5. Amtliche Wirksamkeit.

[454] Von Beschwerden, die über meine Amtsführung angebracht worden wären, ist mir nur eine bekannt geworden, die aber sich ganz grundlos bewies und wohl eigentlich mehr meinen pharmaceutischen Collegen als mir einigen Aerger bereiten sollte. Im Jahre 1839 nämlich waren anonyme Anzeigen bei dem Ministerium eingegangen, daß das hiesige Medicinal-Collegium bei Prüfung von Pharmaceuten durch geringere Strenge in Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen sich Begünstigungen zu Schulden kommen lasse. Bei Wiederholung dieser Anzeigen mit Nennung ihres Verfassers und Anträgen auf Zeugenvernehmung forderte das Ministerium Auskunft von mir über diese Angelegenheit. Das Nächste war, daß eine Vernehmung des Klägers und der angeführten Zeugen von der Regierung veranstaltet werden sollte; aus den von der Polizei dieserhalb vorgenommenen Untersuchungen ergab sich aber, daß sämmtliche Namen fingirt waren und Niemand existirte, der die Anklage hätte behaupten wollen.

In mein Prorectorat während des Winterhalbjahres 1841/42[454] fiel ein Ereigniß, wegen dessen es mir lieb sein mußte, daß bei dem damals noch geltenden Turnus die Reihenfolge in Verwaltung dieses Amtes gerade jetzt mich getroffen hatte, indem vielleicht mancher Andere an meiner Stelle die Ehre der Universität aufrecht zu halten weniger beflissen gewesen wäre. Professor von Lengerke war wegen eines Gedichtes zum Geburtstage des Dr. Jacoby aus der Liste derjenigen Professoren, die zu einer Gehaltszulage vorgeschlagen waren, gestrichen, und dagegen der in demselben Lehrfache mit ihm arbeitende, aber der altorthodoxen Richtung zugethane Professor Hävernick hierher berufen worden, von dem es bekannt war, daß er als Student an der gegen seine Lehrer Gesenius und Wegscheider erhobenen Anklage der Heterodoxie Theil genommen hatte; als dieser seine erste Vorlesung in einem überfüllten Auditorium eben begonnen hatte, gingen mit einem Male alle Zuhörer heraus, und am Abende desselben Tages brachten die Studirenden dem Professor von Lengerke ein Vivat mit Gesang. Professor Hävernick machte von dem Ereignisse sogleich Anzeige, und es wurde eine Untersuchung von Seiten des akademischen Gerichts eingeleitet, in welcher sich kein Anstifter, überhaupt keine Verabredung zu dem Herausgehen aus der Vorlesung entdecken ließ, der Gesang der Lieder von Uhland und Lengerke auch nicht strafbar gefunden werden konnte, da sie mit Censur gedruckt waren, und die Veranstaltung eines Vivats ohne erbetene Erlaubniß als das Strafbarste erkannt wurde, weshalb denn das Strafurtheil auf 24stündiges bis 3tägiges Carcer lautete. Das Ministerium bestätigte dasselbe zwar, gab aber dabei ein strengeres, bis zum consilium abeundi gehendes Urtheil, welches den Studirenden als das, was sie eigentlich verdient hätten, auch publicirt, gleichwohl nicht vollstreckt werden sollte; dabei erklärte dasselbe, der Senat habe seine Rüge bloß auf minder wesentliche Aeußerlichkeiten gerichtet und die eigentlichen Momente der Strafbarkeit, nämlich 1) die Beleidigung eines akademischen Lehrers, und 2) die politische Manifestation in dem Abendgesange außer Acht gelassen, er werde also künftig sorgfältiger darauf Bedacht nehmen[455] müssen, die Würde seiner Stellung nach Gebühr zu hehaupten. Der Senat reichte eine recht ernste Gegenvorstellung ein. Was die »politische Manifestation« anlangt, so waren wir allerdings überzeugt, daß die Studirenden sowohl sich wegen des Herausgehens aus dem Auditorium verabredet, als auch die Gesänge für den Abend nach ihrem politischen Inhalte ausgewählt hatten, aber Beides war nicht gerichtlich zu erweisen; man hatte die Untersuchung darauf gerichtet, aber, ohne eine moralische Tortur anzuwenden und den Charakter einer akademischen Rechtspflege auf unheilvolle Weise zu verletzen, nichts ermitteln können. Gegen das Ministerium erklärte nun der Senat, man dürfe ohne gerichtlichen Beweis die Studirenden einer politischen Intention um so weniger beschuldigen, da unsere Universität noch zu keiner Untersuchung der Art Anlaß gegeben habe. Was aber das Weggehen aus dem Auditorium betrifft, so habe die Berufung des Professor Hävernick für ein bereits vorzüglich gut besetztes Lehrfach Aufsehen gemacht, und die Erinnerung an dessen Denunciation, so wie an den bei dieser Gelegenheit von der evangelischen Kirchenzeitung gegebenen Ausspruch, das Vertrauen eines christlichen Theologen zu seinen rationalistischen Lehrern sei sündhaft, habe eine sittliche Entrüstung hervorgerufen; die Studirenden seien in der Erwartung, beim Anfange der ersten Vorlesung eine Erklärung über die wissenschaftliche und akademische Stellung des neuen Docenten zu hören, in das Auditorium gekommen, und da dies nicht der Fall gewesen, wieder davongegangen. Der Senat ersuchte demnach den Minister, die ihm gemachten Vorwürfe zurückzunehmen, und erklärte sich bereit, wenn es sein müßte, dies Gesuch dem Könige vorzulegen. Der Minister erwiderte vier Wochen darauf, der Senat habe die Rüge des Excesses der Studirenden in eine Anklage des beleidigten Lehrers verwandelt und diesen dadurch einer ungerechten Verfolgung bloßgestellt; vierzehn Tage später aber verwies er es einem unserer theologischen Collegen, daß er die Remonstration des Senats mit unterzeichnet habe, die mit dem Geiste und den Grundsätzen der Moral ganz unvereinbar sei. Obwohl ohne Aussicht auf Erfolg thaten wir, was die Ehre gebot:[456] wir legten dem Könige die ganze Sache vor; erhielten aber den Bescheid, der Minister habe seine Pflicht gethan.

