Auf dem Kontinent fand der Rennsport und die Vollblutzucht am Anfang des 19. Jahrh. Eingang und wird überall nach dem System Englands betrieben. Dies besteht im wesentlichsten darin, daß die höchste Leistung des Pferdes in dem Endkampf vor dem Ziel (Siegespfosten) zutage treten muß und der Reiter während des Rennens mit den Kräften seines Pferdes so weit hauszuhalten hat, um in diesem Endkampf mit Ehren bestehen zu können. Es werden daher auch alle wichtigen Prüfungsrennen von besonders geschulten Berufsreitern (Jockeis) geritten. Der Training, d.h. die Vorbereitung des Vollblutpferdes zu den Rennen, beginnt meistens schon im Herbst des nach dem Geburtsjahre folgenden Jahres, und der Trainer hat das junge Pferd nach Verlauf von 1012 Monaten so weit in Kondition (d.h. in den Zustand der relativ höchsten Kraft und Gesundheit) zu bringen, daß es an den Zweijährigenrennen teilnehmen kann. In dieser Kondition wird das Pferd, solange es seine Rennkarriere zu absolvieren hat, durch eine regelrechte Morgenarbeit tunlichst erhalten, wobei der Gipfelpunkt der Kondition zum Termin des wichtigsten Rennens, an dem es in dem betreffenden Jahre teilnehmen soll, erreicht werden muß. Alle großen Prüfungsrennen der Vollblutzucht werden als Flachrennen gelaufen. Man unterscheidet Zweijährigenrennen, Dreijährigenrennen und Rennen für Pferde verschiedenen Alters, bei welch letztern für jede Altersklasse besondere Gewichte der Reiter zum Zwecke des Chancenausgleiches vorgeschrieben werden. Die bedeutendsten Rennen, wie z.B. das Derby (mit diesem Rennen wird heute in jedem Lande das größte Zuchtrennen bezeichnet), werden von den Dreijährigen bestritten. Spätestens nach vollendetem vierten Lebensjahr hört überhaupt die Prüfung des Vollblutpferdes auf der Rennbahn auf, weil seine Form (bewiesene Leistungsfähigkeit) dann als geklärt zu betrachten ist. Eine je bessere Form ein Vollblutpferd zeigt, desto kürzer ist gewöhnlich seine Rennkarriere, weil dann seine Verwertung zur Zucht lukrativer ist als weitere Ausnutzung auf der Rennbahn. Nur die mittelmäßige und schlechte Klasse der Vollblutpferde, welche die eigentliche Prüfung nicht bestanden hat, wird eine längere Reihe von Jahren auf der Rennbahn ausgenutzt und bildet das Pferdematerial, das die geringer dotierten Altersgewichtsrennen, die Handicaps, Verkaufsrennen etc., auf der Flachbahn und schließlich die Hindernisrennen bestreitet. In bezug auf die letztern unterscheidet man Hürdenrennen, bei denen die Hindernisse nur aus Flechtwerken bestehen, und Jagdrennen (Steeple chases) mit Gräben, Hecken, Steinmauern etc. Hindernisrennen haben als Leistungsprüfungen sehr geringen Wert, weil der Sprung über Hindernisse nur eine gewisse Geschicklichkeit erfordert, die angeboren oder durch entsprechende Dressur beigebracht sein kann. Der Hauptzweck der Hindernisrennen besteht 1) in der Verwertung des minderwertigen Vollblutpferdematerials als Unterstützung der kostspieligen Vollblutzucht und 2) in der Ausbildung der Reiter, indem die Hindernisrennen sich als das beste Mittel zur Entwickelung des Reitergeistes und zur Stählung von Energie und Geistesgegenwart erwiesen haben.
