15. An Therese Schumann.

[347] L(eipzig), den 15. November 1836,


Meine geliebte Therese,


Wie oft ich Dich doch in Deinem Einsiedlerfenster sitzen sehe, den Kopf in den Arm gestützt, ein Lied leise in Dich hineinsingend, vielleicht auch zweifelnd, ob ein gewisser R. der vielen Liebe werth wäre, mit der man ihn überschüttet. Was mich aber abhielt, weder zu kommen, noch zu schreiben, war allerdings anzuschlagen. Erst Chopin, Lipinski, Mendelssohn, die Carl5, Ludwig Berger und hundert anderes. Schlag auf Schlag kamen sie. Wärst Du hier, wie wollte ich Dir Alles zuführen, was solltest Du Menschen sehen und Menschen kennen lernen, andere als in Zwickau! Nun ist auch noch ein junger, »Stamaty« da, der für mich wie aus den Wolken gestiegen kam, ein kluger, ausgezeichnet hübscher, seiner und herzlich guter Mensch, in Rom geboren von griechischen Eltern, in Paris erzogen, der jetzt seine musikalischen Studien bei Mendelssohn vollenden will. Sehr würde er Dir gefallen; wir hatten uns auch zum Musikfest nach Z. zu kommen fest vorgenommen; dann zerschlug sich's wieder. Doch wird er bis Frühling hier bleiben. Wirst ihn also hier zur Messe sehen, oder wir kommen vorher zu Dir. Mit dem Deutschen geht's noch sehr schlecht bei ihm, desto besser mit dem Französischen bei mir. Dann ist noch ein junger Engländer William Bennet in unsern täglichen Kreisen, Engländer durch und durch, ein herrlicher Künstler, eine poetische schöne Seele, vielleicht bring' ich auch den mit. Mendelssohn hat eine Braut und ist ganz erfüllt von dieser Einen, nicht noch liebenswürdig und groß genug; es vergeht wohl kein Tag, wo er nicht ein paar Gedanken wenigstens vorbringt, die man gleich in Gold eingraben könnte. Seine Braut heißt Cäcilia Jeanreneaud, die Tochter eines reformirten Predigers, Cousine von Dr. Schlemmer. Zu Weihnachten reist er nach Frankfurt, sie zu sehen. Ich soll mit, vielleicht. – Der Dr. Schlemmer endlich, denke Dir, hat einen Orden erhalten, einen Churhessischen. Das wird ihm gut stehen; ich habe es ihm lange angesehen, daß er nicht ohne Orden sterben wird. Er ist mit Rothschild in Heidelberg. David verheirathet sich in diesen Wochen und bleibt Concertmeister trotz der[347] 100000 Thaler, die ihm seine Frau mitbringt. Außer diesem sind noch ein junger sehr reicher und talentvoller Mensch, Frank aus Breslau, und der junge Goethe, Enkel des Alten, bis jetzt aber noch ohne hervorstechenden Charakter, an unserm Mittagstisch.

Hier hast Du ein mattes Bild vom äußerlichen Leben. Mit Lipinski verlebte ich viele schöne Stunden; er liebt mich, glaub ich, wie seinen Sohn; auch hat er eine hübsche Tochter von 16 Jahren, eine Polin, wie Du Dir sie nur denken magst – So ging Eines nach dem Andern fort. An der Carl, die noch hier, ist als Künstlerin nicht viel und das viele Zeitungsgewäsch unausstehlich; übrigens gefällt sie mir, macht nicht viel Complimente, spricht offen, weiß recht gut, was ihr fehlt, hat noch das alte Prima-Donna-Wesen an sich, das ihr aber nicht schlecht ansteht etc. – Jetzt aber zum prosaischen Theil des Briefes und der Sache. Das ganze Leben in diesen zwei Monaten ist von so trauriger Rückwirkung auf meine Casse gewesen, daß ich eine Anleihe bei Carl und Eduard versuchen muß. Und Du sei meine linke Hand und stehe mir bei. Bis Ende November muß ich fünfzig Thaler und bis Mitte December wieder eben so viel schaffen. Schreibe oder laß Eduard wennmöglich noch in dieser Woche schreiben, ob er oder Carl mir die hundert Thaler schicken oder anweisen können. Borgen könnt' ich noch überall, so von David, der mir seine Casse zur Verfügung gestellt; doch thut man das nur im äußersten Fall, wie Du Dir wohl denken kannst. Denkt also an mich! Immer glaubte ich, Eduard käme einmal so, daß ich es ihm mündlich sagen wollte. Gerade jetzt bleibt er so lange aus. Schreibe mir auch, wie es mit Allem geht, mit dem Lexikon, mit Carl, mit Eurem Umzuge, mit dem Verkauf der Handlung etc.

Ich lege Dir hier einen Brief von Moscheles bei, der Euch interessiren wird. Schickt mir ihn aber bald zurück; ich bin noch Antwort schuldig.

Endlich, meine liebe Therese, bitte ich Dich, mich auch recht lieb behalten zu wollen. Mit Freude, oft mit Rührung denke ich täglich Deiner; es ist dann oft, als lehnte ich mich an Dir und fühlte Dein Leben.


Dein

Dich innig liebender

Robert.


Für Dich allein.


C. liebt mich noch so warm wie sonst; doch habe ich völlig resignirt.[348] Bei Voigt's bin ich oft. Das geht so im Kreise. Ein wunderbar Ding, dies Leben!

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Eine damals reisende Sängerin.

Quelle:
Wasielewski, Wilhelm Joseph von: Robert Schumann. Bonn 31880, S. 347-349.
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