Im folgenden Jahre begann in Folge der neuen Statuten an Stelle des bisherigen Turnus die freie Wahl des Prorectors, gegen welche ich bei den darüber gepflogenen Berathungen immer gestimmt hatte, weil ich an die Möglichkeit von Eifersucht, Parteiungen und Intriguen dachte, und den Einfluß der Persönlichkeit des Prorectors auf die wesentlichen Angelegenheiten der Univesität nur gering anschlug. Um so mehr war ich überrascht, im Anfange des Jahrs 1844 zu erfahren, daß mehrere meiner Collegen damit umgingen, mich für dieses durch die akademische Jubelfeier wichtige Jahr zum Prorector zu wählen. Nun war es allerdings sehr ehrenvoll für mich, durch das Vertrauen meiner Collegen gerade für diesen Zeitraum an ihre Spitze gestellt zu werden, und die Aussicht, die Interessen der Universität unter außergewöhnlichen Verhältnissen nach meinem Sinne vertreten zu können, hatte viel Reizendes; indeß stiegen doch auch Zweifel über die Annehmbarkeit der Wahl in mir auf. Denn abgesehen davon, daß seit einiger Zeit der Gang meiner Gedanken schwerfälliger und das Gedächtniß in Verrichtung seiner Dienste träger geworden war, so hatte ich es auch binnen zwei Jahren zwei Mal erlebt, daß ohne Störung des Bewußtseins das Denkvermögen auf eine Viertelstunde völlig aussetzte, und wenn meine Bewegungskraft überhaupt vermöge des Alters an Sicherheit verloren hatte, so war das Muskelgefühl, dieses Bewußtwerden der Bewegung, in der linken Hand stumpfer geworden. Bei solchen Vorboten des Schlagflusses das Prorectorat in vielbewegter Zeit zu übernehmen, schien bedenklich, – nicht als ob ich besorgt hätte, daß die dabei erforderliche Anstrengung mein Leben verkürzen könnte, denn diese Möglichkeit hatte nichts Furchtbares für mich, sondern nur weil ich es mir als schimpflich dachte, vielleicht gerade in einem Momente, wo die Universität zu repräsentiren wäre, geistig oder körperlich zu erlahmen. Auf der andern Seite aber mochte ich eine ehrenvolle Stellung aus Furcht vor solcher Gefahr nicht ablehnen, und es bedurfte keines[457] langen Kampfes, um mich muthig für die Annahme zu entscheiden; ich verließ mich darauf, daß die geistige Kraft, wenn sie durch ernste Verhältnisse aufgeregt und in ihrer Aeußerung gesteigert wird, auch das leibliche Leben aufrecht hält, und vertraute übrigens meinen Sternen.