Die Veranstaltung der Rennen erfolgt durch Rennvereine, die ihre Rennplätze unterhalten und die Propositionen der Rennen ausschreiben. Diese Propositionen müssen alle Bedingungen, unter denen die Rennen gelaufen werden sollen, enthalten, wie z.B. Betrag des Preises, der zu zahlenden Einsätze, Reugelder, die Distanz, den Termin der Anmeldung etc. Fast überall nimmt einer der Rennvereine eine führende oder direkt vorgesetzte Stellung gegenüber den andern Vereinen ein und unterhält für den betreffenden Staat eine oberste Rennbehörde, deren Reglement maßgebend ist. Auch der Rennkalender und das Vollblutgestütbuch wird meistens von diesen führenden Vereinen herausgegeben. In Deutschland steht der Unionklub an der Spitze des Rennbetriebes, für den im übrigen ein vom Kaiser bestätigtes und von den Ministern für Landwirtschaft und Justiz gegengezeichnetes Reglement maßgebend ist, während in England, Frankreich, Österreich-Ungarn, Belgien etc. die leitende Körperschaft den Namen Jockeiklub führt. In Rußland ist die oberste Leitung der kaiserlichen Gestütsverwaltung übertragen, die dadurch einen für die Entwickelung des Rennsports und der russischen Vollblutzucht sehr nützlichen Einfluß auf die Vereine ausübt. In Amerika, wo der Rennsport hauptsächlich Wettzwecken dient und eine enorme Ausdehnung besitzt, ist eine leitende Zentralstelle nicht vorhanden.
An einem Rennen teilnehmen können nur Pferde, die an dem in der Proposition festgesetzten Nennungstermin unter Zahlung eines Einsatzes oder einer Einschreibegebühr genannt sind. Wenn ein für ein Rennen genanntes Pferd schließlich nicht läuft, muß Reugeld gezahlt werden. Bei den großen Zuchtrennen werden die Nennungen gewöhnlich schon ein oder mehrere Jahre vor der Abhaltung der Rennen geschlossen, so daß die Pferde als Jährlinge, Fohlen und sogar vor der Geburt als Produkt einer zu nennenden Mutterstute genannt werden müssen.
Die direkte Leitung der Rennen erfolgt durch den betreffenden Rennvorstand, bez. ein dazu ernanntes Komitee, dem verschiedene Funktionäre unterstellt sind, so der Abwieger, der die Reiter mit Sattel und Zaumzeug abzuwiegen und die Richtigkeit der vorgeschriebenen Gewichte zu kontrollieren hat, der Starter, der durch Senken einer Flagge das Zeichen zum Ablauf (Start) zu geben hat.
Der Zielrichter, oft der Präsident des Vereins oder ein fürstlicher Protektor, dem dann gewöhnlich ein erprobter Fachmann zur Seite steht, befindet sich während des Rennens in einer direkt am Ziel errichteten Loge und bestimmt nicht nur den Sieger und die Reihenfolge der am Ziel eingekommenen Pferde, sondern auch nach Kopf-, Hals- und Pferdelängen den Abstand, um den die Pferde beim Passieren des Zieles voneinander getrennt waren.
Die Distanzen der Rennen sind je nach der Art, je nach dem Alter der Pferde, für die sie ausgeschrieben werden, und je nach der Jahreszeit verschieden. Zweijährigenrennen werden meistens über Distanzen von 8001000 m abgehalten, Dreijährigenrennen über solche von 1000 bis ca. 2800 m. Längere Distanzen als 3000 m gehören bei Flachrennen zu den Seltenheiten. Für Hürdenrennen wählt man meistens eine längere Distanz als für Flachrennen, und Jagdrennen weisen die längsten Distanzen (bis zu 7000 m) auf. Der Kondition der Pferde entsprechend pflegen die Frühjahrsrennen die kürzesten und die Herbstrennen die längsten zu sein.
Unter Feld versteht man die Gesamtzahl der an einem Rennen teilnehmenden Pferde. Konkurrieren in einem Rennen nur 2 Pferde, so bezeichnet man dasselbe als Match. Walk-over nennt man ein Rennen, wenn alle genannten Pferde bis auf eins zurückgezogen sind und dieses allein über die Bahn geht. Passieren zwei oder mehrere Pferde gleichzeitig den Siegespfosten, so wird ein totes Rennen gelaufen, sei es nun für den Sieg oder für einen andern noch mit einem Preise dotierten Platz. Bei toten Rennen wird der Preis zwischen den Pferden, die im toten Rennen eingekommen sind, geteilt, oder die betreffenden Pferde haben über dieselbe Distanz einen Entscheidungslauf auszutragen.
