X. Schavank (Çaunaka-Upanishad).

[874] Der weise »Schavank«, auf den die Lehre dieser Upanishad zurückgeführt wird, ist ohne Zweifel Çaunaka (vgl. Oupnek'hat I, 375 mit Muṇḍ. 1,1,3, oben S. 547), wiewohl eine Çaunaka-Upanishad sonst nirgendwo, unseres Wissens, erwähnt wird. Der Inhalt ist eine dem alten Mythus vom Kampfe der Deva's und Asura's nachgebildete Legende zur Verherrlichung des Om-Lautes (praṇava). Die Dämonen überfallen dreimal, beim 1. Prâtaḥsavanam, 2. Mâdhyandinasavanam und 3. Tṛitîyasavanam die opfernden Ṛitvij und erhalten als Abfindung von ihnen 1. Opferschmalztropfen, 2. Opferwasser, 3. Opfergrasspitzen, mit denen sie dreimal die von den 1. Vasu's, 2. Rudra's, 3. Âditya's geführten Götter besiegen. Diesen sendet Indra nach ihrer Niederlage jedesmal ein Metrum zu Hilfe, nämlich 1. die Gâyatrî, 2. die Trishṭubh, 3. die Jagatî, und da diese sich nicht stark genug fühlen, so setzt ihnen Indra jedesmal den Om-Laut als Anfang vor, worauf die Dämonen besiegt werden. Aber zweimal erholen sich die Dämonen von ihrer Niederlage, weil der Praṇava aus Scheu, sich ganz den Göttern zu zeigen, sich aus den Mâtrâ's in den Nachhall zurückzieht (vgl. auch Chând. 1,4), und erst das drittemal, wo er in seiner ganzen Herrlichkeit erscheint, besiegt er die Dämonen für immer.

Die Praṇava- und Çaunaka-Upanishad sind nach Zweck, Inhalt und Haltung nahe verwandt; sie gehen weiter in der Verherrlichung des Om-Lautes als alle übrigen von uns aufgenommenen Upanishad's und sind dadurch nicht ohne Interesse. Leider konnte auch jetzt die letztere nur durch das trübe Medium der Übersetzung einer Übersetzung aufgefasst werden, welche beide, die eine durch übergrosse Freiheit und die andere durch übergrosse Treue, gleich sehr dazu beitragen, den Inhalt zu entstellen. Wir dürfen hoffen, im grossen und ganzen den ursprünglichen Text richtig rekonstruiert zu haben; in vielen Einzelheiten aber waren wir auss Raten angewiesen und können für die richtige Behandlung derselben nicht überall die Verantwortung übernehmen.


Die Götter und Dämonen rüsteten sich zum Kampfe; Indra aber war noch nicht zu den Göttern gestossen.


