Erster Praçna.

[559] Die Frage, woher die Geschöpfe entspringen, dient nur als Anlass, um die Natur, als Erzeugnis des Prajâpati, in zwei Seiten zu zerlegen, rayi (Materie) und prâṇa (Leben). Ersterem wird die dunkle Seite der Welt (Mond, Winter, dunkle Monatshälfte, Nacht), letzterem die helle Seite (Sonne, Sommer, helle Monatshälfte, Tag) untergeordnet. Dem rayi entspricht der Pitṛiyâna, dem prâṇa der Devayâna, in deren Schilderung sich der Autor an Chând. 5,3-10 (nicht Bṛih. 6,2) anschliesst. Am Schlusse wird angedeutet, dass die Zeugung (prajâpativratam) der dunkeln Seite angehört, während der hellen, zur Erlösung des Devayâna führenden, die Keuschheit (brahmacaryam) entspricht.
[559]

1. Sukeçan Bhâradvâja, Çaivya Satyakâma, Sauryâyaṇin Gârgya, Kausalya Âçvalâyana, Bhârgava Vaidarbhi und Kavandhin Kâtyâyana, diese alle, Brahman als Höchstes haltend und in Brahman feststehend, forschten nach dem höchsten Brahman, und mit den Worten: »Er, fürwahr, wird dieses alles erklären«, nahten sie sich mit dem Brennholze in den Händen (Chând. 5,11,6) dem erhabenen Pippalâda. 2. Da sprach der Weise zu ihnen: »Noch weiter (vgl. Chând. 8,9,3. 10,4. 11,3) werdet ihr in Askese, Brahmanwandel (Keuschheit) und Glaube (vgl. Bṛih. 4,4,22 Mâdhy). ein Jahr bei mir wohnen, und dann fragt ihr [mögt ihr fragen], wie es euch gefällt; wofern wir es wissen werden, wollen wir euch alles erklären.«


3. Darauf [nach Ablauf des Jahres] nahte sich ihm Kavandhin Kâtyâyana und fragte: »Erhabener! woraus wohl entstehen diese Geschöpfe?« – 4. Und er sprach zu ihm: »Prajâpati verlangte nach Nachkommen; er übte Tapas; nachdem er Tapas geübt, lässt er ein Paar entstehen, nämlich Rayi (Materie, eigentlich: Reichtum) und Prâṇa (Leben); denn er sprach: ›Diese beiden werden mir vielfältig Nachkommen schaffen.‹ 5. Fürwahr, die Sonne ist Prâṇa und der Mond Rayi; ja Rayi ist alles dieses, was geformt und ungeformt ist; darum ist die Form selbst Rayi. 6. Wenn nun die Sonne aufgeht und die östliche Himmelsgegend betritt, so befasst sie dadurch die östlichen [in der Natur verwirklichten] Lebenshauche (prâṇa) in ihren Strahlen; und wenn sie die südliche, westliche, nördliche, obere, untere und zentrale Himmelsgegend betritt, so befasst sie, indem sie alles erhellt, dadurch alle Lebenshauche in ihren Strahlen. 7. Allverbreitet und allgestaltet zieht dieses [Sonnen-]Feuer als der Prâṇa herauf. Darüber ist der Vers:


– [ich preise]

8. Den allgestaltigen, goldnen Wesenskenner,

Der dort als höchster Hort, als einzig Licht glüht!

Mit tausend Strahlen, hundertfach sich wandelnd,

Als Lebenshauch der Wesen geht dort auf die Sonne.


9. Fürwahr, Prajâpati ist das Jahr; in demselben sind[560] zwei Gänge [der Sonne], der nach Süden und der nach Norden. Jene nun, welche mit den Worten: ›Opfer und fromme Werke sind unser Tun‹ Verehrung üben (vgl. Chând. 5,10,3), die erobern nur den Mond als Stätte. Diese kehren wiederum zurück. Darum gehen diejenigen Weisen, welche nach Nachkommen begehren, den südlichen Weg. Und dieser Väterweg (pitṛiyâna) ist Rayi. 10. Aber auf dem nördlichen Wege, nachdem sie durch Askese, Brahmanwandel, Glaube und Wissen den Âtman gesucht haben, erobern sie die Sonne. Diese ist der Stützpunkt der Prâṇa's. Dieses ist das Unsterbliche, das Furchtlose, dieses ist der höchste Hort. Von ihm kehren sie nicht wieder zurück. Dieses ist die Ausschliessung [des Väterweges und Götterweges gegeneinander]. Darüber ist dieser Vers (Ṛigv. 1,164,12):


11. Der Vater, fünffüssig, zwölffacher Bildung,

Sei leibhaft, heisst es, in des Himmels Jenseits;

Doch sei er auch weitleuchtend eingefügt

Dem Untern mit sechs Speichen, sieben Rädern.1


12. Fürwahr, Prajâpati ist der Monat. Seine dunkle Hälfte ist Rayi, seine helle Prâṇa. Darum bringen diese Weisen [die den Prâṇa verehren] in der hellen Hälfte das Opfer dar, die andern in der andern.

13. Fürwahr, Prajâpati ist Tag und Nacht. Was von ihm Tag ist, das ist Prâṇa, was Nacht, das Rayi. Wahrlich, die verschütten den Prâṇa (das Leben), welche am Tage sich in Lust verbinden, und dieses ist der [auch dem Gṛihastha obliegende] Brahmanwandel, dass man sich nur in der Nacht in Lust verbindet.

14. Fürwahr, Prajâpati ist die Nahrung. Aus ihr stammt dieser Same, aus welchem diese Geschöpfe entstehen.

15. Diejenigen nun, welche diesen Prajâpatiwandel einhalten, die üben die Begattung aus [mithunam utpâdayante, sowie es oben von Prajâpati hiess, dass er mithunam utpâdayate ›ein Paar entstehen lässt‹].
[561]

Doch derer ist die Brahmanwelt, die sich kastei'n,

In denen wahre Keuschheit festgewurzelt ist;

Sie gehn zur Brahmanwelt, der fleckenlosen,

Die ohne Krummes, Falsches, ohne Trug sind.«


Fußnoten

1 Dieser Vers, der sich ursprünglich wohl auf den Parallelismus zwischen Sternenhimmel und Opferfeuer bezieht (vgl. Gesch. d. Philos. I, 111), wird hier sehr willkürlich auf den Devayâna und den Pitṛiyâna gedeutet.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 559-562.
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