Drittes Brâhmaṇam.

[863] [Den Prajâpati] befragten sie in betreff des Om-Lautes:

1. Welches ist seine Wurzel (prakṛiti)?

2. Welches seine Aussprache?

3. Womit geht er den Sandhi ein?

4. Soll man ihn als männlich, weiblich oder sächlich behandeln?

5. Ist er Singular, Dual oder Plural?

6-13. Kann man ihn in die Kasusbeziehungen: 6. »ihn«, 7. »von ihm«, 8. »mit ihm«, 9. »in ihm«, 10. »durch ihn«, 11. »aus ihm«, 12. »ihm« setzen? 13. und durch welche Suffixe werden diese Beziehungen an ihm bezeichnet?

14. Ist er in leisem, mittlerem oder lautem Ton zu sprechen?

15. Wird sein Sinn durch Vorsetzung eines Lautes [z.B. in çom, oben S. 220] verändert, und können seine Laute [z.B. bei Plutierung, oben S. 728, oder durch Vertauschung des Anusvâra m gegen m mit Virâma] modifiziert werden? [Der Sinn ist unsicher, da die Antwort nur unvollständig erfolgt.][864]

16. Welches ist seine Auslegung? was ist nach ihm, und wonach ist er gestaltet?

17-21. Wie viele Mâtrâ's hat er? wie ist er zusammengesetzt? wie viele Zeichen hat er? wie viele Laute? von was ist er gefolgt?

22. Mit welchem Organ wird er ausgesprochen?

23a. Wie wird er ausgesprochen? 23b. und wie wird seine Aussprache gelehrt?

24. Welches ist sein Versmass?

25. Welches ist seine Farbe?

26. Welches ist seine Hauptwirkung?

27. Wie vielfach wird er ausgesprochen?

28. Welche Erzählung dient dem als Erklärung?

29. In welchem Laute [von Om] ist der Ṛigveda, in welchem der Yajurveda, in welchem der Sâmaveda?

30. Warum sprechen die Vedastudierenden den Praṇava vorher aus?

31. Welches ist seine Gottheit?

32. Welches ist die rechte Zeit, ihn zu sprechen?[865]

33. Welches ist die Erklärung seiner Laute?

34. Welches ist seine Stätte (loka)?

35. Und welches ist die Stätte, in der er entsprungen?

36. Mit welchem, in dem Leibe, ist er verbunden?

Prajâpati sprach: Diese sechsunddreissig Fragen trennend, will ich den Praṇava erklären.
[866]

1. Seine Wurzel ist ap, nach andern av; nach ersterem umgibt er (âpnoti), nach letzterem ernährt er (avati). Aber das Umgeben ist mehr als das Ernähren; und ap (das Wasser) heisst so, weil es, wie Brahman, alles umgibt.

2. Seine Aussprache ist verbunden oder getrennt; mag man die Buchstaben einzeln oder zusammen aussprechen, so gibt es denselben Sinn.

3. Die Laute, mit denen er den Sandhi eingeht (a, â), verlieren ihre Aussprache, behalten aber ihre Bedeutung (Pâṇ. 6,1,95).

4. Er erleidet keinen Unterschied in der Aussprache als männlich oder weiblich, (wird mit lauter Stimme gesprochen3) und kann eben wohl mit einem männlichen, weiblichen oder sächlichen [Adjektiv] verbunden werden.

5. (Die Antwort ist in 23. eingeschoben).

6-13. Man kann ihn in die Kasusbeziehungen 6. »ihn«, 7. »von ihm«, 8. »mit ihm«, 9. »in ihm«, 10. »durch ihn«, 11. »aus ihm«, 12. »ihm« setzen; 13. in allen diesen Fällen bleibt er derselbe (ohne Suffix).[867]

14. (Die Antwort ist in 23. eingeschoben).

15. (Die Antwort ist in 23. eingeschoben).

16. Das a (in ap »Wasser«) wird zu o, und das p zu m, und aus diesen beiden Zeichen ist der Laut o-m gestaltet.

17-21. Seiner Mâtrâ's sind drei, a, u, m. Mit drei Nachhallen (mad = nâda?) wird er gesprochen (oben S. 728). Der Nachhall ist an ihm das vierte Element. So besteht er aus 31/2 Mâtrâ's.

