Die Garbha-Upanishad (d.h. »Geheimlehre über den Embryo«) enthält, anknüpfend an einen vorangestellten Vers, allerlei Betrachtungen über die Elemente und Teile des menschlichen Leibes und schildert speziell die Entwicklung des Embryo im Mutterleibe. Hiernach würde diese Schrift[605] eher in ein Lehrbuch der Physiologie und Medizin als in die Sammlung der Upanishad's gehören und die am Schlusse stehende Bezeichnung als »Erlösungslehre des Pippalâda« sehr wenig rechtfertigen, – enthielte sie nicht in ihrem mittlern Teile bei Beschreibung der Entwicklung des Embryo die auf Stellen wie Ṛigveda 4,26,1. 4,27,1. 10,177,2 beruhende (Gesch. d. Philos. I, 253) und durch ihre Analoga in der abendländischen Philosophie interessante Vorstellung, dass der Embryo schon im Mutterleibe im Besitze des Wissens (der eigenen früheren Geburten, des Unterschiedes von Gutem und Bösem usw). gewesen sei, dieses alles aber bei seinem Austritte aus dem Mutterschosse vergessen habe (πᾶσα μάϑησις ἀνάμνησις). – Der Standpunkt des Verfassers ist, wie die nebeneinanderstehende Erwähnung von Sâ khya-Yoga, Maheçvara (Çiva), Nârâyaṇa (Vishṇu) und Brahman zu beweisen scheint, ein im höchsten Grade konziliatorischer, wenn wir nicht etwa hier (vgl. zu Chând. 8,14, oben S. 201) Formeln zur Auswahl für die verschiedenen Bekenntnisse vor uns haben.
Der Text ist vielfach verderbt und lückenhaft, und die Verworrenheit des Kommentars des Nârâyaṇa wird nur noch überboten durch die Nachlässigkeit und Unwissenheit seines Herausgebers in der Bibliotheca Indica.2
1. Aus fünf bestehend, in je fünfen schaltend,
Auf sechs gestützt, sechs-Eigenschaft-behaftet,
Sieben-Grundstoff-haft, drei-Schleim-haft, zwei-erzeugt-haft,
Vierfacher Nahrung teilhaft ist der Körper.
Warum ist er »aus fünf bestehend« [und »in je fünfen schaltend«]? –
Weil er aus Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther besteht.
Was ist an diesem »aus fünf bestehenden« Leibe Erde, was Wasser, was Feuer, was Wind, was Äther? –
Was an diesem aus fünf bestehenden Leibe das Feste ist, das ist Erde, was das Flüssige, das ist Wasser, was das Warme, das ist Feuer, was umherstreicht, das ist der Wind, was das Hohle ist, das ist der Äther. – Hierbei [ist er »in je fünfen[606] schaltend«, sofern] die Erde ihm zur Stützung dient, das Wasser zur Assimilation der Nahrung [piṇḍîkaraṇam, vgl. Chând. 6,8,3], das Feuer zur Erleuchtung, der Wind zur Verteilung [der Stoffe], der Äther zur Raumgewährung. – In andrer Art3 [ist er »in je fünfen schaltend«, sofern] die Ohren der Wahrnehmung der Töne, die Haut dem Fühlen, die Augen dem Sehen, die Zunge dem Schmecken und die Nase dem Riechen dient. – [Oder hinwiederum, sofern] das Geschlechtsglied dem Geschlechtsgenusse, der Apâna der Entleerung dient, während er mit der Buddhi erkennt, mit dem Manas vorstellt, mit der Rede redet.
Warum ist er »auf sechs gestützt«?
Weil er [in der Nahrung, aus der er sich aufbaut] den süssen, sauern, salzigen, bittern, beissenden und herben Geschmack vorfindet.
