I.

[9] Abreise den 31. Juli abends 8 Uhr


Es gibt ein gewisses Gefühl der Trauer, so allein in die Nacht hinauszufahren! – Es war ein gleichgültig trüblicher Abendhimmel, späterhin schwacher Sternschimmer. Erstes Morgengrauen auf den Nollendorfer Höhen. Im Tale nach Teplitz lagen dichte weiße Nebelstratus, und die noch dunkeln Berge des Mittelgebirges sahen gleich Inseln über der weißen Nebelschicht hervor. Unten im Tale kalt und feuchte Luft. In Teplitz hielt eben der Eilwagen vor der Post; unten im Hause wüstes Wesen vieler Fremden und schläfrige Gesichter der Aufwachenden. Kaum aber eine Viertelstunde, so fuhr ich zum andern Tore wieder hinaus, die Straße nach dem Milleschauer zu. – Nichts als schroff aufgeschobene kuppelförmige Berge! Weiterhin kommt man auch an einem großen Steinbruch kugeliger Basalte vorbei. Der Boden überall rot gebrannt von altem vulkanischem Feuer! Gletscherberg, Lobositzer, Rudnitzer Berg, alle scheinen nichts als aufgehobene Wellen der Erde. Das Wetter wird sonnig. Man kommt in die Gegend von Theresienstadt; von außen und von weitem scheint es sehr unbedeutend. Man glaubt hinter sacht aufsteigenden Wiesen und Büschen etwa einen gewöhnlichen Marktflecken vor sich liegen zu sehen, kommt man aber herein zwischen die gewaltigen Mauern, über die breit und tief zwischen den grünen Flächen eingeschnittenen Festungsgräben mit ihren schroffen, scharfkantigen Batterien, so ist der Eindruck[9] durchaus imposant. Die geketteten Baugefangenen, die straffen österreichischen Kanoniere, die Brückenketten und die kellerartigen Gewölbe der Tore, es gibt den Ausdruck des höchsten Pedantismus des Lebens. Ich fahre schnell hindurch. Die Berge treten hinter Theresienstadt in die Ferne, man setzt auf einer etwas gebrechlichen Fähre nach Weltrus über und fährt auf langen schnurgeraden Chausseen, bis endlich zur Rechten in der Ferne auf bergigen Boden weit hingestreckt Prag erscheint.

Bei schönem Nachmittagssonnenlicht nahm es sich bedeutend aus. Das Großartige vielfältig zusammengedrängten Menschenlebens verfehlt doch nie seine Wirkung! Ich war von dieser Seite noch nicht nach Prag hereingekommen. Erst als ich am Stadthause die alte kunstreiche, gotisch verzierte Uhr wiedersah, kam mir die volle Erinnerung von meinem frühern Aufenthalt in Prag wieder. Die schöne Moldaubrücke hatte ich zuletzt um Mitternacht auf meinem Wege nach Italien überfahren, diesmal schimmerte alles im herrlichen Lichte der Abendsonne. Es wird sich in dieser Art doch schwerlich eine Brücke in Europa mit der Prager Brücke vergleichen können! Die alte, sonst in Ruinen liegende Maltheserkirche sah ich von außen wieder neu, doch etwas ungeschickt aufgeputzt. Eine noch sonderbarere Verwandlung einer Kirche fand ich indes im Posthause! Auf die Pferde wartend, ging ich auf der Flur des Posthauses auf und ab, als das eigene Licht des Hofs, wo die Postwagen eingeschoben waren, mich anregte, einige Schritte dorthin zu tun. Was war dieser Posthof? Ein Kirchenschiff; noch sah man die Pfeiler der Kirche, oben den Gang zum Chor; was sonst zu Kapellen führte, das waren jetzt Türen zu Expeditionen und dergleichen. Das Tageslicht fiel noch von oben durch die hohen, abwärts zugemauerten Kirchenfenster, daher der eigene Farbenton, der sich über diesen[10] Raum ausbreitete. Das Ganze wäre keine üble Aufgabe für einen Interieur-Maler gewesen. Ein Kirchenschiff als Gasthof, es wollte mich fast gemahnen, wie etwa ein Liebesbrief als Wechselbrief überschrieben! Ich mußte wieder über die schöne Brücke zurückfahren, sie war gedrängt voll von Spaziergängern; eine sonderbar eigentümlich sinnliche Physiognomie gewahrt man doch an den meisten dieser Leute. Mein Weg führt mich den steilen Berg zu der halb in Ruinen liegenden Burg hinauf und dort oben durch die letzten Festungswerke wieder ins Freie. Eine farbige Dämmerung sinkt herab, die Luft ist rein und kalt; ich bereite mich, die zweite Nacht zu durchfahren.