Die erste Sorge nach Antritt meines Amtes war, eine zweckmäßige Wahl von Rathgebern und Gehülfen zu treffen. Mein Vorgänger hatte bereits eine Commission für die Säcularfeierlichkeiten ernannt, die auch schon einige Mal zusammen gekommen war; ich aber band mich nicht daran, sondern setzte nach eigener Wahl ein Comité zusammen, da ich es hier, wie überall, lieber darauf ankommen ließ, daß einige Personen mir zürnten, als daß bei ungestörter gleichgültiger Freundlichkeit die Sache, auf die es ankam, litte. Ich berief das anfänglich aus fünf, zuletzt aus sieben Mitgliedern bestehende Comité, vertheilte die Geschäfte, trug die zu verhandelnden Gegenstände vor, und gab bei Verschiedenheit der Meinungen den Ausschlag. Uebrigens behandelten wir alle Angelegenheiten als die gemeinsame Sache: Jeder von uns berichtete über das, was er gethan und erfahren hatte, theilte seiner Ansichten mit, prüfte die der Collegen und vollzog den Beschluß. In allen den zwei und zwanzig Sitzungen, die wir während der drei Monate vor dem Feste hielten, herrschte ein gleich lebendiges Interesse und eine freudige Eintracht; dabei rufte ich das Concilium generale in dieser Zeit sieben Mal zusammen, theils um die Gesammtheit der ordentlichen Professoren mit unsern Beschlüssen und Veranstaltungen bekannt zu machen, theils um dessen Entscheidung in Betreff der Beziehung zu den vorgesetzten Behörden zu vernehmen. Auf diesem Wege gingen alle Vorbereitungen zum Feste regelmäßig, ohne Verdruß und, so viel bekannt wurde, zu allgemeiner Zufriedenheit vor sich.

Die getroffenen Anordnungen sind in der Beschreibung des Festes1 angegeben. Hatte ich die Beschreibung des Schönschen[458] Jubelfestes übernehmen müssen, weil ich den Aufforderungen des Comité mich nicht entziehen konnte, so war ich diesmal vorsichtiger gewesen und hatte bei Zeiten einen meiner Collegen willig gemacht, die Berichterstattung zu übernehmen; da aber dieser vier Wochen nach dem Feste erklärte, daß Kränklichkeit ihn daran hindere, so mußte ich abermals Historiograph eines Festes werden.

Zu Bestreitung der Kosten hatte der König uns 12000 Thaler angewiesen. Je gewisser es nun war, daß, wenn wir mit dieser Summe nicht ausreichten, auch ein bedeutender Nachschuß bewilligt werden würde, so hielt ich es gerade um so mehr für eine Ehrensache, mit jener Summe auszukommen, und ich thue mir etwas darauf zu Gute, daß ich so gut gewirthschaftet habe. Außerdem, daß wir den Studirenden für ihre Feierlichkeiten 1595 Thaler abtraten, mußten wir noch die 698 Thaler betragenden Kosten bei der Feierlichkeit der Grundsteinlegung, die eigentlich dem Baufonds des neuen Gebäudes zufallen sollten und die zufälligen, mit dem Feste in keiner Beziehung stehenden Reparaturkosten des alten Universitätsgebäudes im Betrage von 356 Thalern bestreiten, auch zum Drucke der Schrift eines Privatgelehrten 100 Thaler abgeben, so daß für unsere eigentlichen Zwecke nur 9250 Thaler blieben. Davon wurden nun die für eine Universität allerdings glänzenden Feste gegeben und die vielfachen, bei solcher Gelegenheit nöthigen Ausgaben bestritten, namentlich für die Denkmünze, die an alle Mitglieder der Universität und an die verschiedenen Behörden und Deputirten vertheilt wurde, so wie für ein lithographirtes Blatt als Mnemosynon, welches nebst einem Exemplare der amtlichen Nachrichten zum Danke an die Universitäten, sonstige Behörden und Schriftsteller, welche ihre Theilnahme an dem Feste bewiesen hatten, versendet wurde; endlich blieben noch 160 Thaler übrig, die zu kleinen Gratificationen verwendet werden konnten.

