischen Gottesglauben. Insofern ferner die V. im Leben vielfach nur eine unvollständige ist, treibt der Vergeltungsgedanke zur Annahme eines individuellen Fortlebens in dieser (Seelenwanderung) oder in einer jenseitigen Welt. Vgl. Günther, Die Idee der Wiedervergeltung in der Geschichte und Philosophie des Strafrechts (Erlang. 1889–91, Teil 1–3, 1. Hälfte).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 71.
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