Graufischer (Ceryle rudis)

[301] Das Mitglied, welches uns zunächst angeht, ist der Graufischer (Ceryle rudis, varia, bicincta und leucomelanura, Alcedo rudis, Ispida rudis, bitorquata und bicincta), derselbe, welcher sich von Egypten und Syrien aus wiederholt nach Europa verflogen hat. Seine Färbung ist eine sehr bescheidene, das Gefieder der Oberseite schwarz und weiß gescheckt, das der unteren Seite bis auf ein oder zwei schwarze Brustbänder und einige dunkle Flecke auf dem Schnabel reinweiß. Die schwarzen Federn des Ober- und Hinterkopfes zeigen schmale weiße Seitensäume, die des Mantels, der Schultern, des Bürzels und der Flügeldecken breite weiße Endränder. Das [301] Weiß der Kopf- und Halsseiten wird durch einen breiten, am Mundwinkel beginnenden, über die Ohrgegend verlaufenden und an den Halsseiten sich herabziehenden schwarzen Streifen unterbrochen. Die Handschwingen und deren Deckfedern sind schwarz, in der Wurzelhälfte weiß, an der Spitze die ersten vier auch am Rande ebenso gesäumt, die Armschwingen dagegen weiß und am Ende der Außenfahne schwarz, aber durch einen weißen Mittelfleck gezeichnet, die Schwanzfedern endlich weiß, von dem Endrande durch eine breite schwarze Querbinde und diese wiederum auf der Innenfahne durch einen weißen Randfleck geziert. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel schwarz, der Fuß braun. Die Länge beträgt sechsundzwanzig, die Breite siebenundvierzig, die Fittiglänge dreizehn, die Schwanzlänge acht Centimeter. Das Weibchen unterscheidet sich dadurch untrüglich vom Männchen, daß es nur ein schwarzes Brustband besitzt, während jenes deren zwei zeigt. Diese Verschiedenheit veranlaßte Swainson, die beiden Geschlechter als zwei verschiedene Arten zu beschreiben.

Der Graufischer ist weit verbreitet. Er findet sich in fast allen Ländern Afrikas, in Syrien, Palästina, Persien und ebenso in Indien und Südasien überhaupt. In Europa wurde er, wie bemerkt, wiederholt, so viel ich weiß aber nur in Griechenland und in Dalmatien, beobachtet. Wahrscheinlich kommt er viel öfter hier vor, als man bis jetzt angenommen hat. In den Nilländern ist er gemein und deshalb mir durch eigene Anschauung bekannt geworden.

Ich erinnere mich noch recht wohl der Ueberraschung, welche mir der Graufischer bereitete, als ich kaum den Fuß auf afrikanischen Boden gesetzt hatte. Schon auf dem Mahmudiehkanal, welcher Alexandrien mit dem Nile verbindet, hatte ich wiederholt einen großen Vogel, nach Art des Thurmfalken rüttelnd, in der Luft schweben oder auf den Stangen der Schöpfeimer sitzen sehen, ohne mir erklären zu können, welcher Art derselbe angehören möge. Ein glücklicher Schuß belehrte mich hierüber, und mit wahrem Frohlocken betrachtete ich den erbeuteten Graufischer, welcher damals in meinen Augen eine große Seltenheit war. Diese Ansicht änderte sich sehr bald; denn die nächstfolgenden Tage schon überzeugten mich, daß der Graufischer, wenn auch nicht zu den häufigsten Vögeln des Landes, so doch zu denen gehört, welche man überall und zu jeder Zeit zu sehen bekommt und ohne Mühe in beliebiger Anzahl erlegen kann.

