Achtzehnter Gesang.

[89] Arjuna sprach


Der Entsagung Wesen wünsch' ich zu kennen, o Großarmiger,

Und des Verzichtes Wesen auch; erkläre sie gesondert mir!


Der Erhabene sprach


Entsagt man wunscherzeugter Tat, so wird Entsagung das genannt;

Verzicht auf aller Taten Frucht, das nennt Verzicht der Weisen Schar.

Gib auf das Tun, als eine Schuld! so sagen ein'ge Denker uns;

Das Opfern, Spenden, Bußetun gib nicht auf! sagen andere.

Höre meine Entscheidung hier von dem Verzicht, du Trefflichster!

Der Verzicht, o du Manntiger, wird als dreifältiger gerühmt.

Das Opfern, Spenden, Bußetun gib nimmer auf, nein, führ es aus!

Denn das Opfer, Spend' und Buße, sie läutern den Verständigen.

Doch muß man diese Taten tun, nachdem man auf das Hängen dran

Und auf Erfolg verzichtet hat, – den höchsten Standpunkt nenn' ich das.

Entsagung der notwend'gen Tat, die wäre übel angebracht;

Unterlassung bloß aus Torheit zählt man zur Art der Finsternis.

Wenn man aus Furcht vor Leibesmüh die Tat aufgibt, weil sie beschwert,

Das ist die Art der Leidenschaft – solch ein Verzicht bringt keine Frucht.

Doch tut man die notwend'ge Tat, nur denkend: »So ist's meine Pflicht!«

Aufgebend Neigung und Erfolg – solch ein Verzicht ist Guter Art.

Nicht haßt ein unerfreulich Werk, noch hängt an dem erfreulichen

Der Verständge, der verzichtet, erfüllt von Güte, zweifelfrei.

Nicht möglich ist's, im ird'schen Leib, aufzugeben jedwede Tat,[90]

Doch wer die Frucht der Tat aufgibt, der heißet ein Verzichtender.

Erwünscht, gemischt und unerwünscht – dreifält'ge Frucht der Tat erlangt

Der Nichtentsagende, im Tod – doch niemals der Entsagende.

Vernimm nun, du Großarmiger, die fünf Prinzipien noch von mir,

Die die Sânkhya-Lehre1 kündet, zur Vollendung jedweden Tuns:

Ein Standort und ein Handelnder2 und Organe verschiedner Art,

Mancherlei besondres Streben, das Schicksal als das fünfte noch.

Welches Werk mit Körper, Rede und Gedanken der Mensch beginnt,

Sei es nun richtig, sei's verkehrt, die fünf Prinzipien sind dabei.

Wer darum also sich allein für den Täter der Taten hält,

Infolge seiner Unbildung, der sieht nicht recht und ist ein Tor.

Wer kein selbstsücht'ges Wesen hat, wessen Geist nicht beflecket wird,

Ob alle Welt er tötet auch, tötet doch nicht, wird nicht verstrickt3.

Wissen, Wissenswürd'ges, Wisser – dreifach der Antrieb ist zur Tat;

Werkzeug, Handelnder und Handlung, – dreifach der Inbegriff der Tat.

Wissen, Tat sowie auch Täter sind dreifach nach der Qualität;

Die Qualitätenlehre zeigt's; nun höre, wie sich das verhält:

Wodurch in allen Wesen man das eine, ew'ge Sein erblickt,

Ungeteilt in den geteilten – solch Wissen ist von guter Art.

Doch wenn in allen Wesen man verschiedne Wesenheiten sieht,

Ganz für sich und streng gesondert – so sieht die Leidenschaft es an.

Doch hängt das Denken ohne Grund an einem Ding, als wär's das All,

Der Wahrheit nicht gemäß, beschränkt – das ist die Art der Finsternis.

Die pflichtgemäße Tat, die frei von Weltlust, Leidenschaft und Haß

Getan ist ohne Rücksicht auf Erfolg – die ist von guter Art.

Doch wenn, getrieben von Begier, von Ichbewußtsein ganz erfüllt,

Hart sich mühend die Tat man tut – das ist die Art der Leidenschaft.

Wenn, ohne Rücksicht auf die Kraft, auf Folgen, Schädigung, Verlust,

Blindlings die Tat begonnen wird – das ist die Art der Finsternis.

Frei von Weltlust, nicht sich prahlend, voll Festigkeit und Energie,

Gleich bei Erfolg und Mißerfolg – solch einen Täter nennt man gut.[91]

Wer Erfolg begehrt, habsüchtig, andre verletzend, unrein ist,

Bald froh, bald traurig – der gehört dem Reich der Leidenschaften an.

Wer fahrlässig, gemein und frech, heimtückisch, hinterlistig, faul,

Feig, saumselig – solch ein Täter gehört zum Reich der Finsternis.

Auch den dreifachen Unterschied des Verstands und der Festigkeit

Vernimm, je nach der Qualität, ganz klar gelegt, jedes für sich.