1. Da stellten die Götter bei der Frühkelterung die Ṛishi's und Vasu's voran, um die Dämonen zu besiegen, und bereiteten[875] sich zum Kampfe. Aber während des Opfers erschienen die Dämonen und sprachen zu den Ṛishi's: »Damit wir heute über die Götter den Sieg erringen, lasst uns mit euch opfern!« Da erschraken die Ṛishi's und gaben ihnen so viel Opferschmalz, wie man beim Opfer ins Feuer tropfen lässt, und sprachen: »Damit werdet ihr die Götter besiegen.« Das nahmen die Dämonen und besiegten damit die Götter. Da sprach Indra zur Gâyatrî: »Führe du die Götter zum Siege!« Sie sprach: »Ich sehe die Götter fliehen, was kann ich mit ihnen tun?« Da machte Indra den Praṇava zum beständigen Anfang der Gâyatrî und sprach: »Dieser wird dich schützen.« Die Gâyatrî sprach: »Wenn dieser mich führt, so wird er einen Teil meines Ruhmes nehmen.« Indra sprach: »Fürchte nicht, dass er mit dir teilen wird. Seine Grösse ist über alles erhaben und nimmt nicht teil an eines andern Grösse. Die ganze Welt beruht in seiner Grösse. Du hast nicht zu tun mit dem Praṇava, sondern sollst den Vasu's zu Hilfe kommen.« – »Om« (so sei es), sprach die Gâyatrî. Der Praṇava sprach: »Das ist meine Bedingung, dass sie jedes Werk mit mir beginnen. Wo nicht, so werde ich diesen nicht helfen.« – »Om« (so sei es), sprachen die Götter. Nämlich wenn man »Om« sagt, so sind darin alle Namen und Gestalten enthalten; denn der Praṇava ist alles und befasst alles. Darum nennt man ihn »die eine Silbe« (eka-aksharam, angeblich von umfassen, vyâptau). Darum sagt einer: »Om, ich will dies tun«, und wenn sie es ihm erlauben, so sagen sie »Om«, und alle, wenn sie sprechen wollen, sagen zuerst »Om«. Dieser Laut verleiht Sieg und ist beständig, und enthält in sich alle Wesen; er ist nur eine Silbe und doch unendlich; weil unendlich, ist er einer, und alle Gestalten, Töne, Gerüche, Geschmäcke und Gefühle befasst er. Darum nennen sie den Praṇava den Indra. Denn alle Silben und alle Wesen sind mit dieser einen Silbe verknüpft, alle Veden und alle Opfer sind in ihrer Gewalt. Und so wie alles in des Indra Gewalt ist, weil er König über alle ist, also ist auch alles in der Gewalt des Praṇava; er ist der König aller Silben.

Darum sprechen sie den Praṇava des Morgens leise und leicht; denn weil die Dämonen nahe waren, sprachen die Götter[876] ihn leise; da ward der Praṇava ihr Licht und sprach: »Leicht werde ich eure Feinde zermalmen.«

Darum werden auch die Mantra's, weil ihnen der Praṇava vorangeht, am Morgen leise gesprochen; und weil die Gâyatrî mit ihm verbunden war, darum sind alle Mantra's, die sie am Morgen rezitieren, mit der Gâyatrî verknüpft, und die Götter der Morgenspende sind die Vasu's.

Da sprach der Praṇava: »Dieweil ich alles bin und der Anfang der Gâyatrî, was wird mein Lohn sein dafür, dass ich den Göttern Hilfe bringe?«

Indra sprach: »Dieses, dass sie dich zuerst beim Sâman sprechen, und wenn sie das Sâman singen, so werden sie dich als alle Silben singen.« Daher geschieht es, dass wenn sie das Sâman singen, sie den Praṇava als alle Silben singen.

Der Praṇava erwog: »Wenn ich als alle Silben bin, so werden die Götter alle meine Formen sehen, und das ist nicht gut.« Da zog er alle seine Formen in sich hinein und verbarg sich in dem Nachhall; da war er hornlos (ohne Mora's). Darum liefen sie dem Hornlosen nach, ihn zu suchen. Und sie sprachen: »Die Kraft, der Same, das Licht, das Unvergängliche, Fehlerlose, das alles ist der Nachhall.« Darum erlangt man durch den Nachhall das Licht, das Unvergängliche, Fehlerlose.

Da geschah es, daß die Dämonen überwunden wurden, und die Götter siegten.

Dieser Praṇava ist Indra, ist alles was ist. Die Gâyatrî, das Sâman, die Vasu's, die Frühkelterung, das alles ist der Praṇava. Indra ist das Bewegte und Unbewegte, so sagen sie, Indra aber ist der Praṇava.


2. Aber die geschlagenen Dämonen sammelten sich wieder, und als das Sâman der Mittagskelterung gesungen wurde, erschienen sie beim Opfer. Da erschraken die Ṛishi's und gaben ihnen vom Wasser, das beim Opfer gebraucht wird, und sprachen: »Damit werdet ihr die Götter besiegen.« Da wollten die Dämonen mit dem Wasser die Götter besiegen. Und Indra sandte die Rudra's mit den Göttern in den Kampf, aber die Götter wurden von den Dämonen besiegt. Da sprach[877] Indra zur Trishṭubh: »Komme du ihnen zu Hilfe!« Sie sprach: »Die Götter sind besiegt, was kann ich mit ihnen tun?« Da sprach Indra wiederum zum Praṇava: »Mache dich zum Anfange der Trishṭubh.« Der Praṇava sprach: »Was wird mein Lohn sein?« Indra sprach: »Was ich bin, das bist du; als meine Gestalt werden sie dich aussprechen.«

Der Praṇava erwog: »Die Götter werden die volle Wahrheit von mir sehen, und das ist nicht gut.« Da zog er alle seine Formen in sich hinein und verbarg sich in dem Nachhall. Darum sprechen sie sein drittes Horn (m) nicht aus, sondern an seiner Stelle den Anusvâra (m).

