4. Theilnahme an städtischen Angelegenheiten.

[300] Die Zahl der Medicin Studirenden war im Jahre 1814 auf 9 herabgesunken, und nur durch den Zutritt von Chirurgen wurde mein Auditorium etwas verstärkt. Daß ich mir einen größern Wirkungskreis wünschte, war natürlich. Nun dachte man im Jahre 1816 bei Besetzung des Stadtphysikats an mich, und da ich mancherlei Mängel der hiesigen Medicinal- und Gesundheitspolizei bemerkt hatte, malte mir die Phantasie ein Bild schöner gemeinnütziger Wirksamkeit in diesem Amte, so daß ich mich verleiten ließ, mich darum zu bewerben; meine Einkünfte dadurch zu erhöhen, hatte einigen, jedoch untergeordneten Antheil an dieser Bewerbung, denn allerdings war der bisherige Gehalt noch nicht ganz hinreichend, um davon alle[300] Bedürfnisse zu bestreiten. Die Regierung trug wirklich auf meine Ernennung zum Stadtphysikus an. Aber das Ministerium schrieb mir, es trage Bedenken, ob nicht das Physikat mich von meinen akademischen Geschäften ablenken würde, theilte mir die Dienstinstruktion des Berliner Stadtphysikus mit, und forderte mich auf, nach deren Erwägung mich zu erklären, ob ich die Stelle annehmen wolle oder nicht. Diese Warnung vor einem salschen Schritte, den ich in meinem Streben nach gemeinnütziger Thätigkeit zu thun im Begriffe war, brachte mich zur Besinnung; ich antwortete mit wahrhafter Dankbarkeit, daß ich mein Gesuch zurücknehme.

In der Zeit nun, als ich noch mit dem Gedanken umging, Physikus zu werden, gab ich eine Brochüre1 heraus, in welcher ich die traurige Lage der unehelichen Kinder schilderte und den Vorschlag machte, daß die wahrend des Kriegs gebildeten Frauenvereine fortbestehen und die Aufsicht über die Verpflegung dieser armen Waisen in ihren ersten Lebensjahren übernehmen möchten, indem ich es besonders zur Sprache brachte, daß Leute, die ein Gewerbe daraus machen, uneheliche Kinder in die Pflege zu nehmen, dieselben öfters durch mangelhafte oder ungesunde Nahrung oder auch durch schlafmachende Mittel krank machen, und, da sie bei öfterem Wechsel ihren Vortheil finden, den Tod derselben gern sehen, weshalb sie vom Volke mit dem Namen der »Engelmacher« belegt werden. Das Armendirektorium erklärte, daß dies nur von denjenigen unehelichen Kindern gelten könne, die von pflichtvergessenen Müttern ohne Vorwissen der Behörde bei bösartigen Verpflegern untergebracht würden; daß dagegen jedes Kind, dessen Mutter ihr Unvermögen, dasselbe zu ernähren, anzeige, von der Behörde einen Vormund erhalte, unter dessen Aufsicht es bei einer bekannten Person gegen ein Monatsgeld von 3 bis 4 Thalern verpflegt werde. Um mich hiervon zu überzeugen, wurde ich eingeladen, einer Revision sämmtlicher Pfleglinge beizuwohnen. Ich nahm[301] diese Einladung dankbar an, indem ich übrigens erwiderte, daß ich die günstigen Ergebnisse dieser Untersuchung mit Freuden anerkennen würde, aber mir auch dann nicht den Vorwurf machen könne, von der bedauernswürdigen Lage unehelicher Kinder eine übertriebene Schilderung gegeben zu haben. Denn was ich darüber aus eigener Beobachtung, so wie aus den Mittheilungen anderer hiesiger Aerzte erfahren habe, werde durch die Todtenliste bestätigt; wenn es sich nun herausstelle, daß eine bedeutende Zahl solcher Kinder unter der vom Armendirektorium veranstalteten Pflege gedeihe, so müsse bei den übrigen, welche dieser Wohlthat nicht theilhaftig werden könnten, die Sterblichkeit im Verhältnisse zu den ehelichen Kindern noch größer sein; durch ein günstiges Ergebniß jener Untersuchung könne ich also nur bestimmt werden, ein gleich glückliches Verhältniß den von der Armenanstalt nicht verpflegten Kindern um so dringender zu wünschen. Eben so dürfe ich mich von dem Vorwurfe freisprechen, als hätte ich es geflissentlich versäumt, der Anstalt rühmlich zu gedenken, welche in Bezug auf einzelne hülfsbedürftige Kinder das schon verwirkliche, was ich in Bezug auf alle ausgeführt zu sehen wünsche, denn ich habe zwei Monate vor dem Erscheinen meiner Schrift mir von dem Vorsitzenden des Armendirektoriums unter Anzeige meines Vorhabens Nachrichten über die in dieser Beziehung getroffenen Einrichtungen ausgebeten, aber nicht erhalten. – Ich wohnte nun den 5 Tage dauernden Revisionen bei; das Resultat war, daß von 795 verpflegten Kindern nur 493 vorgestellt, und unter diesen 42 als kränklich befunden wurden. – Mein Plan war sehr einfach. Ich wollte, daß kein Kind ohne Anzeige bei der Polizei einer fremden Pflege übergeben würde, daß niemand ohne besondere Erlaubniß dieser Behörde eine solche Pflege zu übernehmen berechtigt wäre, daß dann diese Pflege unter Leitung des Frauenvereins, welchem ein Geschäftsführer beigeordnet wäre, von hiesigen achtbaren Frauen beaufsichtigt würde, deren jede ungefähr 20 Kinder unter ihre Aufsicht nähme. Die Regierung billigte meine Vorschläge, und forderte mich auf, an deren Verwirklichung thätig Theil zu nehmen, namentlich das[302] projectirte Amt eines Geschäftsführers bei dem Frauenvereine zu verwalten. Ich mußte diese Aufforderung ablehnen, denn ich hätte ihr nur als Stadtphysikus genügen können; nur wenn ich in diesem Amte mich den Angelegenheiten des städtischen Gemeinwesens mehr hingegeben hätte, würde ich Gelegenheit gehabt haben, die nöthige Aufsicht über die Verpflegung elternloser Kinder zu führen und dahin gehörige Nachrichten einzuziehen; auch würde ich nur in dieser Stellung manche Hindernisse zu besiegen und manchen Maaßregeln Nachdruck zu geben vermocht haben. – Sodann wurde ich wegen der in meinem Schriftchen gemachten Aeußerung, daß nicht nur in den kleinen Gassen, sondern auch in mehrern größern Straßen die schmutzigen Geschirre alltäglich unmittelbar vor den Häusern ausgegossen würden, vom Polizei-Präsidium in Anspruch genommen. Ich entgegnete, es sei von mir in jener Schrift nicht ausgesprochen, werde aber übrigens erkannt, daß Königsberg in Hinsicht auf Reinlichkeit unter den großen Städten Deutschlands unten an stehe, und gab zwei Beispiele zu Bestätigung meiner obigen Behauptung an. Die damalige Unsauberkeit der Stadt hat nachher aufgehört, und es wäre möglich; daß die Polizei unter Anderem auch durch meine Aeußerungen bestimmt worden wäre, dies zu bewirken.

Fußnoten

1 Ueber Weisenpflege, zunächst in Beziehung auf Königsberg. Von K.F. Burdach. Königsberg bei Nicolovius 1816. 56 S. 8.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 303.
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