Am 2. August


Es war eine trübe Nacht. Als es eben Tag wurde, lag auf einer Anhöhe vor mir das alte Tabor, der von den Hussiten verschanzte Berg, wo sie dem kaiserlichen Heere Trotz boten, wo sie eine Stadt gegründet hatten und, indem sie sie Tabor benannten, von ihr wieder den Namen Taboriten empfingen. Auch hier war die Metamorphose neuerer Zeit unverkennbar, einige alte Mauertürme, von denen vielleicht Ziska einst kommandierte, hatten sich's gefallen lassen müssen, daß man sie anweißte, die Mauern daneben abbrach und Gärtchen und Gartenhäuser dort anlegte. Wollte man doch nur überall begreifen, daß so, wie dergleichen und überhaupt alles um uns her unaufhaltsam sich verwandelt, auch der Mensch in seinem Wollen und Verneinen, Lieben und Hassen, Leben und Streben stets von Zeit zu Zeit ein anderer wird, andere Bedürfnisse hegt und andere Verhältnisse fordert! – Von hier aus über manch hügelige Landstrecke in kaltem Nebelregen unter stillen innern Betrachtungen bis gen Budweis, wo ein helles Sonnenlicht die Wolken durchbrach und das heitere Örtchen heiter erleuchtete. Es ist manches[11] in der Baulichkeit hier, das an den Stil der Jesuiten erinnert: so der opulente hohe Brunnen auf dem Markte mit dem Simson und dem Löwen. Trotz allem Schnörkelhaften ist, was unter ihnen gebaut wurde, meistens in einem großen Sinne getan. Den ersten Ruhepunkt eines guten und schnellen, freilich ganz einsamen Diners auf dieser flüchtigen Reise hielt ich hier! Noch während die Pferde kamen, skizzierte ich ein Stückchen des Markts mit dem Brunnen, den Arkaden und dahinter sich gruppierenden Häusern, und wieder fort ging's dann über die Höhen nach Linz hin, der Eisenbahn folgend, welche (freilich nur für mit Pferden bespannte Wagen) sich dort in Schlangenlinien an den Anhöhen hinaufzieht. Die Gegend umher ist mannigfaltig und anmutig, und es fuhr sich in meinem leichten offenen Wagen, von mancherlei guten Büchern umgeben, ganz angenehm. Da hörte ich von weitem einen eigenen schrillenden Ton – es war eine Strohfiedel. Am Wege saß oder vielmehr kniete ein Mann, halb in Lumpen gekleidet, das Instrument gegen den Boden stemmend und spielend, nicht weit davon ein Wägelchen mit dürftigem Hausgerät, ein Kind, eine ältliche, elend aussehende Frau und neben ihr angebunden ein junges Schwein! Das Ganze nahm sich bei dem sonderbar schrillenden Klange auf der einsamen sonnigen Wiese seltsam aus, war es doch das geschlossene Bild eines ganzen kleinen menschlichen Daseins! Der Mann hatte übrigens ein hübsches mager-blasses Gesicht mit langem blondem Knebel- und Kinnbart! Was hätte unter andern Umständen vielleicht aus ihm werden können!