Ferner sind da shaḍja, ṛishabha, gândhâra, madhyama, pañcama, dhaivata und nishâda [als die sieben Töne der Tonleiter]. Ferner werden [die oben aufgezählten Fünfheiten], je nachdem sie mit den Worten »angenehm« oder »unangenehm« gekennzeichnet werden, durch ihre Verwendung zu zehnen.4
2. Warum ist der Leib »sieben-Grundstoff-haft«?
Weil in ihm 1) weisse, 2) rote, 3) dunkle, 4) rauchfarbige, 5) gelbe, 6) braune, 7) blasse [Flüssigkeit sich befindet], je nachdem z.B. dem Devadatta Materien [lies dravyâṇi mit Nârâyaṇa] zu Objekten [der Ernährung] werden. [Die gemeinsame Quelle aber aller sieben Grundstoffe] ist, sofern sie miteinander[607] die Eigenschaft der Wässerigkeit gemeinsam haben, der sechsfache [oben erwähnte: süsse, saure, salzige, bittere, beissende und herbe] Nahrungssaft.
Aus dem [1. weissen] Nahrungssafte entsteht das [2. rote] Blut, aus dem Blute das [3. dunkle, d.h. undurchsichtige] Fleisch, aus dem Fleische das [4. rauchfarbige] Fett, aus dem Fette [snâyavaḥ snâyubhyas ist mit Ça karânanda und dem Telugudrucke zu streichen] die [5. gelben] Knochen, aus den Knochen das [6. braune] Mark, aus dem Marke der [7. blasse] Same.
Aus der Verbindung des Samens und des Blutes entwickelt sich der Embryo; »im Herzen sind die Auseinandertretungen«, wie es heisst. Nämlich im Herzen ist ein Feuer, und bei dem Feuer ist Galle, und bei der Galle ist Wind, und wo der Wind ist, da geht infolge eines schöpferischen Vorganges das Herz [des Kindes] hervor.
3. Aus der Paarung zur Zeit der Periode entsteht nach einer Nacht ein Knötchen, nach sieben Nächten eine Blase, innerhalb eines halben Monates ein Klumpen, innerhalb eines Monates wird er fest, nach zwei Monaten entsteht der Kopf, nach drei Monaten entstehen die Fussteile, im vierten Monate Fussknöchel, Bauch und Hüften, im fünften das Rückgrat, im sechsten Mund, Nase, Augen, Ohren, im siebenten wird der Embryo mit der Seele (jîva) ausgestattet, im achten ist er in allen Stücken vollständig.
Beim Überwiegen des väterlichen Samens entsteht ein Mann, beim Überwiegen des mütterlichen Samens ein Weib; beim Gleichgewichte des Samens beider ein Zwitter; bei Benommenheit des Gemütes entstehen Blinde, Lahme, Bucklige und Zwerge. Geht der durch die beiderseitigen Winde eingepresste Same entzwei, so wird auch der Körper zweifach und es entstehen Zwillinge.
Der »aus den fünf [Elementen] bestehende« [Embryo] ist [im achten Monate nämlich, – die vorherigen Sätze über die Zeugung sind zwischeneingeschobene Betrachtungen] lebensfähig, und seine fünfteilige Buddhi hat vermöge der Intelligenz die Erkenntnis des Geruches, Geschmackes usw. Indem er selbst aber, nach dem Worte: »dann überdenkt er die unvergängliche[608] Silbe Om« diese eine Silbe [als der Purusha] erkennt, so sind weiter auch die acht schöpferischen [Prakṛiti, Mahad, Aha kâra, 5 Ta mâtra's] und die sechzehn erschaffenen [Manas, 10 Indriya's, 5 Bhûta's, in summa also alle 25 Prinzipien der Sâ khyalehre] in dem Leibe eben dieser verkörperten Seele vorhanden. Dann gelangt mittels des von der Mutter Gegessenen und Getrunkenen und mittels der Aderschnur zu ihm Gelangenden auch sein Prâṇa zum Schwellen. Im neunten Monate endlich ist er in allen Stücken und auch in der Erkenntnis vollständig; dann erinnert er sich [solange er noch im Mutterleibe weilt] an seine früheren Geburten und hat Erkenntnis seiner guten und bösen Werke:
4. Nachdem schon tausendfach vormals
In Mutterschössen ich geweilt,
Genoss ich mancherlei Nahrung
Und trank schon manche Mutterbrust.
