Abschied der verwittweten Fürstin Tschuāng-kiāng von der geliebten Nebenfrau Tái-kuei.1

[94] Schwalb' und Schwalbe fliegen aus,

Ungleich in den Flügelschlägen.

Die Geliebte zieht nach Haus,

Weit mit ging ich auf den Wegen;

Schau' mich um, seh' sie nicht mehr,

Weine Thränen gleich dem Regen.


Schwalb' und Schwalbe fliegen aus,

Aufwärts, abwärts in die Weite.

Die Geliebte zieht nach Haus,

Weithin ging ich ihr zur Seite;

Schau' mich um, seh' sie nicht mehr,

Stehe lang' und weine sehr.


Schwalb' und Schwalbe fliegen aus,

Zwitschern droben und danieden.

Die Geliebte zieht nach Haus,

Weithin ging ich mit gen Süden;

Schau' mich um, seh' sie nicht mehr,

Fühle Gram im Herzen sieden.
[95]

O die edle Tschúng war redlich,2

Und ihr Herz war tief und treu.

Immer war sie sanft und freundlich,

Lauter und voll edler Scheu.

Des geschied'nen Herrn Gedächtniß

Bot sie stets der Wittwe neu.

1

Tschū-hī sagt: »Tschuāng-kiāng hatte keinen Sohn, da nahm sie Huân, den Sohn der Tái-kuēi aus Tschhîn, als ihren Sohn an. Als der Fürst Tschuāng gestorben, folgte ihm Huân in der Würde. Tschēu-hiü der Sohn einer niedriggeborenen Favoritin, todtete ihn, darum kehrte Tái-kuēi nach Tschhîn zurück und Tschuāng-kiāng gab ihr das Geleit. Da machte sie dieses Lied«.

2

Tschung heißt eigentlich »die zweite Schwester«. Es war der unterscheidende Beiname der Tái-kuēi geworden.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 94-96.
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