Am 3. August


Nur wenige Stunden hatte ich in Freistadt, nach zwei ganz durchfahrenen Nächten, dem Schlafe gegönnt, und beim ersten Morgengrauen fuhr ich durch dichte Frühnebel[12] zwischen den bewaldeten Höhen gegen Linz weiter. Der Weg schlingt sich dann durch mancherlei Täler zu einer Höhe hinan, und auf einmal treten die beschneiten Gipfel der Steirischen Alpen erst einzeln hervor, bis hinter Neumarkt auf einmal in herrlich reiner Morgensonne und unter weitem blauem Himmelszelt die ganze Kette dieser Gebirge bis zum Traunstein und weiter ins Salzburgische hinaus vor mir ausgebreitet liegt! Das Wetter hatte durch starken Schneeniederschlag in höhern Regionen eine Krisis bewirkt und sich auf lange geläutert, aller Rasen und alle Büsche und Bäume schimmerten von Tau, munteres Landvolk in seinen breiten runden Hüten war in den Feldern schon für die Ernte tätig, und wie ich so in der reinen Luft durch alle diese Herrlichkeit im offenen Wagen hindurchrollte, da wurde mir zum erstenmal wieder recht freudig zu Sinne, und mit frischerm Mute aller früher schon überstandenen Lebensmühen und Gefahren gedenkend, zog ich meines Weges vorwärts!

Ich konnte mich nicht satt sehen an diesen schön gezeichneten Alpen, in ihren runden, vollen, bläulichen Schatten und blitzenden Schneelichtern! Es liegt so etwas durchaus Genügendes, Klares in diesen alten Erhabenheiten der Erde!

Noch oft erschienen sie mir, immer hinter den nähern Höhenzügen wieder auftauchend, bis endlich auf der Höhe vor Linz sich nun auch das Donautal auftat, auch die Donau mit ihren Biegungen und Inseln sich zu allem andern Großen gesellte und die reiche Stadt und die Alpen zugleich im heitern Sonnenlicht dalagen!

Die Kette der Linzer Befestigungstürme, von welchen ich früher manches gelesen, machte sich schon von weitem, wie sie um die bebuschten Höhen vor der Stadt sich hinanzog, bemerklich, und bald fuhr ich nun über die lange hölzerne Donaubrücke in das Innere der Stadt ein. Wie[13] sehr hat hier nicht alles schon ein südliches, ein italienisches Ansehen! Lauter weiße hohe Häuser mit sehr niedrigen, wenn auch nicht ganz flachen und oft maskierten Dächern, kein Glasfenster sichtbar, sondern alle Fenster mit grünen Jalousien bedeckt, an welchen höchstens einige Chassis aufgeklappt hervorstehen, an vielen Fenstern eiserne Balkone, ich glaubte mich fast in Domodossola oder Como! Und welch gesunder, frischer Menschenschlag auf den Straßen sichtbar, einige sehr schöne Mädchengesichter (die Linzerinnen sind ja berühmt) begegneten mir schon auf der Brücke.

Ich fuhr nun durch fortwährend reiche mannigfaltige Voralpengegend bis Gmunden. Immer die in der Tiefe hinziehende blaugrüne Traun einerseits und den hohen Traunstein andererseits! Die Sonne sank, und gegenüber glühten die Kämme der Alpen im Spätrot. Seit zwei Jahren hatte mich ein Bild beschäftigt, wo hinter zwei mächtigen, innig verschlungenen Eichen eine im Abendrot verglühende Alpenkette sich hinzieht. Es war, als sollte ich hier diese Wirkung noch einmal sehen, bevor ich das Bild vollendete! Aber was sage ich von diesem Gmunden, unter breithin schattenden Nußbäumen am Ausfluß der Traun aus dem Traunsee gelegen! Welcher Anblick, schon von dem Wege, wo man zur Stadt und zur Brücke über die Traun herabfährt, zu diesem herrlichen Traunsee, dessen bläulicher Spiegel unter mildfarbiger Gegendämmerung zwischen schön gezeichneten Kalkalpen sich hinausdehnt! Hier wäre so ein Ort, um in schöner Jahreszeit monatelang ein erquickliches, inneres Leben förderndes, poetisches Dasein zu führen!

Der König, hieß es in Lambach, werde in Gmunden sein, um mit der Familie des österreichischen Kaisers einer großen Festlichkeit beizuwohnen, welche mit Lustfahrten auf dem See, Erleuchtungen und dergleichen begleitet[14] sein sollte; von alledem keine Spur! Und so denke ich mindestens die Nacht hier zuzubringen, um morgen früh gleich nach Ischl zu gehen, wo ja sämtliche hohe Häupter verweilen sollen.