Geboren ward ich, starb wieder
Und wurde stets geboren neu.
Was ich an meinen Mitmenschen
Getan von gut-und-bösem Werk,
Dafür muss ich allein büssen;
Die es genossen, sind dahin.
Ach! in ein Weltmeer von Schmerzen
Versenkt, seh' keine Heilung ich!
Komm' erst vom Mutterschoss los ich,
Wend' ich mich zu Maheçvara,
Der das Böse macht zunichte
Und als Lohn die Erlösung schenkt.
Komm' erst vom Mutterschoss los ich,
Wend' ich mich zu Nârâyaṇa,
Der das Böse macht zunichte
Und als Lohn die Erlösung schenkt.
Komm' erst vom Mutterschoss los ich,
Studiere Sâ khya-Yoga ich,
Der das Böse macht zunichte
Und als Lohn die Erlösung schenkt.
Komm' erst vom Mutterschoss los ich,
Will meditieren Brahman ich.
[609]
Wenn er aber sodann, zu den Pforten der Geschlechtsteile gelangend, durch die Einzwängung gequält und, unter grossen Schmerzen kaum geboren, mit dem Vaishṇava-Winde [dem Winde der Aussenwelt im Gegensatze zu den Winden im Körper] in Berührung tritt, so kann er sich nicht mehr auf seine Geburten und Tode besinnen und hat keine Erkenntnis seiner guten und bösen Werke mehr.
Warum heisst er »der Körper« (çarîram)?
Weil in demselben Feuer angelegt sind (çriyante), nämlich das Erkenntnisfeuer, das Sehensfeuer und das Bauchfeuer. Hierbei ist es das Bauchfeuer, welches Gegessenes, Getrunkenes, Gelecktes, Gesogenes verkocht. Das Sehensfeuer bewirkt das Sehen der Gestalten. Das Erkenntnisfeuer erkennt die guten und bösen Werke.
[Ausserdem] sind da drei Feuerstätten; im Munde ist das Âhavanîya-Feuer, im Bauche das Gârhapatya-Feuer, im Herzen das Dakshiṇa-Feuer. Der Âtman ist der Opferherr, das Manas der Brahmán [der Priester dieses Namens], die Begierden usw. sind die Opfertiere, Ausdauer und Genügsamkeit sind die Opferweihe, die Erkenntnisorgane sind die Opfergefässe, die Tatorgane sind die Opferspenden; das Haupt ist die Opferschale, die Haare sind die Darbhagräser, der Mund ist das Innere des Opferbettes.
Der Kopf hat vier Schädelknochen, und an ihnen sind [auf jeder] Seite sechzehn Zahnzellen. [Am Leibe] sind hundertundsieben Gelenke, hundertundachtzig Fugen, neunmalhundert Sehnen, siebenhundert Adern, fünfhundert Muskeln [Yâjñav. 3,100; majjâ soll nach dem Schol. für peçî stehen], dreihundertundsechzig Knochen, und vier und eine halbe Koṭî (45 Millionen) Haare.
Das Herz wiegt acht Pala (364 Gramm), die Zunge zwölf Pala (546 Gramm), die Galle ein Prastham (728 Gramm), das Phlegma ein Âḍhakam (2912 Gramm), der Same ein Kuḍavam (182 Gramm), das Fett zwei Prastha (1456 Gramm), unbestimmt ist Kot und Urin, je nach dem Quantum der Nahrung.
Dies ist die Erlösungslehre des Pippalâda, – die Erlösungslehre des Pippalâda.