Was nun meinen persönlichen Antheil an dem Feste selbst betrifft, so waren die Reden, die ich im Namen der Universität[459] an den König zu halten hatte, allerdings vorbereitet; indessen hatte doch auch hier die augenblickliche Geistesstimmung bedeutenden Antheil, denn nach stundenlangem Harren, während dessen sehr verschiedenartige Eindrücke aufgenommen und mannichfaltige Unterhaltungen gepflogen worden waren, konnte ich das, was ich sagen wollte, nicht gerade in derselben Form aussprechen, in welcher ich es mir vorgenommen hatte. Eben so hatte ich mich natürlich auf die bei der Empfangsfeierlichkeit der Deputirten zu haltenden Reden im Ganzen vorbereitet; allein theils erschienen Deputationen, die ich nicht erwartet hatte, theils forderten die verschiedenen Formen, unter welchen sie ihre Glückwünsche darbrachten, auch entsprechende Antworten von meiner Seite, theils konnte es nicht fehlen, daß die durch das, was ich sah und hörte, hervorgerufene Stimmung ihren Einfluß ausübte. Endlich kam ich auch unerwartet in Lagen, wo ich zu reden hatte. Wiewohl mir nun die Gabe, aus dem Stegreife öffentlich zu reden, keineswegs eigen ist, so sprach ich doch bei diesem Feste fließend und angemessen, so daß ich Beifall, ja sogar einige Bewunderung einerntete, über die ich mich selbst wieder verwunderte. Der Grund davon lag zum Theil darin, daß ich nicht mit eiteln Redensarten prunken wollte, sondern Gedanken hatte, die sich schon selbst Worte zu schaffen wissen; vornehmlich aber in der vollkommenen Ruhe und Zuversicht, mit welcher ich jedem Acte des Festes entgegen ging, und diese Gemüthsstimmung selbst, ich gestehe es gern, beruhte wieder darauf, daß ich mich unter den Einfluß des Geistes meiner Frau stellte, die ein so unbegränztes Vertrauen zu mir hatte, daß ihr der Erfolg jeder meiner Unternehmungen, wobei es auf Geisteskraft ankam, gewiß war; ich eignete mir dieses Vertrauen von ihr an, indem ich mir dachte, sie erwarte, daß ich ihr Ehre machen werde. Mit diesem Gedanken ging ich völlig unbekümmert um das, was sich ereignen könnte, in jede Versammlung. Im November 1843 hatten wir den König um Gestattung der Jubelfeier und um seine persönliche Gegenwart dabei gebeten, und im Mai 1844 dieses Gesuch wiederholt. Der Minister ertheilte uns hierauf die Nachricht, daß der König[460] sich jetzt noch nicht darüber entscheiden, sondern es von den Umständen abhängen lassen wolle, ob er dem Feste beiwohnen werde. Um keinen Zweifel über den Sinn dieser Eröffnungen zu lassen, schrieb er zu gleicher Zeit an den Regierungsbevollmächtigten, es sei ihm noch nicht gelungen, den Eindruck zu verwischen, den die Ereignisse der letzten Jahre auf das der Universität Königsberg sonst mit besonderer Vorliebe zugewendete Gemüth Sr. Majestät gemacht hätten. – Es kam also darauf an, auf irgend eine mit unserer Ehre verträgliche Weise eine Versöhnung zu bewirken. Am geeignetsten schien mir nun hierzu die Absendung einer Deputation, welche dem Könige in Betreff der Lengerke-Hävernickschen Angelegenheit, über welche ihm offenbar ungünstige