Der, was zu tun, zu lassen ist, Gefahr sowie auch Sicherheit,

Verstrickung wie Befreiung recht erkennet, der Verstand ist gut.

Der das Recht sowie das Unrecht, was zu tun und zu lassen ist,

Nicht recht erkennt, solcher Verstand gehört zum Reich der Leidenschaft.

Wenn er das Unrecht hält für Recht, die Dinge ganz verkehrt ansieht,

Ganz umnachtet, solcher Verstand gehört zum Reich der Finsternis.

Die Festigkeit, mit welcher man Herz und Sinne und Lebenskraft

In Andacht unverrückt festhält, das nenn' ich gute Festigkeit.

Die Festigkeit, mit welcher man, was recht, nützlich und angenehm,

Liebend, fruchtbegehrend, festhält, gehört zum Reich der Leidenschaft.

Die Festigkeit, mit der ein Tor Schlaf, Furcht, Trauer, Kleinmütigkeit

Und Übermut nicht fahrenläßt, gehört zum Reich der Finsternis.

Nun höre vom dreifachen Glück durch mich, du bester Bhârata!

Wo man ruht nach ernster Arbeit und an der Mühsal End' gelangt,

Glück, das am Anfang Gift erscheint, am End' dem Nektar ähnlich ist,

Ein solches Glück ist wahrhaft gut, durch Geistesheiterkeit erzeugt.

Ein Glück, das anfangs nektargleich, am Ende doch als Gift sich zeigt,

Die Sinne fesselnd an die Welt, gehört zum Reich der Leidenschaft.

Glück, das gleich und in der Folge die Seele mit Verblendung schlägt,

In Schlaf, Faulheit, Nachlässigkeit – solch Glück gehört zur Finsternis.

Nicht auf Erden, noch im Himmel, unter den Göttern etwa gibt's

Ein Sein, das von der Qualität, der natürlichen, völlig frei.

Was Priester, Adlige und Volk, auch was die Çûdras4 tun, mein Freund,

Die Taten alle sind verteilt nach Qualitäten ihrer Art.

Ruhe, Selbstbeherrschung, Buße, Reinheit, Geduld und Redlichkeit,[92]

Rechtes Wissen und Gläubigkeit ist Priesters Pflicht, nach seiner Art.

Heldenmut, Kraft und Festigkeit, Geschick im Kampf, Furchtlosigkeit,

Spenden und rechtes Herrentum ist Adels Pflicht, nach seiner Art.

Viehzucht, Ackerbau und Handel ist Volkes Pflicht, nach seiner Art,

Im Dienen bloß besteht die Pflicht für den Çûdra, nach seiner Art.

Wer Freude hat an seiner Pflicht, der Mann erlangt Vollkommenheit;

Wie man, seines Tuns sich freuend, Vollendung findet, höre das!

DEN, von dem die Wesen stammen, von dem das All geschaffen ist,

DEN durch seine Taten ehrend, erlangt Vollendung hier der Mensch.

Wie sie auch sei, die eigne Pflicht ist besser stets als fremde Pflicht;

Bleibt man treu dem eignen Wesen, dann bleibt man frei von aller Schuld.

Tat, die mit dir geboren ist5, wenn sie auch sündig, gib nicht auf!

Von Sünde ist doch alles Tun wie das Feuer vom Rauch umhüllt6.

Wer mit dem Geist an nichts mehr hängt, sich selbst besiegt und nichts begehrt,

Zur Vollendung der Tatfreiheit7 kommt er durch der Entsagung Kraft.

Wie er nach der Vollendung auch das Brahman noch erreicht, hör an!

In Kürze will ich's künden dir, es ist des Wissens höchster Stand.

Mit gereinigtem Geist versehn, sich bezähmend mit Festigkeit,

Verzichtend auf die Sinnenwelt, Neigung und Haß abwerfend ganz;

Einsam lebend, wenig essend, bezähmend Worte, Leib und Geist,

Ganz Andacht und Kontemplation, der Entsagung ergeben ganz;

Selbstbewußtsein, Gewaltsamkeit, Stolz, Zorn, Begierde und Besitz

Aufgebend, selbstlos, friedevoll – so wird er reif zum Brahman-Sein.

Brahman-geworden, heitern Geists, trauert er nicht und wünschet nicht,

Gegen alle Geschöpfe gleich, faßt höchste Liebe er zu mir.

Durch die Liebe erkennt er mich in Wahrheit, wer und wie ich bin;

Hat er in Wahrheit mich erkannt, kommt er zu mir ohn' Aufenthalt.

Auch wenn er alle Taten stets ausführt, – auf mich vertrauend ganz,

Erlangt durch meine Gnade er eine ewige feste Statt.

Im Geiste alles Tun auf mich hinwerfend, mir ergeben ganz,[93]

Auf des Geistes Andacht bauend, denke beständig nur an mich.

Mein denkend, die Gefahren all durch meine Gnade du besiegst;

Doch wenn du, allzu selbstbewußt, mein Wort nicht hörst, gehst du zugrund.

