Berückt, entführt und betrogen.

[132] Ein roher hergelaufner Fant,

Der Seide tauschte für Gewand

Kamst nicht als der da Seid' erstand,

Du kamst, daß mich dein Antrag band,

Mit über'n Khî an deiner Hand

Zu kommen nach Tún-khiēu in's Land.1

Nicht ich war's, die die Zeit mißkannt;2

Für dich warb Keine, die's verstand.

Ich bat dich, nicht erzürnt zu sein,

Und hatt' als Zeit den Herbst erkannt.


Ich 'stieg die Mauertrümmern an,

Um auszublicken nach Fŭ-kuân.3

Da ich nicht schauete Fŭ-kuân,

Da brach ein Thranenstrom sich Bahn;

Doch da ich schauete Fŭ-kuân,

Da lacht' ich auf, da hub ich an:

»Dein Zeichen, dein erfragtes Loos

Hat keinen schlimmen Spruch gethan.

Mit deinem Wagen komm herbei.

Mit meinem Gut kam ich heran.«4
[133]

Eh' sich der Maulbeerbaum entlaubt,

Wie fastig glänzt sein Blätterhaupt!

O weh dir, Lachetaube, ach,

Iß von den Beeren nicht, den süßen!

O weh dir jungem Weibe, ach,

Geh nicht zum Mann, die Lust zu büßen!5

Der Mann, der seine Lust gebüßt,

Vermag es wieder gutzumachen;

Das Weib, das seine Lust gebüßt,

Vermag es nimmer gutzumachen.


Wenn sich der Maulbeerbaum entlaubt,

Vergilbt er und entblättert sich.

Von meinem Einzug an bei dir,

Drei Jahre speist' ich kümmerlich.

Mag nun der Khî geschwollen sein,

Den Wagenvorhang taucht' ich drein.6

Dein Weib ging keine Wandlung ein:

Du machtest deinen Weg zu zwei'n;

Du warst es, der kein Ziel besaß,

Und zweifach, dreifach Tugendmaaß.


Drei Jahre lang war ich dein Weib,

Und nie war mir das Haus zur Last;

Früh stand ich auf, spät schlief ich ein,

Und hielt am Morgen keine Rast;

Was ich verheißen ward erfüllt,

Bis daß du mich mißhandelt hast.

Die Brüder wissen nichts davon,

Verlachten mich wol höhnisch fast.

Stillschweigend denk' ich drüber nach,

Von Mitleid mit mir selbst erfaßt.
[134]

Ich sollte altern neben dir, –

Nun macht mich alt mein Jammerstand.

Der Khî, er hat doch seinen Strand,

Die Ebne hat doch ihren Rand.

Als ich noch froh mir Locken wand,

Uns Red' und Lächeln hold verband,

Dein Treugelübd' im Frühroth stand,

Fiel mir nicht ein, daß je sich's wandt';

Daß so sich's wandt', fiel mir nicht ein, –

Und das, ach, muß sein Ende sein!

1

Tün-khiēu ist der Name einer Landschaft.

2

Sie hatte die Heirath nicht zu einer herkömmlich unpassenden Zeit schließen wollen, was ihm eine erfahrene Freiwerberin vorher gesagt haben wurde.

3

Sein Unmuth hat sie veranlaßt sich dennoch nach Fŭ-kuân, dem Wohnort des Mannes, aufzumachen.

4

Das »Zeichen«, pŭ, aus den Sprüngen der Schale einer gerösteten Schildkrötenschale; das »Loos«, aus gerupften Blättern des Schi-Krautes, unserer Schafgarbe, entnommen.

5

Lachtauben sollen begierig Maulbeeren fressen, sich damit aber vergiften.

6

Nach dem dritten Jahre davonzufahren, hält das Hochwasser des Khî sie nicht ab, obgleich es die Vorhänge des Frauenwagens benetzt.

Quelle:
Schī-kīng. Heidelberg 1880, S. 132-135.
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