Berichte abgestattet worden waren, eine der Wahrheit gemäße Erklärung, auch über andere, etwa geforderte Dinge Rechenschaft gäbe; und die durch diese Gelegenheit herbeigeführte persönliche Verhandlung mit dem Könige selbst konnte ein erfolgreiches Ereigniß werden. Allein ich sah unter meinen Collegen keinen, in dessen Hände man diese hochwichtige Angelegenheit mit vollem Vertrauen hätte legen können, dessen Gesinnung mit Geisteskraft, dessen Muth mit Klugheit, dessen Festigkeit mit Gewandtheit in dem zu glücklicher Lösung der schwierigen Aufgabe erforderlichen Verhältnisse gestanden hätte. Diejenigen, die meinen Vorschlag billigten, erklärten es für unzweifelhaft, daß ich diese Mission übernehmen müsse, und dies reichte hin, mich von diesem Gedanken ganz abzubringen, denn es wäre Tollkühnheit gewesen, wenn ich es hätte mit Hofintriguen aufnehmen, dem Mißfallen des Königs mich bloßstellen und die Ehre der Universität auf das Spiel setzen wollen: ich erkannte zu gut, daß mir die Kraft dazu fehlte. Es handelte sich also nur um schriftliche Verhandlung. In der deshalb gehaltenen Berathung wurde der Entwurf eines Schreibens einmüthig angenommen, welcher dahin lautete: daraus, daß der König über seine Gegenwart beim Jubiläum noch nichts bestimmt, auch uns nicht mit einem eigenen Bescheide beehrt hätte, ginge hervor, daß, worin auch immer die Veranlassung dazu liegen möchte, irgend etwas Störendes und[461] Trübendes das Herz unseres Königs uns entfremdet haben müßte; wir empfänden tief das Drückende der auf uns lastenden Ungnade, und sähen ein, daß, so lange ein solches Mißverhältniß zwischen dem königlichen Rector und seiner treuen Albertina bestünde, für das Gedeihen derselben kein rechtes Heil und vollends für die bevorstehende Jubelfeier keine reine und volle Festfreude zu erwarten wäre; indeß hofften wir, daß der König, »wie gerechten Grund auch er dazu zu haben glaube,« es der Anstalt nicht entgelten lassen würde; wir wären überzeugt, daß, wenn er das Fest inmitten seiner getreuen Universität beginge, dabei uns den Grund seines Zürnens zu erkennen gäbe und uns hinwiederum ein huldvolles Gehör schenkte, »gerade durch diese persönliche Gegenwart, und vielleicht nur durch diese« sicher und vollständig Alles ausgetilgt werden würde, was uns die königliche Huld entfremdet hätte; wir bäten also den König noch einmal auf das Unterthänigste und Innigste um die huldvolle Zusicherung seiner persönlichen Theilnahme an unserem Jubelfeste. – Auf dieses vom 18. Mai datirte Schreiben verhieß uns der König unterm 28. Mai seine persönliche Gegenwart, äußerte inzwischen dabei, wir möchten uns selbst die Frage beantworten, ob wir den wahren Beruf der Universitäten, würdige Träger ächter Wissenschaft, so wie feste Stützen des Throns und reine Quellen der Volksgesittung zu sein, daher auch die göttlichen und die darauf gegründeten menschlichen Ordnungen gegen zügellose Phantasie zu schützen, in der letztverflossenen Zeit überall klar erkannt und mit Kraft erfüllt hätten; er wolle heute des Vergangenen nicht gedenken.