Schon dunkelte der Abend nieder, und ich konnte nicht widerstehen, noch eine Strecke auf den See hinaus mich rudern zu lassen, um nach heißem Tage hier die anmutigste Kühlung zu atmen, während ringsumher die Gebirge in immer tieferes Dunkel sich hüllten und über und unter mir die Gestirne sich entzündeten. Ganz eigentümlich, ein Duodez-Neapel, liegt dies Gmunden mit seinen flachgedeckten weißen Häusern mit grünen Jalousien am Seeufer! – Die Fenster meines Zimmers im Gasthofe gehen auf den freien Platz vor dem Hause, und dieser Platz ist wieder gegen den See geöffnet! Noch spät atme ich am Fenster mildere erquickende Seeluft, von den Alpen herab über das Wasser herüberwehend; noch immer plätschern ein paar Ruder auf dem See – die Leute plaudern vor den Türen (auch hier ist ein feiner, wohlgebildeter Menschenschlag), und drüben von einer Landspitze am See steigen einige Raketen und romantische Lichter blitzend vor den dunkeln Bergwänden auf, während ihr Widerleuchten im See sich unter die widergespiegelten Sterne mischt.


Am 4. August


Welch köstlich reiner Morgen! Das erste Frührot erleuchtet die Felskanten der Alpen dahinten über dem bläulichen dampfenden See! Aber noch einen Blick – und fort!

Ich fuhr bis Traunkirchen immer längs der Ufer des Sees; welche Fülle von Bildern! Leichte holzerbaute Häuser von hohen Nußbäumen beschattet, üppige Vegetation auf dem Boden bis hinunter an die schilfigen Ufer des Sees. Ein kleines Schloß auf ein paar Felsblöcke in den See hineingebaut,[15] über welchen noch weiße Nebelstreifen sich breiten. Hinter alledem immer die gewaltigen Massen des Traunsteins und des an ihn sich anlehnenden Alpenzugs! So in steter Abwechslung fort bis Traunkirchen, wo auf einem scharfen umbuschten Felsvorsprunge die Kirche sich über das Holzwerk der Wohnungen erhebt und im See sich spiegelt.

Man schiebt meinen Wagen hier auf einen breiten Kahn, sechs Ruderer setzen das doppelsinnige Fahrzeug in Bewegung, und ich gleite in warmer Morgensonne über den grünen Spiegel des Sees bis hinüber nach Ebensee.

Das wenige, was ich im Herein- und Hinausfahren von Ischl sah, zeigte mir ein gewöhnliches, zwischen hohen mit Nadelholz bedeckten Bergwänden eingeschlossenes Örtchen, durch das neuerlich sehr in Aufnahme gekommene Bad mit vielen ganz netten, aber alltäglichen Häusern vermehrt. Aussicht auf die höhern Alpenkämme ist natürlich soviel als keine; an einer Stelle nur sieht man den Dachsteingletscher, und bei schlechtem Wetter mag daher auch in diesem Bade die Existenz trist genug sein!

Es war wieder heiße Mittagssonne, als ich den gewaltigen, den Pferden selbst bei meiner leichten Chaise zur langen Qual gereichenden Berg gegen Aussee hinanfuhr.

Nach endlich gewonnener Höhe tritt man in das Tal der Enns ein und ist in Steiermark. Ein schöner Menschenschlag! Als ich in Aussee beim Wechseln der Pferde in ein Wirtshaus trat, um mit einer Tasse Bouillon das übergangene Diner zu ersetzen, welch eine ausgezeichnete Mädchengestalt trat mir da entgegen, um mich zu bedienen! Voll, schön und schlank aufgewachsen wie eine junge Birke, ein Teint und eine Zartheit der Haut, die unsere Damen mit Gold erkaufen würden, wenn sie sie erlangen könnten, und welch schön gezeichnetes Gesicht! Mir fiel die Chocoladière Liotards von unserer Galerie dabei ein,[16] nebenbei so fein in ihren Bewegungen, eine wahre Huris eines mohammedanischen Paradieses – doch vorbei, vorbei!