1 Zur Anordnung. Unter denjenigen Upanishad's des Atharvaveda, welche bestrebt sind, die Vedântalehre, ohne wesentliches Übergreifen in das Gebiet des Yoga, des Sannyâsa, des Çiva- und Vishṇu-Kultus, fortzubilden, sind die bedeutendsten und am allgemeinsten von den Vedântatheologen anerkannten die drei bisher vorgeführten: Muṇḍaka, Praçna, Mâṇḍûkya. Eine vierte, die Brahma-Upanishad, welche man mit Weber (Literaturgesch., 2. Aufl., S. 178) noch zu diesem Kreise rechnen könnte, wird, mit Rücksicht auf den dritten, eigentümlichsten Teil, besser als Übergangsglied von den rein vedântischen zu den Sannyâsa-Upanishad's an der Spitze dieser letztern ihre Stelle finden. So bleibt uns für diese Klasse nur eine Nachlese von sechs Upanishad's übrig, welche teils nur einzelne Punkte der Vedântalehre näher ausführen (Garbha, Prâṇâgnihotra, Piṇḍa), teils eine Rekapitulation der Grundbegriffe des Vedânta unternehmen (Âtma, Sarvopanishatsâra), woran sich ein vereinzelt stehender Text (Gâruḍa) schliessen mag. Bei Anordnung dieser ganzen Gruppe halten wir an der Reihenfolge der Liste Nârâyaṇa's und Colebrooke's fest, da dieselbe für die Entstehungszeit der einzelnen Texte möglicherweise von Bedeutung ist. – Unserer Übersetzung liegt hier und weiterhin der Text der Calcuttaer Ausgabe, ergänzt durch Jacob's Eleven Âtharvaṇa Upanishad's (Bombay 1891) zugrunde. Daneben wurden die Lesarten der von Weber benutzten Handschriften (Ind. Studien I. II. IX)., sowie die des Telugudruckes herangezogen. Während des Druckes erschienen und konnten nachträglich noch benutzt werden: die »32 Upanishad's« in der Ânandâçrama Series (Puna 1895) sowie der Neudruck der »108 Upanishad's« (Bombay 1896). Über die von uns befolgte Lesart wird der die Originaltexte vergleichende Leser nirgendwo in Zweifel sein. Eine eingehende Diskussion der überaus zahlreichen und tiefgehenden Abweichungen der verschiedenen Texte voneinander liegt ausserhalb der Grenze unserer gegenwärtigen Aufgabe und muss für spätere Gelegenheiten aufbewahrt bleiben.
2 Zu p. 64,13 stoçcubhiçcu âvartate bringt er in der Note aus Cod. die Variante bei: stoçcunâçcuḥ âvatansa, iti und fügt hinzu: kintu ubhayapâṭho 'pi durbodhaḥ! Er hat also nicht erkannt, dass er ein Sûtram des Pâṇini (8,4,40: stoḥ çcunâ çcuh) vor sich hat, welches freilich im Kommentar an unrechter Stelle steht, da es sich nur auf das rasâc choṇitam des Textes beziehen kann. – Auch die Punaer Ausgabe scheint das Zitat, da sie es hinter allopo 'nas (Pâṇ. 6,4,134) zur Erklärung der Form majjñaḥ bringt, nicht verstanden zu haben.
3 Die Punaer Ausgabe liest mit Nârâyaṇa pṛithustu »er (der Leib) ist aber (ja) raumerfüllend«.
4 Dieses nochmalige Zurückgreifen auf die Fünfheiten ist schwer erklärlich; noch schwerer, wie vorher plötzlich die sieben Töne der Skala hereingeschneit kommen. Nârâyaṇa denkt mit Bezugnahme auf das shaḍguṇa-yogayuktam des Verses an die Verwendung der sieben Töne in den sechs Râga's und den zugehörigen sechsmal sechs Râginî's; Ça karânanda erklärt die Aufzählung der sieben Töne für einen Pûrvapaksha zu der Frage nach den »sieben Grundstoffen«, obgleich diese Frage erst nachher aufgeworfen wird. Übrigens sind bei ihm Lesung und Wortstellung zu verschieden, als dass wir hier darauf eingehen könnten. Ganz andre Lesarten bietet wiederum der Telugudruck, und noch andre scheinen dem Oupnekhat vorgelegen zu haben. – Quot capita, tot sensus. Die Verderbtheit der Stelle scheint somit eine ganz desperate zu sein.
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