Jenes in treuherzigem Tone und meiner Meinung nach meisterhaft abgefaßte Schreiben des Senats enthielt zwei wesentliche Puncte: erstlich wir lehnen jede Anerkennung von Schuld ab und können uns die Ungnade gar nicht erklären, also auch nicht glauben, daß sie auf die Lengerke-Hävernicksche Angelegenheit sich beziehen sollte; zweitens wir sind überzeugt, daß der König, wenn wir ihm persönlich unsere Angelegenheiten vortragen könnten, unser Verfahren gut heißen würde. Diese beiden Puncte machten nun auch das Hauptthema[462] meiner Anreden an den König vor und nach dem Feste aus.

In der Audienz, welche er uns unmittelbar nach seiner Ankunft in Königsberg ertheilte, sagte ich ihm, indem ich ihn im Namen der gesammten Universität begrüßte: »wir treten vor Ew. Majestät mit dem unbefleckten Bewußtsein treuer Pflichterfüllung.« Dasselbe sprach ich gegen den Minister aus, als ich seine Anrede im großen Hörsaale beantwortete. Uebrigens wurde der Sache weiter nicht gedacht und uns keine Gelegenheit gegeben, uns über die anstößig gewesenen Ereignisse zu erklären.

In der Abschiedsaudienz am 2. September hielt ich folgende Anrede: »Prorector und Decane Allerhöchst Ihrer Albertina nahen sich Ewr. Majestät mit dem Danke eines redlichen, treu ergebenen Herzens. Wir können unserem Könige und Herrn für die unserer Hochschule bewiesene allerhöchste Gnade nichts Besseres darbringen, als die lauterste Wahrhaftigkeit. Eingedenk, daß die göttliche Vorsehung Ew. Majestät zum Segen Ihres Volkes auf den Thron berufen hat, fühlen wir die heilige Verpflichtung, an den Stufen dieses Thrones so wahrhaftig zu sein, wie vor Gott, dem nichts verborgen ist. Wenn wir in dieser feierlichen Stimmung das Gelübde unverbrüchlicher Treue wiederholen, so möge es uns auch gestattet sein, bei vorkommender Gelegenheit unsere allerunterthänigsten Vorstellungen an Ew. Majestät unmittelbar zu richten, und, da der geschriebene Buchstabe das lebendige Wort nicht ersetzen kann, unsere Angelegenheiten persönlich vortragen zu dürfen. Als wir Ewr. Majestät huldreiche Gegenwart bei unserm Säcularfeste uns zu erbitten hatten, dachten wir schon daran, dies durch Abgeordnete zu thun; die Besorgniß möglichen Mißfallens hielt uns davon ab.« – Der König, der sehr gespannt zugehört hatte, versetzte, daß dies immer geschehen könne, und fragte, ob wir jetzt etwas vorzutragen hätten, worauf ich antworten mußte, daß wir gegenwärtig nur um Erfüllung unserer Wünsche für die akademischen Institute bäten. Ich hatte auch nur die Absicht gehabt, der Universität für mögliche Fälle in[463] der Zukunft zu einer unmittelbaren Verhandlung mit dem Könige den Weg zu bahnen. Uebrigens bewies sich derselbe, wie während des ganzen Festes, so auch, als wir ihn am Morgen unmittelbar vor seiner Abreise nochmals begrüßten, überaus gnädig gegen mich und reichte mir unter Erklärung seiner vollkommenen Zufriedenheit mit dem »schönen Feste« die Hand.

Am 25. August Vormittags wollte der Tages zuvor in Königsberg angekommene Minister Eichhorn, dem ich des Morgens meinen Besuch abgestattet hatte, sämmtliche Glieder der Universität sich durch den Regierungsbevollmächtigten im großen Hörsaale vorstellen lassen. In gewohnter Sorglosigkeit ging ich dahin, ohne daran zu denken, daß der Minister eine förmliche Rede halten und eine officielle Beantwortung derselben nöthig machen könnte; auch kam ich erst spät in die Versammlung, als mehrere Professoren bereits vorgestellt worden waren. Nachdem die Präsentation in üblicher Weise vor sich gegangen war, hielt der Minister eine Rede, die aus zwei Theilen bestand. Im ersten Theile sagte er dem Wesentlichen nach Folgendes: »Das freundliche Verhältniß der Universität zu ihrem erhabenen Rector, dem Könige, ist in den letzten Jahren gestört worden, denn es hatten Verkennungen und Mißverständnisse Statt gefunden, die ihn tief betrüben mußten: Sie hatte dem Gerüchte von reactionären Tendenzen und Beschränkungen der Lehrfreiheit, die doch mit seiner geistigen Natur ganz unverträglich sind, Glauben geschenkt. Spätere Erklärungen der Universität haben ihn überzeugt, daß sie sich von diesen Mißverständnissen befreit hat und seine edlen Absichten in vollem Umfange zu würdigen versteht. Daher kann ich Ihnen denn die erneuten gnädigen Gesinnungen desselben verkündigen. In der That hatten jene Besorgnisse keinen Grund. Nein, die Lehrfreiheit wird aufrecht erhalten werden; nur muß sie ihr inneres Maß haben, in religiös sittlicher Gesinnung geübt werden, und in den Wissenschaften, die sich auf Staat und Kirche beziehen, das reale Bestehen gehörig berücksichtigen.« – Im zweiten Theile seiner Rede sagte der Minister in Betreff der akademischen Disciplin, er müsse manchen Verbindungen der Studirenden seine Genehmigung[464] versagen, nicht als ob der ihnen zum Grunde liegende Associationsgeist an sich verwerflich wäre, oder als ob sie dem Staate gefährlich zu werden drohten, sondern weil sie durch Ausartung für die jungen Männer selbst verderblich werden können, was durch Theilnahme und Leitung von Seiten der akademischen Lehrer allerdings zu verhüten wäre.