Am 5. August


Die Nacht war klar und warm, fernes Wetterleuchten in Westen! Ein sonderbarer Kontrast, als ich in Rottenmann um Mitternacht auf dem Markte stand, die frischen Pferde erwartend: über mir schimmerten die lichten Sterne so rein, gegenüber gegenüber leuchtete rottrübes Licht aus einer Taverne, und während dorther in der stillen Nacht wüster Tanzlärm herüberscholl, zog vor der andern Seite eine große Herde echt ungarisches Hornvieh mit seinen Treibern heran und drängte sich in wunderlicher Hast in dieser gänzlichen Dunkelheit durch den Ort!


Am 6. August


Am klaren duftiger Morgen fahre ich dann in die gesegneten Fluren um St. Veit herein. Umher edle Bergformen, auf den Feldern wuchern Mais, Kartoffeln und Kürbis oft auf einem Acker zusammen, Wein rankt über die Mauern, schönes Vieh wandelt auf den Triften, nur die Menschen haben in Miene, Wuchs und selbst in der ungeschickten schwerfälligen Kleidung etwas Dumpfes. Nun nach Klagenfurt. Auch hier ist der König nicht, obwohl man ihn täglich erwartet, und so führt mich denn mein Weg über die breite reißende Drau zunächst dem gewaltigen Gebirgspaß des Leobel oder Leubell entgegen. Das Herauffahren mit vier starken Pferden an meiner leichten Chaise ging rasch genug, die Hitze war groß, und die blauen Schatten standen den ungeheuern Berg- und Felswänden oft ausnehmend gut. Zugleich änderte sich die Flora merklich, gelbe Salvien, Zyklamen, Alpen-Huflattich und der blaßgelbe Fingerhut blühten am Wege. Im ganzen fehlt indes immer noch, namentlich auf den Tälern der[17] Nordseite, das recht Alpenhafte, denn man vermißt die über die bewaldeten Gebirge aufragenden Gletscher und höchsten Felshörner. Nur an einzelnen Stellen lagen zwischen den obersten Klippen noch einzelne Schneefelder. Bedeutender wird alles schon auf der Südseite, dort sind die Abstürze schroffer, die grauen Felshörner (immer Alpenkalk) mächtiger, und der Hinabblick in das tiefe Tal und in die weite Ferne bis nach den Gebirgen gen Triest hin wird sehr großartig. Auch steigen nun die Spiralen der Weglinie scheinbar fast senkrecht hinab, und man schauert unwillkürlich, wenn man fühlt und sieht, wie der Wagen, von zwei Hemmschuhen und zwei Pferden gehalten, so rasch von einem Abschlage zum andern hinabschurrt. Unten im Tale rauscht ein starker Gebirgsbach blauen klaren Wassers, über die grauen und gelben Felsblöcke sprudelnd und schäumend, der Save zu. In Neumärktel am Wirtshaus zur Post sitzt das illyrische, nicht eben anmutige Gebirgsvolk in seiner meist schwärzen Tracht, sonntägig geputzt, zusammen und ist in slawisch-krainischer Mundart auf fast italienische Weise laut. Auch hier eilig weiter! Ich überschreite bei Krainburg die nun schon breit strömende blaue Save und komme durch heiter angebautes, oft schön bewaldetes Land, die Kärntner Alpen im Rücken, bei schönster Abendröte mit glänzendem Sichelmonde, zur Ansicht dieses endlichen Reiseziels, Laibach, welches mit seinem Kastell in weiter Ebene und vor einer Reihe höherer Waldberge recht stattlich im letzten Abendsonnenstrahl daliegt! Möge hier diese Irrfahrt glücklich enden, die von so manchen andern mindestens die unerwartetste war!