22. Mit den Lippen wird er ausgesprochen.

23a. Bei o wird die Kehle erweitert, bei m werden die Lippen geschlossen; – (Antwort auf 19:) seiner Zeichen sind zwei, nicht eines; – (Antwort auf 15:) die Anfügung des Virâma ändert seinen Sinn nicht; – (Antwort auf 14:) er kann in leisem, mittlerem oder lautem Tone gesprochen werden; – (Antwort auf 5:) er kann als Singular, Dual und Plural gebraucht werden. 23b. Also haben die Altvordern ihn ausgesprochen und überliefert, so dass die Schüler solcher Fragen nicht bedurften; denn sie wussten, dass man doch nur vom Hören seine Aussprache lernen kann.

Nun war unter den Späteren in Kanyakubja der gelehrte »Anheh«, der sich mit den Weisen über derartige Fragen unterredete.[868] Und er befragte die Ṛishi's: »Welches ist die Art, den Praṇava schlecht auszusprechen, dass man weiss, er sei schlecht ausgesprochen; und welches ist die Art, von der man sagt, er sei richtig ausgesprochen?« [Und sie antworteten:] »Sechs Eigentümlichkeiten sind bei seiner Aussprache: der Ort seiner Aussprache, die Art, die Richtigkeit, die Masse, die Zeit und die Werke, bei denen er zu sprechen. Für diese preisen sie den Sprechenden. Wer aber diese sechs nicht weiss, kann den Praṇava nicht richtig aussprechen.«

24. Sein Versmass ist die Gâyatrî; denn diese sprechen die Götter in einem Worte aus.

25. Seine Farbe ist weiss (vgl. oben S. 722. 727).

26. Die Art seines Wirkens ist, dass er zu Anfang ausgesprochen wird.

27. Zweifach, so lautet die Antwort [wird der Om-Laut ausgesprochen, nämlich erstlich (wenn wir die Stelle richtig verstehen) in Gestalt der vier Vyâhṛiti's, zweitens als der Praṇava]. I. Da sind die Mantra's, die Vidhi's und das Brahman als Teile der Veden, nämlich des Ṛigveda, Yajurveda, Sâmaveda; dazu der Atharvaveda, dessen Glorie (mahiman) der Praṇava ist. Nämlich die Glorie der vier Veden ist, was zu Anfang derselben ausgesprochen wird. Dieses sind vier[869] Worte: om zu Anfang des Atharvaveda, bhûr des Ṛigveda, bhuvar des Yajurveda, svar des Sâmaveda. II. Aber die Glorie von allen ist om, sofern es zu Anfang aller vier Veden gesprochen wird; wo nicht, so wird ihre Kraft geschwächt, und sie bringen keine Frucht.

28. Nach Ablauf des Satyam und der Tretâ, zu Anfang des Zeitalters Dvâparam erwogen die Ṛishi's: »Jetzt werden sie ohne genügende Kenntnis des Ṛig-, Yajur- und Sâmaveda opfern, und ihr Werk wird mangelhaft und ohne Frucht sein; wie darf die Werke solches Unheil treffen?« – Da gerieten sie in Furcht; denn die Altvordern hatten darüber nichts hinterlassen, was zu tun sei, wenn die Veden fruchtlos werden sollten. Und sie sprachen: »Wohlan! lasst uns alle samt zum verehrungswürdigen Atharvan gehen und ihn bitten, dass er uns Furchtlosigkeit verleihe und uns darüber belehre.« Und sie bedachten: »Wie wird er zu uns reden, wenn wir ihm nicht in Unterwürfigkeit nahen?« Und sie gingen hin und nahten ihm in Unterwürfigkeit. Aber Atharvan, nachdem er sie als Schüler aufgenommen, sprach zu ihnen: »Jenes grosse Wort, welches zu Anfang des nach mir benannten Veda[870] steht, das sprechen meine Schüler zu Anfang des Studiums aller Veden aus; dadurch werden die Mantra's der Veden fruchtbringend. Wenn ihr nun bei den Werken eurer Veden den Anfang des Atharvaveda nicht sprecht, so werden eure Werke mangelhaft und ohne Frucht sein und schädigen den, der opfert und opfern lässt. Darum lehrt eure Nachkommen, also zu tun; so werden der Ṛig-, Yajur- und Sâmaveda fruchtbringend sein.« Da sprachen die Ṛishi's: »So sei es, o Ehrwürdiger; wir sind befreit von Furcht und Kummer und voll Freude!«

29. (Die Antwort fehlt; sie ist aus S. 631. 727. 859 zu entnehmen).