Durch einen Zufall bei meinem späten Eintreffen in der Versammlung war ich unmittelbar vor dem Katheder zu stehen gekommen; ich fühlte es, daß ich pro ara et foco stand und sonach antworten mußte. Nachdem ich dem Minister für seine Vermittelung bei dem Könige in Betreff des Säcularfestes gedankt hatte, fuhr ich dem Wesentlichen nach so fort2: »Wenn überhaupt die vor uns liegenden Erfolge der in früherer Zeit genommenen Richtungen uns lehren müssen, welche Wege gegenwärtig einzuschlagen sind, um ein erwünschtes Ziel zu erreichen, so deuten auch die in dieser Zeit laut werdenden Aeußerungen der wissenschaftlichen Welt über unsere Universität auf deren Zukunft hin. Wer ihr nur immer bei ihrem Jubiläum seine Theilnahme bezeigt, gedenkt dabei Kants. Ja, die durchaus freie Entwickelung der Philosophie, welche die Nichtigkeit der dogmatischen Metaphysik aufdeckte und ihr Licht auch über die mannichfaltigen Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft verbreitete, ist es, welcher die Albertina vorzüglich ihren Ruhm verdankt, und die Achtung, welche unsere Universität jetzt genießt, läßt sich für die Zukunft nur bei ungestörter Lehrfreiheit erwarten. Daß ein bleibender Rückschritt in Preußen eintrete, haben wir nie befürchtet, denn ein solcher ist in dem Staate, dessen Macht auf geistiger Grundlage beruht, nicht möglich; wohl aber können für einige Zeit einzelne Rückschritte eintreten, und Besorgnisse dieserhalb werden gerade bei reger Theilnahme am Wohle des Vaterlandes am lebhaftesten sein. So stehen[465] wir auch in dieser Hinsicht mit dem Bewußtsein eines pflichtmäßigen Verhaltens vor Ewr. Excellenz. Die vorgekommenen Mißverständnisse aber haben zum Theil wohl ihren Grund in der großen Entfernung der Residenz von Königsberg, in deren Folge Manches dort anders erschienen oder auch anders dorthin berichtet worden ist, als es sich hier in der Wirklichkeit verhielt. – Was die akademische Disciplin betrifft, so muß sie dem Geiste der Zeit entsprechen. Die Tradition, daß an Befreiung des Vaterlandes von der Fremdherrschaft auch die deutsche Jugend vorzüglichen Antheil hatte, pflanzt sich auf jede neu heranwachsende Generation fort; die Jugend hat jetzt ein höheres Selbstgefühl und einen lebendigeren Vaterlandssinn; sie will, daß ihr Vertrauen geschenkt und eine freiere Bewegung gestattet werde. Dies war in den ersten Jahren nach dem letzten Kriege der Fall, und ich schätze es als ein Glück, daß ich schon in dieser Zeit der Albertina angehörte. Mag die Burschenschaft hin und wieder ausgeartet sein, ja in einzelnen Individuen bis zu hochverrätherischen Träumen sich verirrt haben: bei uns zeigte sie sich nur in wahrhaft edler Gestalt; sie verbannte das kleinliche Treiben der Landsmannschaften, die Rauferei, Völlerei und jede Rohheit; nur Tüchtigkeit der Gesinnung und ernste Vorbereitung zum Dienste für das Vaterland konnte auf Ehre Anspruch machen. Damals schloß ich mich denn auch mit mehreren meiner Collegen den Studirenden bei ihren geselligen Zusammenkünften und Festen an, und wir können nur wünschen, daß die wissenschaftlich-sittlichen Verbindungen der Studirenden künftig nicht mehr mit Argwohn bewacht werden.«