Zur Entscheidung in allen Streitfällen zwischen den Konkurrenten eines Rennens besitzt jeder Rennverein ein besonderes Schiedsgericht, gegen dessen Urteil eine Berufung an das Große Schiedsgericht, das seinen Sitz im Ministerium für Landwirtschaft zu Berlin hat, eingelegt werden kann. Die Anklage in Rennangelegenheiten nennt man Protest.
In England werden jährlich über 400 Renntage auf etwa 80 Rennplätzen abgehalten, wofür gegen 10 Mill. Mk. an Preisen ausgesetzt werden. Das englische Derby (The Derby Stakes), dessen Preis ca. 120150,000 Mk. beträgt, ist das bedeutendste Rennen der Welt, da der Sieg in ihm heute noch als die höchste Ehre im Rennsport gilt. Das Derby ist offen für dreijährige Pferde und wird alljährlich seit 1780 in Epsom gelaufen. Die wichtigsten Rennen Englands sind im übrigen: Prince of Wales-Stakes etwa 200,000 Mk. (Newmarket), Jockey-Club-Stakes etwa 200,000 Mk. (Newmarket), The Eclipse-Stakes etwa 200,000 Mk. (Sandown Park), The St. Leger-Stakes 120,000 Mk. (Doncaster), The Two Thousand Guineas 80,000 Mk. (Newmarket) etc.
Frankreich verdankt die hohe Entwickelung seiner Vollblutzucht hauptsächlich Napoleon III. Der Rennsport ist überwiegend auf die Rennplätze um Paris konzentriert, wie namentlich Vincennes, Auteuil, Paris-Longchamp und Chantilly. Im ganzen besitzt Frankreich 15 Rennplätze, auf denen im Jahre ca. 250 Renntage mit ca. 5,600,000 Mk. an Preisen abgehalten werden. Die wichtigsten Rennen sind: Grand Prix de Paris etwa 160,000 Mk. (Paris-Longchamp), Prix de Jockey-Club, das französische Derby, 80,000 Mk. (Chantilly), Grand Steeple-Chase 100,000 Mk. (Auteuil), Prix de Conseil Municipal 80,000 Mk. (Paris-Longchamp), Prix de Diana 60,000 Mk. (Chantilly) etc.
Deutschlands Rennsport ist sehr dezentralisiert, da es über 40 Rennplätze mit rund 200 Renntagen aufweist, an denen jährlich ca. 3 Mill. Mk. an Preisen zur Verteilung gelangen. Die bedeutendsten Rennplätze Deutschlands sind: Berlin-Hoppegarten, Berlin-Carlshorst, Hamburg-Horn, Hamburg-Großborstel, Baden-Baden, Leipzig, Dresden, Hannover, Köln, Gotha, Frankfurt a.M., München, Stuttgart-Weil etc. Die größten Rennen werden in Hoppegarten, Hamburg und Baden-Baden gelaufen, und zwar gehören hierzu namentlich: das deutsche Derby 100,000 Mk. (Hamburg-Horn), der Große Preis von Hamburg 100,000 Mk. (Hamburg-Großborstel), der Große Preis von Berlin 100,000 Mk. (Berlin-Hoppegarten), der Große Preis von Baden, Ehrenpreis und 64,000 Mk. (Baden-Baden), Preis von Iffezheim 45,000 Mk. (Baden-Baden) etc. Das bedeutendste Hindernisrennen ist das Große Armeejagdrennen in Hoppegarten.
Österreich-Ungarn besitzt 14 Rennplätze, auf denen jährlich ca. 120 Renntage stattfinden, für die ca. 3 Mill. Mk. an Preisen gegeben werden. Die Hauptrennplätze sind: Wien, Budapest und Kottingbrunn bei Wien. Die bedeutendsten Rennen: das österreichische Derby 114,000 Mk. (Wien), der Austriapreis 100,000 Mk. (Wien), der Königspreis 100,000 Mk. (Budapest), der St. Stefanspreis 80,000 Mk. (Budapest), der Königinpreis 60,000 Mk. (Budapest) etc.