30. Darum geschieht es, dass die Vedastudierenden vor den Mantra's, Werken und Abteilungen des Veda, nämlich des Ṛig-, Yajur- und Sâmaveda, das grosse Wort Om aussprechen.

31-34. Wenn sie den Praṇava zu Eingang des Ṛigveda sprechen, so ist seine Gottheit das Feuer, sein Licht der Praṇava, sein Versmass die Gâyatrî, seine Stätte die Erde; und sie beginnen mit dem ersten Verse des Ṛigveda, weil er das Feuer preist (Ṛigv. 1,1,1: agnim îḷe etc.).[871]

Und wenn sie den Praṇava zu Eingang des Yajurveda sprechen, so ist seine Gottheit der Wind, sein Licht der Praṇava, sein Versmass die Trishṭubh, seine Stätte der Luftraum, und sie beginnen mit dem ersten Verse des Yajurveda, weil er den Regen preist (Vâj. Samh. 1,1,1: ishe [= vṛishṭyai] tvâ etc.).

Und wenn sie den Praṇava zu Eingang des Sâmaveda sprechen, so ist seine Gottheit die Sonne, sein Licht der Praṇava, sein Versmass die Jagatî, seine Stätte der Himmel, und sie beginnen mit dem ersten Verse des Sâmaveda, weil er das Feuer preist (Sâmav. 1,1,1: agna' âyâhi etc.).

Und wenn sie den Praṇava zu Eingang des Atharvaveda sprechen, so ist seine Gottheit der Mond, sein Licht der Praṇava, sein Versmass alle Versmasse, seine Stätte das Wasser, und sie beginnen mit dem ersten Verse des Atharvaveda, weil er das Wasser preist (Atharvav. 1,6,1: çam no devîr etc.).

35. Dieses ist das Wasser, aus welchem alles Bewegliche und Unbewegliche entsprungen ist. Darum ist alles Wasser, so soll man wissen, und alles Atharvaveda. Darum ist das Wasser und der Praṇava dasselbe; denn das Wasser heisst ap,[872] und ap ist als o der Anfangslaut des Praṇava. Darum, hat der Ṛishi Vyâsa gesagt, sollen am letzten Tage des Monats Çrâvaṇa diejenigen, welche der Vorschrift des Atharvaveda folgen, keinen Veda studieren, denn er wird keinen Nutzen bringen. Darum soll, wer die Veden sich zueignen will, den Atharvaveda studieren; ohne dieses ist es nutzlos. Denn der Sâmaveda ist der grösste, weil er Frucht bringt, wenn man ihn mit Tapas liest; der Atharvaveda aber bringt auch ohne Tapas diese Frucht. Darum, wer den Atharvaveda studiert, der weiss auch die drei andern Veden, denn sie sind in ihm enthalten. – Also lautet die Unterweisung des Veda.

36. Aber die Hauptwirkung des Atharvaveda ist, dass der am Nichtwissen des Âtman Krankende durch den Praṇava geheilt wird, welcher der Anfang des Atharvaveda ist. Und das ist die Frucht der Meditation des Praṇava, dass man zum reinen Âtman wird. Durch Nachdenken über den Praṇava soll man im Herzen die individuelle und die höchste Seele einsmachen; dann lässt man alle Schriftwerke und bleibt als reiner Âtman bestehen. »Ich bin Om!« dieses ist der Zustand der Versenkung; in diesem Zustande lässt man alle Zweiheit fahren und gelangt zur unterschiedlosen Versenkung (nirvikalpa[873] samâdhi), in der man ohne »Ich« und ohne »Dieses« als reiner Âtman besteht.


Wer diese Fragen wohl begriffen hat, der wird allwissend, der weiss die Antwort auf alle Fragen.

Fußnoten

1 Ṛigv. 1,164,39; die letzte Zeile ist von den persischen Übersetzern, falls sie nicht eine andere Lesart vor sich hatten, missverstanden worden.


2 Sudhâyâm = svarge (Sâyaṇa zu Ait. Br. 3,47,8). Weber denkt an Sobha (vgl. Ind. Stud. II, 38 n.).


3 Antwort auf 14., hier nicht am Platze.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 863-874.
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