Ich war so kühn gewesen, einen öffentlichen und feierlichen Empfang der zu dem Feste gekommenen Deputationen im großen Hörsaale auf den 28. August zu veranstalten. Ich gestehe, daß ich verwegen genug war, mir insgeheim den König der Franzosen zum Muster zu nehmen, und daß ich mir auf die Art, wie ich meine Rolle durchführte, etwas einbilde, in so fern ich, der ich mit meiner Persönlichkeit gern zurücktrete und von den in Aeußerlichkeiten mir zukonnnenden Vorrechten wenig Gebrauch zu machen pflege, hier, wo es die Ehre der Universität galt,[466] auch zu repräsentiren verstand. In der für den Prorector vorgeschriebenen Hoftracht stand ich vor dem Katheder, umgeben von meinen Collegen, die einen gegen die Schranken offenen Halbkreis bildeten, in welchen eine Deputation nach der andern eingeführt wurde, während der übrige große Saal von Zuhörern dicht gefüllt war. Ich sprach mit Ruhe und Sicherheit, im Bewußtsein der Würde meiner Stellung, mithin auch ohne mich irgendwie zu brüsten; verbindlich dankend, nicht mit leeren Floskeln, sondern mit Gedanken. Reden und Gegenreden sind in den amtlichen Nachrichten treu wiedergegeben; ich erwähne hier nur die eine, in Betreff deren ich eine Erklärung schuldig bin. Als Deputirter des Provinzialschulcollegiums trat ein Mann vor mir auf, der, eines der eifrigsten Mitglieder der Königsberger Burschenschaft, insbesondere auch ihr Abgeordneter beim Wartburgsfeste gewesen, als Beamter aber den Grundsätzen derselben untreu geworden war. Er rühmte, daß die Universität in den Tagen der Gefahr bewiesen habe, wie sie bereit sei, die höchsten Güter des Lebens mit dem Schwerte ritterlich zu schützen, und der Pathos, mit welchem er, der selbst den Feldzug mitgemacht hatte, dies aussprach, war mir höchst unangenehm, indem ich des Contrastes seiner ehemaligen und jetzigen Sinnesweise gedachte. Ich erwiderte, daß die Zöglinge der Albertina in den Tagen des Friedens eben so ritterlich für Licht und Wahrheit kämpfen müßten; indem ich dem Schulcollegium für seine Glückwünsche dankte, erinnerte ich, daß die Universität mit demselben ehemals durch Dinter in noch näherer Beziehung gestanden hätte, und schloß mit dem Wunsche, daß Dinters unsterbliches Verdienst stets gehörig gewürdigt und die von ihm betretene Bahn nie verlassen werden möge. (Ich dachte dabei an die vor Kurzem an die Schullehrer ergangenen amtlichen Warnungen vor Dinters Schriften.) Der Ton, in welchem ich sprach, mochte wohl etwas Beleidigendes haben, denn ich war aufgeregt. Der Beleidigte erklärte darauf in der Königsberger Zeitung vom 5. September, er habe eine nicht zu erwartende Unfreundlichkeit von mir erfahren und weise, wenn ich ihm eine Art Vorschrift für seine amtliche Thätigkeit[467] geben wolle, dieselbe entschieden zurück. Ich antwortete darauf weder öffentlich, noch privatim, denn ich konnte und wollte nichts zurücknehmen.

Fußnoten

1 Amtliche Nachrichten über die Feier des dritten Säcularfestes der Albrechts-Universität zu Königsberg. Königsb. bei Gräfe u. Unzer. 1844. 212 S. 8.


2 Mein Gedächtniß wird hier durch die Mittheilung eines Collegen unterstützt, der unmittelbar nach der Versammlung das Gehörte niedergeschrieben hatte. Zum Theil ist auch in der Königsberger Zeitung vom 14. September 1844 über meine Antwort berichtet.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 468.
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