Brahmabindu-Upanishad.

[645] Der Name dieser Upanishad Brahmabindu-Upanishad (bei Ça karânanda, Anquetil, im Telugudrucke und in geringeren Handschriften Amṛitabindu-Upanishad) muss doch wohl bedeuten »die Geheimlehre über den das (höhere) Brahman bedeutenden Punkt«, d.h. über den Anusvâra des Wortes Om, der, sofern er auch den Nachhall bezeichnet, auf das höhere, wortlose Brahman hindeutet, während das Wort Om als solches nur das »Wort-Brahman« symbolisch vertritt, v. 15-17. Dementsprechend lehrt v. 7, dass man durch den Laut (Om) den Yoga nur »anknüpfen« solle, das Höchste aber als ein Lautloses vorstellen müsse. Im übrigen ist von Om und seinem Nachhall weiter keine Rede, vielmehr behandelt die Upanishad die Auflösung des Manas (v. 1-10), das Verhältnis des Brahman zur Erscheinungswelt (v. 11-17), die Wertlosigkeit der Aussenerkenntnis, Buchgelehrsamkeit usw. (v. 18-22) in einer Weise, die sie als Mittelglied zwischen den ältern Upanishad's und Ça kara erscheinen lässt, dessen beliebtes Bild von dem Raum im Kruge und dem Weltraume schon hier (v. 13-14) auftritt, wie ja auch v. 12 von Ça kara ad Brahmasûtra p. 810,1 zitiert wird, möglicherweise aus unserer Upanishad. Auch hat diese fünf Verse (v. 1. 2. 4. 5. 17) mit der Maitrâyaṇa-Up. (6,34 und 6,22, oben S. 357. 358. 346) gemeinsam, welche dort als Zitate und mehr abgerissen erscheinen als in unserer Upanishad, in deren Zusammenhang sie ganz naturgemäss verwoben sind. Es ist daher wohl möglich, dass Brahmabindu-Up. in der Maitr. Up. zitiert wird. – Von sektarischen Neigungen findet sich keine Spur, bis auf das Vâsudevaḥ am Schlusse, das sich jedoch schon durch seine metrische Unmöglichkeit als das Einschiebsel irgendeines Verehrers des Vishṇu-Kṛishṇa zu erkennen gibt und den ursprünglichen Schluss (etwa iti smṛitam) verdrängt hat.


Vers 1-10. Die Zurückziehung des Manas von den Sinnendingen und die Erlösung als ihre Folge.


Om!

1. Das Manas, sagt man, ist zweifach,

Entweder unrein oder rein,[646]

Unrein, wenn Wünsche vorstellend,

Rein, wenn es frei von Wünschen ist.


2. Das Manas also ist Ursach

Der Bindung und Erlösung uns:

Der Bindung, am Objekt hängend,

Der Erlösung, wenn frei davon.


3. Weil denn durch das objektlose

Manas bedingt Erlösung ist,

Darum soll, wer nach ihr trachtet,

Sein Manas vom Objekt befrei'n.


4. Wer frei von Sinnenwelthaftung

Sein Manas schliesst im Herzen ab,

Und so zur Manaslosigkeit

Gelangt, der geht zum Höchsten ein.


5. So lange hemme dein Manas,

Bis im Herzen es wird zunicht,

Das ist Wissen, ist Erlösung,

Das andre ist gelehrter Kram.


6. Nicht denkbar und nicht undenkbar,

Denkbar und undenkbar zugleich,

Frei von jeder Parteinahme

Ist Brahman, das er dann erreicht.


7. Durch Om den Yoga anknüpfend,

Denke lautlos das Höchste man,

Denn durch lautloses Vorstellen

Wird Sein erreicht, kein blosses Nichts.


8. Das ist Brahman, das teillose,

Wechsellose und ohne Trug;

»Ich bin dies Brahman!« so wissend

Erlangt man Brahman sicherlich.


9. Das wechsellose, endlose,

Ursachlos-unvergleichliche

Ohne Grenzen und ohn' Anfang

Erkennt man dann als höchstes Heil.
[647]

10. Da ist kein Sterben, kein Werden,

Kein Gebundner, kein Wirkender1,

Kein Erlöst-sein noch -seinwollen,

Das ist die höchste Wesenheit!


Vers 11-17. Der Âtman und die Erscheinungswelt.


11. Den Âtman wisse als einen,

Dann, Wachen, Traum und tiefen Schlaf,

Die drei Zustände abwerfend,

Wirst du nimmer geboren mehr.


12. Eine ist die Geschöpfseele,

Sie weilt in jeglichem Geschöpf,

Einheitlich und doch vielheitlich

Erscheint sie wie der Mond im Teich;


13. Wie der Raum, den der Krug einschliesst,

Denn wenn der Krug zerbrochen wird,

Bricht nur der Krug, der Raum bricht nicht,

Das Leben ist dem Kruge gleich.


14. Alle Formen dem Krug gleich sind:

Unaufhörlich zerbrechen sie;

Wenn dahin, sind sie nichtwissend,

Doch er ist wissend ewiglich.


15. Wer sich einhüllt in Wortblendwerk,

Im Herzlotos gefangen bleibt

Doch wenn die Finsternis licht wird,

Schaut er die Einheit nur allein.


16. Des Om-Lauts Silbe ist Brahman;

Wenn sie verhallt, was dann besteht,

Dem Ew'gen denken nach Weise,

Der Seele Frieden Suchende.


17. Zwei Wissenschaften sind nötig,

Das Wortbrahman und das zuhöchst;

Wer bewandert im Wortbrahman,

Erreicht das höchste Brahman auch.


[648] Vers 18-22. Bücherwissen und Selbsterkenntnis.


18. Der Weise, Bücher durchforschend

Nach Wissenseinsicht, die real,

Wie die Spreu, wer nach Korn trachtet,

Wirft weg den ganzen Bücherkram.


19. Die Kühe zwar sind vielfarbig,

Doch nur einfarbig ist die Milch;

Der Milch gleich ist das Selbst-Wissen,

Den Kühen gleich, was merkmalhaft.


20. Wie Butter in der Milch verborgen,

So weilt in allem, was da lebt, Wahrwissen;

Immerfort mit dem Geist als Quirlstab

Soll jeder in sich es ausquirlen (Âryâ).


21. Des Wissens Drehseil anwendend,

Erziel' als Reibungsfeuer man

Das teillos, fleckenlos Stille;

»Ich bin dies Brahman«, wie es heisst.


22. Das allen Wesen Wohnstätte,

Dem Wohnstätte die Wesen sind,

Das alle liebevoll einschliesst,

Das bin ich, der Vâsudeva,

– das bin ich, der Vâsudeva.


Fußnoten

1 na baddho na ca sâdhakaḥ mit dem Telugudruck und Ça kurânanda.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 645-649.
Lizenz:

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