Gewöhnlich sieht man diesen Eisvogel auf den erwähnten Stangen der Schöpfeimer sitzen, seine weiße Brust dem Strome zugekehrt. Steht eine Palme oder Mimose unmittelbar am Nilufer, und ist einer ihrer Zweige zum Aufsitzen geeignet, so nimmt er auch hier seinen Stand, und ebenso gern läßt er sich auf dem Holzwerke der Schöpfräder nieder, welche durch Ochsen bewegt werden und die allen Reisenden wohlbekannte, von allen verwünschte »Nilmusik« hervorbringen. Der Graufischer theilt die Scheu seines zierlichen Vetters nicht. Er fühlt sich sicher in seiner Heimat; denn er weiß, daß er dem Egypter trauen darf und von ihm nichts zu befürchten hat. Der Vogel bethätigt manche Eigenthümlichkeit, welche den Neuling überrascht; das überraschendste aber ist doch seine Vertrautheit mit dem Wesen des Menschen. Unmittelbar über dem Knaben, welcher die das Schöpfrad bewegenden Rinder mit der Peitsche antreibt, und buchstäblich im Bereiche der Geisel, sitzt er so ruhig, als ob er von dem gedachten Knaben gezähmt und abgerichtet wäre und in ihm seinen Gebieter und Beschützer zu erblicken habe; neben und über den wasserschöpfenden Weibern fliegt er so dicht vorbei, daß es aussieht, als wolle er diese vom Strome vertreiben. Gegen die Gewohnheit unseres Eisvogels ist er ein umgänglicher, verträglicher Vogel, das heißt wenig futterneidisch, vielmehr sehr gesellig. Das Pärchen hält treuinnig zusammen, und wo der eine sitzt, pflegt auch der andere zu rasten. Gewöhnlich sieht man die beiden Gatten dicht nebeneinander, auf einem und demselben Aste, auf einem und demselben Baumstamme lauernd: hätte Swainson Egypten bereist, er würde zu seiner Ueberraschung erfahren haben, daß seine Ceryle bicincta der Ceryle rudis alle die Liebesdienste erweist, welche ein Gatte seiner rechtmäßigen Gattin überhaupt erweisen kann; denn er hätte ohne Schwierigkeit so nahe an die Vögel herangehen können, daß ihm die Merkmale beider unterscheidbar gewesen wären.

[302] Seinen Fischfang betreibt unser Vogel regelmäßig so wie der Königsfischer, wenn dessen gewöhnliche Künste nicht mehr ausreichen wollen, mit anderen Worten, nicht vom hohen Sitze aus, sondern indem er sich rüttelnd über dem Wasser erhält und aus solcher Höhe in dasselbe sich hinabstürzt. Der Flug ist von dem des Eisvogels gänzlich verschieden. Die Flügel werden zwar auch noch rasch, aber doch nicht »schnurrend« bewegt, und man kann die einzelnen Schläge noch sehr wohl unterscheiden. Demgemäß ist der Flug zwar nicht so reißend wie beim Königsfischer, aber viel gewandter, d.h. größerer Abwechselung fähig. Der Eisvogel schießt dahin wie ein abgeschossener Bolzen, der Graufischer fliegt fast wie ein Falk, schwenkt und wendet sich nach Belieben, hält sich rüttelnd minutenlang fest, zieht eine Strecke weiter, wenn er während seines Stillstehens keine Beute bemerkte, und beginnt dort von neuem zu rütteln. Beim Angriff auf die Beute legt er die Flügel knapp an den Leib und stürzt nun in etwas schiefer Richtung pfeilschnell ins Wasser, verschwindet unter den Wellen und arbeitet sich nach einiger Zeit mit kräftigen Flügelschlägen wieder empor. Pearson sagt von dem indischen, daß er so lange unter Wasser bliebe, bis die unter seinem Sturze erregten Wasserringe sich geglättet hätten; Jerdon bezweifelt diese Angabe, und ich muß Jerdon vollständig Recht geben: denn ich glaube nicht, daß der Stoßfischer jemals länger als funfzehn bis zwanzig Sekunden unter dem Wasser verweilt. Gar nicht selten schießt dieser übrigens auch während seines Fluges, also unter einem sehr geringen Winkel, ins Wasser und erhebt sich dann so schnell wieder, daß es aussieht, als ob er von dem Spiegel abgeprallt wäre. Jerdon behauptet, daß er niemals einen gesehen habe, welcher ohne Beute aus dem Wasser gekommen sei; ich meinestheils darf versichern, daß dies doch sehr oft geschieht. Es ist wahrscheinlich und auch sehr erklärlich, daß der Graufischer geschickter ist als unser Eisvogel; demungeachtet fehlt er oft: denn auch er täuscht sich über die Tiefe, in welcher ein von ihm gesehener Fisch dahinschwimmt. War er im Fange glücklich, so fliegt er sofort seinem gewöhnlichen Sitzorte zu und verschlingt hier die gemachte Beute, oft erst nachdem er sie wiederholt gegen den Ast geschlagen, wie dies andere seiner Verwandtschaft zu thun pflegen. Wenn er nicht zum Jagen ausfliegt, streicht er mit gleichmäßigem Flügelschlage ziemlich niedrig über dem Wasser weg, möglichst in gerader Linie einem zweiten Sitzorte zu, in dessen Nähe er sich plötzlich aufschwingt. Uebertages ist er gewöhnlich still, gegen Abend wird er lebendiger, zeigt sogar eine gewisse Spiellust, und dann vernimmt man auch oft seine Stimme, einen lauten, schrillenden, oft wiederholten Schrei, den ich mit Buchstaben nicht ausdrücken kann.