In Rußland werden Flach- und Hindernisrennen auf ca. 10 Rennplätzen abgehalten und die jährlich ausgezahlte Gesamtsumme an Preisen beträgt etwa 2,200,000 Mk. Das bedeutendste Rennen ist das altrussische Derby mit einem Preise von etwa 70,000 Mk. Auch der Rennsport in Italien ist jetzt sehr im Aufblühen begriffen. In Europa wird der Rennsport ferner noch gepflegt in Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Rumänien sowie auch in der Türkei. Nordamerika und neuerdings auch Australien unterhalten einen ausgedehnten und mit enormen Preisen ausgestatteten Rennbetrieb. Auch in den afrikanischen Kolonien Deutschlands gibt es Rennvereine, die regelrecht veranstaltete Rennen abhalten.
Wetten bei Pferderennen (Buchmacher und Totalisator).
Bei Pferderennen sind Wetten schon lange üblich und ein Unterstützungsmittel der Rennen, bez. für die Unterhaltung der Rennställe. Man unterscheidet: 1) Beim Bookmaker (Buchmacher). Derselbe ruft öffentlich seine Wetten und die odds aus, die er gegen oder für (auf) die am Rennen teilnehmenden Pferde legt, z.B. 3: 1 gegen Pferd X, d.h. er legt dem, der die Wette annimmt (dem Nehmenden), dreifaches Geld gegen Pferd X als Gewinner und zahlt, wenn dasselbe siegt, z.B. 300 Mk. aus, während er nur 100 Mk. bekommt, wenn Pferd X nicht siegt. Oder umgekehrt, er ruft: 10: 1 auf Pferd Y. In diesem Fall ist der Bookmaker der Nehmer; gewinnt Y, so zahlt er bloß 100 Mk., verliert Y, so bekommt er 1000 Mk. Even money wettet man, wenn beide Partner gleiches Geld setzen. Bei diesen Wetten weiß man die Höhe des zu gewinnenden Betrags also schon vorher. 2) Beim Totalisator, der 1871 in Deutschland eingeführt wurde, weiß man dies nicht. Die Gewinnsumme kann erst festgestellt werden, nachdem der Sieger bekannt geworden, weil die auf die verlierenden Pferde eingesetzten Beträge unter diejenigen Personen, die auf das gewinnende Pferd gesetzt haben, pro Rate der Einsätze verteilt werden. Ein gewisser Prozentsatz der Einsätze am Totalisator fließt dem ganzen Rennunternehmen zu und wird zur Bestreitung der Rennpreise verwandt. Beim Wetten am Totalisator ist der Wettende vor Betrug und Unterschlagung des Einsatzes sichergestellt, während dies bei Wetten mit den Bookmakers keineswegs immer der Fall ist. Durch Reichsgesetz vom 4. Juli 1905 ist das Buchmachen verboten und der Totalisatorbetrieb geregelt worden. Für öffentliche Rennen dürfen Wettunternehmungen nur mit Erlaubnis der Landeszentralbehörde oder der von dieser bezeichneten Behörde eingerichtet werden. Die Erlaubnis zum Betriebe von Wettunternehmungen darf nur Vereinen gegeben werden, und zwar solchen, die Sicherheit dafür bieten, daß sie die Einnahmen aus dem Betrieb ausschließlich zum Besten der Landespferdezucht verwenden. Die Hälfte der Reichsstempelabgabe für die Ausweise (Tickets) über gemachte Wetteinsätze wird an die betreffenden Einzelstaaten zur Verwendung für Hebung der Landespferdezucht überwiesen. Vgl. Geck, Die Wettgeschäfte im Rennsport (Magdeb. 1899); Pfänder, Die Rennwette (Leipz. 1905); die Ausgaben des Reichsgesetzes vom 4. Juli 1905 (als Anhang zum Reichsstempelgesetz) von Loeck (Berl. 1906), Pannier (in Reclams Universal-Bibliothek).
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