Da geschah es, dass die Dämonen überwunden wurden, und die Götter siegten.

Darum sind die Götter der Mittagskelterung die Rudra's, und ihr Versmass ist die Trishṭubh.


3. Aber die Dämonen rüsteten sich abermals, und als das Sâman der Abendkelterung gesungen wurde, erschienen sie beim Opfer. Da erschraken die Ṛishi's, rissen die Spitzen der Opfergrashalme ab und gaben sie den Dämonen und sprachen: »Damit werdet ihr die Götter besiegen.« Da sprach Indra zur Jagatî: »Komme du den Göttern zu Hilfe!« Die Jagatî sprach: »Die Götter sind besiegt, was kann ich tun?« Da machte Indra den Praṇava zum Anfange der Jagatî. Der Praṇava sprach: »Was wird mein Lohn sein, dass ich den Göttern helfe?« Indra sprach: »Sie werden dich mit dem Udgîtha aussprechen, also dass deine Herrlichkeit sichtbar wird.« Und er machte den Âditya zum Anführer der Götter. Darum ist der Gott der Abendkelterung Âditya, und ihr Versmass die Jagatî. Da erkannte der Praṇava: »Der Udgîtha ist die Erscheinung des Âditya, die Erscheinung des Brahman, und ich bin die Erscheinung des Brahman und nicht von ihm verschieden.« Und er trat mit seiner ganzen Gestalt, die er die vorigen Male in dem Nachhall verborgen hatte, dem Âditya voran, und Âditya machte ihn zu seiner Waffe. Da besiegte er die Dämonen, und sie zerstoben, also dass sie sich nicht wieder sammeln konnten. Dass der Praṇava in seiner ganzen Gestalt erschien, damit erlangte er grossen Ruhm, denn der[878] Gipfel der Grösse ist der Praṇava. Alle Wesen sind in ihm enthalten, und seine Stätte ist in dem Nachhall, denn in diesem hatte er sich verborgen.

Darum, was man wünscht, das soll man von ihm erbitten, und die Verehrung, die man üben soll, gehört ihm.

Darum heisst es:


Vier Hörner hat der Praṇava, drei Füsse,

Zwei Häupter, sieben Hände, dreifach ist er

Verbunden, gross, laut schallend und hell leuchtend,

In alle Lebewesen eingegangen. (Vgl. Ṛigv. 4,58,3).


Seine vier Hörner sind die 31/2 Moren; seine drei Füsse sind a, u und m; seine zwei Häupter o und m; seine sieben Hände sind die sieben Töne (svara), denn in allen sieben wird er gesungen. Dreifach verbunden sind seine drei Laute (a, u, m) mit den drei Feuern, den drei Welten und den drei Veden; wie diese wird auch er vorgetragen.

Der Praṇava ist Indra und darum gross.

Darum heisst es:


Herr über alle Götter, gross ist Indra,

Verleihend Grösse, Kummer stillend, lichtvoll;

Allhelfend, Herrscher, mächtig, Kraft verleihend,

Das Weltall tragend, wohlgesinnt zu allen.


Weil in dieser Weise Indra sich selbst erhält, darum wurde gesagt, der Praṇava sei laut schallend; und er ist laut schallend, weil alle, die ihn verehren, zu grossem Ruhme gelangen. Dass er in alle Lebewesen (prâṇin) eingegangen, bedeutet, dass er in allen Wesen (bhûta) wohnt. Darum soll man den Indra durch die Silbe Om verehren!

Also sprach der verehrungswürdige Çaunaka.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 874-879.
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