Bei hohem Nilstande sieht sich der Stoßfischer genöthigt, seinen geliebten Strom zu verlassen; denn das Wasser desselben pflegt dann so trübe zu sein, daß er keinen Fisch mehr wahrnehmen kann. Die vielen Kanäle Egyptens gewähren ihm übrigens unter solchen Umständen genügenden Ersatz. In ihnen ist das Wasser schon einigermaßen geklärt und der Fischzug demgemäß so ergiebig wie sonst irgendwo. Hieraus erkläre ich mir auch, daß der Vogel in dem kanalreichen Delta viel häufiger ist als in Oberegypten oder in Nubien, wo er sich mehr oder weniger auf den Strom beschränken muß. Durch Tristram erfahren wir, daß der Graufischer auch an den Seeküsten gesehen wird und zwar zu Dutzenden »etwa ein hundert Meter vom Lande über dem Wasser rüttelnd«. In den Monaten November und December sah ihn genannter Forscher in »unschätzbarer Anzahl« längs der Küste Palästinas, bald fischend, bald auf den Felsen sitzend.

Die Brutzeit beginnt in Egypten, wenn der Nil annähernd seinen tiefsten Stand erreicht hat, also im März oder im April. Adams hat Nester im December gefunden, wahrscheinlich an einer Oertlichkeit, auf welche der Nilstand wenig Einfluß üben konnte. Ich habe nur einmal ein Ei erhalten, welches mir als das unseres Vogels bezeichnet wurde, bezweifle jetzt aber, nachdem ich Tristrams Mittheilungen gelesen habe, die Echtheit desselben. Letztgenannter Forscher beobachtete, daß der Graufischer in Palästina förmliche Brutansiedelungen bildet. Eine dieser Siedelungen befand sich in einer steilen Erdwand an der Mündung des Mudawarahbaches in den See Genezareth. Die Eingänge zu den Höhlen waren nur etwa zehn Centimeter über dem Wasserspiegel eingegraben und konnten bloß schwimmend erreicht werden. Jede Röhre führte etwa einen Meter in die Tiefe und [303] erweiterte sich seitlich zu einer einfachen Höhlung. In keiner einzigen fanden sich Fischgräten zwischen den Eiern, wohl aber bemerkte man, wenn das Nest Junge enthielt, einen verwesenden Haufen von Fischknochen und Unrath in ihm. Ein aus Gras und Unkraut bestehender Haufen diente als Nestunterlage. Bartlett nahm am achtundzwanzigsten April vier und bezüglich sechs Eier aus zwei Nestern; Tristram fand, als er am zweiundzwanzigsten Mai dieselbe Siedelung besuchte, eine große Anzahl ausgeflogener Jungen, viele noch nicht ausgewachsene in den Höhlen, aber auch noch fünf Nester mit frischen Eiern, darunter eines in einer Höhle, aus welcher Bartlett schon ein Gelege entnommen hatte. Die Form der Eier ist verschieden: die meisten sind eirund, viele aber sehr länglich. Ueber die Farbe sagt Tristram nichts, und ich muß deshalb wohl annehmen, daß sie ein reines Weiß ist, obgleich ich mich erinnere, daß das eine, welches mir als Graufischerei bezeichnet wurde, auf lichtem Grunde dunkler gewölkt war.

Aus einer Höhle, welche Tristram untersuchte, kam eine Ratte mit sechs Jungen hervorgestürzt.

Die Alten saßen während des ihnen unerwünschten Besuches auf den Oleanderbüschen am Ufer oder flogen ängstlich auf und nieder und schrieen kläglich.

Welche Feinde der Graufischer außer dem reisenden und womöglich jedes Thier vernichtenden Engländer hat, vermag ich nicht zu sagen. Ich habe nie gesehen, daß ein Raubvogel einen Angriff auf ihn versucht hätte, und kenne kein anderes Raubthier, welches ihm gefährlich werden könnte.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 301-304.
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