Laibach, 8. August


Die Tage vergehen mir hier natürlich fast ganz an der Seite meines Kranken. Ich konnte heute in das über seinen Gesundheitszustand ausführlich gehaltene Tagebuch[18] eine wichtige kritische Erscheinung eintragen und hoffe somit auf eine baldige entschiedenere Besserung. Schon seit einigen Tagen ist der König bei den warmen Abenden zwischen fünf und sechs Uhr etwas ausgefahren, und obwohl das Fieber noch nicht ganz verschwunden ist, kann man in diesem Klima eine solche Erquickung dem Kranken wohl gestatten. Ich fuhr daher gestern selbst mit ihm und fand ihn auch schon etwas heiterer als vorgestern. Ich selbst erfreute mich dieser südlichen, durch die Abendstunden angenehm gedämpften Wärme und dieser farbigern Beleuchtung. Besonders schön nahm sich, als wir zurückfuhren, das Abendlicht aus, wie es sich über die Stadt und den Burgberg verbreitete. Namentlich war das Grün des letztern von einer Klarheit und Dunkelheit, wie grüner Samt auf einem Bilde Tizians. Auch die Waldung hierherum hat einen eigenen Charakter! Den niedern Pflanzen und den Bäumen nach gleicht sie unsern Fichten- und Kiefernwäldern mit all ihrem Adlerfarnkraut, allein es hat doch schon alles ein volleres frischeres Ansehen; gute Kastanienbäume wachsen oft mitten unter den Kiefern, und die Schatten zwischen den Bäumen haben einen mildern Ton, auch fehlt die feuchte Kälte, die im Dunkel unserer Wälder, selbst an warmen Tagen, uns oft so belästigt.

So vergehen denn hier im ganzen die Tage wohl zuweilen etwas peinlich, doch richtet es mich bei dergleichen immer wieder auf, wenn ich dabei der alten Ritter gedenke, welche im Kampfe gegen die Sarazenen die stille Pflicht der Krankenpflege übten, oder es fällt mir der alte Konnetabel von Frankreich ein, der, mit Ludwig dem Heiligen im Gelobten Lande im dicksten gefährlichsten Gedränge kämpfend, seinen Gefährten zuversichtlich den Mut stählte, indem er ausrief: »Oh! Nous en parlerons encore devant les dames!«


[19] Laibach, 10. August


Der gestrige Tag brachte einmal eine reichere Mannigfaltigkeit. Früh, nachdem ich mit Professor Zschuber den König gesehen und mit Freuden mich von seiner fortschreitenden Besserung überzeugt hatte, begleitete mich Zschuber zunächst in sein Krankenhaus, das hiesige Zivilhospital. Ein ehemaliges vom Kaiser Joseph II. aufgehobenes Kloster hat das Lokal dazu hergegeben und ist zweckmäßig vergrößert und ausgebaut. Es gewährt zugleich der kleinen Medizinisch-Chirurgischen Akademie, welche hier besteht und an welcher Zschuber Professor der Klinik ist, die nötigen Hörsäle und ein anatomisches Theater. Die Krankensäle sind meist hoch, geräumig, reinlich und gegen Sommerhitze und Winterkälte gut geschützt. Zweierlei Krankheitserscheinungen waren mir dort merkwürdig: die erste ein »Brand der Alten«, an einer bejahrten kachektischen Frau, deren rechter Unterschenkel bereits unter heftigen Schmerzen völlig abgestorben, kaltbraun, lederartig eingetrocknet (mumisiert) war (wie sonderbar, daß wir unter unsern eigenen Augen zur Mumie werden können!), die andere, und zwar noch nie gesehene Erscheinung war die bösartige, in Dalmatien und Kroatien einheimische Flechte des »Scarlievo«. Man ist dort genötigt, noch eigene Hospitäler hiergegen, wie sonst gegen den Aussatz, zu errichten, und nur unter der kräftigsten Einwirkung gelingt die Heilung. Auch viel biliose und nervöse Wechselfieber, in ihrem Gange der Krankheit unsers Königs nicht unähnlich, fanden sich vor. Im ganzen können etwa 150 Kranke unterkommen, indes baut man noch zu. Auch Gebärhaus und Irrenhaus gehören zur Anstalt, letzteres ist ein kleines Gebäude und enthält etwa 20 Kranke, alle in besondern, durch Gittertüren auf einen gemeinsamen Korridor geöffneten Zellen bewahrt. Unter den Irren befand sich einer, der die fixe Idee gehabt[20] hatte, Scharfrichter zu sein, und dem daher die Lust anwandelte, mit der Axt umherzugehen und die ihm Begegnenden hinzurichten. Unter allem Dilettantismus wohl der gefährlichste!

