Erstes Brâhmaṇam.

[859] Das Bráhman erschuf in einer Lotosblume den Brahmán. Dieser erwog: »Welches ist das eine Wort, durch das alle Wünsche erlangt, und alle Welten, Götter, Veden, Opfer, Opferlohne, alles Bewegliche und Unbewegliche gewusst wird?« – Und er übte Tapas. Nachdem er Tapas geübt, sah er jene Silbe, welche aus zwei Schriftzeichen und vier Moren besteht, welche allbefassend, allbeherrschend, allezeit neu, das Brahman ist. Da erlangte er alle Wünsche, alle Welten, Götter, Veden, Opfer, Reden, Opferlohne, alles Bewegliche und Unbewegliche.

Durch das erste Schriftzeichen erkannte er das Wasser (âpas) und die Befassung (âpti); durch das zweite das Feuer und das Licht.

Die erste Mora, der a-Laut, ist die Erde und das Feuer, die Pflanzen, der Ṛigveda, bhûr, die Gâyatrî, das neunfache[859] Sâman, der Osten, der Frühling, und in bezug auf das Selbst die Sprache, die Zunge und das Reden.

Die zweite Mora, der u-Laut, ist der Luftraum und der Wind, [der Yajurveda], bhuvar, die Trishṭubh, das fünfzehnfache Sâman, der Westen, der Sommer, und in bezug auf das Selbst der Odem, die Nase und der Geruch.

Die dritte Mora, der m-Laut, ist der Himmel und die Sonne, der Sâmaveda, svar, die Jagatî, das siebzehnfache Sâman, der Norden, die Regenzeit, und in bezug auf das Selbst das Licht, das Auge und das Sehen.

Die vierte Mora, der Anusvâra, ist das Wasser und der Mond, der Atharvaveda, janas, die Anushṭubh, das siebenundzwanzigfache Sâman, der Süden, der Herbst, und in bezug auf das Selbst das Herz, das Wissen und das Gewusste.

Der Nachhall ist die Vedâ ga's, Schöpfung und Vergang, die Vedagespräche, die grossen Sprüche, die Upanishad's, die Vedavorschriften, die sieben Vyâhṛiti's, die sieben Töne, und[860] Kunst, Tanz, Rede und Musik; und die Lieder des Citraratha und der übrigen [Gandharven]; der Blitz, die Ḅrihatî, das dreiunddreissigfache Sâman, die obere Himmelsrichtung, die vier Monate der übrigen Jahreszeiten, und in bezug auf das Selbst das Ohr, die Stimme und das Hören.

Dieser Praṇava, die eine Silbe, entstand vor dem Tapas, ist das Brahman, der Same des Veda; aus diesem Praṇava sind alle Mantra's entsprungen.

Und dieses ist das Werk des Praṇava: wenn man die Mantra's ohne Tapas, Lehrerdienst oder zu verbotener Zeit studiert, so wird ihre Kraft geschwächt und sie haften nicht; durch den Praṇava aber, welcher die Essenz des Atharvaveda ist, erhalten sie ihre Kraft zurück und haften wieder. Und wie ein Kind bei der Geburt, wenn es unglücklich liegt, die Mutter tötet, und wenn es glücklich liegt, sie befreit, so gehen durch den Praṇava beim Studium die Mantra's glücklich vonstatten und haften, und beim Opfer werden durch den Praṇava die Opfer ohne Fehler.[861]

Darum heisst es: »Der Praṇava ist die eine Silbe, welche sie am Anfange jeder Opferhandlung und am Schlusse derselben aussprechen.«


Des Hymnus Laut im höchsten Himmelsraume,

Auf dem gestützt die Götter alle thronen,

Wenn man den nicht kennt, wozu hilft der Hymnus dann? –

Wir, die ihn kennen, haben uns versammelt hier.1


Dieser »Laut« ist der Praṇava.

Wer nun einen Wunsch hat, der möge drei Nächte Enthaltsamkeit üben, auf Streu schlafen und nach Osten gerichtet schweigend sitzen und in jeder Nacht tausendmal des Praṇava gedenk sein; dann wird er das Gewünschte erhalten und die Frucht seines Opferwerks erlangen.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 859-862.
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