Wenn du in deinem Eigensinn etwa »ich will nicht kämpfen!« denkst,

Vergeblich ist dann dein Entschluß – es wird dich treiben die Natur.

Gefesselt durch die eigne Pflicht, wie sie aus deiner Art entspringt,

Wirst, was du töricht nicht gewollt, du wider Willen dennoch tun.

Im Herzen aller Wesen drin wohnet der Herr, o Arjuna!

Er bewegt wie im Puppenspiel die Wesen alle wunderbar.

Bei ihm such' deine Zuflucht du mit ganzer Seele, Bhârata!

Durch seine Gnad' erlangst du dann höchsten Frieden und ew'gen Stand.

Ein Wissen hab ich dir vertraut, das noch geheimer als geheim;

Nachdem du's ganz erwogen hast, verfahre weiter, wie du willst.

Doch das Allergeheimste noch vernimm von mir, das höchste Wort,

Du bist mir teuer, überaus, darum verkünd' ich dir das Heil.

Mein gedenkend, mich verehrend, mir opfernd, beuge dich vor mir!

Zu mir dann kommst du! Wahrheit ist's, was ich versprech' – du bist mir lieb.

Alle Satzungen aufgebend, such' mich allein als Zufluchtsort!

Von allen Sünden werd' ich dann dich erlösen – sei unbesorgt!

Doch künde niemals dieses Wort dem, welcher keine Buße tut,

Der mich nicht ehrt, auf mich nicht hört, wider mich murret fort und fort.

Wer dies geheimnisvolle Wort meinen Verehrern weitergibt,

Höchste Verehrung zollend mir, der kommt zu mir ganz zweifellos.

Ja, keiner von den Menschen all tut Liebres mir, als solch ein Mann!

Kein andrer wird auf Erden mir drum lieber sein als eben der.

Und wer dies heilige Gespräch zwischen uns beiden sich einprägt,

Mit des Wissens Opfer ehret mich ein solcher – so denke ich!

Der Mann auch, welcher glaubensvoll dies hört und nicht dawider murrt,

Auch der wird als Erlöster wohl die reine Welt der Frommen schaun.[94]

Hast du's gehört, o Prithâ-Sohn, mit ganz davon ergriffnem Sinn?

Und ist dir der Unwissenheit Betörung nun dadurch zerstört?


Arjuna sprach


Die Torheit ist durch dich zerstört, Erinnrung ist mir aufgewacht,

Ich stehe fest, der Zweifel schwand, – ich werde tun nach deinem Wort.


Sanjaya sprach


So hab' ich dies Gespräch gehört, das wunderbar' entzückende,

Zwischen Krishna Vâsudeva und dem hochherz'gen Prithâ-Sohn.

Durch Vyâsas Gnade hörte ich dieses geheime, höchste Wort,

Von Krishna, der leibhaftig dort von Andacht sprach, der Andachtsherr.

Immer wieder mich erinnernd an dies Gespräch, so wunderbar,

Das heil'ge, das ich dort gehört, freu' ich mich immer, fort und fort.

Immer wieder mich erinnernd der wunderbaren Gottgestalt,

Erfaßt gewalt'ges Staunen mich, und ich freue mich fort und fort.

Wo Krishna weilt, der Andachtsherr, und der Schütze, der Prithâ-Sohn,

Da ist Glück, Sieg und Gedeihen, so glaub' ich, unerschütterlich!

1

Die auf Reflexion gestützte Lehre, von der schon öfters die Rede war. Ich habe an dieser Stelle die indische Bezeichnung Sânkhya-Lehre beibehalten, weil hier wie im Vorausgehenden die dem späteren Sânkhya-System so überaus charakteristische Lehre von den drei Qualitäten bereits so stark ausgeprägt hervortritt.

2

Unter dem Standort ist der Körper verstanden, unter dem Handelnden die empirische individuelle Seele.

3

So hart dies auch klingt, geht es doch nicht nur auf den Fall des Arjuna, sondern stimmt im Grunde auch mit unseren Anschauungen überein: Der Soldat, der in der Schlacht seine Pflicht tut, wird auch von uns nicht als ein Mörder betrachtet.

4

Es sind dies die vier alten Kasten der Inder. Unter »Volk« wird die Gesamtheit der arischen Inder verstanden, sofern sie nicht Priester (Brahmanen) oder Adlige (Ritter, Krieger) sind. Die Çûdras sind nichtarische Inder, welche sich aber dem System der brahmanischen Lebensordnung gefügt haben und nun als unterste, dienende Kaste gezählt werden.

5

D.h. die Taten, zu welchen ein jeder durch seine Geburt in dieser oder jener Kaste verbunden und verpflichtet ist, seinem Wesen entsprechend.

6

Ich erinnere hier an das tiefsinnige Wort Goethes: Der Handelnde hat immer unrecht, nur der Betrachtende hat recht.

7

D.h. zur höchsten Vollendung, welche in der völligen Befreiung von den Taten, resp. den Fesseln der Taten, besteht.

Quelle:
Bhagavadgita: Des Erhabenen Sang. Jena 1959, S. 89-95.
Lizenz:

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