Wir wendeten uns darauf zu dem nicht weit entfernt liegenden Militärhospital, wo uns die Behörden in militärischer Parade empfingen. Auch hier ist ein aufgehobenes Kloster und noch dazu ein Nonnenkloster! Das Lokal ist weniger günstig, die Luft nicht überall rein, die Verpflegung mit Kost (es wurde mir davon vorgelegt) nicht uneben bis auf den Wein, dem ich einen andern Namen gewünscht hätte. Das traurigste Krankheitsbild gab ein junger Mensch, am Heimweh leidend und dadurch in lebensgefährlichen dumpf nervösen Zustand versetzt. Umsonst hatte man ihm nun versichert, er sei frei und solle zu seinen Eltern zurückgebracht werden; es schien wenig Hoffnung für ihn mehr übrig! – Übrigens glaube ich mich noch um diese Spitäler verdient gemacht zu haben durch manche Fingerzeige über Heilmethoden einiger den Anstalten dieser Art oft zu besonderer Last gereichenden Krankheiten.

Das Museum [des Herzogtums Krain] befindet sich in dem Gebäude des Gymnasiums, und der mit der Kuratel des letztern beauftragte Domdechant Jarrin ermöglichte die Eröffnung desselben.

Auch dies, jenseits der Laibach, in der eigentlichen Stadt und unweit des Marktes gelegene Gymnasialgebäude ist ein ehemaliges Kloster, durch die vulkanische Erschütterung des kräftigen Willens Kaiser Josephs aus dumpfem Mönchtum zur Unterrichtsanstalt auferwacht. Schon in der Vorhalle des Museums sah man verschiedene auf die alte Geschichte dieser Stadt bezügliche römische und mittelalterliche Monumente eingemauert. Sei es daher bei dieser Gelegenheit gleich mit erzählt, daß Laibach nach[21] vielfältigen Forschungen schon einem hohen Altertume angehört. Man sagt, Jason, als er mit den Argonauten den Ister und die Save hinaufschiffte, habe es unter dem Namen »Hemone« gegründet, und der Fluß Laibach sei der »Nauportus« der Alten. Gewiß aber ist es, daß das heutige Laibach (italienisch Lubiana) die Kolonialstadt Aemona der Römer war, welches durch zahlreiche Grabsteine, Lampen, Münzen usw., die man hier ausgräbt, erwiesen wird. Unter den römischen Grabsteinen verschiedener Art fand sich auch ein späterer christlicher, mit hocherhabenem Brustbilde eines bärtigen Ritters, Kiesel von Kieselstein, welcher zur Zeit der Reformation, deren starker Verfechter er war, sich in diesen Gegenden um Verbesserung des Zustandes des Volks (so sagte selbst der Domdechant) mannigfaltig verdient gemacht hatte.

Was mich betraf, so fühlte ich mich im Innern schwermütig gestimmt. Es war so vieles da und fehlte doch so vieles! Die Gegend, so hübsch sie ist, hat durchaus die Bedeutung einer Übergangsgegend. Laibach ist die am südlichsten gelegene Stadt, wo noch deutsch gesprochen wird; ihrem Breitengrad nach (46°2' nördlicher Breite) sollte das Klima völlig italienisch sein, aber ihre beträchtliche Höhe (912 Fuß über dem Adriatischen Meere) wirkt wieder störend ein und bedingt die vorherrschende Nadelwaldung. So ist denn die südliche Sonne da, aber Pinien, Feigen, Zypressen und Wein suchst du vergebens; der Himmel kleidet sich in mildere Farben, doch in den Gesichtern wie in den Wohnstätten der Menschen regt sich kein Funken von Kunstsinn. Selbst die hohen Alpenzüge in der Nähe, so schön oft ihr Farbenschimmer – ihre Zeichnung stimmt nicht zu den Formen, die uns im Nahen umgeben; kurz, ich fühlte mich einsam, unbefriedigt, keine Stimmung so wenig als irgendeine Lust zum Zeichnen dieser Formen wollte kommen. Erst später[22] abends, als ich wieder auf der Galerie unsers Hauses einsam stand und über die Dächer und den fernen Waldhügel in das köstliche, in reinsten Farben ersterbende Abendrot sah und mir höher oben im purpur-geröteten Blau das blanke Gold des wachsenden Mondes leuchtete, wurde es mir heimatlicher zumute.

Quelle:
Carus, Carl Gustav: Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten. 2 Bände, 2. Band. Weima 1966, S. 9-23.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon