Erster Teil

1. Die Veranlassung zu dieser Schrift

[35] Darin hatten Sie zwar ganz recht, mein Herr, da Sie mir schrieben: Es würden diejenigen nicht lange warten dürfen, den Kometen zu einer bequemeren Zeit wiederzusehen, welche denselben nicht hatten sehen können, als er zu Ende des Novembers und mit Anfang des Dezembers sehr früh am Himmel stand. Denn er hat sich wirklich den 22. des vergangenen Monats gleich bei anbrechender Nacht wieder blicken lassen. Allein das kann ich nicht begreifen, wie Sie mir zureden können, Ihnen meine Gedanken darüber schriftlich zu eröffnen, und warum Sie mir versprechen, alles dasjenige richtig zu beantworten, was ich Ihnen davon schreiben würde. Vielleicht wissen Sie noch nicht, wieviel ein solches Zumuten zu sagen hat. Ich bin es nicht gewohnt, meine Gedanken von einer Sache ordentlich und gründlich aufzusetzen. Will ich es schon zuweilen tun, so werde ich doch gar bald anderen Sinnes, Ich gerate sehr oft auf Nebendinge. Ich verfalle auf Sachen, da man wohl Mühe haben würde, zu erraten, wie ich darauf gekommen, und es ist mir ganz was Leichtes, die Geduld eines Doktors zu ermüden, der durchgehend alles nach der Schärfe einer philosophischen Lehrart haben will. Sie überlegen es daher wohl, mein Herr, und erwägen mehr als einmal, was Sie mir zumuten. Ich gebe Ihnen vierzehn Tage Zeit, einen endgültigen Entschluß zu fassen. Diese Erinnerung und die Wünsche, die ich bei diesem Jahreswechsel für Ihr Wohlsein abstatte, sind alles, was Sie für diesmal zum neuen Jahr von mir haben sollen. Ich bin Dero

A..., den 1. Jänner 1681

Pierre Bayle


2. Welcher Lehrart man sich hier bedienen wird

[35] Da Sie nach vorhergegangener reiflicher Überlegung doch noch von mir haben wollen, daß ich Ihnen meine zufälligen Gedanken von der Beschaffenheit der Kometen eröffnen soll, und da Sie sich zugleich anheischig machen, dieselben nach der Schärfe zu untersuchen, so kann ich freilich nicht umhin, ich muß Ihnen dieselben aufsetzen. Nur dieses bitte ich mir von Ihnen aus, daß Sie mir erlauben, meine Nebenstunden dazu anzuwenden, und mir alle Freiheit verstatten, so zu schreiben, wie sich die Sachen meinen Gedanken darstellen werden. Sie verlangten zwar, daß ich gleich anfangs einen Aufriß machen und denselben von Stück zu Stück ausarbeiten soll. Allein das erwarten Sie nur nicht von mir, mein Herr. Das schickt sich wohl für eigentliche Skribenten, die ihre Sachen nach einer ordentlichen und abgemessenen Absicht ausführen müssen. Diese tun wohl, wenn sie sich gleich anfangs einen Entwurf zu ihrer Arbeit machen, alles in Bücher und Kapitel einteilen, sich überhaupt vorstellen, was sie in jedem Kapitel ausführen wollen, und sich in der ganzen Ausarbeitung danach richten. Ich für meine Person aber begehre kein Skribent zu sein. Sie werden mir daher erlauben, daß ich mich dieser Art der Sklaverei nicht unterwerfe. Ich habe Ihnen meine Art gesagt. Sie haben Zeit gehabt, sie zu untersuchen, ob sie Ihnen gefällt oder nicht. Fällt sie Ihnen also künftig beschwerlich, so geben Sie mir nicht die Schuld. Sie haben es so haben wollen. Doch ich schreite zu meinem Vorhaben.


3. Daß die Vorbedeutungen der Kometen auf seichten Gründen beruhen

Ich höre alle Tage viele Leute von der Beschaffenheit der Kometen sprechen, und obwohl ich zwar aus der Astronomie weder mein Handwerk mache noch Wissenschaft genug darin besitze, so bin ich doch gewohnt, alles sorgfältig[36] zu untersuchen, was die geschicktesten Köpfe hiervon geschrieben haben. Soviel aber muß ich Ihnen, mein Herr, gestehen, daß mir darin nichts begründet vorkommt, als was sie dem irrigen Wahn des Pöbels entgegensetzen, der mit Gewalt haben will, daß die Kometen der Welt unzähliges Unglück androhen sollen. Ich kann es daher gar nicht zusammenreimen, wie ein so großer Doktor, als Sie sind, sich vom Strome hat hinreißen lassen, und wie Sie sich, ohne auf die Gründe zu sehen, die der kleine Haufe rechtschaffener Gelehrter für sich hat, mit dem gemeinen Mann einbilden können, daß die Kometen gleichsam Herolde sind, die dem menschlichen Geschlecht im Namen der Gottheit den Krieg ankündigen; da Sie doch die Wiedererscheinung unseres Kometen so richtig vorhergesagt und nur dieser Ursache wegen wissen sollten, daß es Körper sind, die sich nach den ordentlichen Gesetzen der Natur richten, keineswegs aber Wunderzeichen, die ohne Regeln erfolgen. Wenn Sie ein Prediger wären, so wollte ich es Ihnen noch zugute halten, denn dergleichen Gedanken sind ihrer Natur nach sehr geeignet, die prächtigsten und nachdrücklichsten Zierate der Beredsamkeit anzunehmen. Man kann Ehre damit einlegen, wenn man sie geschickt anzubringen weiß, und die Gewissen der Zuhörer werden dadurch stärker gerührt als durch hundert andere Sätze, die noch so überzeugend bewiesen wurden. Allein, da Sie ein Doktor sind, der das gemeine Volk nicht lehren darf und der seinen Verstand nur mit Sätzen der geläuterten Vernunft anfüllen soll, so will es mir gar nicht gefallen, daß Sie in diesem Stück so schlecht bewiesene Meinungen hegen und sich mit Erzählungen und Stellen aus Poeten und Geschichtsschreibern abspeisen lassen.


4. Von dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Dichter

Man kann gar keinen seichteren Grund haben, als dieser ist. Ich will bei den Dichtern anfangen. Sie wissen, daß[37] dieselben sich fest einbilden, sie müßten ihre Gedichte mit vielen prächtigen Beschreibungen, wie z.B. Beschreibungen der Wunderzeichen, ausschmücken und das Wunderbare in die Begebenheiten ihrer Helden überall mit einflechten, und daß sie, diese ihre Absichten zu erreichen, tausend erstaunliche Dinge voraussetzen müssen. Weit gefehlt demnach, daß ich ihnen auf ihr Wort glauben sollte, daß der Untergang der römischen Republik eine Wirkung zweier oder dreier Kometen gewesen. So würde ich nicht einmal glauben, daß dieselben zu der Zeit erschienen sind, wenn es sonst niemand als sie allein gesagt hätte. Denn man muß sich von einem Menschen, der sich vorgenommen hat, ein Gedicht zu verfertigen, schon einbilden, daß er sich zu gleicher Zeit der ganzen Natur bemächtigt habe. Himmel und Erde bewegen sich nun nicht mehr, weil er es haben will. Es geschehen Sonnen- und Mondfinsternisse oder Schiffbrüche, nur nach seinem Gefallen. Alle Elemente kommen in Bewegung, nachdem er es für gut befindet. In der Luft schweben Armeen, auf Erden wüten Ungeheuer, so viel, wie er haben will. Gute und böse Engel erscheinen, sooft er es befiehlt. Die Götter selbst sitzen auf Maschinen und warten nur, bis er ihre Hilfe nötig hat. Und da er vor allen Dingen Kometen haben muß, weil man schon hinsichtlich ihrer eingenommen ist, so nimmt er auch bei Gelegenheit, soviel er deren in der Historie findet. Trifft er da keine an, so macht er sich einige selber und gibt ihnen eine solche geschickliche Farbe und Figur, daraus man abnehmen kann, auf was für eine besondere Art der Himmel an dem Handel, von dem die Rede ist, teilgenommen. Wer wollte sich alsdann des Lachens enthalten können, wenn man gewahr wird, wie eine sehr große Anzahl von Leuten keine anderen Beweise von der Schädlichkeit dieser neuen Gestirne angibt, als daß sie die Stelle:


Terris mutantem regna cometen,

Kometen ändern oft die Lage ganzer Länder


aus dem Lucanus,

[38] Regnorum eversor, rubuit letale cometes,

Der Länder Untergang, dies tödliche Gestirn,

erschien ganz feuerrot


aus dem Silius Italicus,

Nec diri toties arsere cometae,

So häufig brannten nie die drohenden Kometen


aus dem Virgil,

Nunquam terris spectatum impune cometen,

Wann hat sich ein Komet der Welt umsonst gezeigt


aus dem Claudian und andere dergleichen Sprüche der alten Propheten anführen.


5. Von der Glaubwürdigkeit der Historienschreiber

Was die Geschichtsschreiber anbelangt, so gebe ich zwar zu, daß sie sich nicht die Freiheit nehmen, dergleichen außerordentliche Erscheinungen am Himmel vorzugeben. Allein, die meisten lassen doch so viel Belieben an der Erzählung aller der Wunder und Erscheinungen, die die Leichtgläubigkeit der Heiden in Schwang gebracht hat, blicken, daß man gegen die Klugheit verstoßen würde, wenn man ihnen alles glauben wollte, was sie uns in diesem Stück vorschwatzen. Es kann sein, daß sie glauben, ihre Sammlung der Geschichte würde allzu trocken aussehen, wenn sie die nach dem Laufe der Natur vorgefallenen Begebenheiten nicht mit unzähligen Wunderzeichen und übernatürlichen Zufällen vermischten. Oder sie erhoffen vielleicht durch diese, nach dem natürlichen Geschmack der Menschen gewürzte Abwechslung, ihre Leser beständig bei der Lust zu halten, da sie ihnen immer etwas zu bewundern darstellen, oder sie bilden sich wohl gar ein, ihre historische Erzählung würde dadurch bei der Nachwelt[39] ein besonderes Ansehen bekommen, wenn dieselbe dergleichen wunderbare Zufälle darin aufgezeichnet finden würde. Dem sei inzwischen, wie ihm wolle, so kann man doch nicht in Abrede stellen, daß die Geschichtsschreiber nicht eine besondere Neigung haben sollten, alles, was nach Wundern schmeckt, zusammenzutragen.1 Titus Livius gibt uns hiervon einen starken Beweis in die Hand. Denn ob er zwar ein Mann von großem Verstand und einer der erhabensten Geister war, der uns eine Historie hinterlassen, die der Vollkommenheit ziemlich nahekommt, so hat er doch darin einen Fehler begangen, daß er eine unerträgliche Sammlung der allerlächerlichsten Wunderzeichen zusammengetragen, die der heidnische Aberglaube durch Opfer zu versöhnen gedachte, welches auch nach einiger Meinung2 die Ursache gewesen, warum St. Gregorius, der Papst, sein Werk zum Feuer verurteilt hat. Welch eine Unordnung erblickt man nicht in den großen ungeheuren Folianten, die die Geschichte aller unserer Mönchsorden enthalten! Scheint es nicht, als ob man sich hier ein Vergnügen daraus gemacht hätte, alles das ohne Überlegung übereinanderzuhäufen, was man sich nur von eingebildeten Wundern vorstellen kann, um nur die Freude zu haben, der Nacheiferung oder vielmehr dem Neide ein Genüge zu tun, den diese Gesellschaften gegeneinander hegen? Doch das sei nur unter uns geredet, denn Sie wissen wohl, mein Herr, dem gemeinen Volk kein Ärgernis zu geben und die Herren Patres nicht böse zu machen, muß man sich in acht nehmen, die Fehler ihrer Jahrbücher zu entdecken, und nur damit zufrieden sein, daß man sie eben nicht lesen muß.

3Ich wundere mich, wie diejenigen, welche uns so vieles von der Ähnlichkeit der Poesie und Historie vorreden, die uns auf Ciceros und Quintilians Glauben versichern, daß die Historie eine von der Scansion befreite Poesie sei, und des Lukianus Zeugnis anführen, der da sagt: Es würde das Schiff der Historie schwer und unbeweglich sein, wenn der Wind der Poesie nicht in seine Segel striche; die ferner sagen, daß man ein Poet, sein müßte, wenn[40] man ein guter Geschichtsschreiber werden wollte, und daß der Übergang von der Poesie zur Historie ganz unmerklich sei, obgleich bisher noch niemand denselben hätte wagen wollen; ich wundere mich, sage ich, wie diejenigen, welche uns so viele herrliche Dinge erzählen, ohne zu wissen, daß Agathias4 erst ein Poet, dann ein Historikus geworden, und daß ihm diese Veränderung ebenso vorgekommen, wie wenn er aus einem Vaterland in das andere reisen müßte, nicht gesorgt haben, den Kritikverständigen Gelegenheit an die Hand zu geben, den Geschichtsschreibern vorzuwerfen, daß sie in der Tat in einer bewunderungswürdigen Sympathie mit den Poeten stünden und ebenso gerne wie diese sich mit der Erzählung von allerhand Wundern und Erdichtungen aufhielten. Glücklich sind jene zwei vortrefflichen Poeten, die an der Historie Ludwigs des Großen arbeiten. Denn da diese voller wirklicher Wundertaten ist, so können sie, ohne zu erdichten, die herrschende Neigung, außerordentliche Dinge zu erzählen, welche den Dichtern und Geschichtsschreibern so eigen ist, vollkommen sättigen.

Bei alledem bin ich doch nicht willens, mein Herr, das Ansehen der Geschichtsschreiber zu schmälern. Ich bin es gar wohl zufrieden, wenn man, ohne auf ihre Leichtgläubigkeit zu sehen, ihnen glaubt, daß wirklich so viel Kometen erschienen, wie sie aufgezeichnet haben, und daß in den darauffolgenden Jahren ebensoviel Unglück sich ereignet habe, wie sie uns berichten. Ich habe wider alles dieses nichts einzuwenden. Allein, das ist auch alles, was ich Ihnen, mein Herr, zugestehe und was Sie vernünftigerweise von mir fordern können. Wir wollen nunmehr sehen, was daraus folgen wird. Bei aller Ihrer Scharfsichtigkeit können Sie doch unmöglich daraus folgern, daß die Kometen entweder die Ursache oder die Vorbedeutung der Unglücksfälle gewesen, die sich nach ihrem Erscheinen zugetragen haben. So beweisen also die Zeugnisse der Geschichtsschreiber nur so viel, daß Kometen erschienen sind und daß darauf viel Unruhe in der Welt entstanden sei. Dadurch aber ist noch lange nicht erwiesen, daß eines von[41] beiden die Ursache oder die Vorbedeutung des anderen gewesen sei, man müßte denn etwa zugeben, daß ein Frauenzimmer, welches auf der St.-Honorius-Gasse wohnt und niemals zum Fenster hinaussieht, da sie nicht einige Karossen vorbeifahren sehen sollte, sich einbilden könnte, sie sei die Ursache, warum Karossen vorbeifahren, oder wenigstens ein gewisses Zeichen für die ganze Gasse, daß, wenn sie am Fenster stünde, bald Karossen vorbeifahren würden.


6. Daß die Geschichtsschreiber gern Abschweifungen machen

Sie werden mir unfehlbar einwenden, die Geschichtsschreiber sagten doch gleichwohl ausdrücklich, daß die Kometen Zeichen oder gar Ursachen der Verheerungen gewesen, die darauf erfolgt sind, und folglich sei ihr Ansehen gültiger, als ich behauptet hätte. Gar nicht, mein Herr. Sie können das, was sie sagen, als eine Anmerkung hinzugesetzt haben. Denn sie lassen ihr Urteil gern mit einfließen und vertiefen sich zuweilen so sehr in moralische Betrachtungen, daß der Leser, dem es zuwider ist, wenn sie die historische Erzählung abbrechen, ihnen gern zurufen würde, wenn er sie nur allemal bei sich hätte: Riservate questo per la predica, dieses sparet für die Kanzel. Sie wollen sich auch in solchen Sachen gelehrt erweisen, die eigentlich für sie nicht gehören. Daher geraten sie zuweilen auf unzeitige Abschweifungen. So sagt uns z.B. Ammianus Marcellinus5 bei Gelegenheit eines Erdbebens, das unter der Regierung des Constantius geschehen, den ganzen Aristoteles und Anaxagoras her, verliert sich in tiefsinnigen Schlußreden, führt Stellen aus Poeten und Gottesgelehrten an. Da er auf die Sonnenfinsternis, unter ebendiesem Constantius, zu reden kommt, so dringt er mit aller Gewalt in die Geheimnisse der Astronomie, erläutert den Ptolomäus und verirrt sich so weit, daß er über die Ursachen der Nebensonnen zu philosophieren anfängt.6[42] Daraus folgt aber nicht, daß die Anmerkungen der Historienschreiber der gemeinen Meinung ein Gewicht geben können, denn sie machen diese Anmerkungen bei Sachen, die für einen Geschichtsschreiber eigentlich nicht bestimmt sind. Wäre die Rede von einem Staatsrat, von einer Friedensunterhandlung, von einer Schlacht, von einer Belagerung usw., so könnte das Zeugnis der Historie den Ausschlag geben. Denn das kann wohl sein, daß ihre Verfasser die Archive durchsucht, die geheimsten Dokumente gelesen und aus den reinsten Quellen der Wahrheit geschehener Dinge geschöpft haben. Da aber vom Einfluß der Gestirne, von den verborgenen und unsichtbaren Triebfedern natürlicher Dinge die Rede ist, so haben die Herren Geschichtsschreiber kein Recht mehr, unseren Beifall zu fordern. Man sieht sie nunmehr als Privatpersonen an, die ihre Mutmaßung so hinsetzen, und läßt dieselbe viel oder wenig gelten, je nachdem man etwa weiß, daß der Autor viel oder wenig in der Physik getan hat. Auf solche Art müssen Sie mir, mein Herr, zugeben, daß das Zeugnis der Geschichtsverfasser wenig Gültigkeit übrigbehält, denn sie sind gemeiniglich schlechte Naturverständige.


7. Von dem Ansehen der Tradition

Vermöge dessen, was bereits gesagt wurde, würde es überflüssig sein, wenn ich das Vorurteil der Tradition insbesondere widerlegen wollte. Denn wenn die vorgefaßte Meinung, die man seit undenklichen Zeiten von den Kometen hat, einigen tüchtigen Grund haben kann, so ist es augenscheinlich, daß derselbe bloß auf das Zeugnis ankommen muß, welches die Historienbücher und andere Schriften in allen Jahrhunderten hiervon abgelegt haben. Ist also dieses Zeugnis von keiner Erheblichkeit, wie ich es gezeigt habe und im Folgenden noch deutlicher zeigen will, so wird man die Menge der Stimmen, die darauf gegründet ist, nicht mehr zählen dürfen.[43]

Warum können wir doch das nicht sehen, was in dem Verstand der Menschen vorgeht, wenn sie eine Meinung erwählen? Ich bin überzeugt, wenn das geschehen könnte, so würde man gewahr werden, wie der Beifall so vieler tausend Leute sich nur auf das Ansehen zweier oder dreier Personen bezieht, welche einen Lehrsatz bekanntmachen. Man glaubt, daß sie denselben genau und gründlich geprüft haben. Durch das Vorurteil von ihrer Geschicklichkeit werden andere davon überredet. Diese überreden wiederum andere, die ihrer natürlichen Trägheit halber geneigter sind, alles, was man ihnen vorsagt, zu glauben, als mühsam zu untersuchen. Auf solche Art verstärkt sich von Tag zu Tag die Anzahl leichtgläubiger und nachlässiger Anhänger.7 Dieses ist ein neuer Antrieb, daß die anderen sich nicht Mühe geben wollen, die Meinung zu untersuchen. Sie sehen, daß dieselbe allgemein ist, und sind so einfältig, daß sie sich einbilden, sie habe nicht anders als durch die Richtigkeit der Gründe so allgemein werden können, dadurch müßte man sie im Anfang bestärkt haben. Endlich treibt uns die Not, daß man das glaubt, was alle Welt für wahr hält, weil man sonst befürchten müßte, man möchte für einen Störenfried gehalten werden, der für sich allein mehr wissen wollte als alle anderen und kein Bedenken trüge, dem ehrwürdigen Altertum ins Angesicht zu widersprechen. Und dieses geht so weit, daß man sich endlich eine Ehre daraus gemacht, daß man nichts mehr untersucht, sondern alles auf die gemeine Sage ankommen lassen habe. Urteilen Sie nur selber, ob etliche Millionen Menschen, die auf beschriebene Art eine Meinung angenommen, dieselbe wahrscheinlich machen können, und ob dieses große Vorurteil, das sein Gewicht von der Menge so vieler Anhänger bekommen hat, wenn man nach der Billigkeit verfährt, sich auf mehr als zwei oder drei Personen gründet, von denen man glaubt, daß sie das untersucht haben, was sie vorgetragen. Erinnern Sie sich nur, mein Herr, gewisser fabelhafter Meinungen, die man zu unserer Zeit abgeschafft, so groß auch die Anzahl der Zeugen war, die sie unterstützten, weil man sich klar[44] bewiesen, daß alle diese vielen Zeugen nur für einen einzigen gerechnet werden müßten, da immer einer das nachgesprochen, was der andere vorgesagt hatte, ohne das weiter zu untersuchen, was ein jeder von ihnen angeführt hätte. Und schließen Sie daraus, obgleich viele Nationen und viele Jahrhunderte den Kometen an all dem Unglück einhellig schuld geben, das nach ihrer Erscheinung auf der Erdkugel erfolgt ist, so kann doch dieses Urteil nicht größere Wahrscheinlichkeit für sich haben, als wenn es von sieben oder acht Personen gefällt worden wäre, weil deren in der Tat kaum mehr sein werden, die es glauben oder geglaubt haben, nachdem sie alles nach richtigen Gründen der Philosophie geprüft hatten.


8. Warum man das Ansehen der Philosophen nicht berührt hat

Sie werden vielleicht noch wissen wollen, warum ich der Philosophen nicht ebenso wie der Poeten und Geschichtsschreiber gedacht habe. Ich habe es deswegen nicht getan, weil ich glaube, daß, wo das Zeugnis der Weltweisen einigen Eindruck bei Ihnen, mein Herr, gemacht hat, die Ursache davon nicht in den Gründen zu suchen ist, darauf es beruht, sondern weil durch den Beitritt der Philosophen die Tradition Ihnen desto allgemeiner vorgekommen ist. Sie sind allzu gewitzt, als daß ein Weltweiser Sie hintergehen sollte, sofern er Sie nur durch Schlüsse angreift, und das Lob muß man Ihnen geben, daß Sie in Sachen, die von der Vernunft ausgemacht werden müssen, sonst niemand als der geläuterten Vernunft folgen. Folglich sind die Philosophen als Philosophen gar nicht schuld daran, wenn Sie, mein Herr, bei dieser Gelegenheit pöbelhaft denken, denn alle die Schlüsse, die jene zur Bestätigung des Einflusses der Gestirne anführen, sind recht jämmerlich. Allein, wollen Sie mir erlauben, daß ich es Ihnen als ein alter guter Freund sagen darf, woher es gekommen, daß Sie dieses Vorurteil des Pöbels angenommen,[45] ohne das Orakel der Vernunft dabei um Rat zu fragen? Sie glauben, es sei in diesen Dingen etwas Göttliches zu finden, wie man solches mit dem berühmten Hippokrates von einigen Krankheiten vorgegeben. Sie bilden sich ein, daß die einhellige Übereinstimmung so vieler Nationen durch alle Jahrhunderte hindurch eine gewisse göttliche Eingebung zur Quelle haben müsse: Vox populi, vox Dei, des Volkes Stimme ist Gottes Stimme. Als ein Gottesgelehrter sind Sie es schon gewohnt, die Vernunft beiseite zu setzen, sobald Ihnen ein Geheimnis vorkommt. Diese Behutsamkeit ist auch ganz gut, nur zuweilen geschieht dadurch ein Eingriff in die Rechte der Vernunft, wenn man sie allzu hoch treibt, wie solches der Herr Pascal8 sehr wohl bemerkt hat. Sie haben endlich ein allzu schüchternes Gewissen, daher glauben Sie leicht, daß die Verderbnis der Menschen den Arm des Höchsten mit den schrecklichsten Pfeilen ausrüste, die aber der gütige Gott doch nicht eher auf die Menschen abdrücken wolle, als bis er, wie ehemals vor der Sintflut, sie gewarnt und gesehen, ob sie sich vielleicht noch bessern möchten. Aus allen diesen Ursachen zusammen entsteht endlich in Ihrem Verstand ein Vorurteil des Ansehens, das Sie nicht verhüten können, so geschickt Sie auch sonst sind, die irrigen Schlüsse der Vernunftlehrer auseinanderzunehmen.

Es würde also vergeblich sein, wenn man sich unterfangen wollte, Ihnen durch philosophische Grundsätze Ihren Wahn zu nehmen. Man muß Sie entweder dabei lassen oder nach Sätzen der Frömmigkeit und Religion mit Ihnen sprechen. Und dieses will ich auch tun, denn ich will nicht gerne, daß Sie mir entwischen sollten. Damit ich mich aber meines Schadens erhole, so will ich Ihnen vorher einige Gründe der gesunden Vernunft zu bedenken geben, die alle beweisen, daß es eine verwegene Meinung ist, die man vom Einfluß der Kometen hegt. Sinnen Sie inzwischen nach (wo Sie können), was das wohl für Sätze der Frömmigkeit sein mögen, die ich für Sie in Bereitschaft habe. Erraten Sie dieselben, sage ich, wo Sie können, bis ich in meinen Nebenstunden mit einer kleinen Vorbereitung[46] fertig bin, die auf bekanntere Grundsätze hinauslaufen wird.

A..., den 15. März 1681


9. Erster Grund, wider die Vorbedeutung der Kometen: Es ist gar nicht wahrscheinlich, daß sie die Kraft haben sollten, auf der Erdkugel etwas hervorzubringen

Hier haben Sie, mein Herr, einige Gründe aus der Weltweisheit. Man kann fürs erste sagen: Es sei sehr ungewiß, ob Körper, die von der Erdkugel so weit entfernt sind wie die Kometen, eine Materie herabschicken könnten, die etwas Großes zu verrichten ge schickt wäre. Denn wenn das die allgemeine Meinung der Philosophen ist, nachdem man gezwungen wurde, die gewöhnliche Meinung von der Materie der Kometen abzulegen, daß die Dunstkugel der Erde oder der ganze Raum, den die ringsum von der Erde aufsteigenden Dünste und Ausduftungen anfüllen, sich nur bis in die mittlere Gegend der Luft höchstens drei oder vier Meilen hoch erstreckte, warum sollte man glauben, daß die Dunstkugel der Kometen sich viele Millionen weit erstrecke? Man würde nicht eigentlich sagen können, warum denn eben die Planeten und Kometen merkliche Veränderungen auf der Erdkugel hervorbringen sollten, da doch diese solches in einer Entfernung von nur dreißig Meilen nicht tun kann.


10. Ob sie außer dem Licht noch sonst etwas herabschicken (I)

Wollte man sagen: Da wir von den Kometen Lichtstrahlen bekämen, so könnten sie uns wohl auch noch was anderes zuschicken, so ist darauf leicht zu antworten. Denn das Licht, das sie uns zuschicken, kommt ursprünglich von der Sonne her, und daß wir dasselbe von ihnen bekommen,[47] rührt daher: Ihre Körper sind dunkel, folglich prallen die Strahlen, die auf sie fallen, auf uns zurück. Man mag also die Fortpflanzung des Lichts erklären, wie man will, entweder nach des Aristoteles oder Epikurs oder nach des Cartesius Lehrsätzen, so wird man allemal mit leichter Mühe begreifen, wie die Kometen uns glänzen können, ohne daß sie ihrerseits etwas wirken und ohne daß sich das geringste von ihrem Wesen ablöst und auf unsere Erde fällt.


11. Ob ihr Licht etliche Stäubchen ablöst (II)

Wollte man sagen: Das Licht sondere viele kleine Stäubchen von dem Körper des Kometen ab und bringe sie in unsere Welt mit herunter, wenn es durch das Zurückprallen zu uns herabfällt, so habe ich keine neue Antwort nötig, wenn man sonst nichts als dieses einwendet. Ich darf nur sagen, daß die Teilchen, die die Sonne von dem Wasser und der Erde aufhebt, mit den gebrochenen Lichtstrahlen nicht weit fortgehen und daß es mit den übrigen Stäubchen, die die Sonne von anderen Körpern ablöst, eine gleiche Bewandtnis habe.


12. Wie groß wohl die Wirksamkeit ihres Lichtes sein kann (III)

Wollte man sagen: Die Lichtstrahlen an und für sich selber, die von den Kometen zurückprallen, vermögen dergleichen wichtige Wirkungen zu verursachen, so ist das ganz unwahrscheinlich. Denn das Licht der Kometen ist ja schon längst verschwunden, wenn die Wirkungen, die man ihnen zuschreibt, erst anfangen. Und überdies ist der Schein von diesem Licht im Hinblick auf uns so schwach, daß eine auf freiem Feld angezündete Lampe ringsherum heller leuchtet und mehr Wärme von sich gibt, als ein Komet jemals tun kann. Wie es also lächerlich[48] sein würde, wenn man dem Schein dieser Lampe außer der Beleuchtung noch die Kraft zuschreiben wollte, große Veränderungen in dem Bezirk ihrer Wirksamkeit hervorzubringen, so ist es gleichfalls lächerlich, wenn man dem Licht der Kometen das Vermögen zuschreibt, unsere Elemente zu verändern und die allgemeine Ruhe zu stören. Ich will nicht einmal sagen, daß, da das Licht der Kometen nichts anderes ist als ein sehr geschwächtes Sonnenlicht, es ebenso abgeschmackt sein würde, wenn man ihnen Wirkungen beimessen wollte, die die Sonne nicht einmal bewerkstelligen kann, als es abgeschmackt sein würde, wenn man sich von einem brennenden Licht, das auf freiem Platz steht, versprechen wollte, daß es alle Einwohner einer großen Stadt erwärmen würde, da ein jeder von ihnen bei einem starken Feuer, das im Ofen brennt, sich der Kälte nicht erwehren kann.


13. Daß die Dünste ebenso schwer sinken wie auf steigen (IV)

Wollte man sagen: Zwischen der Erde und den Kometen sei ein großer Unterschied. Die Dünste könnten zwar von der Erde nicht bis in die Gegend der Kometen aufsteigen, deswegen aber könnte wohl die Kraft der Kometen unsere Erde erreichen, weil es leichter sei herabzufallen als aufzusteigen, und die Dünste von der Erde zu den Kometen aufsteigen müßten, da die Kraft der Kometen nur herabsinken dürfte, so kann auch dieser Einwurf leicht aufgehoben werden. Seine ganze Stärke, sofern er eine hat, kommt darauf an, daß man voraussetzt, die Erde sei der Mittelpunkt der Welt und alle schweren Körper hätten einen natürlichen Trieb, sich diesem Mittelpunkt zu nähern. Da aber nichts so schwer ist, als diesen angenommenen Satz zu beweisen, so ist auch nichts leichter, als alle die Folgerungen zu leugnen, die man daraus herleitet. Woher weiß man denn, daß die Erde im Mittelpunkt der Welt ist? Ist es nicht eine ausgemachte Wahrheit – wer[49] den Mittelpunkt eines Körpers bestimmen will, der muß erst die Oberfläche desselben wissen? Wie will aber der menschliche Verstand erkennen, ob die Erde im Mittelpunkt ruht oder nicht, da er die Grenzen der Welt nicht bestimmen kann? Noch mehr: Wie wollen wir wissen, daß es Körper gibt, die einen natürlichen Trieb zu dem Mittelpunkt der Welt haben? Ist uns nicht vielmehr das Gegenteil davon bekannt, daß nämlich alle Körper, die sich um einen Mittelpunkt bewegen, sich soviel wie möglich von demselben entfernen? Haben nicht die vielfältigen Erfahrungen, die man hiervon hat, die meisten Anhänger des Aristoteles bewegen, daß sie mit dem Cartesius gestanden: Es sei dies eines der allgemeinen Gesetze der Natur? Nichts ist daher abgeschmackter, als wenn man Körper annimmt, die natürlicherweise nach dem Mittelpunkt der Erde zu sich bewegen, und es ist weit vernünftiger, wenn man sagt, daß sie alle bemüht sind, sich von demselben zu entfernen. Diejenigen Körper, welche das Vermögen dazu haben, entfernen sich wirklich von demselben, woher es denn kommt, daß diejenigen, deren Kraft eingeschränkter ist, nach dem Mittelpunkt zu fortgetrieben werden, denn da alles in der Welt voll ist, so ist's unmöglich, daß ein Körper einen Ort verlassen sollte, ohne daß ein anderer denselben nicht einnehmen müßte.

Daraus kann man nunmehr leicht zeigen, wie schändlich sich diejenigen betrügen, welche sich einbilden, die Dünste der Kometen könnten eher auf die Erde herabfallen, als daß die Ausdünstungen der Erde gegen den Himmel zu aufsteigen sollten. Denn man mag ein System annehmen, was für eines man will, so muß man doch allemal zugeben, daß eine nicht geringe Bewegung um einen allgemeinen Mittelpunkt in der Welt vorgeht. Es mag nun diese Bewegung um die Erdkugel geschehen, wie die Scholastiker wollen, oder um die Sonne, wie die Kopernikaner sagen, oder teils um die Sonne und teils um die Erde, wie die Anhänger des Tycho Brahe behaupten, so liegt mir jetzt nicht viel daran. Soviel ist allemal gewiß, daß die Kometen da stehen, wo es[50] Körper gibt, die sich um einen gewissen Mittelpunkt bewegen. Nun bestreben sich aber alle diese Körper, soviel wie möglich von diesem Mittelpunkt wegzukommen, und tun dieses mit stärkerer Gewalt als alle übrigen Körper, die zwischen ihnen und der Erde sind. Folglich kann die Materie, die um die Kometen ist, nicht so leicht auf die Erde fallen, und es ist ihr ebenso schwer, daß sie herunterfallen sollte, wie es der irdischen Materie schwer ist, hinaufzusteigen. Wer gesehen hat, wie schwer ein Ballon, der voller Luft ist, sich ins Wasser untertauchen läßt, der wird überhaupt nicht sagen, daß es leichter ist zu sinken, als in die Höhe zu steigen. Es gilt dieses nur von solchen Körpern, welche die Kraft nicht haben, sich von dem Mittelpunkt der Bewegung zu entfernen. Bei solchen Körpern aber, die das Vermögen gehabt haben, sich von dem Mittelpunkt auf eine erstaunliche Art zu entfernen, muß es vielmehr schwerhalten, sie zum Sinken zu bringen. Da nun die Kometen in einer ungeheuren Entfernung vom Mittelpunkt der Bewegung stehen, so muß man daraus billig schließen, daß die Gewalt entsetzlich groß sein müßte, die etwas von daher zu uns stoßen sollte. Dieses einzige kann alle Scheingründe der Astrologie über den Haufen werfen.

Sie erlauben, mein Herr, daß ich sagen darf, die ganze Materie von hier an bis über den Saturn und die Kometen mache einen großen Wirbel aus. Sie erlauben ferner, daß ich diesen Wirbel einen Sonnenwirbel nenne. Ich verlange nicht im geringsten Ihr ptolemäisches System dadurch eines Fehlers zu beschuldigen. Ich tue es nur deswegen, damit ich dasjenige, was ich noch zu sagen habe, mit wenigen Worten ausdrücken kann.


14. Daß die Ausdünstungen der Kometen nichts wirken würden, wenn sie gleich bis auf die Erde kämen

Wir wollen auch zugeben, daß die Kometen unzählige Ausdünstungen auf die Erde schicken können. Wird denn[51] daraus eine merkliche Veränderung der Menschen erfolgen müssen? Gar nicht. Denn da diese Dünste einen so ungeheuren Raum zu durchlaufen hätten, so würden sie ja brechen und sich in unendliche kleine Teilchen zerteilen müssen, und diese würden sich alsdann in dem ganzen Umfang des Sonnenwirbels ausbreiten, wie sich etwa die Teilchen des Salzes in einer ganzen Menge Wasser verteilen, welches dieselben auflöst. Vergleichen wir nun den Kometen mit dem ganzen Sonnenwirbel, so werden wir finden, daß das Verhältnis desselben zu dem Sonnenwirbel nicht einmal so groß ist wie das Verhältnis eines Salzkörnchens zu einer Kubikmeile Wasser. Folglich hat man Ursache zu glauben, daß, wenn der ganze Komet zu Pulver gemacht und in diesen großen Sonnenwirbel ausgestreut würde, so würde die hier verursachte Veränderung nicht merklicher sein als die Veränderung, welche ein Salzkörnchen, welches in eine Kubikmeile Wasser geworfen wird, in allen Teilen dieses Wassers machen kann.

Es ist bekannt, wenn ein Trank in der Medizin seine Wirkung tun soll, so gehören zu seiner Zubereitung nicht nur verschiedene geistige Teilchen, sondern es müssen dieselben in gehöriger Menge darin anzutreffen sein. Auf gleiche Weise, sage ich, soll unsere Luft stark verändert werden, so ist es wegen der Menge der Materie, die die Luft in dem ganzen Umfang des Sonnenwirbels verkörpert, noch lange nicht genug, wenn einige Teilchen des Kometen hineinkommen. Es wird dazu eine größere und ausreichende Anzahl derselben erfordert. Nun aber ist es gewiß, daß die Luft nur ihren Anteil bekommt, nicht von dem ganzen Kometen, denn der wird in der flüssigen Materie des Sonnenwirbels nicht aufgelöst, sondern nur von den Stäubchen, die er hin und wieder aussät. Was kann also für jedes Teil unserer Welt davon übrigbleiben?

Ich will nicht hoffen, daß man mir einwenden wird: nur die Erdkugel nimmt an allem diesem teil, denn dadurch würde man voraussetzen, daß die Kometen ihre Ausdünstungen nur der Erde zuschicken und daß jene verhindern könnten, daß diese in einem so entsetzlich weiten Durchlauf[52] nicht ein einziges Mal von ihrer Bahn abwichen, welches, ohne die größte Torheit zu begehen, nicht gesagt werden kann. So vermute ich auch nicht, daß jemand sagen wird: es stünden vielleicht die Kometen nicht in derjenigen Entfernung von der Erde, wie diejenigen behaupten, welche dieselben noch weit über den Saturn hinaussetzen. Denn das wäre ein Einwurf, der wider mich nichts zu bedeuten hätte. Man mag die Kometen unter oder über den Saturn setzen, so muß man immer zugeben, daß ihre Ausdünstungen allen Teilen des Sonnenwirbels gleich zugehören, sowohl diesen Teilen desselben, die zwischen dem Jupiter und Mars sind, als diesen, welche die Erdkugel umgeben, als auch denen, die über dem Saturn, wie denen, die unter demselben sind. In Wahrheit, wenn ein Komet, der zwischen dem Jupiter und Saturn steht, die Gewalt hat, daß er die Materie, welche ihn umgibt, bis zum Mittelpunkt treiben kann, so muß er auch die Gewalt haben, dieselbe fast ebenso stark in den Umfang zu treiben; weil es ebenso leicht ist, schwere Körper in die Höhe zu bringen, wie es ist, leichte Körper sinkend zu machen, wie solches das Exempel des Ballons zeigt, der sich so schwer untertauchen läßt. Daher müssen wir versichert sein, daß alle Ausflüsse des Kometen sich ringsum durch den ganzen Umfang des Sonnenwirbels ausbreiten, so wie etwa die Teilchen eines Stückes Zucker, wenn man es oben in ein Glas Wasser aufhinge, sich durch das ganze Glas oben und unten ausbreiten würden, und dieses um so mehr, weil die ganze Materie des Sonnenwirbels in unaufhörlicher Bewegung ist. Weil nun der ganze Komet, wenn er in Tropfen zerflösse, sich zu dem flüssigen Wesen des Sonnenwirbels nicht einmal so viel verhalten würde, wie sich ein Salzkörnchen zu einer Kubikmeile Wasser verhält – welches ein Verhältnis ist, darin ich nicht glaube, daß weder Spiesglas noch das stärkste Gift etwas von seiner wirksamen Eigenschaft behalten könnte - , so kann man auch mit Wahrheit sagen, daß der Einfluß der Kometen, der so wenig Wesentliches im Vergleich mit den Kometen selbst enthält, nicht imstande wäre, eine allzu[53] große Wirkung hervorzubringen, wenn derselbe sich auch gleich bis auf unsere Erdkugel erstreckte.


15. Widerlegung der er, die da sagen, dieses sei unmöglich, oder die da behaupten möchten, daß die Einflüsse nicht aus kleinen Stäubchen bestünden (V)

Will man endlich noch behaupten, die Kometen könnten ja wohl eine sehr wirksame Materie oder Eigenschaft auf die Erdkugel herabschicken, so ist dies das einzige, was man noch mit einigem Schein anführen kann. Indessen heißt es doch auch soviel wie nichts. Denn es ist nicht nur möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich, daß die Kometen weder Materie noch einige Eigenschaften, die etwas Wichtiges zu wirken vermöchten, auf die Erdkugel herabschicken können. Und in solchen Sachen, die auf beiden Seiten Gründe für sich haben, hat derjenige allemal mehr Unrecht, der sie bejaht, als der sein Urteil zurückhält. Da man also keine tüchtige Ursache angeben kann, warum man den Einfluß der Kometen für wahr halten sollte, und im Gegenteil viele Gründe wider denselben streiten, so fällt alles Unrecht auf diejenigen zurück, die sich zur ersten Partei schlagen.

Geben Sie wohl acht, mein Herr, daß ich hier einen Unterschied zwischen den Eigenschaften, die von den Kometen herrühren, und zwischen den körperlichen Teilchen, die sie uns zuschicken sollen, gemacht habe. Ich habe mich dadurch nach der scholastischen Philosophie bequemen wollen, damit Sie nicht etwa glauben möchten, daß meine Einwände unerheblich wären, wenn ich die gewöhnlichen Lehrsätze von der Fortpflanzung zufälliger Dinge zugrunde gelegt hätte. Um dieses zu vermeiden, erkläre ich hier, daß zwar diese ganze Schrift nur gegen den Einfluß der Kometen gerichtet ist, insofern man sich denselben unter dem Begriff kleiner und körperlicher Teilchen als möglich vorstellt. Indessen werden doch auch meine Gründe gegen den Einfluß gelten können, den gewisse von[54] der Materie unterschiedene Eigenschaften möglich machen sollen. Ja, ich bin völlig der Meinung, daß ich in diesem Fall viel Vorteil gegen die Peripatetiker haben würde. Denn, wenn diese nach ihren Lehrsätzen schließen wollen, so müssen sie zugeben, daß, sobald der Komet weg ist, alle die bösen Eigenschaften, die er hervorgebracht hat, auch verschwinden müssen. Und dieses deswegen, weil die substantiellen Formen einer jeden Sache ihren Lehrsätzen nach jene vernichten und keine fremde Eigenschaft länger dulden können, als die Ursache, die ihnen solche Gewalt aufgedrängt, dieselbe unterstützt und erhält. Daraus folgt augenscheinlich, daß durch die Eigenschaften des Kometen nichts von alledem verursacht werden kann, was sich nach seiner Vernichtung ereignet, sondern daß höchstens alles von den Teilchen herrühren müsse, die derselbe, da er noch zu sehen war, hin und wieder ausgebreitet hat.

Außerdem nun, was uns die Erfahrung lehrt, daß die Beschaffenheiten der Körper sich nur in einem gewissen Raum erzeugen, welchen man den Bezirk ihrer Wirksamkeit nennt, so würde es ebenso abgeschmackt sein, wenn man nach des Aristoteles Lehrsätzen sagen wollte, daß der Komet seine Eigenschaften dem ganzen Sonnenwirbel mitteile, wie es ungereimt sein würde, wenn man solches nach den Lehrsätzen der übrigen Weltweisen behaupten wollte. Denn die Anhänger des Aristoteles müssen zugeben, daß dasjenige, was sie zufällige Dinge nennen, sich ebenso schwer rundum ausbreiten kann, als die herumschweifenden Sonnenstäubchen solches tun können, denen die übrigen Sekten das Hervorbringen körperlicher Beschaffenheiten zuschreiben.


16. Zweiter Grund: Daß, wenn die Kometen auf der Erdkugel etwas wirken sollten, solches ebensowohl Glück als Unglück sein könne

Zweitens kann man sagen: Wenn es auch wahr wäre, daß die Kometen körperliche Teilchen auf der Erde ausbreiten[55] und dadurch etwas Wichtiges verursachen könnten, so sieht man doch gar nicht ein, warum dieselben Pest, Krieg und Hunger und nicht ebensogut Gesundheit, Friede und Überfluß hervorbringen sollten, da ja niemandem die eigentliche Natur, Figur, Bewegung oder andere Eigenschaften ihrer Teilchen bekannt ist. Und in der Tat ist es wohl vernünftiger, wenn man behauptet, daß der jetzige Komet, der eine durchdringende Kälte nicht verhindern kann, ob er sich gleich völlig sehen läßt, die Ursache eines drei Jahre darauf erfolgenden Krieges sein wird, nachdem er bereits gänzlich verschwunden, weil er das Blut bei den Menschen in Wallung bringt und sie dadurch zum Zorn geneigter werden? Oder ist es vernünftiger, wenn man sagt, er werde den Frieden erhalten, weil er das Blut ruhig und die Menschen dadurch gelassen macht?

Ja freilich, wird man sagen, die erstere Meinung ist vernünftiger als die andere, denn es ist wahrscheinlicher, daß die grobe Materie, die zuäußerst in dem Sonnenwirbel entsteht und von dort zu uns herabkommt, da sie den Körpern der Erdkugel nicht gemäß ist, alles umgekehrt bei uns machen werde, als daß sie gute Neigungen mitbringen oder bei uns erhalten sollte. Es ist leicht zu vermuten, daß sie im Winter den Frost und im Sommer die Hitze vergrößern werde, denn da sie so träge ist, so muß sie den Frost vermehren und die Ruhe der Körper fördern, wenn nicht Vermögen genug da ist, sie in Bewegung zu setzen, und ist sie einmal erwärmt, so muß sie mehr Hitze von sich geben als andere dünne Körper. Daher kommt es auch, daß glühendes Eisen mehr Glut von sich gibt als die Flamme von abgezogenem Wein, und das Feuer stärker brennt, wenn der Frost stark ist, denn es ist wahrscheinlich, daß die Kälte in dem Holz eine solche Einrichtung macht, daß die Teile, welche das Feuer davon jedesmal ablöst, gröber werden können als sonst.

Allein ich antworte: Das sind alles vergebliche Mutmaßungen, und das müßte nicht gut sein, wenn ich das Gegenteil zu beweisen nicht ebensoviel wahrscheinliche Sachen sollte anführen können. Wer will es mir verwehren,[56] wenn ich sage, diese grobe Materie mache die Luft dick und erleichtere die Vereinigung der Künste, daher müsse der Frost oder die Hitze, nach Beschaffenheit der Jahreszeit, abnehmen: der Frost, weil er niemals heftiger ist, als wenn die Luft heiter und rein ist9, die Hitze, weil sie niemals unerträglicher ist, als wenn die Sonne ihre Strahlen auf uns schießen läßt, ohne daß sie erst von den Wolken aufgefangen werden, und weil der Regen, der aus solchen zusammengestoßenen Dünsten entsteht, die Luft ungemein kühl macht. Ich kann ferner sagen, diese grobe Materie, wenn sie nun zu sinken anfinge, würde zu einer Fettigkeit, die das Land ebenso fruchtbar mache wie jene kleinen körperlichen Teile, die der Nilstrom an den Orten zurückgelassen, die er überschwemmt hat. Ein anderer kann mit ebenso gutem Recht sagen, diese dicke Materie verursache zwar eine grimmige Kälte, welche die Luft von all dem reinige, woraus Krankheiten entstehen können, allein nach und nach würde sie ganz dünn, das Gröbste davon fiele auf die Erde, wo es sich als ein fettes und fruchtbares Wesen niederlasse, da inzwischen das übrige so dicht bliebe, wie erforderlich wäre, die Hitze derzeit zu mäßigen, teils durch Wolken, die daraus entstünden, teils durch Regen, welcher zur Gesundheit und Fruchtbarkeit des Landes dienlich wäre. Kann man es noch einem anderen verwehren, der da sagt, diese dicke Materie hätte ja wohl Zeit, sich zu läutern und zu verdünnen, ehe sie zu uns herabkäme, da sie etliche Millionen Meilen zu durchlaufen hätte, und behielte sie ja noch was übrig, unsere Luft dick zu machen, so könnte man es doch nicht anders ansehen als einen Nebel, der manchmal sieben oder acht Tage dauert und doch nicht viel zu bedeuten hat, oder als solche Regen, die das Wasser in Flüssen auf einige Zeit trüb machen, ohne daß man bemerkt, daß es den Fischen viel schaden würde.


17. Dritter Grund: Daß die Astrologie, als die Ursache der besonderen Prophezeiungen der Kometen, eines der lächerlichsten Dinge von der Welt ist

[57] Ich sage drittens: Da alles, was von den Vorbedeutungen der Kometen vorgegeben wird, auf die erdichteten Sätze der Astrologie hinausläuft, so kann es nicht anders als sehr lächerlich herauskommen. Denn nichts ist abgeschmackter, nichts ist einem Hirngespinst ähnlicher als die Sterndeuterkunst, nichts ist menschlicher Natur schimpflicher als dieselbe. Den Menschen zur Schande muß man es in alle Ewigkeit nachsagen, daß es solche Betrüger gegeben hat, die andere unter dem Vorwand, sie verstünden sich auf himmlische Sachen, schändlich hintergingen, und daß es allemal Narren gegeben hat, die auf jene ein so großes Vertrauen gesetzt, daß sie die Astrologie als eine Ehrenstelle zu vergeben angefangen haben und sich nicht getraut haben, ein neues Kleid anzulegen oder einen Baum zu pflanzen, wenn es der Herr Sterngucker nicht für gut befunden.10

Erkundigen Sie sich bei einem solchen Menschen, was dieser oder jener Komet insbesondere vorbedeutet, so wird er Ihnen gar bald antworten: Die besondere Kraft eines Kometen rühre von der Eigenschaft des Zeichens und des Hauses her, wo er zuerst gesehen wurde, oder auch von dem Aspekt desselben mit den Planeten. Auf diese Stellung des Kometen müsse man hauptsächlich achtgeben, wenn man die Nativität desselben gut stellen wollte, anbei aber auch auf die Himmelszeichen achthaben, durch die er seinen Lauf nach und nach richtet. Darauf wird er Ihnen sagen, es gäbe männliche und weibliche Zeichen, irdische und wäßrige, kalte und hitzige, tägliche und nächtliche usw. Jeder Planet habe über ein gewisses Stück von der Erdkugel und über eine gewisse Art von Leuten und Sachen zu sprechen. Saturn z.B. regiere über Bayern, Sachsen und Spanien, über ein Stück von Italien, über Ravenna und Ingolstadt, über die Mauretanier und Juden, über Teiche, heimliche Gemächer und Kirchhöfe, über[58] das Alter, über die Milz, über schwarze und kastanienbraune Farbe und über das Säuerliche, denn sogar die Farben und der Geschmack gehören unter ihre Herrschaft. Ferner wird er sagen: Die Himmelszeichen und sonderlich diejenigen, die im Tierkreis stehen, hätten ihre angewiesenen Plätze auf der Erdkugel, wo sie wirken könnten. Der Widder z.B. regiere über alle die Dinge, über die sein Wirt (denn Sie müssen wissen, daß jeder Planet seine Behausung in einem gewissen Himmelszeichen hat) zu gebieten habe. Dahin gehörten der Norden, ein Stück von Italien und Deutschland, England und die Hauptstadt von Polen, die Leber, die Galle, die Soldaten, die Fleischer, die Gerichtsdiener und die Scharfrichter, die rote Farbe, das Bittere und Beißende. Außerdem habe er noch über das Gelobte Land, über Armenien, über das Rote Meer, über Burgund, über die Städte Metz und Marsilien zu gebieten. Weiter wird er Ihnen sagen: Man könne zwölf Häuser am Himmel sehen, von denen jedes zu besonderen Verrichtungen bestimmt sei und einem gewissen Planeten zugehöre. Das erste Haus z.B. beziehe sich auf das Leben und die Temperamente, das letzte auf die Feinde, das Gefängnis und die Treue der Bedienten. Dem Merkur gefiele es im ersten Haus besser als den übrigen Planeten, und er breite von daher ein glückliches Leben und starke Leibeskräfte aus. Die Venus hielte sich gern im fünften Haus auf und verspräche Freude an Kindern zu erleben.

Dieses vorausgesetzt, nebst noch anderen Anmerkungen vom gleichen Schlag, wird Ihnen nunmehr der Sterndeuter sagen, welches Land, welches Volk und welche Tiere sich vor den Kometen hauptsächlich zu fürchten haben und was für eine Art von Übeln er drohe. Im Widder bedeute er schwere Kriege, großes Sterben, den Fall hoher Häupter und das Steigen der Niedrigen, große Dürre in den Orten, die unter dem Gebiet dieses Zeichens stünden. In der Jungfer bedeute er frühzeitige und gefährliche Niederkunft der Schwangeren, starke Auflagen, Gefangennehmungen, die. Unfruchtbarkeit und den Tod vieler[59] Frauenspersonen. Im Skorpion bedeute er außer den vorigen Übeln Ungeziefer und Heuschrecken in unzähliger Menge. In den Fischen Religionsstreitigkeiten, fürchterliche Lufterscheinungen, Krieg, Pest und allemal den Tod der Großen.

Läuft zu allem Unglück der Komet durch Zeichen, welche menschliche Gestalt haben, z.B. die Zwillinge, die Jungfer, den Orion usw., so werden es die Menschen entgelten müssen. Geschieht sein Lauf durch das Zeichen des Widders, des Stiers, des Schwanes, des Adlers, der Fische, so müssen die Tiere herhalten – und sind es männliche Zeichen, so müssen die Männlein, sind es weibliche Zeichen, so müssen die Weiblein leiden. Läuft der Komet durch die Schamglieder einer gewissen Konstellation, so mögen sich die Unkeuschen in acht nehmen. Ist der Komet seiner Stellung oder seinem Aspekt nach saturnisch, so bringt er alle die üblen Wirkungen des Saturns hervor: die Eifersucht, die Schwermütigkeit, das Mißtrauen und Schrecken. Ist er im anderen Haus, im Haus der Reichtümer, so macht er den Gewinn zuschanden, verursacht Diebstähle, macht Bankerotteure, und so mit den übrigen. Denn überhaupt urteilt ein Sterndeuter von der Wirkung eines Kometen nach solchen Regeln, da er vorgibt, dieses oder jenes Zeichen in diesem oder jenem Haus und Aspekt bedeute dies oder das dieser oder jener Sache.11

Selten geschieht es, daß man die Kometen etwas Gutes prophezeien läßt. Doch in der Schweiz hat sich ein Sterndeuter gefunden, der, als er im Jahre 1661 von einem Kometen bemerkt, daß er durch das Zeichen des Adlers gelaufen und zu dessen Füßen verschwunden, die Versicherung gab, es würde das türkische Reich vom römischen Kaiser über den Haufen geworfen werden. Allein der Erfolg stimmte mit dieser Prophezeiung so schlecht überein, daß die Türken zwei Jahre darauf beinahe ganz Ungarn weggenommen und vermutlich alle Erbländer des Österreichischen Hauses würden an sich gerissen haben, wenn nicht der König von Frankreich dem Kaiser zu[60] Hilfe gekommen wäre und ihn in den Stand gesetzt hätte, mit der Pforte einen Frieden zu schließen. Es geht den Sterndeutern mit ihren Prophezeiungen wie den Poeten. Gemeinhin sind sie wider die Türken gerichtet, aber ohne Erfolg. Es ist schon über hundert Jahre, daß alle französischen Dichter uns als andere Orakel vorsingen, unsere Könige würden bald den Großsultan vom Thron stürzen und am Ufer des Jordans und des Euphrats ihre Siegeszeichen aufrichten. Der Herr Despréaux, der Schrecken Frankreichs, der sich oft über dergleichen Einfälle aufgehalten, hat diesen Fehler letzthin selbst begangen, da er schreibt:


Je t'attens dans deux ans aux bords de l'Hellespont,

Zwei Jahre fehlen noch, so hat der Fuß den Strand des Hellesponts erreicht.


Und er ist ein ebenso falscher Prophet gewesen wie seine Mitbrüder.

Es ist gar nichts Neues, daß die Sterndeuter auf so schändliche Torheiten verfallen. Sie machten es schon zu des Plinius12 Zeiten nicht anders. Man gibt vor, schreibt er, es sei nicht gleich, ob die Kometen ihre Strahlen auf gewisse Orte zu schießen lassen oder ihre Kraft von gewissen Sternen erhalten, ob sie gewisse Dinge darstellen oder an gewissen Gegenden des Himmels leuchten. Sehen sie so aus wie eine Schalmei, so gehen ihre Vorbedeutungen die Musik an, stehen sie in den Schamgliedern eines Himmelszeichens, so haben sich die Unkeuschen in acht zu nehmen, macht ihre Stellung bei Betrachtung der Fixsterne einen Triangel oder ein gleichseitiges Viereck aus, so hat es für die Künste und Wissenschaften was zu bedeuten. Sie vergiften die Luft, wenn sie sich im Kopf der südlichen oder nördlichen Schlange befinden.

Ich bitte Sie recht wohl, mein Herr, überlegen Sie nur einmal, ob es nicht scheint, als hätte man alle Scham verloren, daß man Sätze von dieser Art zugrunde legt. Was? Weil ein Komet gewissen Sternen gegenübersteht, welche die Alten, den poetischen Dichtungen zu gefallen, die[61] Jungfer genannt, da nämlich die Dichter sagten, es wäre die Gerechtigkeit oder die Jungfer Asträa aus Abscheu vor der verdorbenen Welt in den Himmel entflohen13, so soll das soviel bedeuten: die Weiber würden unfruchtbar sein oder zu zeitig gebären oder keine Männer bekommen. Ich sehe nicht, was übler zusammenhängen sollte. Es ist schlechterdings ein Eigensinn, daß man sich dieses Zeichen unter der Gestalt eines Frauenzimmers vorstellt, denn in der Tat sieht es einem Menschen so ähnlich wie etwas anderem. Und gesetzt, es wäre wahr, daß es menschliche Gestalt hätte – hat man durch Hilfe der besten Ferngläser so gute Augen, daß man unterscheiden kann, ob es ein Frauenzimmer und nicht vielmehr eine Mannsperson darstellt? Ja, könnte man auch gleich dieses unterscheiden, würden wir dadurch wissen können, daß es mehr einer Jungfer als einer Frau ähnlich sei? Und vermöchten wir auch endlich alle diese künstlichen Entdeckungen zu machen, so daß wir ganz deutlich sehen könnten, eine gewisse Anzahl von Sternen habe eine solche Stellung, daß die Figur einer Jungfer daraus entstünde – wird alsdann folgen, daß dieselben einem Körper, der vielleicht dreißig Millionen Meilen von ihnen entfernt ist, einen solchen Einfluß mitteilen, der die Vermehrung des menschlichen Geschlechts aufhebt? Man hätte weit mehr Recht, folgenden abgeschmackten Satz zu behaupten: Wenn ein Bäcker die Gestalt einer Mannsperson oder eines Frauenzimmers auf einen Kuchen machte, so vergifte er diesen dadurch, daß alle die Mannspersonen und Weibsbilder, die davon essen würden, sterben müßten. In Wahrheit, das Vorgehen der Sterndeuter verdient den Tadel, welchen Plinius14 über eine andere Art von Lügnern ausgesprochen hat: Solche Sachen im Ernst behaupten wollen, würde von einer entsetzlichen Verachtung der Menschen zeugen, und man könne alsdann sicher glauben, daß die Gewohnheit, die Lügen nicht zu bestrafen, ungemein überhandgenommen haben müsse.

Ich werde mir daher die Mühe nicht machen, das weitläufig zu beweisen, was ich hier so frei gegen die Sterndeuterkunst[62] gesprochen habe. Ich bin sicher, daß Sie in diesem Stück völlig meiner Meinung sind, und überdies weiß ich, daß sehr viele schöne Schriften aller Welt vor Augen liegen, welche die Unrichtigkeit dieser eingebildeten und betrügerischen Kunst auf das deutlichste beweisen. Ich glaube nicht, daß jemand gegen die Sterndeuter die Feder ergriffen, der sie nicht gänzlich zuschanden gemacht haben sollte und der von dieser Materie nicht ebenso, wie die Römer von Afrika, hätte sagen können: Hier habe er eine rechte Ernte von Siegen gefunden. Sollte auch jemand gegen die Astrologie geschrieben haben, ohne ihr einen tödlichen Stoß zu versetzen, so wäre das eine Sache, die man nicht leicht nachmachen könnte, und ein solcher sollte billig ein jährliches Gehalt von einem Prinzen bekommen haben, der so gesinnt gewesen wie der Kaiser Galienus, welcher einem gewissen Ritter den Preis reichen ließ, der es zwar mit einem Ochsen im Gefecht angelegt hat, diesen aber eine ziemliche Weite herumgejagt, ohne ihm einen Streich versetzen zu können, welches alsdann der Kaiser für eine Schwierigkeit hielt, die man belohnen müßte.15

Es verlohnte sich daher nicht der Mühe, daß ein so vortrefflicher Kopf, wie der Graf Mirandola gewesen, die Feder gegen die Astrologie ergriffen hat. Ein mittelmäßiger Geist würde es auch schon mit gutem Erfolg getan haben. Das hieß: Kleine Vögel mit des Herkules Pfeilen totschießen, wie solches Philoktet16 bei der Belagerung von Troja tat und einen Adler mit einer Fliege hat kämpfen lassen. Es ist auch sehr wahrscheinlich, daß der Herr Graf seinen Zorn gegen die Astrologie nur deswegen ausgeschüttet hat, weil dieselbe, so ungereimt sie ist, durch das Beispiel der vornehmsten Leute damals in großes Ansehen gekommen war; denn das sind eben die Leute, die das Zukünftige so gern wissen wollen. Ihr Ehrgeiz erweckt in ihnen ein unersättliches Verlangen, zu erfahren, ob auch das Glück mit aller Hoheit, die sie sich wünschen, auf sie wartet, damit sie wenigstens nur dem Versprechen nach die Größe, nach der sie streben, besitzen möchten. Es ist auch zu vermuten, daß die Zeichendeuter damaliger[63] Zeit nicht ohne Ursache gewartet haben, bis dieser gelehrte Gegner tot war, ehe sie sich mit ihrer Prophezeiung, daß er im zweiunddreißigsten Jahr sterben würde, sehen ließen, was die ganze Antwort war, welche sie sich rühmen, seinen Büchern entgegengesetzt zu haben. Denn man geht nicht allzu sicher, wenn man diejenigen vor der Zeit bedroht, die gegen die Astrologie schreiben. Es möchte einem sonst wie jenem Sterndeuter Chorin gehen, der alle Welt bereden wollte, es würde der Herr Gassendi, ein geschworener Feind der Astrologie, im Jahr 1650, Ende Juli oder Anfang August, mit dem Tode abgehen, und welcher alsdann zu seiner größten Beschimpfung sehen mußte, wie dieser von seiner Krankheit wieder befreit wurde, auf die sich allem Anschein nach die Prophezeiung wohl mehr als auf die Kraft der Gestirne gegründet haben mochte.17


18. Von dem Ansehen der Astrologie bei den alten Heiden

Doch es wird nicht ohne Nutzen sein, wenn ich zeige, wie die Astrologie, so handgreiflich auch ihr Betrug ist, sich dennoch eine Art der Herrschaft über die ganze Welt verschafft hat. Man kann aus verschiedenen Schriftstellen18 beweisen, daß der babylonische Hof voller Wahrsager und Zeichendeuter gewesen ist, die ihre Prophezeiungen überall ausgebreitet haben und der ganzen Nation mit tausenderlei betrügerischen Hoffnungen geschmeichelt haben. Es waren deren auch in Ägypten eine große Menge. Sie hatten ebenfalls die Stadt Rom so eingenommen, daß ein ausdrückliches Verbot der Kaiser diesem Mißbrauch steuern mußte. Allein diesem Befehl, sie zu verbannen, wurde so schlecht nachgekommen, daß ein Geschichtsschreiber19 anläßlich dieser Nachlässigkeit schreibt: Man würde die Sterndeuter beständig fortjagen und sie doch auch beständig dabehalten. Das ist zwar nicht so zu verstehen, als ob die Nichtigkeit ihrer Prophezeiungen[64] ein hinlängliches Mittel gewesen wäre, ihnen ihr Ansehen zu erhalten, denn der einzige Kaiser Claudius, dem sie unaufhörlich mit der Todesstunde drohten, hat sie so oft zu Lügnern gestempelt, daß Seneca den Merkur einführt, als er die Parze bittet, sie möchte doch zugeben, daß die Wahrsager nur einmal wahr redeten.20 Allein, was wollen Sie, mein Herr? Die Menschen lassen sich gern betrügen, daher vergessen sie gar bald, wenn der Sterndeuter schändlich gelogen hat, und erinnern sich nur derjenigen Gelegenheiten, da seine Wahrsagungen für richtig angesehen worden sind. Heinrich der Große hat dieses sehr wohl angemerkt. Es verging kein Jahr, kein Monat, da die Sterndeuter nicht mit der erschrecklichen Drohung seiner Todesstunde angelaufen kamen. Er sagte daher einmal: Sie werden doch einmal wahr reden, und die Leute werden alsdann dieses letzte Mal, da sie wahr prophezeit haben, besser behalten als die vielen Male, da ihr Vorhersagen falsch gewesen war.21 Ebendiese Anmerkung machte jener bei den Delphischen Göttersprüchen. Diejenigen, welche die Wahrheit vorher verkündigt, kannte man auswendig und redete überall davon. Die aber das Gegenteil gesagt hatten, wurden vergessen, oder man verschwieg sie wenigstens, denn die Anhänger des Apollo erhoben bei jeder Gelegenheit die wenigen Göttersprüche, da er nicht betrogen hatte, und berührten nicht mit einem Worte die große Anzahl der falschen Prophezeiungen. Diejenigen aber, die sich aus den Orakeln nicht viel machten, nahmen sich nicht einmal die Mühe, weder von den falschen noch von den richtigen Weissagungen des Apollo zu sprechen, einige wenige ausgenommen, die etwa so gesinnt sein mochten wie ein berühmter griechischer Weltweiser mit Namen Oenomaus, dem die Antwort des Apollo etliche Male falsch berichtet hatte, so daß er endlich böse wurde und eine ganze Sammlung seiner Weissagungen zusammentrug, darin er ihre Torheit und Unrichtigkeit aller Welt vor Augen legtet.22 Bei dieser Verfassung des menschlichen Gemütes ist es gar kein Wunder, daß sich die Sterndeuter doch noch gehalten haben,[65] ob man gleich Befehl gegeben, sie aus dem Lande zu jagen, und sie sich noch dazu selber geschadet haben, da sie so oft Dinge vorhergesagt, die ihr Lebtag nicht eingetroffen. Darüber möchte man sich eher wundern, wie der menschliche Verstand die Torheit begehen kann, daß er sich von Leuten betrügen läßt, die sich täglich selber betrügen. Und darüber wunderte sich auch jener edle Römer23, als er sah, daß Pompejus, Crassus und Cäsar ein ganz anderes Schicksal erlebten, als ihnen die Wahrsager prophezeit hatten. Wie so gar wenige denken doch an jenen ehrlichen Menschen, der sich bei der schönen Daphne bedankte, daß sie ihn von dem Aberglauben des Delphischen Orakels befreit, da er gesehen, wie glücklich sie alle die verliebten Unternehmungen eines Gottes zuschanden machte, der sich so sehr rühmte, zukünftige Dinge vorherzuwissen. Doch wir wollen diese moralischen Betrachtungen beiseite stellen und nur so viel sagen, daß das heidnische Altertum sich von den Sterndeutern ganz entsetzlich hat betrügen lassen.


19. Von dem Ansehen der Astrologie bei den heutigen Ungläubigen

Die Mohammedaner und heutigen Heiden sind in diesem Stück noch ärger. Der Herr Bernier versichert in seiner kuriosen Beschreibung der Länder des großen Mogols, daß die meisten in Asien von der Astrologie so viel Wesen machen, daß sie bei allen ihren Unternehmungen die Sterndeuter zu Rate ziehen. Wenn sich zwei Armeen schlagen sollen, so wird nicht eher angefangen, als bis der Sterndeuter den glücklichen Augenblick dazu bestimmt hat. Will man einen General erwählen, einen Abgesandten verschicken, eine Heirat schließen, eine Reise antreten oder die geringste Sache vornehmen, z.B. einen Sklaven kaufen oder ein neues Kleid anlegen, so kann das alles nicht eher geschehen, bis der Herr Sterngucker es haben will.[66]

Die Reisebeschreibungen des Herrn Tavernier24 berichten uns fast ein Gleiches von den Persern. Diese halten überhaupt die Sternseher für angesehene Leute. Man fragte sie um Rat, als wenn sie Orakel wären. Der König hat deren allemal drei bis vier bei sich, damit sie sagen können, welche Stunde gut oder böse sei. Man verkauft alle Jahre in Persien einen Kalender, der lauter Prophezeiungen von Krieg, Krankheiten und Teuerung enthält: Dabei findet man Anmerkungen über die Zeit, wann gut aderlassen, gut purgieren, gut reisen ist, wann man ein neues Kleid anziehen kann und dergleichen andere Dinge mehr. Dieser Kalender findet bei ihnen so viel Glauben, daß, wer einen haben kann, sich gänzlich danach zu richten pflegt. Man hat die Sache so weit getrieben, daß, als im Jahre 166725 der König von Persien, Schah Sophi – der andere dieses Namens –, seine Gesundheit nicht wiedererlangen konnte, sosehr sich auch seine Ärzte darum bemühten, man nicht anders glaubte, als daß die Sterndeuter daran schuld wären, weil sie vielleicht zur Krönung des Königs eine unglückliche Stunde erwählt hätten. Was war zu tun? Man mußte wieder von vorn anfangen. Die Ärzte und Sternseher kamen zusammen, man wurde wegen einer glücklicheren Stunde miteinander einig. Die Zeremonien der Krönung wurden noch einmal vorgenommen, und man befand es sogar für gut, des Königs Namen zu ändern. Die Ärzte spielten bei dieser Komödie die Hauptrolle. Sie fürchteten sich vor der Ungnade des Königs, in die schon einige aus ihrer Mitte gefallen waren. Daher bedachten die sich geschwind und rechtfertigten die Medizin auf Kosten der Astrologie, indem sie versicherten, die Krankheit des Königs und die Teuerung, die zu gleicher Zeit das Land drückte, seien eine Wirkung des Fehlers, den die Sternseher begangen hätten. Und das sagten sie nicht nur, sie wollten es auch beweisen. Sie verstünden das Zukünftige ebensogut, sagten sie, wie jene. Dem König und seinen Räten gefiel der Vorschlag. Der Befehl kam, die Ärzte und Sterndeuter sollten miteinander zu Rate gehen und eine glückliche Stunde bestimmen,[67] daß man den König zum anderen Mal krönen könnte. Schade, daß Molière sich nicht auf diese Beratung der Ärzte und Sterndeuter über das allgemeine Beste eines Reiches besonnen! Was für Spöttereien würde er nicht angebracht haben, wenn er gesehen hätte, wie die Medizin die Astrologie um Hilfe anspricht! Allein in Persien ist das anders – da lacht man über solche Sachen nicht. Ein Kerl, der sich daselbst rühmt, von zukünftigen Dingen eine Erkenntnis zu haben, bekommt daselbst die Aufsicht über des Königs Verhalten. Eine Figur in der Punktierkunst war Ursache, daß der große Schah Abas26, so verständig und herzhaft er auch sonst war, ganze drei Tage vor den Toren der Stadt Ispahan liegen blieb und es nicht wagen durfte, einen Fuß in die Stadt hineinzusetzen.

Die Nachrichten27 von China besagen, daß alle Reichshändel daselbst nur nach astronomischen Rechnungen geschlossen werden. Der Kaiser tut nichts, wenn er nicht zuvor nach seiner Nativität gesehen. Man hat Leute da, die dazu bestellt sind, daß sie die ganze Nacht auf einem hohen Berg nach den Sternen gucken müssen, damit sie dem Kaiser von ihrer Bewegung und Bedeutung zuverlässige Nachricht geben können. Die Chinesen haben eine gewisse astrologische Regel, die sie sehr in Ehren halten: Man müsse nämlich nicht purgieren, wenn der Mond im Stier steht, denn da der Stier eins von den Tieren ist, die wiederkäuen, so stünde zu befürchten, das Purgieren möchte sich in ein Brechen verwandeln. Dies ist wohl der lächerlichste Einfall, den ein Mensch haben kann. Fürs erste hat das Zeichen des Stieres mit dem Tier, das wir so nennen, nicht mehr Verwandtschaft und Ähnlichkeit als mit einem Baum, so daß man also einem jeden Himmelszeichen ebensogut den Namen und die Figur eines Heiligen geben könnte, wie auch einige getan haben28, wie die Benennung und Gestalt irgendeines anderen Dinges. Und fürs andere: Weiß man denn nicht, daß die Stelle des Stieres am Himmel verändert wurde und daß also, wenn wir sagen, die Sonne oder der Mond stehen im Stier, solches nicht soviel bedeutet, als stünden sie diesen[68] Sternen des Firmaments, welche man den Stier nennt, gegenüber, sondern daß sie den Punkten des ersten Bewegungs kreises entgegen stehen, welchen sie vor diesem gegenüberstanden.

Ebendiese Chinesen behaupten, daß diejenigen, welche bauen, sich vor dem vierten Grad des Skorpions in acht nehmen müßten, weil ein Haus, das unter diesem Aspekt aufgebaut wurde, voll von Skorpionen, Drachen und Ungeziefer werden würde. Auf solche Art sollte man fast glauben, daß sie ihren Häusern die Nativität stellen, wie ehemals Torrutius Firmanus der Stadt Rom die Nativität stellte. Cicero29 mag sich hierüber aufhalten, wie er will, wenn der Himmel in die Geburtsstunde eines Menschen seinen Einfluß hat, so kann er ihn ja wohl auch in die Erbauung eines Palastes haben. In Japan bildet man sich ein, wenn ein Haus lange stehen und seine Einwohner gut Glück haben sollten, so sei daran viel gelegen, wenn gleich bei Anfang des Baues sich einige von ihnen das Leben selber nähmen. Die Tunesier30 haben ein gewisses Götzenbild, dem sie häufig Opfer bringen, wenn sie ein Haus bauen wollen, und die Umstände, die sich bei einem anzufangenden Gebäude ereignen, haben nach den Sätzen dieser Leute einen starken Einfluß auf desselben Glück oder Unglück. Warum sollten also ihre Zeichendeuter nicht das Schicksal eines Hauses nach dessen Nativität und aus dem Gestirn, darunter desselben Grund gelegt worden, erraten können? Alle Völker in Ostindien sind fast ebenso stark von der Astrologie eingenommen wie die Chinesen.


20. Von dem Ansehen der Astrologie bei den Christen

Doch warum verirren wir uns in den Ländern der Ungläubigen, solcher Leute, die bei ihren unzähligen groben Irrtümern den unvernünftigen Tieren ziemlich nahekommen? Warum wollen wir erst in die Zeiten des alten Heidentums zurückgehen, wo es kein Wunder ist, daß die[69] Astrologie geherrscht hat, weil der Aberglaube dazumal so stark war, daß man glaubte, das Eingeweide eines Kalbes könnte besser raten, wenn man eine Schlacht liefern müßte, als die Geschicklichkeit Hannibals, wie dieser große Feldherr31 solches dem König Prusias sehr artig zu verweisen wußte. Man darf so weit nicht gehen, man kann dasjenige, was man sucht, näher finden. Wem ist es unbekannt, wie stark die Torheit des Nativitätstellens viele Jahrhunderte durch in dem ganzen Okzident mitten unter uns Christen überhandgenommen hat? Ist nicht Albert der Große, Bischof in Regensburg, der Kardinal d'Ailly, sind nicht noch andere so verwegen gewesen, daß sie dem Herrn Christo die Nativität gestellt und gesagt haben: Die Aspekte der Planeten hätten ihm all das Wunderbare vorher prophezeit, welches in seiner Person sich sehen lassen hat, das doch augenscheinlich falsch ist, weil die Kraft und die Wunder des Sohnes Gottes ganz und gar übernatürlich gewesen sind. Hat man nicht, nicht nur den falschen Religionen, sondern auch der christlichen Religion, die Nativität gestellt und von dem Schicksal einer jeden nach der Beschaffenheit des Planeten, darunter sie entstanden ist, geurteilt? Denn man hat jeder Religion einen Planeten zugeteilt. Die Sonne ist der christlichen Religion zugefallen, und daher ist bei uns der Sonntag ein sonderlich beliebter Tag, daher ist Rom eine Sonnenstadt und eine heilige Stadt, daher gehen die Kardinäle, die sich da aufhalten, rot gekleidet, weil das die Leibfarbe der Sonne ist. Sollten diejenigen, die dergleichen Dinge ungestraft haben sagen dürfen, nicht in solchen Zeiten gelebt haben, da die Astrologie ungemeinen Glauben gefunden hat? Wie viele christliche Fürsten könnte ich nicht anführen, die ihr ganzes Verhalten nach dem Gutdünken der Sterndeuter einzurichten pflegten. So einer war Matthias Corvinus32, König in Ungarn, der nichts ohne ihre Einwilligung tat. Ein solcher war ferner Ludwig Sfortia33, Herzog in Mailand, der keinen Handel eher anfing als zu der Zeit, da es ihm der Astrologus vorgeschrieben, dessen Befehlen er so genau nachlebte, daß[70] ihn weder Regen noch Hagel, noch Kot, noch Sturm verhindern konnten, mit seiner ganzen Hofstatt zu Pferde zu steigen und an den Ort zu entfliehen, den der Sterndeuter ihm angewiesen hatte. Und dennoch geriet er dem Feind in die Hände, der ihn bis an sein Ende mit einem harten Gefängnis belegt hat. Ist diese Torheit eines christlichen Fürsten nicht ebenso groß wie jene, die der große Schah Abas begangen und die ich kurz vorher erzählt habe?


21. Von dem Ansehen der Astrologie in Frankreich

Was soll ich von unserem Vaterland sagen? Hat man nicht eine Zeit erlebt, da der Französische Hof selbst, der doch vermöge des Charakters, den die ganze Nation führt, gegen allerhand abergläubische Gebräuche von Natur verwahrt ist und folglich in dergleichen Irrtümer nicht so leicht verfallen kann wie andere Höfe, voller Sterndeuter gewesen, die man überall zu Rate gezogen hat und die, dem Vorgeben nach, alles das vorher verkündigt hatten, was geschehen war? Der Pater Martin del Rio34, dieser so gelehrte und fromme Mann, versichert uns, er habe zu den Zeiten der Katharina von Medici gesehen, daß die Hofdamen nicht das geringste vorzunehmen gewagt, bevor sie die Sterndeuter, welche sie ihre Barons nannten, um Rat gefragt. Das Übel nahm so stark überhand, daß sowohl durch die Drohungen der Kirche als durch das Ansehen der weltlichen Obrigkeit der Verkauf der Kalender untersagt werden mußte, darin sich die Sterndeuter aller Freiheit bedienten, Sachen vorherzusagen, die sie nur für gut befanden. So verbietet wirklich das Provinzialkonzilium, so im Jahr 1583 in Bordeaux gehalten worden, dergleichen Kalender zu lesen, zu behalten und ihnen Glauben beizumessen.35 Ein anderes, das im Jahr 1590 zu Toulouse gehalten worden, tut desgleichen und gebietet allen und jedem, die Bulle des Papstes Sixtus des fünften dieses Namens von 1586 genau zu beobachten, welche[71] den ordentlichen Bischöfen und geistlichen Gerichtsbeamten das Recht gibt, alle diejenigen nach den Kirchenverordnungen zu bestrafen, welche sich unterfangen, zukünftige Dinge vorherzusagen. In den Generalständen von Orleans im Jahr 1560 und in den Generalständen von Blois im Jahr 1579 ward verordnet, daß man außerordentlich und mit Leibesstrafe wider die Urheber solcher Kalender verfahren sollte, anbei wurde bei Strafe des Gefängnisses oder einer willkürlichen Strafe verboten, diese Kalender zu drucken oder in Buchläden zu führen.

Allein demungeachtet fiel das Ansehen der Sterndeuter doch nicht: denn es ist ganz gewiß, daß der Hof Heinrichs IV. voller Prophezeiungen gewesen. Nicht nur das Frauenzimmer forschte aus natürlicher Leichtgläubigkeit und Neugierigkeit nach ihrem Schicksale, auch wackere Mannespersonen taten dies; darunter man den Marschall von Biron mit Recht zählen kann, welchen der König, da er ihn als Abgesandten nach London schickte, das beste Werkzeug seiner Siege nannte und der auch in der Tat ein sehr beherzter und dabei gelehrter Herr war. Heinrich IV. selber, ob man ihn gleich den großen Heinrich nannte, sah doch den Betrug dieser Kunst nicht allemal so gut ein, wie er es auf die letzte getan. Ich habe in den Nachrichten des Herrn de Sully gelesen, da die Königin mit einem jungen Prinzen niedergekommen, der unter dem Namen Ludwigs des Gerechten so rühmlich regiert hat, so habe Heinrich der Große seinem Leibarzte, mit Namen La Rivière, der ein guter Nativitätsteller sein sollte, Befehl gegeben, er sollte dem neugebornen Prinzen die Nativität stellen. Dieser habe sich zwar geweigert, aber endlich es doch tun müssen. Als er aber dem König von seiner Arbeit nicht Rechenschaft geben wollte, so befahl ihm dieser schlechterdings und bei Strafe der Ungnade, alles zu sagen, was er gefunden hätte. Und so tat er es dann. Nach und nach hat unsere Nation diese Torheit abgelegt, entweder weil wir so gern den Wechsel lieben oder weil die Weltweisheit, die man in diesem Jahrhundert so stark getrieben, die Vernunft bei uns stark gemacht, nachdem[72] alle anderen Wissenschaften, die man seit Franz' I. Regierung mit so vielem Ruhm getrieben, dieselbe kaum von dem Joch der Vorurteile befreit hatten. Und das muß man auch einer gesunden und gründlichen Philosophie zugestehen, daß sie allein geschickt ist, die Ungeheuer pöbelhafter Irrtümer wie ein anderer Herkules zu verbannen. Sie allein ist vermögend, den Kopf aufzuräumen.


22. Daß durch das allgemeine Vorurteil von der Astrologie das Ansehen fallen muß, welches sich nur auf die Menge der Anhänger gründet

Scheint es Ihnen nicht, mein Herr, daß dieses hier eine sehr unnötige Abschweifung gewesen? Allein, übereilen Sie sich nicht. Sie werden bald sehen, daß sie zu meinem Zweck dient. Meine Hauptabsicht ist, das Ansehen zu schwächen, welches keinen andern Grund hat als die Menge der Anhänger. Diese zu erreichen, kann ich nicht besser verfahren, als wenn ich zeige, wie die Astrologie, da sie nicht die allergeringste Wahrscheinlichkeit zum Grunde hat, dennoch den größten Teil der Welt zu allen Zeiten hat einnehmen können. Wenn ich alsdann die Sache auf der andern Seite betrachte und mit Wahrheit sagen kann, obgleich eine ungeheure Menge Anhänger für die Astrologie streitet, sei dennoch der Beifall, den man ihren Prophezeiungen gibt, schlechterdings unbegründet und lächerlich; so muß es auch recht sein, wenn ich behaupte: daß die Wahrsagungen, die man auf die Erscheinung der Kometen gründet, schlechterdings nichtig sind, so groß auch die Anzahl derer ist, die dieselben glauben; weil alle diese Prophezeiungen keinen andern Grund als die betrüglichen Lehrsätze der Astrologie haben.

Sollten Sie mich also gleich beschuldigen, daß ich allzusehr abschweifte, so kann ich mich gar leicht verantworten. Sie wissen, daß bei vielen allgemeinen Irrtümern ein jeder das Recht hat, von andern zu fordern, daß man ihm[73] Gehör gebe, wenn er allein für seine Meinung spricht; doch so, daß auch diejenigen, so ihn hören, das Recht behalten, sich bestens zu verteidigen: nicht zwar kraft der Verjährung oder durch das Vorurteil der meisten Anhänger, sondern durch eine gründliche Untersuchung der Wahrheit. Ich nehme, wie Sie denken können und wie Sie wirklich denken würden, wenn ich es gleich nicht sagte, ich nehme, sage ich. Glaubenssachen aus. Ändern Sachen, so alt sie auch sind und so groß die Anzahl ihrer Anhänger sein mag, kann man zwar, wenn man noch gnädig mit ihnen verfahren will, darin einigen Vorzug lassen, allein im übrigen sind sie einander durchgängig gleich. Müßte man also gleich ein Vorurteil behalten, so würde ich es einer einzelnen Person weniger verdenken als einer großen Menge; denn da die natürlichen Wahrheiten nicht so geschickt sind, die Leidenschaften zu reizen und zu kitzeln, noch auch die Menschen durch verschiedene Vorteile zur Unterhaltung der Gesellschaft so leicht bewegen können wie gewisse falsche Meinungen, so ist es allemal wahrscheinlicher, daß die Meinungen, die sich in die Gemüter der Menschen eingeschlichen, falsch sind, als daß sie wahr sein sollten. Doch wir wollen davon an einem andern Ort weitläufiger handeln. Unterdessen wollen wir ein wenig ausruhen.

A..., den 3. April 1681


23. Vierter Grund: Wenn es auch wahr wäre, daß allemal auf die Erscheinung der Kometen viel Unglück erfolgt sei, so kann man doch nicht sagen, daß dieselben ein Zeichen oder eine Ursache davon gewesen

Ich komme nun wieder zur Sache und sage viertens: Wenn es auch wahr wäre, daß allemal auf die Erscheinung der Kometen unzählige Unglücksfälle erfolgt sind, so kann doch der Grund davon nirgends anders als einzig und allein in der Beschaffenheit irdischer Dinge zu finden sein,[74] vermöge welcher alle Sachen in der Welt unzähligen Veränderungen unter worfen sind. Man könnte daher mit gleichem Recht von allen nur beliebigen Dingen, z.B. von der Vermählung eines Königs oder Geburt eines Prinzen, behaupten, daß sie einen solchen Einfluß hätten, weil es ganz gewiß ist, daß niemals eine königliche Vermählung geschlossen oder ein Prinz geboren wurde, da sich nicht irgendwo in der Welt unglückliche Begebenheiten sollten ereignet haben. Mit einem Wort: Es ist ebenso wahrscheinlich, wenn man den ordentlichen Lauf der Welt voraussetzt, daß in einem Jahr, welches man nur will, große Drangsale in der Welt, wenn nicht an diesem, so doch an einem andern Ort erfolgen werden; wie es wahrscheinlich ist, daß ein Bürger von Paris, er mag den Tag über zum Fenster auf die St.-Michaelis-Brücke heraussehen, wann er will, Leute auf der Gasse vorbeigehen sehen wird. Indessen hat das Heraussehen dieses Bürgers nicht den geringsten Einfluß auf die Vorbeigehenden, und ein jeder von ihnen würde ebensowohl vorbeigegangen sein, wenngleich der Bürger nicht zum Fenster hinausgeschaut hätte. Folglich hat auch der Komet keinen Einfluß auf die Begebenheiten der Welt, und sie würden erfolgt sein, wie sie wirklich erfolgt sind, wenngleich kein Komet am Himmel gestanden hätte.

Man muß sich wundern, wenn man bedenkt, daß ein Lehrsatz, der die allgemeine Ruhe so sehr gestört hat, keinen andern Grund gehabt als diesen: post hoc, ergo propter hoc – das ist vorhergegangen, folglich bat dies folgen müssen, dessen Unrichtigkeit man doch schon auf Schulen hat einsehen lernen; und daß unter der großen Anzahl gelehrter Leute so gar wenige gefunden werden, welche wahrgenommen, daß man hierin gegen die ersten Gründe der Vernunft verstößt. Es ist ferner zu bewundern, wie die Menschen, die das Zukünftige sonst so heftig fürchten, eine so beunruhigende Meinung haben annehmen können, ohne vorher zu untersuchen, ob sie in der Vernunft verankert wäre oder nicht. Doch alle diese Gründe der Verwunderung sind bei denjenigen nicht lange stichhaltig,[75] welche das menschliche Herz kennengelernt haben und denen es schon bekannt ist, daß dasselbe durchgängig gewohnt ist, von allen Dingen nach dem ersten Eindruck der Sinne und Leidenschaften zu urteilen, ohne eine Untersuchung zu erwarten, die zwar richtig, aber dabei etwas beschwerlich sein würde. Leute, die studiert haben, sollten andern als Lichter vorangehen, so aber folgen sie lieber dem ganzen Haufen, als daß sie sich bemühen würden, denselben auf die Bahn wahrer Gelehrter zu lenken.


24. Fünfter Grund: Es ist falsch, daß nach der Erscheinung der Kometen mehr Unglück als sonst erfolgt ist

Über alles dieses lassen sich noch verschiedene Sachen erweisen. Fürs erste ist es ausgemacht: Wenn man alles zusammenrechnen wollte, was entweder in der ganzen Welt oder in einem ihrer größten Teile vorgefallen, so würde ebensoviel Unglück herauskommen, das sich entweder bei oder gleich nach dem Erscheinen der Kometen zugetragen, wie in den übrigen Jahren, da kein Komet vorhergegangen oder gesehen worden ist. Fürs andere sind die Jahre, für die der Einfluß der Kometen ein Gift gewesen sein soll, ebenso merkwürdig wegen großer Glücksfälle an einigen Orten der Welt wie alle anderen Zeiten. Drittens sind nicht die traurigsten Begebenheiten und die schrecklichsten Zufälle, sondern die glücklichsten Zeiten eine Folge der Kometen gewesen. Kurz von der Sache zu reden : Man kann erweisen, daß, wenn man die allgemeine Geschichte der Welt sich vornimmt und all das Böse und Gute mit Fleiß überrechnet, das die ganze Welt in fünfzehn oder zwanzig Jahren empfunden; so wird man, eines zu dem andern gerechnet, befinden, daß dieses demjenigen Glück und Unglück ziemlich nahekommt, welches die ganze Welt in einer andern Frist von fünfzehn oder zwanzig Jahren empfunden. Daraus kann man sehen, daß die[76] Jahre, die auf das Erscheinen der Kometen folgen, vor andern nichts voraushaben und daß man also sehr unbillig handelt, wenn man von der Erfahrung so viel Aufhebens macht.


25. Ob es glückliche oder unglückliche Tage gibt

Gleiche Bewandtnis hat es auch mit denen, die mit Gewalt behaupten: gewisse Zeiten schickten sich zu wichtigen Begebenheiten mehr als andere. Bodin, dieser verständige und ungemein belesene Mann, der bei aller seiner Geringschätzung der Religion in verschiedenen Dingen so viel abergläubisches Wesen hat blicken lassen, hat sich unter anderm aus diesem Grund Mühe gegeben und uns eine große Sammlung36 verschiedener Reichsveränderungen, die alle im Monat September vorgefallen, zusammengetragen. Mit einem einzigen Wort kann man ihn und alle diejenigen abfertigen, welche bei solchen Bemühungen die Zeit verschwenden, da sie z.B. alles dasjenige sammeln, was in den Stufenjahren der Reiche oder unter dem einundzwanzigsten, neunundvierzigsten, dreiundsechzigsten König einer Monarchie, unter dem siebenten oder neunten König eines gewissen Namens sich zugetragen. Wenn sie nämlich andere Jahreszeiten, andere Reiche, andere Reichsperioden mit gleicher Sorgfalt durchgehen wollten, so würden sie durchgehend ähnliche Veränderungen antreffen. Ihr Vorurteil aber müßten sie fahrenlassen, wenigstens so lange, als sie mit dieser Untersuchung zubrächten; denn ihre vorgefaßte Meinung ist Ursache, daß sie sich betrügen. Bevor sie noch die Historie zu Rate ziehen, stehen sie schon in der Einbildung, daß gewisse Monate und gewisse Zahlen zu wichtigen Begebenheiten bequemer sind als andere. Wenn sie also die Geschichte untersuchen, so geschieht es nicht sowohl deswegen, damit sie sähen, ob ihre Einbildung wahr sei, sondern nur, damit sie finden möchten, daß sie wahr sei; und man kann nicht beschreiben, wie das die Sinne und den Verstand betrügt.[77]

Es folgt wirklich daraus, daß man die Sachen, die man gerne finden möchte, leichter bemerkt als andere und die Beschaffenheit der Begebenheiten nach seiner vorgefaßten Meinung entweder vergrößert oder vermindert. Das einzige, was man bei Bestand der Wahrheit, im Hinblick auf die Monate, die Tage, die Jahre und Zahlen sagen kann, ist dieses: Daß Gott zu den Begebenheiten, welche zur Bestrafung der Völker dienen sollen, dadurch er Länder entweder gründen oder stürzen will, nicht diese oder jene Jahre usf. viel mehr als alle anderen bequem gefunden hat. Ein solches Verfahren würde die Größe Gottes verkleinern und kann derselben von niemand andern zugeschrieben werden als von jenen abergläubischen Geistern, die seine Vorsorge an tausend solche nichtswürdige Kleinigkeiten binden. Die Schrift und die Väter der ersten Kirchen eifern an verschiedenen Stellen gegen diesen Mißbrauch, und es ist falsch, daß die Historie solchen bestätige.


26. Die Meinung der Heiden von glücklichen oder unglücklichen Tagen

Ich leugne nicht, daß die Heiden nicht sollten geglaubt haben, es gäbe Monate und Tage, die etwas Unglückliches mit sich führten; solche z.B., da das Reich eine wichtige Schlacht verloren. Ich gebe auch zu, daß dieselben aus diesem Grunde sich sehr in acht genommen, etwas in diesen Monaten oder Tagen zu unternehmen. Der 24. Februar in den Schaltjahren wurde für so unglücklich gehalten, daß Valentinian37, als er war zum Kaiser erwählt worden, es nicht wagen wollte, sich öffentlich sehen zu lassen, aus Furcht, das Unglück dieses Tages möchte ihn treffen, es mochte nun entweder aus Aberglauben geschehen, den er in diesem Stück noch hegte, so ein guter Christ er sonst war, oder aus politischer Absicht, weil er etwa nicht haben wollte, daß man ihn für unglücklich ansehen sollte. Ich weiß auch, daß es Tage gegeben hat, da gewisse Generäle beständig Glück gehabt haben. Timoleon gewann alle[78] seine wichtigsten Schlachten an seinem Geburtstag.38 Solimann gewann die Schlacht bei Mohatz, eroberte Belgrad und auch, wie einige wollen, die Insel Rhodes und die Festung Ofen am 29. des Augustmonats.39 Allein ich bin auch sicher, daß dergleichen Gründe nicht beweisen, daß Gott sein Gedeihen an einen gewissen Tag mehr als an einen andern gebunden habe.


27. Widerlegung der Meinung bei den Heiden

Denn fürs erste findet man, daß einerlei Tag für ebendasselbe Volk glücklich und unglücklich gewesen. Ventidius schlug an der Spitze einer römischen Armee die Parther und erlegte ihren jungen König Pacorus, der sie anführte, an ebendemselben Tag, da Crassus, der Römer General, erschlagen wurde und seine ganze Armee von den Parthern in Stücke zerhauen wurde. Lukullus40, als er den König in Armenien Tigranes angriff und sich an die nichtigen Einwände seiner Offiziere nicht kehrte, da sie ihm vorstellten, er müßte an einem solchen Tag nicht schlagen, der, seit der gänzlichen Niederlage, die die Truppen der Republik von den Cimbrern erlitten, unter die unglücklichen Tage von den Römern wäre gesetzt worden; Lukullus, sage ich, verlachte diesen Aberglauben, gewann eine der merkwürdigsten Schlachten, die man in der römischen Historie findet, und änderte das Schicksal dieses Tages, wie er es denen zu tun versprochen hatte, die ihm sein Unternehmen auszureden suchten. Jedermann weiß es, daß der Tag, den Valentinian für unglücklich ansah, ebenderselbe gewesen, da Karl der Fünfte, auch ein römischer Kaiser, das größte Glück zu haben verhoffte.

Fürs andere weiß man, daß erwünschte Begebenheiten einiger Prinzen an gewissen Tagen nicht schlechterdings eine Wirkung ihres Glückes gewesen, welches sich ihnen zu einer Zeit günstiger als zu einer andern hätte erzeigen wollen. Sie erfolgten vielmehr daher, weil man gewisse Tage zu den wichtigsten Unternehmungen sich mit Fleiß[79] ausersehen hatte. So erwählte Timoleon zu einem beherzten Angriff der Feinde seinen Geburtstag, in Meinung, dieser würde ihm vor allen andern Glück bringen. Seinen Soldaten führte er diesen Tag zu Gemüte und schmeichelte ihnen mit der Hoffnung des Sieges. Diese gingen alsdann mit vollem Vertrauen auf des Timoleons Glück tapferer als sonst auf den Feind los. Er selbst tat sein möglichstes, das Glück seines Geburtstages zu bestätigen, weil er voraussah, wieviel Vorteil er daraus ins künftig ziehen könnte. Man darf sich also gar nicht wundern, daß er an diesem Tag glücklich gewesen und daß seine Soldaten, die alle glaubten, sie stritten an einem Glückstag Timoleons, mit solcher Furie und mit so großem Vertrauen auf den Feind losgegangen sind. Denn wo dieses beides beisammen ist, da ist der Sieg nicht weit. Hierzu kommt noch die Bestürzung der Feinde, wenn sie glauben, der Anführer von der feindlichen Partei tue den Angriff zu einer glücklichen Stunde. Es erhellt aus der Historie Solimanns, daß er wegen des Vertrauens, welches er seinen Völkern von dem 29. August beigebracht, diesen Tag allemal entweder zu einem Hauptsturm oder zu einer Schlacht erwählt hat und daß er zu der Zeit alles Nötige mit größerer Sorgfalt als sonst zum Siegen veranstaltet, damit er die gute Meinung von diesem Tage immer mehr und mehr bekräftigen und sich derselben bei Gelegenheit ferner bedienen könnte. Es ist daher kein Wunder, wenn er den 29. August so ungemeines Glück gehabt hat.


28. Woher es kommt, daß man an gewissen besonderen Tagen Schlachten gewinnt

Mit einem Wort: Die glücklichen oder unglücklichen Begebenheiten einer Nation, die an gewissen Tagen sich ereignen, sind gar nicht an diese Tage vermöge ihrer Natur gebunden, so daß unsere Wahl dazu nichts beizutragen vermöchte, sondern sie haben ihren Grund in den Leidenschaften, die durch den Umstand der Zeit in der menschlichen[80] Seele rege werden, und in der Geschicklichkeit, eine solche Zeit zu wählen, die zur Erregung der Affekte am bequemsten ist. So bedient sich ein General des Umstandes der Zeit und des Orts, seine Völker anzufrischen. Er stellt ihnen vor: An ebendiesem Tag und auf ebendiesem Platz wären sonst schon die Feinde in die Flucht geschlagen worden; man müsse also die Ehre der Nation noch ferner behaupten. Und unterdessen ermahnt der feindliche General seine Soldaten, sie sollten doch den Schimpf dieses Tages vertilgen und ihre erschlagenen Mitbürger, deren Gebeine sie noch überall sehen könnten, mutig rächen. Auf diese Art geschieht es, daß man seine Feinde an einerlei Tag drei- oder viermal schlägt oder daß man wechselweise an einerlei Tag entweder siegt oder geschlagen wird. Alles dieses kommt nächst Gott auf die Geschicklichkeit der Men schen an, nachdem diese ihre Zeit zu Erregung oder Dämpfung der Affekte gut abzupassen wissen. Da nun die Geburt eines Prinzen, ein Sieg und andere dergleichen Dinge, die Gelegenheit geben, daß man einen Tag für glücklich hält, ohne allen Unterschied in einen beliebigen Tag des Jahres einzufallen pflegen, so muß man zugestehen, daß es keine Tage oder Monate gibt, die zum Glück oder Unglück bestimmt oder versehen sind. Und sollte das gleich nicht bei allen Tagen eintreffen, weil einige darunter die Affekte der Menschen ganz besonders rege machen können, so wird man mir doch wenigstens zugeben, daß diejenigen Jahre, die auf die Erscheinung der Kometen folgen, nicht insbesondere zur Bestrafung der Laster versehen sind, weil man es aus der Erfahrung nicht beweisen kann.


29. Was man denen antworten muß, die die Vorbedeutungen der Kometen mit Exempeln bestätigen

Es ist wahr, die Unerfahrensten in der Historie führen eine Menge von Unordnungen an, die alle nach dem Erscheinen der Kometen erfolgt sein sollen, ohne an das[81] geringste Glück zu denken, das sich damals auch mit zugetragen hat. Sie führen z.B. eine lange Reihe von Kriegen an, die alle Europa sei 1618 bis auf den Münsterischen Friedensschluß beunruhigt haben, und machen sich kein Bedenken daraus, diese Menge von Übeln dem Kometen, der im Jahr 1618 erschienen, aufzubürden, ohne an sonst etwas als an dieses Übel zu denken. Allein, auf solche Art vergrößern sie die Wirksamkeit der Kometen und treiben dieselbe über ihre Grenzen. Fürs andere nennen sie dasjenige ein Übel, was dem besten Teil der Christenheit ein großes Glück zuwege gebracht hat, da er sich nämlich seiner Freiheit dadurch versichert hat, die in Gefahr stand, verlorenzugehen. Und wer sieht endlich nicht, wenn man einmal solche Geschichtenerzähler anhören wollte, so würde man allen abergläubischen und altväterischen Erzählungen recht geben müssen. Denn wo ist wohl ein alt Weib anzutreffen, welches nicht mit tausend verdrießlichen Umständen zu erzählen wüßte, wie zwanzig oder dreißig Personen von ihren Verwandten oder Freunden binnen Jahr und Tag verstorben sind, weil ihrer dreizehn beisammen zu Gast gewesen, und wieviel Verdruß sie beständig gehabt hätte, sooft ihr Salzfaß umgefallen, ohne daß sie ein einziges Mal etwas ihres Vergnügens oder Glücks gedenkt.


30. Daß gewisse Namen nichts Unglückliches mit sich führen

Meine Anmerkung gegen diejenigen, die sich einbilden, daß das Glück gewisse Tage sich zugeeignet habe, bringt mich auf einen Betrug, welcher dem vorigen sehr gleichkommt. Man denkt nämlich, und das fast durchgängig, daß es Namen gibt, die nichts Gutes versprechen. So sagt man, daß der Name Heinrich den Königen in Frankreich gefährlich sei. Man müsse daher dieselben nicht damit belegen, weil sie sonst mit den drei letzten Heinrichen, die alle ein schreckliches Ende genommen, ein gleiches Schicksal[82] haben würden. Man hat mir erzählt, daß dem Bruder des Königs geraten worden, er sollte seine Söhne nicht mehr den Titel Duc de Valois führen lassen, weil ihm einige dieses Namens gestorben wären, welches, wie man sagte, ein Beweis eines üblen Einflusses wäre, den dieser Name hätte, dem man also steuern müßte. Man glaubt sogar, daß es Namen gibt, die in moralischen Dingen was nach sich ziehen. Ich habe hiervon bei dem Brantôme41 gelesen, daß der Kaiser Severus sich über das üble Aufführen seiner Gemahlin mit ihrem Namen Julia getröstet, weil er geglaubt, daß schon von alters her alle diejenigen Weibspersonen, die diesen Namen geführt, zu den liederlichsten Ausschweifungen geneigt gewesen. Ebendieser Autor setzt hinzu: Er kenne viele Damen, die gewisse Namen führten, welche er aber aus Hochachtung für die christliche Religion nicht sagen will, und die gemeiniglich zu dergleichen Ausschweifungen geneigter wären als andere, die nicht so hießen, und es sei fast nicht eine einzige davon ausgeschlossen gewesen. Ich mag seine eigenen Worte nicht anführen, denn sie sind allzu frei und allzu verwegen und zeugen von einem Menschen, der in solchen Händeln nicht unerfahren gewesen und der so redete, wie er schrieb. So viel will ich nur sagen, daß es mir wunderlich vorkommt, daß ein Mann wie er hat glauben können, daß die Namen bei der Sache, davon er redet, etwas tun könnten.

Vermutlich mochte er in gewissen Gesellschaften mit solchen Frauenspersonen Bekanntschaft gehabt haben, darunter die meisten einen gewissen Namen führten. Wäre er in eine andere Gesellschaft geraten, da die meisten einen andern Namen gehabt hätten, so würde er mit seiner Anmerkung unfehlbar auf diesen Namen gefallen sein. Dies ist das einzige Wahrscheinliche, was sich anläßlich dieser Anmerkung des Brantôme sagen läßt und dadurch man seine Aufrichtigkeit zu gleicher Zeit retten kann. Im übrigen kann nichts abgeschmackter sein, als wenn man sich einbildet, weil derjenige, der ein Kind tauft, die Zunge auf eine gewisse Art bewegt, daß man vielmehr[83] dieses als ein anderes Wort hört; so müsse sich daher dieses Kind im fünfzehnten oder sechzehnten Jahr zu unkeuschen Sachen verleiten lassen, da es sonst nicht möglich gewesen wäre, wenn nur an seinem Tauftag ein ander Wort wäre ausgesprochen worden. Und dennoch läuft endlich alles auf ebendiese Ungereimtheit hinaus, wenn man behaupten will, daß gewisse Namen Unglück mit sich führen. Ein Schiffbruch, der einen Kaufmann um das Seinige bringt, eine Verschwörung, dadurch ein Monarch um sein Leben kommt, soll daher kommen, weil ein Priester lange Zeit vorher bei der Taufe ein Wort statt eines anderen ausgesprochen hat. Wenn Ludwig XIII. in der Taufe den Namen Heinrich wie sein Vater bekommen hätte, so würde er unfehlbar bei der Belagerung einer rebellischen Stadt von einer Flintenkugel geblieben sein, die nur dieser Ursache halber von ihrer Richtungslinie würde abgewichen sein; denn dieser Fürst war ein allzu guter Katholik, als daß er nach Art seiner Vorfahren hätte sterben sollen. Nur sein Name Heinrich würde Ursache gewesen sein, daß er eines gewaltsamen Todes würde haben sterben müssen. Wie elend sind doch diese Schlüsse!


31. Großer Aberglaube der Heiden in Ansehung der Namen

Ich wollte wünschen, daß man auf gleichen Schlag von dem ganzen Aberglauben des Heidentums in Ansehung der Namen urteilte. Wenn in Rom Soldaten angeworben wurden, so war das die vornehmste Sorge, daß derjenige, der sich zuerst angäbe, auch einen Namen hätte, der was Gutes prophezeie. Wenn die Zensoren eine Bürgermusterung vornahmen, so nannten sie allemal denjenigen zuerst, der einen glücklichen Namen hatte, z.B. Salvius42, Valerius usf. Bei öffentlichen Opfern mußten diejenigen, die das Opfervieh führten43, einen von diesen Namen haben. Wurden öffentliche Landgüter jemandem gerichtlich zugeschrieben, so fing man vom Lukriner See an, und[84] das alles boni ominis ergo, gut Glück zu haben. Kann man sich auch was Abgeschmackteres einbilden, als daß es Leute gegeben, die sich deswegen etwas Gutes oder Böses versprechen können, weil eine obrigkeitliche Person Valerius statt Furius gesprochen hat? Apuleius hat wohl Ursache, diejenigen auszulachen, die ihn der Hexerei beschuldigen, weil er Fische einkaufen ließ, die jene deswegen zu Liebeszaubereien fähig hielten, weil ihr Name mit der Benennung der Schamglieder viel Ähnlichkeit hätte. Ihr einfältigen Leute, spricht er zu ihnen, seht ihr denn nicht, wenn euer Vorgeben stichhaltig wäre, so müßten ja Kieselsteine gegen Steinschmerzen helfen und Krebse ein bewährtes Mittel gegen den Krebs sein.44

Daraus kann man erkennen, wie entsetzlich weit der heidnische Aberglaube in Ansehung der Namen sich erstreckt hat. Er war so stark eingerissen, daß Festus berichtet45, es hätten die römischen Frauen, wenn sie schwanger gegangen, der Göttin Egeria Opfer gebracht, aus keiner andern Ursache, als weil der Name Egeria mit dem Worte gebären in ihrer Sprache eine große Verwandtschaft hätte. Aus ähnlichen Gründen hat man in dem Christentum, um gewisse Dinge zu erlangen, viel mehr zu diesem Heiligen als zu einem anderen seine Zuflucht genommen. So ist z.B. kein Zweifel, daß Weiber mit einer bösen Brust sich unter den Schutz des heiligen Mammarks viel mehr als eines andern begeben, bloß deswegen, weil jener diesen Namen geführt. Man kann ferner gewiß glauben, daß ebendieses die Ursache ist, wenn Leute mit bösen Augen, Glaser und Laternenmacher, den heiligen Clarus, Leute, die nicht gut hören, den heiligen Ouyn, andere, die das Podagra haben, den heiligen Genou, noch andere, die die Krätze haben, den heiligen Aignan, und endlich diejenigen, die in Ketten und Banden liegen, den heiligen Lienard46 usf. zum Schutzpatron erwählen.

Steht gleich diese Anmerkung in der Schutzschrift für den Herodotus47, in einem Buch, das viel Nachteiliges für die römische Kirche enthält, so ist doch in der Tatwahr, wie solches Monsieur de la Mothe le Vayer in seinem Hexameron[85] rustique48 und Monsieur Ménage in seinen Origines de la langue49 françoise erkannt haben. Diese beiden so gelehrten wie für heilige Sachen ehrerbietigen Männer verwerfen, indem sie dieses für wahr annehmen, die Anrufung der Heiligen nicht; denn in der Tat, wenn der heilige Clarus nicht mehr Geschicklichkeit besitzt als ein anderer, böse Augen gut zu machen, so hat er doch auch nicht weniger Vermögen dazu als ein anderer. Folglich ist es gleich, man mag sich zu ihm oder zu einem andern wenden. Sie haben nur so viel sagen wollen: Der geringste Umstand sei imstande, das gemeine Volk dahin zu bringen, daß es eine Wahl trifft, und die Ähnlichkeit der Namen sei schon ein starker Beweggrund für dasselbe. Ich trage also kein Bedenken, Ihnen, mein Herr, im Vertrauen zu sagen, daß es der allerniederträchtigste und dümmste Aberglaube sein würde, wenn man sich einbilden wollte, weil der heilige Clarus Clarus hieße, so müsse ihn Gott vor allen andern mit der Kraft, böse Augen zu heilen, begabt haben. Und wenn daher unsere Leute auf einen Heiligen seines Namens halber mehr Vertrauen setzen als auf einen andern, so begehen sie darin eine Torheit, die ganz erschrecklich ist. Denn das muß man für gewiß annehmen, daß die Namen an sich keine Kraft haben.


32. In welchem Sinne ein Name dem andern vorzuziehen ist

Ich bin es indessen ganz wohl zufrieden, daß man gewissen Namen zuweilen einen Vorzug läßt. Man weiß ja, wie die Menschen sind. Es gibt Namen, an die sich mancher vornehme Herr so sehr stoßen kann, daß er diejenigen, die dieselben führen, nicht in seine Dienste annehmen wird. So liest man in der spanischen Historie, daß einstmals Abgesandte eines unserer Könige an den Hof Alphonsi IX. in der Absicht gekommen, eine Vermählung zwischen einer von seinen beiden Prinzessinnen und ihrem Herrn zu stiften, welche die Häßlichste, die aber Blanche[86] geheißen hat, mitgenommen, und die Schönste zurückgelassen haben, bloß weil ihr Name Urraca ihnen anstößig vorgekommen. So darf man sich's auch nicht wundern lassen, daß die Gesetze50 einem Erben die Freiheit lassen, den Namen zu verwerfen, den ihm der Verfertiger des Testaments zu führen auferlegt hat, wenn solches ein lächerlicher oder schimpflicher Name ist, denn die Bedienung ist allzu beschwerlich, wenn man sich erinnert, wie es in der Welt zu ergehen pflegt. Ich gestehe sogar, daß es Namen geben kann, die bei gewissen Umständen zu den größten Begebenheiten etwas beitragen; entweder weil sie in der Seele derjenigen, die dieselben führen, gewisse Betrachtungen und Bewegungen erwecken oder weil der Aberglaube dieselben als etwas Bedeutendes ausgibt, und die Furcht oder Hoffnung, die sich alsdann in der Armee beim Erblicken desjenigen, was man als eine Vorbedeutung annimmt, ausbreitet, oft genug den herrlichsten Sieg zuwege bringt. Ich kann es daher gar wohl geschehen lassen, wenn man sich schöne Namen, dabei man sich seiner Schuldigkeit fein oft erinnern kann, ausliest, und ich bin mit der Milantia, jener Frau des Kanonisten Johann Andreas51, völlig eines Sinnes, die ihrem Mann, als er sie hierüber befragte, zur Antwort gab: Wenn es Gewohnheit wäre, daß man die Namen handelte, so würden die Eltern verbunden sein, ihren Kindern die allerschönsten einzukaufen. Nur das werde ich nimmermehr zugeben daß man schuldig sei, mit gewissen Namen eine Art der natürlichen Notwendigkeit, in Ansehung der Sitten oder in Ansehung des Glückes, zu verknüpfen. Wie es falsch ist, daß die Vorsorge des Himmels mehr Belieben trage, sich im September statt im Oktober, den ersten Jänner statt den ersten März zu erkennen zu geben, so ist es auch falsch, daß Tugend und Laster, daß Glück und Unglück sich an besondere und privilegierte Namen binden lassen. Es gibt Helenen und Lukretien, die tugendhaft sind, es gibt aber auch deren, die es nicht sind. Man findet glückliche und unglückliche Könige unter allerhand Namen, und wenn zuweilen ein Name etwas nach sich zieht, so[87] ist der Grund davon einzig und allein in unserm Versehen oder Unverstand und in der Geschicklichkeit zu suchen, womit wir ihn uns zunutze zu machen wissen. Demungeachtet, so geschickt auch der geringste Mensch ist, dem Aberglauben, in Ansehung der Namen, unauflösliche Einwürfe zu machen, so ist es doch fast unglaublich, wie viele Arten, künftige Dinge zu erraten, man auf diesen elenden Grund gebaut hat. Daraus kann man sehen, daß bei den Vorbedeutungen, sowohl der Kometen wie aller andern Dinge, der allgemeine Wahn der Völker soviel wie nichts gilt.


33. Wie stark der fünfte Grund gegen die Vorbedeutung der Kometen streitet

Doch wir wollen wichtigere Betrachtungen uns vornehmen. Sie belieben, mein Herr, diesen fünften Grund zu erwägen. Man hat entweder gar keine bündigen Gründe oder dieser ist es. Es wird nicht mehr gefragt, ob es möglich sei, daß die Kometen unsere Elemente verändern könnten, ob sie etwas vorhersagen, entweder als Ursache oder als Zeichen, die sich allemal zu bestimmter Zeit einfinden, wenn die Menschen ein großes Unglück auszustehen haben. Die Wirklichkeit der Sache selber soll erwiesen werden. Und diese zieht man Ihnen schlechterdings in Zweifel. So geht also Ihre einzige Hoffnung, die Sie sich noch machen konnten, auf einmal zuschanden. Alle übrigen Gründe lassen Ihnen noch so viel Raum, wie Sie zu einer nichtigen Ausflucht brauchen. Man mag sagen, wie man will; man habe gar keinen Grund zu glauben, daß dasjenige, was einige Jahre auf das Erscheinen des Kometen erfolgt, durch dessen Einfluß hervorgebracht sei, so werden Sie einwenden: Die Kometen wären deswegen doch immer noch üble Vorboten; sooft einer erschienen wäre, hätten sich allemal Unglücksfälle ereignet, und das sei ein Merkmal, daß einige Verknüpfung oder ein natürliches Verhältnis zwischen ihnen und den Unglücksfällen[88] sein müsse. Gesetzt auch, daß es eben nicht eine solche Verknüpfung wäre, wie man sie zwischen Ursachen und Wirkungen findet; genug, daß es ein Verhältnis sei, welches zulänglich wäre, jedermann auf die besorgliche Vermutung zu bringen, wenn das eine davon sich sehen ließe, werde das andere nicht lange ausbleiben.

Und in der Tat, wenn wir annehmen, daß die Kometen einen Kreis beschreiben, davon uns nur ein gewisser Teil in die Augen fällt, so begreifen wir gar leicht, wie sie in einer gewissen Zeit wieder zu uns kommen werden. Wenn wir ferner annehmen, daß dieses ungefähr so viel Zeit ausmacht, wie dazu nötig ist, daß die Erde üble Dünste ausdufte, dadurch Pest, Krieg usf. verursacht werden kann; so wie wir aus der Erfahrung wissen, daß die Materie des Fiebers eine gewisse Anzahl Stunden nötig hat, ehe sie diejenigen Eigenschaften zusammenbringt, die das Fieber verursachen, und daß, nach Aussage der Ärzte, diese Materie bei manchen Personen solche Fieber verursacht, die ordentlich nach Verlauf gewisser Jahre wiederkommen; wenn wir, sage ich, alles dieses annehmen, so muß das Erscheinen der Kometen ebenso gewiß eine Vorbedeutung großer Unglücksfälle sein, gesetzt auch, sie trügen in der Tat nicht das geringste dazu bei, wie wenn sie dieselben natürlicherweise hervorbrächten. Man erwidere hierauf, wenn man will, diese Ausjährung der Dünste, die mit dem Lauf des Kometen einerlei Zeit erfordere, müsse sich doch einmal vermindern oder vermehren, weil die unaufhörliche Veränderung, die sowohl innerhalb wie außerhalb der Erde vorgeht, die Vereinigung aller der Ursachen notwendig verhindern müsse, welche sonst zusammengekommen waren; so wird der Zweifel dadurch nicht gehoben, und ich weiß Leute, die, bevor sie sich gefangen geben, zur Unbeweglichkeit des empiräischen Himmels ihre Zuflucht nehmen und ihr die Ursache zuschreiben würden, warum diese Ausdünstung, von der die Rede ist, einmal wie das andere geschehen könne. So machen es diejenigen, welche ebendiesen empiräischen[89] Himmel für die Ursache angeben, warum an gewissen Orten des Erdbodens immer einerlei Sachen hervorkommen, obgleich die Aspekte der übrigen Himmel und folglich auch ihre Einflüsse in Ansehung dieser Gegenden sich unaufhörlich verändern. Ich erinnere mich, daß gewisse Scholastiker behaupteten, die Kraft, die sie den Körpern zuschrieben, vermittels welcher sich diese durch die sogenannten species intentionales in unsern Augen abbilden sollten, sei ebenfalls eine Wirkung der Einflüsse dieses empiräischen Himmels. Solchergestalt wird es niemals an Ausflüchten fehlen, solange man noch die Erfahrung für sich hat; und also nimmt man Ihnen, mein Herr, alles, wenn man Ihnen erweislich macht, daß die Erfahrung Ihnen durchaus zuwider ist.

Ich erinnere mich, beim Cicero52 gelesen zu haben, daß die Wahrsagekunst sich mehr auf die Wahrnehmung dessen, was geschieht, als auf die Vernunftgründe. Man müsse, schreibt er, in solchen Dingen nicht nach den Ursachen fragen, wie solches Karneades und Panätius täten, welche mit dem Epikur fast die einzigen wären, die gegen diese vermeintliche Wissenschaft stritten. Wenn diese fragten, ob es der Jupiter wäre, welcher der Krähe zur Linken und dem Raben zur Rechten zu schreien befähle, so bekamen sie keine Antwort als diese: Es stünde ihnen nicht wohl an, die Leute so zu ängstigen. Sie sollten sich damit begnügen, daß die Erfahrungen von allen Zeiten diese Wahrsagungen bestärkten. Man fände ja Kräuter, deren Wirkungen man wüßte, ohne daß uns die Ursachen bekannt wären, die dieselben hervorbrächten, und doch ließe man die Arzneiwissenschaft ungekränkt bei ihrem Wert. Cicero führt darauf eine Menge natürlicher Sachen an, deren Eigenschaften uns bekannt sind, nicht aber die Ursachen aller dieser Eigenschaften, und legt endlich seinem Bruder die Worte in den Mund: Er sei damit zufrieden, daß er wisse, daß die Sachen geschähen, ob er gleich nicht wisse, wie sie geschähen. Ebendieses, mein Herr, machen Sie sich auch zunutze. Ein Philosoph mag Ihnen noch soviel zu schaffen machen und immer fragen,[90] wie es doch zuginge, daß die Kometen unser Unglück vorbedeuten könnten. Sie dürften ihm nur zur Antwort geben: Ob er schon nicht wüßte, wie die Sonne die Welt erleuchtete, so wäre er doch mit der ganzen Welt versichert, daß sie wirklich leuchte; denn die Erfahrung erwiese solches ja augenscheinlich. Da also die Erfahrung aller Zeiten uns gleichfalls gelehrt, daß die Kometen Vorboten vielerlei Unglücks wären, so müßte man glauben, daß sie solche Vorboten sind, ob man gleich nicht wüßte, durch was für eine Kraft sie es wären. Es ist wohl wahr, daß man Sie in dieser Verschanzung ziemlich in die Enge treiben könnte. Jedoch, solange Sie sich noch auf die Erfahrung berufen können, solange werden Sie noch immer Ausflüchte finden. Ich fordere Sie daher, mein Herr, zum allerersten Mal vor den Richterstuhl der Erfahrung, und ich wette mit Ihnen, daß Sie den Prozeß verlieren werden.


34. Nötige Anmerkungen für diejenigen, die der Sache eigentliche Beschaffenheit wissen wollen

Da es aller Welt leicht ist, die Urkunden dieses Handels zu Rate zu ziehen, indem solches die Schriften der Geschichtsschreiber sind, so werde ich Ihnen mit Anführung der Autoren nicht beschwerlich fallen. Ich erinnere nur zum voraus, daß weder Sie noch wir auf den Einwand zu verfallen Ursache haben: wir hätten ja die Nachrichten nicht, weder von den Völkern der südlichen Gegenden noch auch von denen, die das Innerste von Afrika und Amerika bewohnen. Denn wollten wir gleich sagen, man würde darunter viele Exempel glücklicher Begebenheiten antreffen, so würden Sie ebenso leicht sagen können, es wären viele Exempel trauriger Fälle darunter befindlich. Wir tun also besser, wir bleiben bei den Nachrichten der bekannten Welt und schließen von dieser auf jene: Ex ungue leonem. Ferner darf man auch nicht darauf verfallen, daß es Kriege gibt, die einen größeren Nutzen nach[91] sich ziehen, als man denken sollte, und die vielleicht nicht so nachteilig sind wie mancher Frieden, so wie manches Aderlassen ein dienliches Mittel ist, die üble Beschaffenheit der Körper zu heilen. Aller der Vorteile, die durch dergleichen Anmerkungen meiner Sache zuwachsen möchten, will ich mich ganz gerne begeben. Ich bin es zufrieden, daß man die Gründe des Palingenius53 für den Krieg für nichtig erklärt. Man mag es als einen Grundsatz annehmen, daß der Friede eine Gnade von Gott, der Krieg aber eine Strafrute desselben sei; obgleich der Krieg zuweilen zufälligerweise nützlich, der Friede im Gegenteil schädlich werden kann. Und endlich erinnere ich noch, daß die Zeugen mehr in bezug auf Sie, mein Herr, als auf mich der Parteilichkeit halber verdächtig sind, weil, wie bekannt ist, die Geschichtsschreiber sich mehr mit öffentlichen Unglücksfällen als freudigen Begebenheiten einlassen. Doch so genau wollen wir es eben nicht nehmen. Wir nehmen dieselben so, wie wir sie finden. Sehen Sie daher, mein Herr, dasjenige selber an, was sie aussagen, und lassen Sie sich nicht davon einnehmen, was sie Ihnen nicht als Zeugen, sondern als Leute, die gern ihre Klagen und Ur teile einfließen lassen, vorsagen.


35. Vergleich der Jahre, die auf die Kometen von 1665 gefolgt sind, mit denen, die den Kometen von 1652 vorhergegangen

Ob ich gleich nicht willens bin, mich in viele Weitläufigkeiten einzulassen, so kann ich doch nicht umhin. Sie zu ersuchen, daß Sie nur dasjenige betrachten möchten, was sozusagen vor unsern Augen die sieben Jahre sich zugetragen, welche wir nach den zwei erschrecklichen Kometen vom Jahr 1665 zurückgelegt haben. Können Sie es mit gutem Gewissen sagen, daß Europa in diesen Jahren so sehr beängstigt worden ist, daß man hätte schreien müssen, es sei alles verloren? Sehen Sie was von Unglücksfällen, die größer sind, als man sie sonst hat? Hat man es[92] erlebt, daß barbarische Völker, wie vordem die Hunnen, die Goten, die Alanen und die Normannen unzählige Provinzen verwüstet und verheert haben? Hat man es gesehen, daß die Pest die volkreichsten Länder öde und leer gemacht und den größten Teil der Menschen ins Grab geworfen? Hat man in den meisten Ländern über Hunger geschrien? Hat man Könige gesehen, die durch Empörung ihrer Untertanen oder durch Gewalttätigkeit ihrer Nachbarn vom Thron gestürzt worden sind? Hat man gesehen, daß Ketzereien und Spaltungen entstanden sind? Sind öffentliche Laster selbst durch das Ansehen der Obrigkeit für straffrei erklärt worden? Hat man nicht im Gegenteil gesehen, daß Pest, Krieg und Hunger, diese drei Geißeln des menschlichen Geschlechts, die Völker so sehr verschont haben, wie man es sich bei der Beschaffenheit unsrer Natur nur versprechen kann?

Ich sehe in der Zeit, die ich angenommen habe, nur vier Kriege: den Krieg zwischen den Türken und Venezianern, den Krieg zwischen den Spaniern und Portugiesen, den Krieg zwischen Holland und England und den Feldzug in Flandern. Die beiden erstem waren lange vorher, ehe die Kometen erschienen, angegangen und wurden in obengenannter Zeit glücklich zum Stehen gebracht. Die beiden letztem fingen an und endigten sich fast zu gleicher Zeit; daraus man sehen kann, daß die Einflüsse beider Kometen mehr den Frieden als den Krieg zum Zweck gehabt haben, weil sie die Kriege, welche, ohne daß sie daran teilgehabt, angegangen waren, zu Ende gebracht, und diejenigen, die sich unter ihrer Regierung entsponnen hatten, gar bald gedämpft haben.


36. Krieg zwischen den Türken und Venezianern

Sie erinnern sich wohl noch, mein Herr, eines guten Freundes von uns, der so gerne spitzfindig redete und diese üble Gewohnheit der vorigen Zeit nicht ablegen wollte, ob wir ihn gleich manchmal damit zum besten hatten;[93] allein, ich weiß nicht, ob Sie das noch wissen, wie heftig er in Verwunderung geriet, als er erfuhr, daß der Friede, den man nach der Schlacht bei Raab zwischen dem Kaiser und dem Großsultan geschlossen hatte, von beiden Seiten wäre bewilligt worden. Was, rief er aus, man macht Frieden, und vor den sehenden Augen des Kometen, und da sich alles wohl schickt, den Verlust zu ersetzen, den die Christen von den Türken erlitten haben? Der Komet geht unfehlbar zurück, damit er einen desto großem Sprung tun möge! Was gilt's, er erwartet uns in Candia und wird dort seine völlige Wut auslassen. Indessen werden Sie, mein Herr, mir recht geben, wenn ich sage, daß alles dasjenige, was in Candia seit 1665 bis auf den Friedensschluß vorgegangen, gar nicht für ein so großes Unglück gerechnet werden könne, das der Himmel selbst durch Wunderzeichen der Welt hat bekanntmachen müssen. Denn wenn Sie alles genau ansehen, so ist es nichts weiter als der Verlust einer Stadt, die seit langer Zeit eingeschlossen war. Ist es ein Unglück für die Christenheit, daß die Insel Candia verlorengegangen, so ist es ein solches, das man in einer ganz andern Zeit suchen muß als in derjenigen, die seit 1665 verflossen ist. Denn alle Welt weiß es, daß diese Insel viele Jahre vor dem 1665. Jahr von den Türken erobert worden und daß das ganze Königreich, weil die Türken die Hauptstadt eingeschlossen hatten, den Christen so wenig Nutzen brachte, wie es ihnen jetzt bringt, ja noch viel weniger; denn jetzt ist es den Venezianern doch noch erlaubt, dasjenige, was sie in der Insel haben, zu nutzen, ohne die Kosten draufzuwenden, die ihnen bei dem damaligen Krieg unumgänglich waren. Folglich hat der Friede, wenn man alles zusammenrechnet, die Umstände der Venezianer nicht verschlimmert, sondern vielmehr verbessert, und also hat der Komet dasjenige in der Insel Candia nicht eingebracht, was er durch den Frieden von 1669 in Deutschland eingebüßt hatte.

Und endlich, ist es denn wohl eine so erstaunliche Sache, wenn ein so mächtiger Prinz, wie der Großsultan ist, eine Stadt, die ganze zwei Jahre auf das entsetzlichste von ihm[94] beängstigt worden ist, dabei er noch den Vorteil gehabt hat, daß seine übrigen Länder alle in der Nachbarschaft lagen, einer Republik wegnimmt, die sechshundert Meilen davon um Hilfe betteln muß? Ist es nicht ein recht großes Glück für diese Republik, daß sie noch mit so leichten Kosten davongekommen ist?


37. Krieg der Spanier mit den Portugiesen

Der Friedensschluß von 1668 zwischen Spanien und Portugal war ein unschätzbares Gut für beide Kronen, für Spanien, weil es nicht imstande war, dasjenige wieder zu nehmen, was es forderte, und bei der Regierung eines jungen Königs, wo es so ruhig eben nicht zuging, noch fernem Verlust besorgen mußte; für Portugal, weil dieses über den ruhigen Besitz seiner Länder und außer der Entledigung von den Beschwerlichkeiten des Krieges noch den Vorteil hatte, daß es sah, wie es selbst von denjenigen für unumschränkt und souverän erklärt wurde, die bisher dawider gestritten hatten. Dem sei, wie ihm wolle, werden Sie zu mir sagen, es ist doch kein Glück für Spanien, daß es Portugal verloren und nicht die Macht gehabt, solches wieder an sich zu bringen. Es ist wahr, aber es ist ein Unglück, welches man bereits dem 1640. Jahr zuschreiben muß und das seinen Grund in demjenigen Verlust hat, den diese Krone lange vorher erlitten, ehe noch die Kometen erschienen, daß also diese die Anklage nicht verdienen, die man gegen sie anbringen wollte. Sie haben vielleicht den artigen Einfall des Villa Mediana erzählen hören, den dieser bei einer Abbildung des Königs Philipp IV. hatte, wo er zu Pferde sitzt, und die Überschrift führt Philipp der Große: si lo es, es como un ojo, que más tierra le elevan, más le engrandezen. Und es ist in der Tatwahr, unter der Regierung dieses Philipps des Großen hat Spanien die meisten Länder verloren, folglich kann man diese Einbuße nicht dem Kometen von 1665 zuschreiben.


38. Krieg der Engländer mit den Holländern

[95] Was den Krieg betrifft, den die Engländer mit den Holländern geführt haben, so ist es nicht zu leugnen, daß er die kurze Zeit, die er gedauert hat, ungemein hart und schwer gewesen. Doch als zwei oder drei Feldzüge demselben den Garaus gemacht hatten, so war das Landverderben und der Schaden auf beiden Seiten so gar groß eben nicht. In der Tat, da der Friede zu Breda geschlossen war, so sahen die Engländer, daß sie das noch waren, was sie vorher gewesen, und die Holländer spürten so wenig Abgang ihrer Kräfte, daß ihr Glück darauf größer wurde, als es zu ihrer Ruhe zuträglich war. Denn da sie bei diesem ihrem Glück übermütig wurden und sich allzuviel auf ihre Stärke einbildeten, so dachten sie, sie wären Ludwig dem Großen so vielen Dank eben nicht schuldig, daß sie ihm die Eroberung der Provinz Flandern zugestehen sollten. Sie haben es teuer bezahlen müssen, aber dafür können die Kometen von 1665 nicht. Die Ursache dazu war diese: Sie hielten es für nötig, sich der anwachsenden Macht eines Nachbarn zu widersetzen, vor dem sich ganz Europa fürchtete. Sie glaubten, eine gute Staatskunst erfordere, daß man das Gleichgewicht zwischen ihren Nachbarn beibehielte, und sie müßten sich des blühenden Zustandes ihrer Republik bedienen, um den Überfall der gesamten Niederlande zu verhüten. Ist es ihnen übel bekommen, daß sie so geschlossen haben, und hat das Glück den Gebrauch der vorteilhaften Umstände, darin sie sich die ersten fünf oder sechs Jahre nach dem Erscheinen der Kometen befanden, nicht befördert, so ist das wieder was ganz anders.

Spricht man zu mir: Der Wohlstand ist manchmal die schrecklichste Züchtigung, die Gott dem Menschen zuschickt, so sage ich: Das Unglück ist zuweilen die größte Gnade, die uns Gott erweisen kann, und so verwandelt sich unser Streit in ein bloßes Wortspiel. Damit wir also bei etwas Gewissem bleiben, so müssen wir darin beide übereinstimmen. Man frage nicht, ob die Kometen den[96] Menschen ein Glück mitbringen, das diese nicht wohl anwenden, oder ein Unglück, welches ihre Bekehrung zu Gott veranlaßt, sondern man wolle wissen, ob sie ihnen dasjenige zu wege bringen, was man sonst gewohnt ist, schlechtweg eine Widerwärtigkeit zu nennen.


39. Krieg der Franzosen mit den Spaniern

Was den Feldzug nach Flandern anbelangt, so wird man mir zugeben, daß derselbe mehr Glück als Unglück gebracht hat, da es nicht so sehr ein Krieg war als vielmehr eine Besitznehmung der Güter, die der Königin zugehörten und die man ihr nicht geben wollte. Obgleich der König ihr Recht in gelehrten Schriften von mancherlei Sprachen hatte ausführen lassen und durch ganz Europa bekanntmachen lassen, so trat man auch auf spanischen Grund und Boden, ohne die geringste Gewalttätigkeit auszuüben. Die Gütigkeit dieses großen Monarchen ging noch weiter. Er suchte sogar denjenigen Ländern, durch welche seine Völker ziehen mußten, den Schrecken im voraus zu nehmen, welchen gemeiniglich die Annäherung einer Armee zu machen pflegt. Er ließ vorher bekanntmachen: Sein Wille wäre gar nicht, den Pyrenäischen Frieden zu brechen. Er wolle weder die Handwerker in ihrer Hantierung noch die Ackerleute in dem Ackerbau, noch die Schnitter in der Ernte, noch die Kaufleute im Handel und Wandel stören, noch auch das geringste vernehmen, was den Durchzug der Armeen bei andern Völkern beschwerlich macht.

Der Fortgang seiner Waffen war auch in der Tat erstaunlich. Was ihm Widerstand leisten wollte, das mußte unter dem Gewicht seiner Tapferkeit, seiner Wachsamkeit und seiner weisen Behendigkeit gar bald erliegen, durch welche letztere er auch die schwersten Sachen auf das schleunigste zustande bringt. Er schoß wie der Blitz durch die ganzen spanischen Niederlande, zog hin und wider und ließ überall ausnehmende Merkmale seiner siegreichen[97] Waffen hinter sich. Und doch war die Art, mit welcher er den Überwundenen begegnete, ihnen ganz und gar nicht zur Last. Er sagte nicht wie jener Herr in der Parabel: Jene, meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie herrschen sollte, bringet her und erwürget sie vor mir.54 Seine Majestät gab ihnen tausend Proben einer königlichen Gnade zu erkennen, und es ist ein recht ausnehmendes Glück für die in diesem Feldzug eroberten Städte gewesen, daß sie nicht das Vermögen gehabt haben, seiner Macht zu widerstehen; denn wären sie unter der Botmäßigkeit der Spanier geblieben, so würden sie die Sicherheit nicht genossen haben, darin sie sich in dem letzten Krieg befanden. Die Macht des Königs bedeckte sie vor aller Beunruhigung. Sie durften weder Belagerung noch Einschließung befürchten. Diejenigen Plätze hingegen, die nicht zu Frankreich gehörten, waren mitten in ihren Sümpfen, Überschwemmungen, Festungen und einer unzähligen Menge der Kriegsvölker einem unaufhörlichen Schrecken ausgesetzt. Nichts konnte sie mutig machen. Seine Majestät durften nur ihren Marsch in einer Jahreszeit nehmen, welche andere Weltbezwinger ganz allein für einen unüberwindlichen Feind angesehen hätten, so überfiel alle diese Städte ein so großer Schrecken, daß sie insgesamt zitterten, wenn sie sahen, daß der König die allerfestesten Orte zu belagern anfing.

So war es also ein nicht geringes Glück für die Städte, die im Jahr 1667 in des Königs Hände kamen, daß sie von unserm unüberwindlichen Monarchen erobert worden sind. Es war überdies auch ein Glück für den König, daß er seine Länder mit einer Menge so ansehnlicher Plätze vereinigte, und dies Glück übertraf den Schaden bei weitem, den Spanien davon hat, daß es dieselben verloren hat. Denn unser König kann ihre Lage halber großen Nutzen daraus ziehen. Spanien hingegen konnte dieselben eben dieser Ursache wegen fast gar nicht nutzen. Folglich kann ich mit gutem Recht behaupten, daß der Feldzug nach Flandern mehr Glück als Unglück gebracht hat.
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40. Daß Spanien wohl täte, wenn es die gesamten Niederlande fahrenließe

Es sagte einmal ein gescheiter Mann: Alle die Staaten, die der König in Spanien in den weit entlegenen Ländern hätte, da sie nicht aneinanderstießen, wären ihm mehr zur Last, als daß sie ihm Vorteil schafften; und wenn er seinen wahren Nutzen einsehen wollte, so würde er ebenso wie Antiochus55 gesinnt sein. Denn da dieser nach der verlorenen Schlacht bei Magnesia von den Römern wäre gezwungen worden, alles dasjenige abzutreten, was er diesseits des Berges Taurus im Besitz hatte, so hatte er öffentlich gesagt, er sei den Römern viel Dank schuldig, daß sie ihn der beschwerlichen Mühwaltung, ein großes Land zu erhalten, hatten überheben wollen, da er es ohnehin nicht ohne beständigen Verdruß und ohne Einbuße hätte beschützen können. Die Meinung dieses Mannes ging dahin: Wenn der spanische Rat das wahre Wohl der Krone bedächte, so würde er sich noch bei uns bedanken, daß wir ihm die Sorgen, die er zur Erhaltung so vieler Städte anwenden mußte, auf eine so merkliche Art vermindert haben; ja, er würde wünschen, diese Unruhe gänzlich loszuwerden. Als die Spanier in den langwierigen Krieg mit Holland verwickelt waren, sollen sie gesagt haben56, ihr Herr würde diese Aufrührer längst zur Strafe gezogen haben, wenn ihn nicht Staatsabsichten daran hinderten. Allein, er wollte mit allem Fleiß ein streitiges Land beibehalten, damit seine Untertanen durch unaufhörliche Übungen sich in demselben wie auf einer Reitbahn herumtummeln könnten. Ich versichere Sie aber, mein Herr, daß diese Ursache nicht mehr gilt. Es gibt so wenig Spanier, die sich die Gelegenheit, kriegerisch zu werden, die sie in den Flandrischen Kriegen finden könnten, zunutze machen, daß es sich nicht der Mühe verlohnt, davon zu reden. Vielmehr könnte man sagen, Spanien behielte deswegen die Niederlande, damit der von Natur wallende und geschäftige Geist der Franzosen daselbst was zu tun fände, die Spanier hingegen in dem ruhigen[99] Besitz ihrer eigenen Länder gelassen und nicht von jenen in der feigen Bequemlichkeit gestört würden, die sich der ganzen Nation jetzt bemeistert hat. Aber ebendiese Ursache sollte auch den spanischen Rat bewegen, Flandern fahrenzulassen, denn wenn alsdann mit der Zeit die Spanier in ihren eigenen Ländern angegriffen würden, so würden sie diesen Vorteil haben, daß ihre alte Tapferkeit, die sie sonst so berühmt gemacht hat, wiederum aufwachte und daß sie in der Sorge für die Reichsangelegenheiten sich nicht mehr wie jetzt auf die Wachsamkeit eines andern verließen.

Es ist unstreitig, daß Ihre Katholische Majestät durch Abtretung der noch übrigen Spanischen Niederlande viel gewinnen würde. Denn erstens würde es der Mühwaltung überhoben, ein Land zu erhalten, woraus es keinen Vorteil zieht und welches seit mehr als fünfzig Jahren statt allen Einkommens nichts mehr nach Spanien geschickt als Nachrichten, darüber alle Staatsminister vor der Zeit grau geworden. Und fürs andere würde es mehr Ehre haben, wenn es dieselben auf eine gute Art los würde, als daß es jetzt sehen muß, wie ihm dieselben auf hundert schimpfliche Arten nach und nach abgenommen werden, da man z.B. die königlichen Befehle den Spaniern durch den Gerichtsdiener hat zu wissen tun lassen. Für die Spanischen Niederlande selber würde diese Abtretung vorteilhaft sein, denn da man jetzt darin ohne Bedeckung nicht reisen kann, wenn man nicht in Gefahr sein will, von den Straßenräubern bis aufs Hemd ausgezogen zu werden, so würde das unter der Herrschaft von Frankreich gänzlich aufhören. Es ist in der Tat schade, daß ein so schönes Land in den Händen eines Herrn ist, der es nicht einmal gegen Straßenräuber beschützen kann. Und hat man wohl Ursache, scheele Augen zu machen, wenn unser großer Monarch, der die Niederländer zeitlebens so herzlich geliebt hat, ihnen zu erkennen gibt, wie begierig er sei, sie von den spanischen Besatzungen zu befreien, welche, statt daß sie ihnen zur Beschützung dienen sollten, überall ungestraft rauben und stehlen, gleich als ob die Reisenden[100] was dafür könnten, daß man in Madrid nicht Geld genug hat, die Soldaten in Flandern zu bezahlen.

Wie muß es ferner nicht die spanische Nation schmerzen, da sie sonst den Rang über die unsrige so gern behaupten wollte und fast alle europäischen Höfe eifersüchtig machte, daß sie jetzt diese letztem mit Klagen, mit Vorstellungen, mit Bittschriften überlaufen muß, um nur gegen Frankreich beschützt zu werden, und doch nicht einen einzigen Fürsten antreffen kann, der ihr helfen will. Nicht als ob man es gerne sähe, daß unser König so mächtig wird oder daß man die Billigkeit seiner Gründe für genehm hielte. Denn obgleich unser unüberwindlicher Monarch nichts nimmt, als was er bewiesen, daß es ihm rechtmäßig zukomme, und, nach der Anmerkung des Verfassers der Schrift von den Rechten der Königin, darin dem Josua nachahmt, der die Lade des Bundes mit den darin befindlichen Gesetzestafeln vor der Spitze der Armee vorhertragen ließ, so wollen doch unsere Nachbarn diese Stärke seiner Gründe durchaus nicht einsehen. Sie sagen, man müßte einen Verstand haben, der durch hunderttausend Soldaten unterstützt würde, wenn man in dem Münsterischen und Niemägischen Friedensschluß denjenigen Sinn finden wollte, den wir darin finden. Diejenigen, die die Artikel davon aufgesetzt, hätten gewiß nicht geglaubt, daß man sie auf solche Art auslegen könnte, und wenn sie die Worte in dem Sinn genommen hätten, wie wir sie nähmen, so müßten sie es so gemacht haben wie diejenigen, die die Kanons auf den Kirchenversammlungen aufsetzen, die auch nicht mehr sagten, als sie dächten, welches alsdann die Gelegenheit wäre, daß sich Leute fänden, die viele Jahrhunderte danach Geheimnisse in den Ausdrücken anträfen, daran jene nimmermehr gedacht hätten. Was ist es aber denn, das unsere Nachbarn verhindert, die Vorschläge der Spanier anzuhören? Nichts als die Furcht, den Blitz, der andern gedroht ist, auf sich zu ziehen. Doch wir wollen wieder zur Sache kommen.


41. Glück des Jahres 1668

[101] Das Jahr 1668 ist überhaupt noch glücklicher gewesen als das vorige, denn durch den Aakischen Friedensschluß erhielt der König in Spanien eine Provinz, die er nimmermehr würde wiedererobert haben, und sicherte sich den Besitz alles dessen, was ihm noch in den Niederlanden rückständig war und welches er unfehlbar würde eingebüßt haben, wenn der Krieg länger gedauert hätte. Durch ebendenselben Friedensschluß hatten die im vorigen Feldzug eroberten Städte das Glück, einem König angehörig zu verbleiben, der sie von unendlicher Unruhe befreit hat und der sie noch in einem Wohlstand erhält, den die Furcht des Zukünftigen nicht beunruhigt. Im ganzen Okzident ward überall Friede gemacht, welches allein tut das Volk ein unschätzbares Glück ist. Alle christlichen Fürsten besänftigten die Eifersucht und den Argwohn, der sie beunruhigt hatte, und unser König setzte sich endlich eine Ehrenkrone auf, die allein zulänglich wäre, ihn zu verewigen, wenn er auch in folgenden Zeiten nicht so viele Wunder getan hätte, die seinen Ruhm in alle vier Enden der Welt ausgebreitet haben. Denn er gab das Eroberte großmütig wieder, was ihm doch niemand nehmen konnte, und begab sich aller der Vorteile, die ihm das Glück anbot. Vortreffliches Exempel der Mäßigung, welches mehr Lobeserhebungen verdient als die Eroberung eines Königreiches.

Kann man also wohl sagen, daß die Kometen von 1665 Vorboten entsetzlicher Unglücksfluten gewesen? Und hat man nicht Ursache, die Sterndeuter wacker auszulachen, die überall ausgebreitet hatten, sie bedeuteten erschreckliche Dinge, Spaltungen und entsetzliche Ketzereien? Einige darunter rieten sogar dem Kaiser, sich zwanzig Tage in einen Palast einzuschließen, der in einem finstern Tal auf guten Grund gebaut und ringsumher mit Bergen umschlossen wäre, wie sie solches in dem theatro cometico57 eines polnischen Edelmanns mit Namen Stanislaus Lubienietzki weitläufig nachlesen können.


42. Beilegung der Streitigkeiten zwischen den Jesuiten und Jansenisten

[102] Doch nicht allein deswegen war das Jahr 1668 ein Glücksjahr, weil der Krieg darin zu Ende ging, sondern auch, weil eine andere Friedensstiftung zustande kam, die zum Wohl der Kirchen zwar höchst nötig, aber auch höchst schwer zu erlangen war. Der Friede sollte nämlich zwischen vielen Schriftgelehrten wiederhergestellt werden, die einander schon lange in Haaren gelegen hatten und die eine höchst ärgerliche Spaltung hätten anrichten können, wenn man sie hätte gehenlassen. Sie wissen wohl, mein Herr, daß man Leuten aus Ihrem Orden schuld gibt, sie erhitzten sich in Streitigkeiten, die nichts auf sich hätten, und erregten Himmel und Erde, um nur ihre Feinde auf einen andern Weg zu bringen, wenn sie in der Meinung stünden, daß dieselben wichtige Irrtümer hegten. Ein Buch zu schreiben, kostete ihnen in solchen Fällen wenig oder nichts, und nichts werde ihnen so sauer, als die Waffen einmal niederzulegen. Daher sieht man auch eine Friedensstiftung zwischen Schriftgelehrten für ein höchst schweres Werk in der Welt an. Ich will nicht untersuchen, ob man ein Recht hat, ein solch Urteil zu fällen, aber das muß ich doch anmerken, daß der Streit der Jesuiten und Jansenisten mit Grund als ein Handel von Wichtigkeit und als eine Sache angesehen worden ist, mit der man nicht so leicht zustande kommen könnte. Das ist nicht so zu verstehen, als ob die Sache an sich von Erheblichkeit gewesen wäre. Die Jansenisten brachten nichts anders vor, als daß sie beständig wiederholten, sie wären in den strittigen Punkten, was das Recht anbeträfe, mit ihren Widersachern völlig eines Sinnes. Sie wollten nur behaupten, daß die von dem Papst verdammten Sätze nicht in dem Buch des Jansenius stünden. Und das war freilich im Grunde von so großer Erheblichheit nicht. Man kann selig werden, ohne daß man weiß, daß ein Jansenius in der Welt gewesen ist; und was hat man es nötig zu wissen, ob die Schriften des Jansenius dies oder jenes enthalten?[103]

Die Verordnung hätte also gar wohl unterbleiben können, darin man den Nonnen, die kein Latein verstanden, anbefahl, sie sollten es mit unterschreiben, daß Jansenius diese oder jene Lehrsätze gehabt hätte. Was war es doch nötig, daß diese mit dergleichen Dingen sich die Köpfe zerbrechen mußten. Allein so, wie der Streit ein Ansehen bekommen hatte, war es keine gleichgültige Sache mehr. Das päpstliche Ansehen litt darunter, die Rechte der Bischöfe waren mit darein verwickelt, eine Menge von Schimpfwörtern, womit man auf beiden Seiten um sich geworfen, hatte eine entsetzliche Erbitterung der Gemüter gegeneinander angerichtet. Man redete von nichts als päpstlichen Breven, von Verordnungen aus der Kammer oder vom Parlament, von Zirkularschreiben, von bischöflichen Befehlen. Man predigte gegen die Jansenisten, man gebrauchte sich zuweilen der weltlichen Ordnung gegen sie. Mit einem Wort, es war alles in einer entsetzlichen Unordnung. Seiner Königlichen Majestät ging es nahe, alles dieses so mit anzusehen. Vermöge des ihr beiwohnenden großen Verstandes und der tiefsten Einsicht sahen sie voraus, daß man das Ende dieser Zerrüttung nicht erleben würde, sofern man den Parteien kein Stillschweigen auferlegte. Sie brauchten daher ihr Ansehen und befahlen, man sollte es bei den Unterschriften bewenden lassen, die mit Einwilligung des Päpstlichen Stuhles unter gewissen Vermittlungen geschehen wären, und verboten, daß inskünftige niemand von seinen Untertanen etwas sagen oder schreiben sollte, welches Gelegenheit geben könnte, den Streit wieder aufzuwärmen. Das war den 23. des Weinmonats 1668, als diese Verordnung herauskam, und durch diesen Vorschlag einer weisen Staatskunst hemmte man den Fortgang eines Streites, der Frankreich mehr als zwanzig Jahre beunruhigt hatte und der in der Kirche eine gänzliche Zerrüttung hätte anrichten können. Da nun dieser große Streit lange vorher, ehe die Kometen von 1665 erschienen, angegangen war und drei Jahre nach ihrem Erscheinen beigelegt wurde, so kann man ja nicht sagen, daß ihr Einfluß böse und schädlich gewesen, vielmehr[104] müßte er heilsam und ersprießlich gewesen sein, weil sie die Unordnung, die sie in der Welt gefunden, aus dem Weg geräumt.

Es ist nicht nötig, mein Herr, daß ich Ihnen die Vorteile, die Frankreich von dieser Friedensstiftung gehabt hat, umständlich erzähle. Denn das ist eine Sache, die Sie wissen sollten und die Sie auch in der Tat besser wissen als ich. Hätte man uns auch nicht mehr dadurch verschafft als die Erlaubnis, die Schriften der Herren aus dem Port-Royal lesen zu dürfen, so wäre das schon ein ungemeiner Vorteil gewesen. Es sind diese Bücher nicht nur gut geschrieben, und sie enthalten nicht nur große Muster der Beredsamkeit und der gesunden Vernunft, sie lehren uns auch unzählige schöne Sachen, die man sonst niemals in solcher Deutlichkeit auseinandergesetzt hatte. Haben Sie wohl z.B. jemals von Ihren Lehrmeistern gehört, wie weit sich der Gehorsam gegen diejenigen erstrecken müsse, die für unsere Seelen wachen? Hatten Sie wohl gehört, daß andere ebenso genau wie diese Herren den Unterschied iuris et facti, dessen, was geschieht und was geschehen soll, bestimmt, desgleichen was für Sachen man fide humana & divina mit einem göttlichen oder menschlichen Glauben für wahr halten soll? Gestehen Sie nur, mein Herr, daß man Sie in einer großen Unwissenheit aller dieser Dinge erzogen hat. Denn in unserer Kirche werden wir so sehr von demjenigen Geist abgeschreckt, der erkennen und schließen will, daß man uns nichts so ausdrücklich anbefiehlt, als uns unsern Lehrern und Führern blindlings zu überlassen. Und doch ist es gewiß, wie diese Herren deutlich gezeigt haben, daß ein Unterschied zu machen ist und daß es höchst gefährlich ist, wenn man diese Sätze ohne gehörige Einschränkung annimmt. Man ist ihnen also überaus viel Dank schuldig, daß sie uns die Augen in vielen solchen Stücken geöffnet haben, die man unbilligerweise für verdächtig auszugeben gewohnt ist.

Wieviel Dank verdienen sie nicht dadurch, daß sie doch endlich in Frankreich den Gebrauch des göttlichen Wortes in der Muttersprache eingeführt und den Schimpf und[105] die Schande von der Kirche abgelehnt haben, die sie unaufhörlich durch den Vorwurf der Protestanten, als ob sie gläubige Seelen dieses teuren Schatzes der Schrift beraube, ausstehen mußte! Man verfolgte die Übersetzung von Mons, bevor diese Streitigkeiten beigelegt wurden, und der meiste Teil des Volkes fürchtete sich vor derselben. Allein nach dem Frieden, den der König der Kirche geschenkt, hat man das Joch abgeschüttelt. Man liest jetzt ohne Bedenken nicht nur die Schriften aus dem Port-Royal, die man sonst nicht lesen durfte. (So sehr war man durch die molinistischen Beichtväter erschreckt worden.) Man liest auch mit viel Erbauung die Heilige Schrift, so wie sie diese Herren ins Französische übersetzt haben. Ich übergehe so viel schöne moralische Bücher und Streitschriften, die sie nach der königlichen Verordnung vom 23. Oktober 1668 herausgegeben, desgleichen alle die Abhandlungen, welche die berühmte Frage, ob man die Heilige Schrift in der Muttersprache lesen dürfte, so wohl auseinandergesetzt haben, da unsere Lehrer bisher sich nicht wohl daraus finden können. Denn Sie wissen allzuwohl, mein Herr, wie wichtig alle diese Schriften sind, als daß Sie im geringsten daran zweifeln sollten, was ich Ihnen hiermit beweisen will, daß nämlich einige Zeit nach dem Erscheinen der zwei schrecklichen Kometen in dem gemeinen Wesen höchst vorteilhafte Dinge sich zugetragen haben.


43. Erwägung der Unglücksfälle, die in den sieben Jahren, die man untersucht bat, vorgefallen sind

Man führe hier nicht die Londoner Pest von 1665 an, die Feuersbrunst in ebenderselben Stadt das Jahr darauf, das Erdbeben, welches 1667 die Republik Ragusa verschlang, die Entzündung des Berges Ätna 1669 und andere solche Zufälle; denn das sind wohl in der Tat traurige Begebenheiten für diejenigen, die darunter leiden müssen. So außerordentlich aber und von so allgemeinen Folgerungen sind sie nicht gewesen58, und man könnte leicht zeigen,[106] daß zu andern Zeiten Unglücksfälle von gleicher Art sich zugetragen haben, die noch weit betrüblicher gewesen, z.B. die Feuersbrunst in Moskau, der Hauptstadt in Rußland, welche von den Tataren 1571 gänzlich in die Asche gelegt worden ist, das Erdbeben, das in einer Nacht zwölf große Städte in Asien unter der Regierung des Tiberius verschlungen, ein anderes, das zwanzigtausend Einwohner in Lazedämon ums Leben gebracht und die ganze Stadt unter dem Haufen eines Stückes vom Berg Taïgetos, 469 Jahre vor Christi Geburt, verschüttete, und noch ein anderes in Kanada 1663 und in Peru 1604, welches dreihundert Meilen Weges in die Länge und siebzig in die Breite entsetzliche Verheerungen In weniger Zeit als einer Stunde verursacht hat, die Entzündung des Vesuvs 1631, die Pest, die kurz darauf in Wien regiert hat, die den Kaiser bis nach Prag, wohin er geflüchtet war, verfolgte und sich darauf in verschiedene Provinzen mit einer entsetzlichen Verheerung ausbreitete. Und ferner – können wohl jene drei oder vier traurigen Begebenheiten demjenigen Glück die Waage halten, welches durch so viele Friedensschlüsse verursacht worden ist? Was hat nicht Frankreich insbesondere für Glück dabei genossen? Wie geschäftig hat sich nicht die unermüdliche Sorgfalt seines Königs erwiesen, alles dasjenige, was zum Wohlstand der Nation etwas beitragen kann, durch seine eigene Einsicht und durch den Verstand der erlesensten und geschicktesten Minister zu fördern? Sind nicht Manufakturen angelegt, Handelsgesellschaften aufgerichtet, neue Gesetze gegen den Unfug der Advokaten eingeführt, eine bewundernswürdige Einrichtung im Finanzwesen und tausend andere Dinge angeordnet worden, die eine Quelle von unendlich Gutem sowohl überhaupt wie insbesondere genannt zu werden verdienen? Sprechen Sie nicht, mein Herr, ich hätte hier den Zeitraum allzu eng angenommen, denn es ist vernünftig, daß, wenn die Kometen etwas Böses vorbedeuten, solches die ersten sechs oder sieben darauffolgenden Jahre betreffen müsse, und auf diese Art will man ja eben ihren üblen Einfluß aus der Historie beweisen.[107]


44. Unglücksfälle, die seit 1645 bis 1652 in Europa vorgefallen

Wollen Sie, mein Herr, zur Lust noch andere nach Belieben angenommene sieben Jahre haben, welche von der üblen Luft der Kometen ziemlich gereinigt worden sind? Belieben Sie sich nur dessen zu erinnern, was in Europa seit 1645 bis 1652, da der Komet am Himmel stand, vorgefallen. Bemerken Sie wohl, daß ich eine Zeit nehme, in welcher die langwierigen Kriege von Deutschland, darein so viele hohe Häupter verwickelt waren und die der Komet von 1618 mit aller Gewalt vorhergesagt haben soll, in Münster beigelegt worden sind. Ich sollte meinen, der Komet habe hier Zeit genug gehabt, sich zu reinigen, und man könne gar wohl behaupten, daß er in den Jahren, die ich angenommen, nichts zu tun gefunden; zumal, wenn man erwägt, daß ich ihm noch die drei letztem Feldzüge der Alliierten gegen das Haus Osterreich einräume, die in diesen Jahren vorgenommen worden sind und welche verschiedener blutiger Begebenheiten halber merkwürdig gewesen, unter anderem wegen der Schlacht bei Nördlingen, darin der Prinz von Condé59 den Schimpf auf eine so rühmliche Art rächte, welchen die Schweden an demselben Ort vierzehn Jahre vorher erlitten hatten; desgleichen wegen der Pragischen Plünderung60, welche viele sehr vornehme Frauenzimmer in die harten Umstände versetzt, daß sie im bloßen Hemd auf der Gasse haben stehen müssen. Alles dieses ungerechnet, finde ich in den Jahren, die ich erwählt habe, erschreckliche Unglücksfälle und insbesondere den Geist wütender Empörungen.

Ich finde darin den König von England61, wie er zum Tode verurteilt und durch seine eigenen Untertanen unter entsetzlichen Umständen mit dem Schwert hingerichtet wird. Ich finde darin dem König seinen Sohn, wie er gezwungen ist, sich auf einer Eiche zu verstecken, nachdem er gesehen hat, daß alle seine Völker in der Schlacht bei Worcester in Stücke zerhauen worden62; wie er endlich in dem betrübtesten Aufzug sein Königreich verlassen und[108] es noch für ein recht großes Glück ansehen muß, daß er durch diese Verkleidung das eifrigste Aufsuchen seiner Person, um ihm auf gleiche Art wie seinem Vater mitzuspielen, zuschanden machen kann. Ich finde Frankreich in einen grausamen inneren Krieg verwickelt, darin es fast alle in zwölf Feldzügen eroberten Plätze einbüßt und den verderblichen Schimpf empfindet, daß es sich zu einer solchen Zeit selber stürzt, da nur dasselbe sich Schaden zufügen konnte, so wie es vor diesem der römischen Republik63 ergangen. Ich finde das Königreich Neapel, wie es sich gegen seinen Herrn empört. Ich finde Frankreich in einen Krieg mit Spanien in Flandern, in Italien und in Katalonien verwickelt. Ich sehe Portugal gegen Holland und Spanien zugleich gerüstet. Ich sehe, daß Kmielinski64, der Kosaken General, gegen Polen rebelliert und mit den Tataren ein Bündnis macht, dieses Königreich mit Sengen und Brennen zu verwüsten. Ich sehe, wie er sich den Tod des tapfern Wladislaus zunutze macht, den Tataren Cham in Polen eindringen läßt, sich mit ihm vereinigt und mit einer Armee, die seit Attilas Zeiten ihresgleichen nicht gehabt, die Polen in ihren Verschanzungen belagert und sie in die äußerste Enge treibt. Ich sehe, daß der den 17. August 1649 unter den nachteiligsten Bedingungen für die Polen geschlossene Frieden nur eine kurze Zeit währt; daß der Einfall der Kosaken und Tataren noch einmal so stark erfolgt, tausenderlei Verheerungen verursacht und sich zwar endlich mit ihrer gänzlichen Niederlage endigt, doch aber eine Ursache unzähliger aneinanderhängender Plünderungen und unglücksvollen Begebenheiten ist. Ich sehe die Moskowiter65 in einer so wütenden Empörung, daß die vornehmsten Staatsbedienten nicht einmal in dem Palast des Kaisers eine Freistatt finden, darin sie gegen den Unfug des Pöbels sicher sein könnten. Der Zar muß ihnen die Opfer ausliefern, die sie mit Gewalt fordern. Er muß es leiden, daß seine vornehmsten Kriegsbedienten zu Tode geprügelt werden, und da er seinen Stiefbruder, der sein Liebling war, entwischen lassen hat, so muß er bei dem Pöbel um Vergebung bitten.[109]

Ich sehe in Konstantinopel66 entsetzliche Empörungen, daß der Sultan Ibrahim, nachdem er gezwungen worden, den Großwesir Azem der rasenden Wut des Pöbels auszuliefern, welcher ihn erdrosselt, endlich selbst erdrosselt worden ist.67 Das ist noch nicht alles. Die Janitscharen und die Spahis, die Stützen des Ottomanischen Reiches, sind dergestalt gegeneinander erbittert, daß sie schon im Begriff stehen, ihre Streitigkeiten mit dem Säbel in der Faust zu schlichten. Die Sultanin Kiosem, welche während der Minderjährigkeit des jungen Sultans, ihres Enkels, das Regiment verwaltet, faßt den Anschlag, ihn durch die Janitscharen erdrosseln zu lassen; allein die Mutter des Sultans kommt ihr durch eine Gegenverschwörung zuvor, läßt sie erdrosseln und die vornehmsten Offiziere der Janitscharen hinrichten. Ich finde die Venezianer mit den Türken in Krieg verwickelt, welches tausenderlei Verheerungen und entsetzliches Unglück allen Völkern in Dalmatien und im Archipelagus zuzieht. Ich finde noch tausend andere Unordnungen, deren weitläufige Erzählung Ihnen verdrießlich fallen würde; da es überdies nicht nötig ist, dieselben anzuführen, weil sie mir ohnedem schon zugeben wer den, daß die sieben Jahre, die ich nach den zwei Kometen genommen, nicht so reich an verdrießlichen Begebenheiten gewesen wie diejenigen sieben, da kein einziger vorher erschienen war, und erst 1652 sich einer wieder sehen ließ, nachdem der vorige Komet durch den allgemeinen Frieden, der zu Münster gestiftet wurde, schon völlig war versöhnt worden. Gestehen Sie daher, mein Herr, daß es Unglücksfälle ohne Kometen und Kometen ohne Unglücksfälle gibt und daß, wenn man nach der gemeinen Art schließen wollte, die Münsterischen Friedensverhandlungen als Vorboten der göttlichen Strafrute angesehen werden müßten, weil so viel Unglück fast durch ganz Europa darauf erfolgt ist.

Unser Sprichwörterfreund wird wohl sagen, eine Schwalbe mache noch keinen Sommer. Allein ich antworte ihm zum voraus, daß er Exempel von gleicher Art, soviel er ihrer nur haben will, antreffen wird, wenn er die Schriften der[110] Geschichtsschreiber durchblättern will. Das Theatrum cometicum68, welches ich Ihnen schon angeführt habe, erzählt deren zwei sehr merkwürdige. Ein deutscher Schriftsteller im vorigen Jahrhundert, mit Namen Elias Major, führt ihrer eine sehr große Anzahl an69 und bemerkt ausdrücklich, daß die berühmtesten Friedensschlüsse kurz nach dem Erscheinen eines Kometen gestiftet worden sind, daß viele abgöttische Nationen zu einer dergleichen Zeit das Evangelium angenommen hätten und daß man ein Gleiches von der Stiftung vieler berühmter Universitäten sagen könne. Der Philosoph Charemon70 würde uns vieles hiervon berichten, wenn wir seine Schrift hätten, darin er sich vorgenommen zu zeigen, daß die meisten Kometen Vorboten großer Glücksfälle gewesen. Unser Freund durchblättere also nur die Historienbücher, er wird Exempel im Überfluß finden. Ihnen darf ich solches wohl nicht sagen, mein Herr. Sie haben so viel Zeit nicht wie er. Sie lesen dafür lieber die Kirchenväter und den heiligen Thomas. Ich ziehe daher meine Ihnen getane Ermahnung wieder zurück, und ich sehe wohl, daß ich auf diesen fünften Grund, so bündig er auch ist, mir nicht mehr Rechnung machen darf als auf die vorigen Gründe. Sie können die Stärke desselben ohne Untersuchung vieler Begebenheiten und ohne genaue Überrechnung des Bösen und des Guten, das zu verschiedenen Zeiten in der Welt vorgefallen ist, nicht einsehen. Und gleichwohl stimmt eine solche Beschäftigung nicht mit dem Lesen so vieler Kirchengesetze71, so vieler Konzilien, so vieler Kirchenväter, so vieler Gottesgelehrter, so vieler Kasuisten überein, der Sie sich doch gänzlich gewidmet haben. Ich will mich bemühen, diesem Zufall durch einen Grund abzuhelfen, der kein Lesen erfordert und der von einer ganz besondern Art ist, wie ich Ihnen schon gesagt habe. Doch ehe ich dahin komme, sehe ich voraus, daß ich Ihnen noch viel andere Dinge werde sagen müssen.

A..., den 2. Mai 1681


45. Sechster Grund: Daß der allgemeine Wahn der Völker von keiner Wichtigkeit ist, um den bösen Einfluß der Kometen zu beweisen

[111] Ich habe die philosophischen Gründe noch nicht erschöpft, denn hier haben Sie noch einen, mein Herr, der überaus bündig ist. Man kann zum sechsten sagen, daß durch den allgemeinen Wahn und durch die einmütige Übereinstimmung der Menschen der Wahrheit kein Eintrag geschehen kann. Man müßte denn sagen, daß alle die abergläubischen Meinungen, die die Römer in Ansehung der Wahrsagungen und Wunderzeichen von den Toskanern erlernt hätten, und daß alle die Ungereimtheiten der Heiden bei Gelegenheit der Vermutung künftiger Dinge so viel unleugbare Wahrheiten gewesen, weil die ganze Welt davon so sehr eingenommen gewesen wie von den Prophezeiungen der Kometen. Man müßte sagen, daß der Teufel, der nach Christi Ausspruch72 ein Vater der Lügen ist, Göttersprüche voller Wahrheit, Aufrichtigkeit und Richtigkeit in einer langen Reihe von Jahren gegeben habe. Denn es ist eine Zeit gewesen, da die ganze Welt diese Aussprüche mit Ehrerbietung und Ehrfurcht annahm. Es würde unmöglich sein, den Schluß zu beantworten, welchen Cicero anführt: Das Orakel zu Delphi würde nimmermehr so berühmt geworden sein, und alle Völker und Könige würden nimmermehr so viel Geschenke dahin abgeschickt haben, wenn nicht alle Zeiten die Wahrheit seiner Antwort empfunden hätten.73 Das scheint wahrscheinlich genug zu sein, und der Urheber dieses Gedankens glaubt nicht einmal, daß er nach Anführung eines so bündigen Schlusses nötig habe, durch gültige Zeugnisse zu beweisen, wie solches der Philosoph Chrysippos getan hatte: daß Apollo unzählige wahre Göttersprüche gegeben habe. Aber das heißt alles nichts. Man darf nur den Grundsatz leugnen, darauf dieser Schluß gebaut ist, daß nämlich durchgehend angenommene Meinungen wahr seien, und zeigen, daß nichts so falsch ist wie dieser Grundsatz, selbst aus dem Exempel des Delphischen Orakels, welches von allen Seiten[112] um Rat gefragt wurde, obgleich seine zweideutige Antwort ein Fallstrick vieler Völker und überhaupt ein abscheulicher Betrug gewesen. Es ist überdies gar nicht schwer zu zeigen, daß man diesen Grundsatz mit Recht in Zweifel zieht, denn man entdeckt alle Tage tausenderlei Irrtümer in den allergemeinsten Meinungen, in solchen z.B., die man von dem Hundsstern hat. Die Vernunft zeigt nicht nur, daß nichts so falsch ist wie die vorgegebene Hitze dieses Gestirns. Es lehrt uns auch die Erfahrung, wenn man acht darauf gibt, daß es öfter geschieht, daß der Monat August nicht die heißeste Zeit im Jahr ist, wie es geschieht, daß er es sei.


46. Exempel einiger allgemeiner unbegründeter Meinungen

Was man von gewissen Arzneimitteln zu sagen pflegt: Man müsse sein Vertrauen darauf setzen, wenn man wolle, daß sie helfen sollten, solches läßt sich auch von vielen alten Sagen behaupten. Gefallen Ihnen diese so wohl, daß Sie sie nicht gerne verlieren möchten, so glauben Sie sie nur, ohne dieselben zu untersuchen. Denn wenn Sie sich die Mühe geben, dieselben genau und scharf zu beleuchten, so werden Sie bald finden, daß die Erfahrung der allgemeinen Stimme nicht beifällt. Hier haben Sie einige Exempel davon.

Wenn es wahr ist, daß es Körper am Himmel gibt, deren Einflüsse in Ansehung der Erde einige Kraft besitzen, so ist es gewiß der Mond, weil er sehr nahe bei ihr steht. Man glaubt es auch in der Tat, daß er an vielen Dingen Ursache sei. Der Mond soll die Abnahme und Zunahme des Markes und des Gehirns bei den Tieren verursachen, die Steine zermalmen, Frost und Hitze, Regen und Ungewitter veranlassen. Denn wenn mit dem Neumond regnicht Wetter einfällt, so hat man nicht eher gut Wetter zu hoffen, als bis er voll wird, und wenn alsdann der Regen noch nicht aufhört, so darf man nur die Rechnung machen,[113] daß derselbe bis auf das erste Viertel dauern werde, und so auch mit der Dürre und dem Frost usf. Die Ursache davon ist in der Konjunktion oder Opposition des Mondes zu finden, die das Recht haben, die Beschaffenheit des Wetters zu ändern. Daher kommt es, weil man in Gesellschaft oft vom Wetter, vom Regen, vom Prost, von der Dürre und andern dergleichen Dingen zu reden pflegt, daß man so viele Male hört, wie sich diejenigen, die über die üble Witterung klagen, mit der Hoffnung des Neu- oder Vollmondes trösten, welcher, wie sie vorgeben, dieselbe schon ändern werde. Sie können nicht in Abrede sein, mein Herr, daß das Meinungen sind, die allen Ländern und so vielerlei Leuten gemein sind.

Und doch haben diejenigen74, die sich die Mühe gegeben, das Mark von den Tieren zwanzig und dreißig Jahre hintereinander zu untersuchen, befunden, daß es Knochen gibt, die viel Mark, und wiederum andere, die dessen sehr wenig haben; der Mond mag unterdessen sein, wie er will. Daraus kann man sehen, daß dieser daran nicht teilhat, ebensowenig wie daran, daß die Krebse und Austern voll oder nicht voll sind, denn man hat auch angemerkt, daß dieses nicht auf die Abwechslung des Mondes ankommt; der Irrtum des gemeinen Mannes mag davon sagen, was er will. Ich behaupte dieses ebenfalls von der Veränderung des Wetters. Ich habe oft acht darauf gegeben und behaupte nun, daß dasselbe sich nicht nach dem Mond richtet und daß in der Zeit, da der Mond seinen Lauf vollendet, kein Tag ist, an dem z.B. die Abwechslung des Regens mit Sonnenschein, des Tauwetters mit dem Frost eher geschähe als an einem andern. Wenn wir richtige Erfahrungen hätten, so würden wir finden, daß die Witterung sich gar nicht nach dem Voll-oder Neumond richtet. Man. -würde ebensoviel Monate zählen, da trocken Wetter gewesen, obgleich der Mond mit Regen eingetreten, wie solche, da es geregnet, obschon bei dem Neumond gut Wetter gewesen, und so auch im Gegenfall. So wahr ist es, daß die Veränderung des Wetters keiner uns bekannten Regel folgt! Es würde mir nicht schwerfallen[114] zu zeigen, daß die Vernunft in allem diesem das Widerspiel behauptet, allein ich will mich lieber der Erfahrung bedienen. Wenn man diese sorgfältig zu Rate zieht, so wird man befinden, daß sie demjenigen, was alle Welt für wahr ausgibt, gänzlich zuwider ist. Ich mache daher hierüber folgende Anmerkung: Man darf sich gar nicht wundern, wie ein Irrtum allgemein werden kann. Die Menschen sind viel zu nachlässig, als daß sie die Vernunft zu Rate ziehen sollten, wenn sie dasjenige für wahr halten, was sie von andern sagen hören, und viel zu unachtsam, als daß sie sich der Gelegenheit bedienen sollten, ihre Irrtümer loszuwerden.

Sie erlauben, mein Herr, daß ich frage, ob Sie niemals auf die Menge der Schriftsteller achtgehabt, da immer einer nach dem andern gesagt hat, der Mensch sei schwerer, wenn er nüchtern wäre, als wenn er gegessen hätte, eine Trommel von Schafsleder zerspränge, wenn eine andere gerührt würde, die mit Wolfshaut überzogen wäre, die Otter tötete bei ihrer Geburt die Mutter und veranlasse den Tod des Vaters, sobald ihre Bildung geschehen, und sehr viel andere dergleichen Dinge mehr. Man hat es nicht dabei bewenden lassen, daß man dieselben als ausgemachte Dinge angeführt, man ist bemüht gewesen, die Ursache davon zu untersuchen. Wieviel unüberlegte Ausrufe sind hierüber nicht gemacht worden! Die Sittenlehre hat sich mit ins Spiel gemengt. Die Sachverwalter haben ihre Sachen damit vor Gericht ausgeschmückt. Die Prediger haben tausenderlei schöne Gleichnisse daraus gezogen, und in Schulen sind unzählige Ausarbeitungen darüber aufgegeben worden. Indessen sind das alles Sachen, die gegen die Erfahrung laufen, wie diejenigen, die sich die Mühe gegeben, solches zu untersuchen, es erwiesen haben.[115]


47. Was die wahre Ursache vom Ansehen einer Meinung ist

Man sieht daraus, daß die Gelehrten zuweilen eine ebenso Ungewisse Bürgschaft leisten wie der gemeine Mann und daß eine durch ihr Ansehen bestärkte Sage deswegen doch noch falsch sein kann. Durch den Namen und Titel eines Gelehrten muß man sich daher nicht blenden lassen. Was wissen wir, ob jener große Doktor, der einen gewissen Lehrsatz für wahr ausgibt, mehr Umstände gebraucht hat, sich davon zu überzeugen, als ein Ungelehrter, der denselben ohne vorhergegangene Untersuchung für wahr angenommen hat? Hat der Doktor dieses letztere getan, so gilt seine Stimme nicht mehr als des Ungelehrten seine. Denn das Zeugnis eines Mannes hat um so viel mehr oder weniger Gültigkeit, je größer oder kleiner die Gewißheit ist, welche er sich durch völlige oder schlechte Nachricht einer Sache zuwege gebracht. Ich habe es Ihnen bereits gesagt und wiederhole es nochmals : Die Menge der Anhänger kann eine Meinung nicht wahrscheinlich machen, es wäre denn, daß man gewiß wüßte, sie sei von allen diesen ohne Vorurteil für wahr gehalten worden. Sie hätten daran nicht zweifeln können, weil sie durch eine verständige, richtige und mit großer Kenntnis der Sachen vergesellschaftete Untersuchung gezwungen worden sind, derselben Beifall zu geben. Wie man sonst mit gutem Grund sagt: Ein einziger Zeuge, der die Sache mit angesehen hat, ist glaubwürdiger als zehn andere, die es nur vom Hörensagen wissen75; so kann man auch versichert sein, daß ein geschickter Mann, der nichts bekanntmacht, als was er sehr wohl bedacht und außer allem Zweifel befunden hat, seiner Meinung ein größeres Gewicht gibt als hunderttausend gemeine Geister, die einander blindlings folgen und sich einzig und allein auf die Redlichkeit anderer verlassen. Und das ist unfehlbar die Ursache, warum Themistios und Cicero so freiheraus gestehen, der erstere: Er würde dasjenige, was ihm Plato durch einen Wink zu verstehen gäbe,[116] lieber glauben, als was alle anderen Philosophen ihm mit einem Schwur versicherten, und der letztere: 76 Das einzige Ansehen des Plato sei vermögend, ohne einigen Beweis allen Unglauben seines Verstandes zu brechen.


48. In der Weltweisheit müsse man nicht nach den meisten Stimmen urteilen

Ich billige diese Art nicht. Ich bleibe dabei: Man muß die Stimmen nicht zählen, man muß sie abwägen. Diejenige Art, eine Streitigkeit durch die meisten Stimmen auszumachen, ist so vieler Unbilligkeit unterworfen77, daß nur die Unmöglichkeit, anders zu verfahren, sie in gewissen Fällen für billig erklären kann. Sie sehen mehr als zu wohl, wie diese Unmöglichkeit entstehen kann. Niemand in der Welt besitzt das Vermögen, richtig zu bestimmen, um wieviel eine Stimme die andere überwiegt. Man hat auch das Recht und die nötige Einsicht nicht, die Meinung einer Gesellschaft jede nach ihrem Wert zu beurteilen. Und so ist es denn notwendig, daß man in gewissen Fällen eine Stimme so viel gelten lassen muß wie die andere. Da aber die philosophischen Streitigkeiten von der Art nicht sind, so kann es uns kein Mensch verdenken, wenn wir den Beifall unzähliger leichtgläubiger und abergläubischer Leute für nichts rechnen und vielmehr die Gründe einer kleinen Anzahl Philosophen gelten lassen.

Auf diese Art würde ich nicht mit Ihnen sagen: Vox populi, vox Dei, des Volkes Stimme ist Gottes Stimme, denn wenn ich dieses glauben sollte, so müßte ich die lächerlichsten Einfälle für wahr annehmen. Vielmehr würde ich darauf dringen, man sollte doch nur vorher untersuchen, ob es wahr sei, daß die Jahre kurz nach dem Erscheinen der Kometen allemal durch traurige Begebenheiten merkwürdiger gewesen als sonst andere Zeiten. Befände man alsdann, daß das in der Tat sich so verhielte, so könnte man erst weiter nachfragen und untersuchen, was wohl die Ursache einer solchen Verknüpfung zwischen diesen traurigen[117] Begebenheiten und den Kometen sein möchte. Fände man aber das Gegenteil davon, so müßte man sich bemühen, aller Welt die unbegründeten Einbildungen in diesem Stück zu nehmen. Man würde diese Falschheit alsdann unter dem Vorwand, sie sei doch in der ganzen Welt ausgebreitet, in der Tat nicht höher achten, als ob nur zwei oder drei Personen daran krank lägen. So urteilt Cicero78: Man hat nicht Ursache, spricht er, ein Urteil hochzuachten, welches von einer Menge Personen gefällt worden, deren jede besonders genommen die Sache so wenig einzusehen vermochte, daß ihr Gutdünken nicht von der geringsten Erheblichkeit war.


49. Wie lächerlich es ist, wenn man sich um die Ursachen einer Sache, die nicht da ist, kümmert

Es ist diese Ordnung weit natürlicher und weit bequemer, als wenn man erst untersuchen will, was eine Sache sei, bevor man noch ausgemacht, ob sie wirklich da sei. Es gibt so viele wirkliche Dinge, mit deren Untersuchung man sich beschäftigen kann, daß diejenigen nicht genug zu tadeln sind, welche ihre Zeit dazu anwenden, daß sie die Ursache von dem, was nicht da ist, finden möchten und die Kräfte ihre Verstandes der Wahrheit zum Nachteil so gern auf etwas anders zu richten pflegen. So verdroß es jenen Philosophen79 nicht wenig, als man ihm sagte, daß die Wolle, die an den Feigen, die man auf die Tafel gebracht, zu sehen war, von einigen Schafen herrühre, die an einem Gesträuch unter dem Feigenbaum hängengeblieben, denn dadurch verlor er nicht nur die Frucht eines sehr langen Nachdenkens, sondern auch die Ehre, daß er nach reiflicher Überlegung eine Ursache erfunden, durch die es begreiflich würde, wie diese Wolle aus dem Baum hätte wachsen können.

Ich wollte dem Plutarch zu Gefallen, daß er auf die Frage: Warum doch junge Füllen mit der Zeit besser laufen lernten als andere, wenn sie von einem Wolf verfolgt[118] worden sind, zur Antwort gegeben hätte, was ihm der Autor von der Kunst zu denken80 sehr artig in den Mund legt: Es geschähe solches deswegen, weil es vielleicht nicht wahr wäre. Ich habe aber das Original, nämlich das achte Kapitel des andern Buches seiner Tischreden, darin diese Frage untersucht wird, mehr als einmal durchgelesen und diese Antwort daselbst nicht gefunden. Bei dem Seneca81 habe ich wohl eine Stelle angetroffen, die jener sehr ähnlich ist. Er redet von einer sehr artigen Sache, nämlich von dem Aberglauben, den die Einwohner der peloponnesischen Stadt Cleone hatten, welche gewisse Leute dazu bestellten, daß sie achtgeben sollten, wenn es hageln würde. Sobald wie diese es der Stadt zu wissen getan, hätte ein jeder schleunig Opfer gebracht oder sich in die Finger geschnitten und also den Hagel von seinem Feld abgewendet. Man hätte darüber philosophiert, und einige hätten sich recht gemartert, die Ursache zu ergründen, wie doch ein kleiner Schnitt die Wolken zurück- oder auf die Seite treiben könnte. Wäre es nicht besser gewesen, sagt hierauf Seneca, man hätte frei behauptet, es wäre nur Betrug und ein leeres Geschwätz?82

Montaigne, von dem die Herren aus dem Port-Royal, die sonst seine Freunde eben nicht sind, an einem Ort folgendes Urteil fällen: Ob er schon niemals die wahre Größe des Menschen eingesehen, so habe er doch seine Fehler ziemlich zu treffen gewußt83, Montaigne, sage ich, ist darin mit dem Seneca eines Sinnes. Ich will ihn in seiner alten französischen Sprache reden lassen, die oft annehmlicher klingt als die künstlichsten Perioden unterer Skribenten: Ich dachte jetzt daran, wie ich oft zu tun pflege, was doch für ein freies und ungebundenes Werkzeug die menschliche Vernunft ist. Ich sehe, daß gemeiniglich die Menschen bei den Sachen, die man ihnen vorlegt, lieber nach ihren Ursachen als nach ihrer Wahrheit zu fragen pflegen. Sie übergehen die Dinge, die man voraussetzen muß, und untersuchen mit großer Begierde die Folgen. Sie übergehen die Sachen und bekümmern sich um die Ursachen. Gewiß artige Schwätzer! Gemeiniglich fangen[119] sie also an: Wie geschieht das? Allein, geschieht es denn auch?, sollten sie fragen. Ich finde fast durchgehend, daß man sagen sollte: Die Sache ist nicht. Und ich würde oft auf diese Art antworten, allein ich darf nicht, usf.84

Es gibt deren sehr viele, die das tun, was Montaigne hier sagt, welche die Sachen übergehen und um die Ursachen sich bekümmern. Das war der Fehler des Avicenna, eines großen Arztes, wenn es auf Lehrsätze ankam, aber ohne Erfahrung. Sofern eine Sache nur keinen Widerspruch zu enthalten schien, so glaubte er schon, es sei billig, daß er seine gelehrten Betrachtungen darüber anstellte, gesetzt auch, daß sie niemals wirklich gewesen. Zu Galens Zeiten gab es viele Ärzte, die an gleicher Krankheit daniederlagen. Sie schlössen und stritten unbedachtsamerweise über Dinge, die ihr Lebtag nicht gefunden wurden. Sie gaben sich z.B. ungemein viel Mühe, die Ursache zu finden, warum doch bei Hauptbrüchen kein Knorpel wüchse.85 Ihr müßt sehr wenig zu tun haben, sagt Galen zu ihnen, und ihr begeht eine große Torheit, daß ihr von einer Sache, die nie geschieht, Gründe angebt. Denn es ist höchst falsch, daß dergleichen Brüche nicht zusammenwachsen und knorplig werden sollten.


50. Aberglaube der Alten in Ansehung der Sonnen-und Mondfinsternisse

Ich dachte, ich hätte bereits alles gesagt, allein ich sehe wohl, daß ich eine sehr nötige Anmerkung vergessen habe. Sie werden es also nicht ungütig nehmen, wenn ich Sie noch etwas länger aufhalte. Die Sache ist diese: Man macht sich noch heutzutage einen fürchterlichen Begriff von den Verfinsterungen, als wenn es Vorboten der allergrößten Drangsale wären. Die alten Heiden hatten davon wunderliche Gedanken. Sie werden hiervon im folgenden Exempel finden, da ich bei Gelegenheit solches berühren will; hier haben Sie einige davon, die ich mit Vorsatz an führe.[120]

Nikias, ein Anführer der Armee, welche die Athenienser nach Sizilien geschickt hatten, sah sich nach vielem Verlust genötigt, den Beschluß zu fassen, nach Griechenland zurückzukehren. Es war alles weislich zubereitet worden, die Anker aufzuziehen, ohne daß es die Feinde gewahr wurden, als eben eine Mondfinsternis eintrat.86 Nikias hätte eine so geneigte Gelegenheit sich zunutze machen und den Rückweg nehmen können, ohne daß es die Feinde erfahren hätten. Allein die abergläubische Furcht bemächtigte sich seiner so stark, daß er sich nicht getraute, von der Stelle zu weichen. Es wäre gut, sagte er, wenn man nicht eher absegelte, bis der Mond seinen Lauf wieder gänzlich zu Ende gebracht hätte. So viel verlangten nicht einmal die Wahrsager, denn die waren es gemeiniglich zufrieden, wenn man nur in drei Tagen nach der Verfinsterung nichts unternahm. Nikias aber mochte sich vielleicht einbilden, der Mond ändere seinen Einfluß entweder in einem Monat oder in vierzehn Tagen nicht, so wie es noch jetzt diejenigen glauben, welche behaupten, daß das Wetter, welches man beim Neu- oder Vollmond hat, den ganzen Monat durchdauern werde. Er glaubte daher, drei Tage wären nicht zulänglich, der Verfolgung dieser Mondfinsternis zu entrinnen. Er hatte Ursache, solches zu bereuen, denn alle Pässe, dadurch er sich hätte zurückziehen können, wurden ihm abgeschnitten. Er selbst ward gefangen, und seine Völker fanden ihren Untergang auf unterschiedliche Weise.

Alle die schönen Reden des Agathokles87, welche er an seine Soldaten hielt, da sie in Afrika anlandeten, waren nicht vermögend, ihnen den Schrecken zu nehmen, welcher sie überfiel, da sie unterwegs eine Sonnenfinsternis gesehen hatten. Es war ein Glück, daß Agathokles weniger Aberglauben besaß als Nikias, denn so konnte er seinen Verstand besser gebrauchen als jener. Er legte diese Verfinsterung folgendermaßen aus: Er beredete seine Völker, wenn die Verfinsterung vor ihrer Einschiffung geschehen wäre, so würde dieselbe ihnen nichts Gutes prophezeit haben, da man sie aber nach ihrer Abreise gesehen[121] hätte, so wäre das eine üble Vorbedeutung für diejenigen, welche man bekriegen wollte. Die Verfinsterungen, setzte er hinzu, meldeten allemal im voraus, daß der gegenwärtige Zustand der Dinge sich ändern werde. Sie auf ihrer Seite hätten also völliges Recht zu hoffen, daß die Sachen, die sie in Sizilien in ziemlich üblen Umständen verlassen, ein besseres Ansehen gewinnen würden. Der Karthaginenser Umstände aber, die jetzt so gut aussähen, würden sich auf das ärgste verschlimmern. Durch dieses Mittel brachte er es so weit, daß ihr Schrecken sich einigermaßen verminderte. Tausend andere Exempel zeigen noch deutlicher, daß man die Verfinsterungen der Sonne und des Mondes für höchst üble Vorboten gehalten hat.


51. Abergläubische Gedanken der Neueren bei den Verfinsterungen

Das ist noch jetzt die Meinung des großen Haufens. Selten gedenken die Geschichtsschreiber solcher Verfinsterungen, da sie nicht zugleich melden sollten, sie hätten das Absterben dieses oder jenen Königs, die Empörung dieser oder jener Provinz oder ein anderes dergleichen Unglück, welches sie berühren müssen, vorherbedeutet. Von den Sterndeutern, die die Kalender verfertigen, bis auf diejenigen, die nur vornehmen Herren die Nativität stellen, ist auch nicht ein einziger, der nicht sagen sollte, die Verfinsterungen wären Vorboten des Krieges, der Hungersnot, der Pest, der Überschwemmungen, des Absterbens eines großen Herren und anderer dergleichen Dinge. Und sie finden darin weit mehr Glauben, als wenn sie sagen, sie bedeuteten nur Regen oder Frost. Die Sonnenfinsternis, welche den 12. August 1654 geschah, sollte ihrem Vorgeben nach das Oberste zuunterst kehren. Einige setzten, es würde eine Sintflut kommen wie zu des Noah Zeiten oder vielmehr eine Feuerflut, die das Ende der Welt bringen würde. Andere begnügten sich mit einer wichtigen Umkehrung in der Welt und mit dem gänzlichen[122] Untergang der Stadt Rom. Man hatte die Leute in eine solche Furcht gejagt, daß diejenigen, welche sich nur in die Keller verkrochen hatten oder die in wohlverschlossenen Zimmern steckten, darinnen man eingeheizt und stark geräuchert hatte, damit man, auf Befehl der Ärzte, für die üblen Einflüsse wohl verwahrt wäre, völlig glaubten, sie wären berechtigt, jene furchtsamen Geister auszulachen, und man würde sie ganz gewiß für recht starke Geister ansehen. Und in der Tat, in Vergleichung so vieler anderer, die sich das Ende der Welt einbildeten, zeugte dieses noch von einer ziemlichen Stärke des Geistes. Der Schrecken war so groß, daß ein Priester auf dem Lande, da er mit dem Beichthören aller seiner Kirchkinder, die nicht anders glaubten, als sie würden davon sterben müssen, nicht fertig werden konnte, gezwungen ward, von der Kanzel abzukündigen, sie sollten doch nicht so eilen: die Sonnenfinsternis wäre vierzehn Tage aufgeschoben worden. Sie können dieses in einer Schrift des Herrn Petit88 nachlesen, welcher Oberaufseher über die Festungswerke und ein geschickter Mann war und der sich mit großer Herzhaftigkeit dem Irrtum des gemeinen Volkes widersetzt hat.

Sie sehen daher, mein Herr, wie die Alten und Neueren, die Heiden und Christen darin vollkommen übereingekommen, daß sie gedacht haben, die Verfinsterungen wären Vorboten großer Unglücksfälle. Und doch sind alle diese Gedanken höchst falsch, denn fürs erste können diese Verfinsterungen nichts Böses verursachen, und fürs andere können sie keine Zeichen davon abgeben.


52. Daß die Verfinsterungen nichts Unglückliches verursachen können

Mein Satz ist dieser: Eine Verfinsterung, sie mag an der Sonne oder am Mond geschehen, kann nichts Unglückliches verursachen. Sie macht höchstens nur so viel, daß die Erde auf eine kurze Zeit nicht erleuchtet wird, und[123] das kann so große Folgen nicht haben. Sie wissen den Einfall, welchen Perikles, einer der vornehmsten Männer des Altertums, dabei gehabt hat. Er war im Begriff, die Flotte, davon er General war, zu einer wichtigen Unternehmung absegeln zu lassen. Es entstand aber eine Sonnenfinsternis, und darüber erschrak sein Steuermann so sehr, daß er nicht wußte, wo er wäre oder was er anfangen sollte. Perikles, dem durch den Philosophen Anaxagoras alle dergleichen vergebliche Furcht war genommen worden, nahm seinen Mantel und breitete ihn vor die Augen des Steuermanns aus und fragte ihn, ob das was Böses wäre. Nein, antwortete der Steuermann. So ist daher auch das nichts Böses, versetzte Perikles, daß die Sonne verfinstert wird; denn der ganze Unterschied zwischen meinem Mantel, der dir das Licht der Sonne benimmt, und zwischen dem Körper, der die Verfinsterung verursacht, kommt darauf an, daß dieser größer ist als mein Mantel. Diese Anmerkung könnte so leicht von allen Menschen gemacht werden, daß man sich wundern muß, wie so gar wenige darauf verfallen.

Jedermann kann es leicht begreifen, daß man ganze Tage über an Orten sein kann, die weit finsterer sind als die Dunkelheit der größten Verfinsterung, ohne dadurch seiner Gesundheit im geringsten zu schaden, und daß man einen Birn- oder Apfelbaum drei oder vier Stunden unter sehr dichte Gezelte bringen kann, ohne daß die fruchte oder Blätter die übrige Zeit im Jahr den Schaden davon empfinden. Es ist wohl kein Bauer, der nicht wünschen sollte, die Nächte möchten doch etwas länger sein, damit die Hitze der Sonne die Früchte auf dem Lande nicht so zeitig auszutrocknen anfinge. Man gibt es zu, daß sehr dicke Wolken, welche die Luft fünf oder sechs Stunden hintereinander stärker verdunkeln als eine Sonnenfinsternis, die etwa fünf oder sechs Finger breit ist und bei hellem Himmel entsteht, zuweilen zur Ernte sehr zuträglich sind. Wenn auch der Neumond einen ganzen Tag unter der Sonne stehenbliebe, so daß es ganze vierundzwanzig Stunden finster auf der Erde wäre, so begreift man ganz[124] leicht, daß das keinen Schaden verursachen würde. Jedermann weiß es, daß man sich auf einen Tag des Essens oder Trinkens entweder ganz oder zum Teil enthalten kann, ohne daß man davon stirbt oder krank wird oder es in zwei oder drei Tagen darauf fühlt. Man weiß auch ferner, daß die Lebensmittel zum Unterhalt des Lebens nötiger sind als die Sonne, denn so findet man Nationen, die ganz bequem viele Monate hintereinander leben können, ohne daß die Sonne über ihren Horizont aufgeht. Bei aller dieser Erkenntnis aber will man oder kann man nicht einsehen, daß der Mond oder der Schatten der Erde auf eine kurze Zeit die Strahlen von der Sonne auffangen könne, ohne daß daraus unendliche Unordnungen entstehen sollten. Man bildet sich sogar ein, diese Finsternis sei so boshaft, daß sie einen König mitten aus der Anzahl seiner Hofleute herausnähme und ihm vor allen andern eine tödliche Krankheit verursache, welches die allergrößte Ungereimtheit von der Welt ist. Kann man sich wohl was abgeschmackter vorstellen, als daß Leute, die die Kunst zu Hilfe nehmen, um sich vor den Strahlen der Sonne zu verbergen, die sich hinter die Fenster, hinter die Ladenfenster und Vorhänge verstecken, die niemals ausgehen, es sei denn Nacht oder wenn sie eine Maske vorgemacht und einen Sonnenschirm über sich haben, daß solche Leute, sage ich, zittern und beben, wenn sie nur an eine Verfinsterung denken, die doch in der Tat bei gewissen Jahreszeiten als eine Gefälligkeit des Mondes anzusehen ist, da dieser so gütig ist, daß er der Erde anstatt des Sonnenschirmes dient.


53. Daß die Verfinsterungen nicht ein Zeichen irgendeines Unglücks sein können

Wir wollen nunmehr sehen, ob nicht wenigstens die Verfinsterungen ein Zeichen der Unglücksfälle sein können, wenn diese die Erde beunruhigen sollen. Ich sage nein dazu, mein Herr, und hier ist eben der Ort, wo ich Sie[125] erwartete. Ich weiß, daß dies die letzte Hoffnung ist, die sich diejenigen noch machen konnten, welche den üblen Einfluß der Verfinsterungen und Kometen behaupten. Ich brauche nicht mehr als zwei Sachen anzuführen, um sie aus dieser letzten Verschanzung zu treiben. Das erste ist: Die Verfinsterungen erfolgen in einer so natürlichen Ordnung, daß auch der schlechteste Sternseher die Stunde, den Tag, die Gegend am Himmel, wo sie angehen wird, viele Jahrhunderte vorher, ehe sie entstehen, voraussagen kann. Das andere ist: Es geschehen in allen Zeiten und in allen Ländern oft mehr als vier in demselben Jahr, oft in solchen Stunden, da sie niemand gewahr wird als Leute, die deswegen Besoldung bekommen, oft auch, wenn die Wolken verhindern, daß sie niemand sehen kann.

Der erste Grund scheint meines Erachtens sehr bündig zu sein. Denn wenn die Verfinsterungen als eine notwendige und natürliche Folge der Bewegung der Himmelskörper anzusehen sind, so kann der Mensch zu ihrem Erscheinen nicht das geringste beitragen, und sie geschehen ohne alle Absicht auf seine guten oder bösen Handlungen. Folglich würden sie ebensowohl erfolgen, Gott möchte die Menschen strafen wollen oder nicht, und also kann das nicht ein vorläufiges Zeichen der Strafgerechtigkeit Gottes sein. Ferner muß man entweder der Vernunft absagen oder zugestehen, daß eine natürliche Wirkung nur dann ein Zeichen einer gewissen Sache sein kann, wenn sie diese Sache hervorbringt oder von ihr hervorgebracht ist oder wenn alle beide von einer Ursache herrühren. Wir wollen an einem andern Ort die übrigen Arten der Zeichen untersuchen. Jetzt will ich nur soviel sagen, daß die Verfinsterungen nicht zukünftige Unglücksfälle auf keine von diesen Arten bedeuten, weil ich gezeigt habe, daß sie nicht die Ursache irgendeines Unglücks sind. Man möchte denken, ich wollte die Geduld eines geschickten Mannes mißbrauchen, wenn ich ihm dieses weitläufig vorstellen wollte. Doch da ich mich einer Stelle aus dem Plutarch89 er innere, da gesagt wird, daß die Philosophen unrecht hätten, wenn sie dächten, daß durch die Erklärung der[126] natürlichen Ursachen einer Wirkung dieser alle bedeutende Kraft genommen werde, so will ich doch etwas davon hier berühren.


54. In welchem Sinn eine natürliche Wirkung ein Zeichen von etwas sein könne

Ich sage daher: Wenn die Philosophen diejenigen Begebenheiten nicht ausschließen, welche aus einerlei natürlichen Ursachen entstehen, so haben sie recht. Zum Exempel: Sie hätten die wahre Ursache der Bewegungen gewisser Tiere gefunden, von denen man sagt, sie prophezeiten Regen. Sie fänden nunmehr auch, daß ebendiese Ursache den Regen hervorbrächte, oder sie habe eine natürliche Verknüpfung mit derjenigen Ursache, die den Regen veranlaßt, so würden Sie freilich unrecht haben, wenn Sie sagen wollten, die Bewegungen dieser Tiere verkündigten nicht Regen. Wäre aber jenes nicht, so würden Sie wohl tun, wenn Sie solches leugneten. Denn das ist eben der Grund, warum man den Aberglauben der Heiden verwerfen kann, da sie nämlich sich einbildeten, der Flug eines Vogels prophezeie den Sieg oder den Verlust einer Schlacht. Plutarch setzt hinzu: Der Fleiß der Menschen verfertige gewisse Sachen, die etwas bedeuten sollten, wie man solches aus dem Exempel eines Zeigers an der Uhr abnehmen könne. Daraus schließt er: Ob man gleich wüßte, wie man eine Sache mache, so könne man doch deswegen nicht leugnen, daß sie zu einem Zeichen von einer andern sei gemacht worden. Die Antwort darauf ist leicht. Die Menschen können darin eins werden, daß sie ein gewisses Zeichen nach ihrem Gefallen annehmen. Sie können sich dazu gewisser natürlicher Beschaffenheiten eines Körpers, dessen Ursache sie wissen, bedienen, aber das geschieht nur in Sachen, die in ihrer Gewalt stehen. Sie können sich z.B. des Schattens eines Sonnenzeigers dazu bedienen, daß er ihnen zeigt, wenn sie in die Kirche gehen sollen. Aber in Begebenheiten, die in ihrer[127] Gewalt nicht stehen, z.B. bei der Pest, Hunger, Sieg usf., ist das was anderes. Niemand als Gott kann uns dieses wissen lassen, entweder wenn er uns die Ursachen entdeckt, daraus diese Dinge notwendigerweise entstehen, oder wenn er uns offenbart, daß diese oder jene Sache uns gezeigt wird, damit wir eine Vorbedeutung von diesem oder jenem Unglücksfall haben möchten. Wenn daher die Verfinsterungen Vorboten zukünftiger Übel sein sollten, so müßte uns Gott dieselben als Zeichen gegeben haben entweder dadurch, daß er uns entdeckt, diese Übel entstünden aus den Verfinsterungen als aus ihrer natürlichen Ursache, oder daß er es uns gesagt, er wolle es so haben, daß wir durch die Verfinsterungen von unserem Unglück Nachricht im voraus bekommen sollten. Gott hat beides nicht getan, folglich sind die Verfinsterungen keine Zeichen. Es ist klar, daß uns Gott nicht zu erkennen gegeben, daß die Verfinsterungen eine Ursache der darauffolgenden Begebenheiten wäre, denn kein Mensch hat jemals deutlich eingesehen, wie ein wenig Dunkelheit vermögend sei, die ganze Erde zu beunruhigen. Es ist auch dieses außer allem Zweifel, daß Gott nicht bekanntgemacht, er wolle es haben, daß die Kometen uns als Vorbedeutungen dienen sollten; einesteils hat er es nicht offenbart, andernteils haben sie nichts an sich, woraus man vernünftigerweise folgern könnte, daß sie Zeichen sind. Dies ist mein anderer Grund.


55. Anmerkungen, wie man erkennen kann, ob etwas ein von Gott geschicktes Zeichen ist

In der Tat, mit was für Wahrscheinlichkeit kann man sagen, Gott habe ein Ding zum Zeichen seiner Züchtigungen erwählt, welches vier- oder fünfmal des Jahres erscheint und welches zum öftern nicht einmal jemanden bekannt wird? Sollten diese Zeichen auf vernünftige Kreaturen einen Eindruck machen, so müßten sie selten und nicht zur Vorbedeutung der gewöhnlichen Beschwerlichkeiten,[128] die das menschliche Leben jährlich betreffen, sondern zur Verkündigung der Zornruten bestimmt sein, womit Gott die Menschen in seinem größten Zorn heimsucht. Es muß nicht das Ansehen haben, als ob sie schlechterdings von dem natürlichen Lauf der Dinge abhingen. Sie dürfen auch nicht unter den Wolken oder des Nachts entstehen, da die Menschen im Schlaf liegen. Sieht man denn nicht, daß ein Ding, welches alle Jahre geschieht, ebensowohl für ein Glücks- oder Unglückszeichen könne genommen werden? Wenn ein Geschichtsschreiber sich Mühe geben wollte, würde er nicht zu seinem Behuf Verfinsterungen antreffen, wenn er haben wollte, daß sie die Vermählung seines Prinzen, die wegen der Geburt seiner Kinder in allen Erbländern angezündeten Freudenfeuer, die über die Feinde erhaltenen Siege, die Erneuerungen einer Allianz, die Friedensschlüsse, das Aufhören der Pest, die Gesundwerdung einiger Personen von der königlichen Familie und alles das, was man öffentliches Glück zu nennen pflegt, vorbedeuten sollten?

Ich habe bereits angeführt, daß Origenes eines Weltweisen gedenkt, welcher ein Buch geschrieben, darin er zeigt, daß die meisten Kometen ein großes Glück vorbedeutet haben. Man könnte dasselbe noch weit leichter von den Verfinsterungen zeigen. Und wie man sagt, daß ein in der Sterndeuterkunst wohlbewanderter Schriftsteller90 allen großen Männern des Altertums die Nativität gestellt und dabei gezeigt hat, daß sie nach den Regeln dieser Kunst ganz anders sein müßten, als uns die Historie dieselben abbildet, so wäre es auch leicht zu zeigen, daß die Verfinsterungen Begebenheiten nach sich gezogen, welche von denjenigen ganz unterschieden gewesen, die nach ebendenselben Regeln hätten erfolgen müssen. Wenn ihr wahrsagen wollt (sagte ehemals Martianus), so sagt nur allemal gerade das Gegenteil von demjenigen, was die Sterndeuter sagen.


56. Anwendung dessen auf die Kometen, was von den Verfinsterungen gesagt wurde

[129] Wenn Sie, mein Herr, dieses wohl bemerken, so werde ich nichts gegen die Verfinsterungen gesagt haben, das nicht auch die Kometen niederschlagen sollte. Und das ist die Ursache, warum ich dabei weitläufig gewesen bin. Wollen Sie Ihren Satz einschränken und behaupten, die Kometen verursachten die Unglücksfälle nicht, die darauf erfolgten, sie prophezeiten nur dieselben, so bin ich es zufrieden. Ich verlange nichts mehr, und ich will Ihnen genug zu schaffen machen. Sie erlauben indessen, daß ich wie bei den Kometen also auch hier anmerke, daß die Kometen mit gewissen Umständen verknüpft sind, weswegen sie keine Vorbedeutungen sein können. Sie sind allzu häufig. Seit 1298 bis 1314 zählt man deren sieben, sechsundzwanzig seit 1500 bis 1543, fünfzehn oder sechzehn seit 1556 bis 1597. Viele Jahre hintereinander sind jedes Jahr einige erschienen. Das ist nichts Seltenes, wenn man ihrer zwei in demselben Jahr entweder in unterschiedlichen Monaten oder in unterschiedlichen Stunden desselben Tages zu sehen bekommt. Man sah im Jahre 1529 vier auf einmal. Auf das Jahr 1618 allein werden acht bis neun Kometen gerechnet. Wir andern, die wir keine Sternseher sind, wir denken, seit 1665 bis 1680 sei keiner erschienen. Unterdessen haben sich im Jahre 1668, 1672, 1676 und 1677 für die Sternkundigen etliche sehen lassen.91 Es gibt Kometen, die gleich des andern Tages sich in den Sonnenstrahlen verlieren und nicht mehr gesehen werden. Es ist wahrscheinlich, daß einige herumspazieren, ohne daß man sie gewahr wird, weil sie sich immer nahe bei der Sonne aufhalten. Darunter gehörte derjenige Komet, dessen Seneca gedenkt, welchen man ungefähr bei einer Sonnenfinsternis erblickte und den man sonst nicht würde gesehen haben.92

Gestehen Sie es nur, mein Herr, alle diese Umstände schicken sich gar nicht für Zeichen, die Gott ausdrücklich hervorbringt, um uns vor unserem Unglück zu warnen.[130] Müssen denn diese Zeichen so häufig sein? Verlieren sie nicht ihre Stärke, sobald man ihrer gewohnt wird? Und wenn die Menschen demungeachtet sie für Zeichen angesehen haben, obschon derselben sechsundzwanzig binnen dreiundvierzig Jahren erschienen, ist es nicht daher gekommen, weil sie ihre Vernunft nicht gebraucht haben? Muß uns Gott Zeichen zuschicken, die nur deswegen für Zeichen gehalten werden, weil der Mensch unwissend ist? Warum kommen so viele Kometen in einem Jahr? Ist es nicht genug, wenn nur ein Zeichen von einer gewissen Art zu einer Zeit sich sehen läßt? Und insbesondere, was sollen die Kometen, die nur von zwei oder drei Sternsehern erblickt werden? Ist ein solcher nicht ein verlorenes Zeichen, dadurch die Vorsorge ihren gefaßten Endzweck nicht erhält? Wie kann man sich einbilden, daß Gott den Menschen unsichtbare Zeichen zuschicken werde, oder wenn er sie zwei oder drei Personen bekanntmachen wollte, daß er eben die Sternseher dazu wählen würde, die nichts davon glauben und die gewiß niemanden zur Buße ermahnen werden? Warum leidet man, daß solche Zeichen, die zu dem Zweck, wozu sie bestimmt sind, anders nicht dienen können, als insofern sie von aller Welt gesehen werden, sich blindlings an einen Ort des Himmels werfen, wo sie die Sonne unsichtbar macht? Erwägen Sie alles dieses wohl, mein Herr, so werden Sie sehen, daß die unendlich weise Vorsorge Gottes dergleichen vergebliche Dinge nicht unternimmt.

Sagen Sie mir ja nicht, es käme uns nicht zu, darüber unsere Glossen zu machen, was Gott tut, denn ich gebe Ihnen gleich zur Antwort, daß dies nur eine leere Ausflucht ist, wie ich es im folgenden zeigen werde. Erkennen Sie vielmehr, daß, wenn man sich von diesen angeführten Schwierigkeiten loswickeln will, man glauben müsse, die Kometen seien Werke der Natur, welche ohne Absicht auf das Glück oder Unglück der Menschen nach den allgemeinen Regeln der Bewegung von einem Ort zum andern gebracht werden und die sich der Sonne mehr oder weniger nähern und zu einer Zeit mehr als zu einer[131] andern erscheinen, weil die Begegnung anderer Körper, wonach Gott seine Mitwirkung einrichtet, es also erfordert. Und wie Sie nicht behaupten können, daß die Kometen, welche nur zwei oder drei Personen erschienen, Zeichen gewesen, so gestehen Sie nur, daß es Kometen gibt, welche nichts bedeuten. Daraus folgt, daß nicht ein einziger ist, der etwas bedeutet, weil der Unterschied zwischen einem Kometen, der nicht von allen gesehen wird, und zwischen einem andern, den jedermann sehen kann, nur darin besteht, daß der eine weiter von uns steht oder kleiner oder der Sonne näher ist als der andere. Das macht aber in der Natur derselben keinen Unterschied. Ehestens will ich Ihnen etwas schreiben, das mehr in Ihren Kram dient.

A..., den 25. Mai 1681


57. Siebenter Grund, aus der Gottesgelehrtheit hergenommen: Daß, wenn die Kometen üble Vorboten wären, Gott Wunderwerke getan haben würde, um die Welt in der Abgötterei zu bestärken

Ich könnte, mein Herr, mich aller dieser Gründe und noch vieler anderer bedienen und sie gegen die Einwände, die man nur machen könnte, befestigen, allein ich begebe mich derselben, weil ich sehe, daß man Ihnen nicht anders als durch theologische Gründe beikommen kann. Hier haben Sie einen, den ich mich nicht erinnere, jemals gelesen zu haben, und der mir dieser Tage einfiel, als ich die alten Gedanken von dem Kometen 1665 wiedererweckte.

Ein Geistlicher von meinen Freunden, der sich etlichemal vergebens bemüht hatte, mich zu überführen, daß dieses Luftzeichen etwas Übles nach sich ziehen würde, hatte nicht sobald den Tod des Königs in Spanien Philipp IV. erfahren, als er zu mir kam, um mir damit einen wichtigen Einwurf zu machen, und gleich anfing, mich mit einer triumphierenden Miene zu fragen, ob ich nun noch ferner, nach einem solchen Exempel, die Hartnäckigkeit haben[132] würde, zu behaupten, daß die Kometen nichts Böses auf der Welt nach sich zögen.

Allem Ansehen nach würde es ihm ganz lieb gewesen sein, wenn er, seinen Einwurf zu bestärken, mir dasjenige hätte sagen können, was Herr Bassompierre an Herrn Luines im Jahre 1621, kurz nach Absterben des Königs Philipp III., schrieb: Es scheint, als ob der Komet, mit dem wir zu St-Germain unsern Spaß hatten, nicht gescherzt habe, da er in zwei Monaten einen Papst, einen Großherzog und einen König von Spanien zu Boden geworfen hat. Denn wie man von denjenigen sagt, welche gern Leute durchhecheln, daß sie lieber einen Freund als einen sinnreichen Einfall verlieren, so könnten ja diejenigen, welche auf die Vorbedeutungen so erpicht sind, wohl auch lieber den Tod zweier oder dreier Könige wünschen, als daß sie die Nichtigkeit ihrer Prophezeiungen sehen sollten, wie z.B. die Ärzte es nicht gern sehen, wenn ein Kranker, den sie für verloren gegeben haben, wieder aufkommt.

Ich gab meinem Freund, um mich nach seinem Handwerk zu richten, zur Antwort: Da Gott nichts umsonst tue, so habe er ohne Zweifel nicht Kometen sehen lassen, den Tod des Königs von Spanien entweder zu beschleunigen oder vorzubedeuten. Ein Herr, der mit allerhand Übeln und Schwachheit geplagt sei und der schon seit langer Zeit nur deswegen lebe, weil er durch alle Erfindungen der Arzneikunst der Natur zum Possen gelebt, könnte ja wohl sterben, ohne daß es nötig wäre, um ihm das Leben zu nehmen, einen Körper am Himmel anzuzünden, welcher hundertmal größer ist als die Erde und der wie die Büchse der Pandora mit allerhand Flüchen angefüllt sein sollte; ja, es sei so unnötig, daß Gott der Welt die Nachricht geben solle, er sei willens, den König von Spanien zu sich zu nehmen, daß ganz Europa sich vielmehr verwundere, wie er seine Krankheiten so lange Zeit habe ausstehen können. Man hatte nichts dagegen einzuwenden. Ich dachte des folgenden Tages der Sache nach, und es fiel mir ein, daß diejenigen, welche die Vorbedeutungen der Kometen behaupten, Gott Sachen zuschreiben, die nicht[133] allein unnötig, sondern auch seiner Heiligkeit höchst zuwider sind. Ich beweise es folgendermaßen.


58. Daß die Kometen das Böse nur als Zeichen vorbedeuten können

Es ist ein Glaubensartikel: Die Freiheit des Menschen geht über den Einfluß der Gestirne, und keine physikalische Eigenschaft kann sie zum Bösen notwendigerweise zwingen. Daraus folgere ich, daß die Kometen nicht die Ursache der Kriege sind, die sich in der Welt entspinnen, weil die Absicht Krieg zu führen, ebensowohl wie die wirklichen Feindseligkeiten, die darauf erfolgen, lauter Wirkungen der freien Willkür des Menschen sind. Und also können die Kometen höchstens nichts mehr als das Losungszeichen der Übel sein, die auf die Welt losfahren sollen, welches Gott vor den Augen aller Welt gibt, damit die Menschen erweckt würden, dem entsetzlichen Ungewitter, das ihnen droht, durch Buße zu entkommen. Denn ich sehe nicht, wie man nur behaupten kann, daß die Stäubchen eines Kometen die Kraft hätten, Pest, Hunger oder eine andere Veränderung in unseren Elementen hervorzubringen. Mein erster Grund beweist es unumstößlich. Ich schließe daher, daß die Kometen nur ein Zeichen zukünftiger Übel sein können.


59. Daß die Kometen nicht Zeichen bevorstehender Übel sein können, es sei denn, daß sie durch ein Wunderwerk hervorgebracht wurden

Daraus folgt, daß es Körper sind, die außerordentlich hervorgebracht worden sind und die nicht in die Kette natürlicher Ursachen gehören. Denn wären sie durch die Kraft und nach dem natürlichen Lauf der Dinge zum Vorschein gekommen, so könnte für sie das Zukünftige nichts mehr bedeuten als die Wirkungen, die mit ihnen in[134] einer natürlichen Verknüpfung stünden. Folglich würden sie weder Pest noch Krieg, noch Hunger prophezeien, weil es ein Glaubensartikel ist, daß die freien Handlungen des Menschen, wie z.B. der Krieg ist, keine notwendige Verknüpfung mit den Eigenschaften eines Körpers haben und die Vernunft uns nicht eine notwendige Folge der Kometen in der Pest und im Hunger wahrnehmen läßt. Gott ist es daher, welcher die Kometen durch ein Wunderwerk hervorbringt, damit sie die Menschen vor ihrem Unglück, das ihnen zubereitet ist, wenn sie sich nicht bekehren, warnen, und der ihnen eine Erhebung und Bewegung gibt, wodurch sie allen Völkern des Erdbodens sichtbar werden, damit niemand sei, der darin seine Unwissenheit vorschützen könne.


60. Ungereimte Folge, die daraus entstehen würde, wenn die Kometen durch ein Wunderwerk hervorgebracht würden

Nun sehen Sie einmal die entsetzliche Folge, die damit verknüpft ist. Gott hat eine unzählige Menge der herrlichsten Wunder getan. Und warum? Damit er den erkaltenden Eifer der Abgötter wieder entflamme, damit er sie veranlasse, ihren falschen Gottheiten Opfer, Gelübde und Gebote mit größerer Inbrunst darzubringen, als sie sonst zu tun gewohnt gewesen. Bevor das Christentum aufgerichtet wurde, war Gott nur in einem kleinen Winkel des jüdischen Landes bekannt. Alle übrigen Völker waren in einen verkehrten Sinn dahingegeben.93 Man wußte nicht, wie der wahre Gott, wenn er erzürnt worden, versöhnt werden müßte. Man fiel vor den Götzen nieder, man brachte ihnen Opfer, man fragte das Orakel und tat auf ihr Anraten alles dasjenige, was Gott am unangenehmsten war. Mehr wußte man bei einem solchen Schrecken nicht anzufangen. Was hieß es also, Kometen am Himmel anzünden? In der Tat nichts mehr, als die abgöttischen Handlungen verdoppeln wollen, und deutsch davon zu reden: Mehr konnte sich Gott nicht davon versprechen.[135]

Ich leugne nicht, daß es verständige Leute unter den Heiden gegeben, welche es eingesehen, daß das wahre Mittel, der Gottheit zu gefallen, nicht in Darbringung kostbarer Hekatomben, sondern in einem gerechten Lebenswandel bestünde, und daß dieses letztere das wahre Opfer sei, welches den erzürnten Himmel versöhnen könne.


Immunis aram si tetigit manus,

Non sumptuosa blandior bostia

Mollibit aversos penates

Farre pio & saliente mica.

Berührt nur den Altar der Frommen reine Hand,

So wird der Götter Zorn gestillet;

Nicht, wenn man noch soviel zum Opfer aufgewandt,

Und Mehl und Salz Altäre füllet.

Horaz, Od. XXIII, L. III


Dem sei, wie ihm wolle, soviel ist gewiß, sie nahmen dazu Zuflucht nicht, wenn sie den Zorn Gottes entwaffnen wollten. Ihrem Zorn und dem Haß absagen, den sie gegen ihre Feinde hegten, das angetane Unrecht vergeben, ihre Lüste im Zaum halten, ihre Buhlschaften verlassen, sich innerlich vor Gott demütigen und einen lebendigen Schmerz darüber empfinden, daß man nicht tugendhaft gewesen, eine Herzensänderung und eine allgemeine Besserung ihrer Gedanken, ihrer Reden und ihrer Handlungen versprechen. Alles dies waren Sachen, daran niemand gedachte. Das waren Dinge, die allzuviel Schwierigkeiten mit sich führten und die man nicht kaufen konnte. Sie sahen es lieber, wenn es ihnen Geld kostete, Kapellen aufbauen zu lassen, die Götzentempel mit Geschenken und Opfern anzufüllen und die Kosten zu allen Versöhnungsopfern herzugeben, welche die Bücher der Sybillen oder die Orakel oder die Vogeldeuter oder die Priester überhaupt verordnen würden. Und das ist eben die Ursache, weswegen die Teufel aus gerechtem Gericht Gottes, welches wir in Demut verehren müssen, sich die Leichtgläubigkeit der Völker zunutze gemacht und so viel außerordentliche Luftbegebenheiten erweckt haben, wie ihnen[136] nur möglich gewesen. Sie sahen wohl, daß dieses die Abgötterei ganz gewiß befördern und die Opfer, die Feste und den Aberglauben des Heidentums im Schwang erhalten würde.


61. Die Teufel unterhielten den Aberglauben durch Hervorbringen von allerhand Wunderzeichen

Hätte Brennus an der Spitze der Gallier den Delphischen Tempel geplündert, so würde der Eifer aller Völker, den Teufel, der daselbst zukünftige Dinge vorhersagte, um Rat zu fragen und ihm herrliche Geschenke zu bringen, unfehlbar um ein großes nachgelassen haben. Das sah der Teufel wohl, daher schonte er keine Mühe, diesen harten Sturm abzuwenden. Er ließ es durch die Priesterin sagen, daß er die Verteidigung seines Sitzes nicht unterlassen würde und daß er sich zu dem Ende weißer Jungfern94 bedienen würde, darunter er den entsetzlichen Schnee verstand, den er auf die Gallier fallen lassen wollte. Nichts ist so fürchterlich wie die Beschreibungen, die man von den Wunderzeichen, die sich bei dieser Gelegenheit begeben haben, aufgezeichnet findet. Die Erde zitterte und öffnete sich unter den Füßen der Belagerer an tausend Orten. Der Donner tat so entsetzliche Schläge, daß man hätte meinen sollen, das ganze Weltgebäude müsse zu Trümmer gehen. Der Blitz schoß auf allen Seiten. Felsen von einer erstaunenden Größe rollten von dem Parnaß und zermalmten durch ihren Fall unzähliges Volk unter den Galliern. Brennus brachte aus Verzweiflung sich selber ums Leben. Was von seinem Volk entrinnen konnte, verdarb durch Hunger, Kälte und anderes Elend. Mit einem Wort, die Delphische Gottheit konnte ihren Vorteil nicht nachdrücklicher befördern und die Verwegenheit des Brennus nicht besser zuschanden machen als auf diese Art, dadurch sie ihre Gottheit so deutlich blicken ließ. Fast ebenso war es dem Xerxes gegangen, als dieser Volk hinschickte, ebendiesen Tempel zu plündern. Warum[137] alles dieses? Etwa daß die Menschen weiser und tugendhafter würden und einen wahren Abscheu vor dem Laster und eine Liebe zur Tugend bekämen? Der Teufel würde lieber alle Tempel in der Welt haben plündern lassen, als daß er das geringste hätte tun sollen, diese Veränderung in den Gemütern zu veranlassen. Was war dann die Ursache? Er wollte Opfer haben und in der Seele der Menschen den Aberglauben und die Abgötterei unterhalten. Er fragte wenig danach, ob man sich von wirklichen Lastern bekehren wollte, er bemühte sich vielmehr, dieses mit aller Gewalt zu verhindern. Er wollte, daß die Menschen die unterlassene Hochachtung gegen die Zeremonien der Religion und gegen die den falschen Gottheiten gewidmeten Dinge mit Abscheu und Erzittern ansehen sollten.

Was hat er nicht getan, die Aufopferung der Kinder zu befördern? Dionysios von Halikarnaß95 erzählt uns, wie Jupiter und Apollo die Pelasgier auf das betrübteste geplagt habe. Ihre Früchte und ihr Getreide wurde durchgehend verdorben, ehe es zu Reife kam. Ihre Brunnen vertrockneten oder wurden so stinkend, daß man nicht draus trinken konnte. Man sah nichts als unzeitige Geburten, die Weiber starben entweder in Kindesnöten, so daß Mutter und Kinder draufgingen, oder sie brachten gebrechliche, blinde und übelgebildete Kinder zur Welt. Menschen und Vieh büßten überall durch unbekannte Krankheiten ihr Leben ein. Was war die Ursache davon? Die Pelasgier hatten obigen Gottheiten zur Zeit einer großen Unfruchtbarkeit den Zehnten aller ihrer Früchte zu geben angelobt. Sie hatten aber bei Erfüllung ihres Gelübdes den Zehnten ihrer Kinder zu opfern vergessen, Ein Betrug zwar war dabei nicht vorgegangen. Es war ihnen niemals in den Sinn gekommen, den Zehnten von dieser Art der Früchte anzugeloben. Da sie aber mit einem zu tun hatten, der listiger und verschmitzter war als sie, so schadete ihnen ein einziges Wort. Wer alles sagte, hieß es, der nähme nichts aus, und folglich müßten auch sie den Zehnten ihrer Kinder aufopfern, welches sie endlich eingingen, um nur Ruhe zu haben.[138]

Die alte Historie ist voll von dergleichen Begebenheiten96, welche alle sonnenklar zeigen, daß das kräftigste Mittel, dessen sich die Teufel zur Beibehaltung des Götzendienstes bedient haben, darin bestand, daß sie die Welt durch Wunderzeichen in Schrecken gesetzt. Dadurch erweiterter sie die abergläubischen Zeremonien der Heiden, die sogar auf die entsetzlichsten Verbrechen hinausliefen. Sie gewöhnten die Menschen an allerhand Urteile: Es würden ihnen dadurch künftige Unglücksfälle verkündigt, ihre Nachlässigkeit in der Verehrung der Götter würde ihnen dadurch vorgeworfen. Man müßte daher die abgöttischen Zeremonien verdoppeln, öffentliche Umgänge und öffentliche Gelübde anordnen, wie etwa dieses war, das man ver sacrum nannte; Blutströme von unzähligen Opfern fließen lassen, Tempel und Altäre aufbauen, Festtage und öffentliche Lustspiele den Göttern zu Ehren anstellen und neue Götter zu Hilfe rufen, wie etwa die Römer bei einer grausamen Pest den Gott Äskulap in Epidaurus97 suchen ließen und zu Pessinunt98 die Göttin Kybele, nachdem einige Steinregen in Italien gefallen waren.


62. Daß die Heiden nichts getan, was den Zorn Gottes versöhnen gekonnt, wenn sie Wunderzeichen gesehen

Daraus folgt, daß alles dasjenige, was die Heiden beim Erblicken der Wunderzeichen zur Versöhnung des erzürnten Gottes angefangen, ganz und gar nicht geschickt gewesen war, den Zorn der wahren Gottheit zu stillen. Die Sünde verlor dadurch nicht das geringste von ihrer Herrschaft in der Seele des Menschen (sonst würde der Teufel ein solches Verhalten wohl unterlassen haben). Alle die Wunderzeichen also, welche diese abgöttischen Völker so sehr erschreckten, dienten gar nicht dazu, diese zu einer Änderung zu bewegen, damit die Strafen der göttlichen Gerechtigkeit zurückgingen, vielmehr veranlaßten sie dieselben zu solchen Sachen, wodurch der Zorn Gottes noch mehr entbrannte. Was folgt daraus? Ohne[139] Zweifel, daß Gott die Kometen nicht erschaffen in der Absicht, die Völker zu erschrecken und ihnen zu zeigen, daß sie ohne Versöhnung ihrer Laster harte Strafen würden auszustehen haben.


63. Die Teufel waren Ursache, daß man viele Wirkungen der Natur für Wunder ansah

Es ist so wahr, daß die Wunderzeichen nur zur Bestätigung des Götzendienstes geschickt gewesen, daß die Teufel, die an der Fortpflanzung der Abgötterei auf alle Art und Weise arbeiten, sich sogar angelegen sein ließen, so viel Dinge für Wunderzeichen, die den Zorn des Himmels verkündigten, auszugeben, wie ihnen nur möglich war. Wurde etwa auf dem Lande eine Mißgeburt, ein zweiköpfiger Hund z.B. oder ein sechsfüßiges Kalb, zur Welt gebracht, gleich mußten sich alle Priester in der Hauptstadt versammeln, um Mittel zu ersinnen, das dadurch prophezeite Unglück abzuwenden. Man mußte untersuchen, welcher Gott oder welche Göttin nicht das Ihrige bekommen, und die vorangegangene Nachlässigkeit mit unzähligen Opfern ersetzen. Hätte man solches unterlassen, so würde jedermann geglaubt haben, man wolle den Sieg in die Hände der Feinde spielen und die öffentlichen Angelegenheiten in die unglücklichsten Umstände versetzen. Die Entzündungen des Berges Ätna oder des Vesuvs, ein Erdbeben, etwas seltsame Luftbegebenheiten, z.B. Donner bei hellem Himmel, Sonnen-und Mondfinsternisse, entzündender Blitz – alle diese Dinge wurden für solche unfehlbare Unglücksboten angesehen, daß man nichts verschonte, ihre Drohungen zu hintertreiben. Ein Sturmwind, wie etwa derjenige war, den man in der Champagne und in Polen im vorigen Jahr erlebt hat, würde zwei oder drei Monate alle Versammlungen der Vogeldeuter und Opferdeuter beschäftigt haben. Man würde das Pränestinische Orakel, die Bücher der Sybillen, die alten Schwarten, darin die Lehre der Hetrurier[140] enthalten war, ja alles dasjenige zu Rate gezogen haben, was nur hätte lehren können, wie man das vorbedeutete Ungewitter erschweren sollte. Wenn die Flüsse sich ergossen, so waren das auch üble Vorbedeutungen. Man kann das aus der Erzählung ersehen, die Horaz99 von den Wunderzeichen aufgesetzt hat, die sich nach dem Tode Cäsars zugetragen, da man sogar in Furcht gestanden, Jupiter würde noch eine Sintflut kommen lassen. Denn nachdem er vom Schnee, Hagel und Blitz geredet, so kommt er endlich auf die Ergießung des Tiberstromes. Virgil bezeugt ein Gleiches. Er erzählt ebendasselbe hintereinander, aber mit weit mehr Umständen. Er läßt Gespenster und Geister erscheinen, die Wölfe heulen, das Geklirre der Waffen in der Luft hören, Tiere reden. Blutströme hervorquellen, Bildsäulen schwitzen, Kometen erscheinen und viele andere Dinge mehr geschehen, die Sie wohl belieben möchten nachzulesen, so schön scheint mir der Ausdruck davon geraten zu sein. Sie werden daselbst100 die Ergießung des Stroms Po mit antreffen. Schlagen Sie dabei die Erklärung des Servius über diese Worte Virgils nach, so werden Sie finden, daß die Ergießungen der Ströme nicht nur deswegen schädlich sind, weil sie viel Unglück mit sich führen, sondern auch, weil sie zukünftiges Übel vorbedeuten. Das war es, was man im Jahre 1649 zu Paris vorgab, als die Seine auf eine unerhörte Art anwuchs. So bezeugen auch Plutarch101, Tacitus102, T. Livius103, daß die Überschwemmungen des Tiberstroms für unglückliche Vorbedeutung angesehen worden war.

Wenn ich bitten darf, so belieben Sie noch den Schluß des erstem Buches und den Anfang des andern in der Pharsale Lukans nachzulesen. Sie werden daselbst eine sehr genaue Bestätigung alles dessen finden, was ich an diesem Ort zu erweisen habe. Sie werden daselbst antreffen, daß der Bürgerkrieg Cäsars und des Pompejus eine unzählige Menge von drohenden Zeichen zu Vorboten gehabt hat, womit Meer, Himmel und Erde von den Göttern angefüllt gewesen. Sie werden daselbst Kometen[141] und mehr feurige Luftbegebenheiten aufgezeichnet finden, als Sie wohl jemals in Ihren berühmten philosophischen Stunden den Zuhörern in die Feder diktiert haben. Sie werden Verfinsterungen an Sonne und Mond daselbst lesen, Entzündungen des Berges Ätna, Erdbeben, Überschwemmungen, redende und schwitzende Bildsäulen, seufzende Gräber, Mißgeburten, Geistererscheinungen, Begeisterungen und viele andere dergleichen Dinge. Sie werden daselbst sehen, daß die Wirkung alles dessen nicht die Änderung der Sitten oder die Abschaffung unbegründeter Meinungen bei dem Gottesdienst gewesen, welches die einzigen Stücke sind, die Gott durch gegebene Zeichen seines Zornes von uns fordert. Man habe vielmehr die Wahrsager Beratschlagungen anstellen lassen. Der älteste unter diesen habe den Römern keine andere Strafe auferlegt, als etlichemal um die Stadt in Prozession zu gehen und andere abergläubische Dinge, z.B. alle Mißgeburten ums Leben zu bringen. Sie werden finden, daß der alte Wahrsager und eine verwirrte Frau die ganze Stadt mit Schrecken angefüllt; jener durch die unglücklichen Zeichen, die er in dem Opfer gefunden, das man den Göttern gebracht, diese durch die Prophezeiungen, die sie auf den Gassen ausgeschrien. Wie dadurch die Weiber bewogen worden sind, haufenweise vor den Götzenbildern niederzufallen, da indessen die Männer gegen die Grausamkeit des Schicksals gemurrt. Lauter Dinge, die, wie Sie sehen, dem Willen Gottes schnurstracks zuwidergelaufen sind. Silius Italicus gibt ein gleiches Verzeichnis der Wunderzeichen zu Ende des achten Buches seines Karthaginensischen Krieges. Er gibt vor, daß die römische Republik dadurch vor dem entsetzlichen Verfall gewarnt worden ist, darein sie durch den Hannibal sollten gestürzt werden. Statius tut desgleichen in dem 7. Buch seiner Thebais, desgleichen Claudianus in seiner andern Rede gegen den Eutrophius. Und Petronius, dieser berufene Wollüstling und bekannte Freigeist, macht es noch ärger als alle anderen in dem poetischen Muster oder vielmehr in der Probe vom Bürgerkrieg, welche[142] er an sein Buch mit angehängt hat. Sie behaupten insgesamt, daß die Unordnungen des Staates durch diese Wunderzeichen vorbedeutet worden, aber das sagen sie nicht, daß nur einer deswegen frömmer geworden.


64. Warum ich das Zeugnis der Poeten für mich anführe

Sagen Sie nicht, mein Herr, ich beginge einen Fehler, daß ich das Zeugnis der Poeten für mich anführte, da ich es oben gänzlich verworfen. Ich führe sie Ihnen nicht an, um zu beweisen, daß alle die Wunderzeichen wirklich erschienen, sondern nur, daß die Völker dergleichen Dinge für üble Prophezeiungen angesehen und dadurch gottloser geworden sind. Überdies können Sie glauben, daß es mir so leicht sein würde, das Zeugnis der berühmtesten Geschichtsschreiber statt der Dichter anzuführen. Ja, was das meiste ist, es ist so bekannt, daß die Heiden hunderterlei Dinge, die ganz natürlich zugehen und nichts auf sich haben, als üble Vorboten angesehen, deren Prophezeiungen man durch tausend Gebräuche ihrer falschen Religion hintertreiben müßte, daß es nicht nötig ist, solches mit ihren Schriften zu erweisen oder jemand auf den Julius Obsequens zu verweisen, der in dieser Sache viel Zuverlässiges zusammengetragen hat.


65. Wie die Menschen für sich selbst gewisse Dinge als Wunderlichen hätten ansehen können

Ich will nur anmerken, daß die Teufel so viel Mühe eben nicht gehabt haben, die Menschen zu überreden, daß überall Geheimnisse und Wunder anzutreffen wären. Zur Schande des menschlichen Geschlechts muß man bekennen, daß wir dazu eine natürliche Neigung haben. Allem Ansehen nach schien das Erdreich so gut zu sein, daß es dergleichen Art von Früchten im Überfluß hervorgebracht haben würde, wenn es auch nicht angebaut worden wäre.[143]

Ich begreife es sehr wohl, wie die Menschen bei der großen Unwissenheit, darin sie gesteckt, geneigt gewesen, sich vor dem Zukünftigen zu fürchten, wenn sie Sonnen- und Mondfinsternisse gesehen, und daß der natürliche Begriff, den wir von der Vorsorge Gottes haben, von welcher Glück und Unglück herkommt, sie auf die Gedanken gebracht, dieses himmlische Gestirn, da es sich vor der Erde verberge, prophezeie ihnen Zorn und Unwillen, der mit der Zeit ausbrechen würde. Ich begreife auch, wie der Donner und Blitz sie mit Schrecken und Furcht vor dem Gegenwärtigen sowohl wie dem Zukünftigen hätte anfüllen können, da sie in den Gedanken gestanden, der Herr der Welt gebe durch dieses entsetzliche Geprassel, dessen Ursachen sie nicht einsahen, zu verstehen, er sei mit dem Verhalten der Menschen nicht zufrieden.


Primus in orbe Deos fecit timor, ardua coelo

Fulmina cum caderent, discussaque moenia flammis

Atque ictus flagraret Athos

Das Schrecken hat zuerst die Götter eingeführt,

Nachdem des Himmels Blitz die Mauren umgestürzt,

Den Athos angezündt.


Ein Gleiches behaupte ich von den Erdbeben, den Überschwemmungen, Sturmwinden, Ungewittern, feuerspeienden Bergen. Und da solche Gemüter, die bei Umständen, da sie es verdienen, in Furcht und Ängsten schweben, bei anderer Gelegenheit, wo sie es nicht so sehr verdienen, sehr leicht kleinmütig werden können, so scheint es nur, daß die Menschen, wenn sie einmal durch jene großen Erscheinungen erschreckt worden sind, nach der Zeit auch vor geringem Dingen haben erschrecken können, bis sie endlich unvermerkt sich vor allem demjenigen zu fürchten angefangen, was nicht alle Tage geschieht. Da sie nicht gute Philosophen waren, so konnten sie auch nicht wissen, daß die etwas seltsamen Wirkungen, z.B. das Hervorbringen der Mißgeburten, ebensowohl bloße Wirkungen der Natur sind wie diese, welche alle Tage zum Vorschein[144] kommen. Ebendasselbe Gesetz, nach welchem bei gewissen Umständen eine Hündin einen Hund heckt, ist die Ursache, weswegen bei andern Umständen eine Hündin eine Mißgeburt zum Vorschein bringt.


66. Daß dasjenige, was man Wunder nennt, ebenso natürlich ist wie die allergemeinsten Dinge

Leute, die dieses wissen, können sich leicht darein finden. Sie sehen wohl, daß der Urheber der Natur allemal seinen Weg geht und das allgemeine Gesetz beobachtet, welches er sich vorgeschrieben, ein Tier mag eine Mißgeburt oder seinesgleichen hervorbringen. Daraus schließen sie, daß das Hervorbringen einer Mißgeburt nicht ein Merkmal seines Zorns sein könne, weil dieses Hervorbringen dergestalt in dem einmal beliebten Gesetz gegründet ist, und daß Gott dieses Gesetz aufheben müßte, wenn sie nicht erfolgen sollte, das heißt, Gott müßte ein Wunderwerk tun. Daraus sieht man, daß das Hervorbringen einer Mißgeburt ebenso natürlich zugeht, als wenn ein Hund zum Vorschein kommt, und daß folglich das eine nicht mehr als das andere etwas Unglückliches vorbedeuten könne. Von den Verfinsterungen muß man ein Gleiches sagen. Es ist dem Mond so natürlich, die Erde zu erleuchten, wenn er sie erleuchten kann, und sich in diesen Umständen zu befinden, wenn er sich darin befindet, wie es ihm natürlich ist, ohne Licht zu sein, wenn er keines hat, und so zu stehen, daß er des Lichts beraubt wird, wenn er einmal so zu stehen kommt. Ich glaube ganz gewiß, man würde Sonnen- und Mondfinsternisse gehabt haben, wenngleich die Menschen nicht gesündigt hätten, folglich können sie nicht Drohungen sein, die den Menschen zur Strafe gemacht worden sind. Das ist so gewiß, daß Gott, da er wollte, daß die Sonne durch ihre Verdunklung das anbetungswürdige Geheimnis des Leidens Jesu Christi mit bestätigen sollte, eine Zeit dazu erwählt hat, da diese Verdunklung nicht natürlich sein konnte.[145]

Doch da man die Philosophie braucht, wenn man auf einen so hohen Grad der Erkenntnis kommen will, so begreife ich ganz leicht, wie der gemeine Mann von sich selbst auf Irrtümer und Aberglauben habe verfallen können, wenn er nur Wirkungen der Natur wahrgenommen, die etwas seltener sind als andere.


67. Von dem entsetzlichen Aberglauben der Heiden bei Gelegenheit der Wunder

Ich komme nun wieder auf die Neigung zum Aberglauben, die der Teufel in dem Gemüt der Menschen gefunden. Dieser Feind Gottes und unsrer Seligkeit hat an seiner Seite es an nichts ermangeln lassen und sich die Gelegenheit ungemein wohl zunutze zu machen gewußt. Das Beste, was wir Menschen in der Welt haben, ist die Religion. Dieses Gut hat er in das ärgste Übel verwandelt, da er eine Sammlung ungereimter Dinge, läppischer Possen und entsetzlicher Laster daraus gemacht, und durch Hilfe unsrer Neigungen hat er uns in die allerlächerlichste und abscheulichste Abgötterei, die man sich nur vorstellen kann, gestürzt.

Das war ihm nicht genug, daß die Menschen die Verfinsterungen, die Sturmwinde und Ungewitter für unglückliche Vorboten ansahen, daß sie viele falsche Arten des Gottesdienstes anordneten, dasjenige Übel, das ihnen ihrer Meinung nach angedroht worden ist, abzuwenden; er wollte sie noch sinnreich machen, abergläubische Zeremonien zu erfinden und die Menge der Götter immerfort zu vermehren. Er ließ sie daher überall Gutes und Böses finden. Er beredete sie, dieser oder jener Gott entdecke seinen Willen durch den Flug der Vögel, ein anderer durch das Eingeweide der Tiere, dieser durch eine Krähe, die man zur Linken oder zur Rechten gesehen, jener durch ein Niesen, durch einen Traum, durch das Schreien einer Maus und durch tausend andere Dinge, die verdrießlich anzuführen sind und damit man nimmermehr fertig werden[146] würde. Der Traum einer vielleicht von der Mutterbeschwerung geplagten Frau war Ursache, daß die Götter wohl hundertmal um Rat gefragt wurden. Der Rat in Rom wurde sogar einmal gezwungen, die Verbesserung des Tempels der Juno zu beschließen.104 Die Nachricht von dem geringsten Wunderzeichen machte zuweilen den Oberpriester mit seiner ganzen Klerisei eines vorgegangenen Fehlers schuldig. Denn es war nichts Neues, daß man wieder von vorn anfangen mußte. Es durfte die Armee nur in einem Stück unglücklich sein, so dachte man gleich, der Zorn der Götter sei noch nicht ausgesöhnt, wenngleich noch so viel Opfervieh auf Anordnung der Priester abgeschlachtet worden. Hannibal gewann die Schlacht bei Thrasymene. Der Diktator Fabius Maximus stellte hierbei dem Rat vor, dieses Unglück rühre mehr von der Nachlässigkeit in den Zeremonien des Gottesdienstes her als von der Verwegenheit oder Ungeschicklichkeit des Generals. Man schlug die Bücher der Sybillen nach. Man fand, daß das öffentliche, dem Gott Mars gewidmete Gelübde nicht auf die vorgeschriebene Art verrichtet worden war. Man mußte es daher von neuem anfangen. Man schaffte mehr dazu an als sonst und beobachtete viele andere heidnische Bräuche, die man in dem 22. Buch des T. Livius nachlesen kann.

Die Aussöhnung der Götter konnte überdies durch so viele Dinge verhindert werden, daß man sich nur wundern muß, wie die Heiden außer der Verehrung der falschen Gottheiten noch sonst etwas haben tun können. Plutarch versichert105, daß die Römer eine von diesen feierlichen Prozessionen, da die Bilder der Götzen und andere geheiligte Reliquien in der Stadt auf Tragsesseln herumgeführt wurden, von neuem angefangen, weil fürs erste eines von den vorgespannten Pferden an einem gewissen Ort von sich selbst still stehenblieb, und fürs andere, weil der Fuhrmann den Zügel mit der linken Hand angriff. Bei einer anderen Gelegenheit machten sie ein Opfer dreißigmal, weil sie immer glaubten, daß etwas dabei wäre versehen worden. Q. Sulpitius106 wurde von[147] seinem Priesteramt abgesetzt, weil ihm der Priesterhut während der Opferung vom Kopf gefallen war. E. Flaminius, der von dem Diktator Minutius zum Heerführer über die Reiterei war ernannt worden, verlor diese Stelle, weil in eben dem Augenblick, da man ihn dazu ernannte, eine Maus schrie. Viel dergleichen Exempel kann man bei dem Plutarch und in andern nicht verdächtigen Büchern nachlesen. Man braucht sogar nicht die Stelle aus dem Arnobius107 zu Hilfe zu nehmen, wo die Heiden so lächerlich gemacht werden, ohne daß die Sache zu hoch getrieben und etwas anders gesagt wird, als was sich dem Inhalt nach in des Ciceros Rede De haruspicum responsis befindet.

Sie sehen hier den Abriß der heidnischen Religion. Alles schien ihnen voller Zeichen und Wunder zu sein, und man hatte in Rom wohl Ursache, als Ventidius aus einem Mauleseltreiber Bürgermeister daselbst ward, daß man ein Gassenlied fliegen ließ108 und die Vogeldeuter und Zeichendeuter darin ermunterte, sie sollten sich doch geschwind versammeln und sehen, was eine so erstaunliche Begebenheit nach sich ziehen würde, denn sie versammelten sich noch wohl bei geringem Sachen und verordneten Versöhnungsopfer, da es unnötiger war. Das wundert mich aber doch, daß sie einander nicht selbst als Wunder angesehen haben oder, wie Cato sagte109, wie sie einander ohne Lachen haben ansehen können. Darüber wundere ich mich, daß sie die Leichtgläubigkeit so großer Männer nicht für eine Mißgeburt gehalten, welche auf die sinnreichste Art ausgesöhnt werden müßte. Und in der Tat, wenn ein Hund mit zwei Köpfen auf die Welt kommt, so ist das lange nicht eine so ungeheure Unordnung in der Natur, als wenn man sieht, daß der Rat in Rom, der aus so vielen Helden, so vielen verständigen, beherzten und weisen Männern bestand, alle die lächerlichen Meinungen in Ansehung der Vogeldeuterei gebilligt hat. Es ist daher allerdings wahr, wenn man sagt, daß die List des Teufels des Menschen Herz ungemein eingenommen, um vollends das Maß seiner natürlichen Leichtgläubigkeit[148] anzufüllen und ihm überall Gelegenheit zu zeigen, wo er sich vor dem Zorn der unsterblichen Götter fürchten möge.


68. List des Teufels, den Aberglauben bei den Heiden zu unterhalten

Damit nun diese Verfassung des Gemüts immer dieselbe bleiben möchte, war es nötig, die Menschen bei dem Gedanken zu erhalten, als ob die Wirkungen der Natur, welche etwas Besonderes mit sich führten, unmittelbar vom Himmel zugeschickt würden. Es war nötig, alle Erderschütterungen, alle Ergießungen der Flüsse, alle brennenden Körper, die über unsern Häuptern ganz neu erschienen, so hoch zu erheben, wie es nur möglich war. Und das ist auch geschehen, wie ich es gezeigt habe.

Es war überdies nötig, bei Gelegenheit viele dergleichen Lufterscheinungen zu erwecken, wenn die Natur deren keine sehen ließ oder vielmehr, wenn sie deren schon einige zeigte. Denn die Menschen sind nie geneigter, natürliche Begebenheiten für Wunder anzusehen, als wenn an verschiedenen Orten und zu einer Zeit sich viel außerordentliche Dinge ereignen. Jeder bildet sich ganz leicht ein, dergleichen Übereinstimmung könne keinen andern als einen göttlichen Ursprung haben. Und da bei allen andern Dingen dies das sicherste Mittel ist, wenn man will, daß einem die Leute nicht glauben sollen, daß man fein viel Redens davon macht, so ist im Gegenteil bei den Wundern dies das sicherste Mittel, um zu überreden, daß man keine Maße hält. Je mehr man da sagt, desto mehr glauben die Leute, daß hier Gottes Finger sei. Sobald daher die Sache durch die glücklichen Umstände der Natur nur einmal war in Schwang gebracht worden, so half es ungemein viel dazu, wenn durch Hilfe natürlicher Ursachen110 an verschiedenen Orten außerordentliche Begebenheiten hervorgebracht wurden oder wenn man sich wenigstens der schwachen Einbildungskraft vieler[149] Leute bediente, die oft in dem Gedanken stehen, als ob sie in den Wolken Armeen in Schlachtordnung sähen und entsetzliches Geräusch und Heulen hörten, wo doch niemals eines gewesen. Es half ungemein viel dazu, sage ich, wenn man sich alles dessen bediente, um die Nachricht von unzähligen Wunderzeichen überall auszubreiten. Das ist es auch eben, was die Teufel so geschickt angebracht haben. Wenn sie die Natur auf eine bequeme Art und ihren Absichten gemäß haben umkehren können, so haben sie es getan, z.B. zur Zeit des Brennus. Wenn sie gesehen, daß die natürlichen Ursachen den Aberglauben schon in Schwang gebracht, und sie konnten durch ihre Bemühung nichts Wirkliches hinzusetzen, so ließen sie wenigstens überall das Geschrei eingebildeter Wunder ausbreiten; und so eingebildet diese waren, so sehr nahmen sie überall überhand, und da jedermann geneigt war, dieselben zu glauben, so entstand nachher bei aller Welt die Begierde, noch andere bekanntzumachen, die so unbegründet waren wie jene. Es geschahen in Rom, so schreibt T. Livius111, und in der Gegend von Rom diesen Winter über viele Wunder, wenigstens erzählte und glaubte man deren viele ohne große Mühe, wie dies gewöhnlich ist, wenn einmal die Gemüter von der Religion eingenommen sind. Man machte dieses Jahr viele Wunderzeichen bekannt, und je mehr sich einfältige und der Religion ergebene Leute fanden, desto mehr machte man deren bekannt. Dieses ist unfehlbar die Ursache, warum Claudianus gesprochen: Sobald einige Wunderzeichen ausgebrochen, wollten die andern alle auch aufbrechen, damit sie die Jahreszeit nicht versäumten.112


69. Daß die Heiden ihr zugestoßenes Unglück der Nachlässigkeit in einigen Stücken ihres Götzendienstes, niemals aber ihren Lastern zugeschrieben

Doch da man besorgen mußte, es möchte vielleicht ebendiese Gemütsverfassung die Menschen bewegen, die Gottheit[150] so zu verehren, wie es die gesunde Vernunft lehrt, nämlich durch Abscheu für das Laster und Ausübung der Tugend, so war es nötig, die Andacht der Völker einzig und allein darauf zu richten, daß sie denken sollten, die Zeichen des Zorns der Götter bedeuteten keineswegs, daß diese mit den verderbten Sitten nicht zufrieden wären, sie wären vielmehr über die Nachlässigkeit oder die gänzliche Unterlassung irgendeines Opfers oder irgendeiner Zeremonie entrüstet. Wollte man sie also versöhnen, so wäre die Wiederherstellung einer Zeremonie oder die Erfindung einiger anderer das einzige Mittel dazu, ohne eben auf die Besserung der Leidenschaften zu gedenken. Und auch dieses haben die Teufel sich insbesondere angelegen sein lassen, und man kann nicht in Abrede stellen, daß ihnen solches ungemein gelungen ist. Die ganze Profanhistorie zeigt augenscheinlich, daß die Heiden die Quelle ihrer von den Göttern zugeschickten Züchtigungen nicht in der Unreinigkeit ihres Lebens, sondern in dem Vergessen irgendeines Aberglaubens zu finden vermeinen. Daher glaubten sie auch gänzlich der Sache ein Genüge getan zu haben, sofern sie nur die vergessene Art des Gottesdienstes wiederum aufbrächten.

Die Karthaginenser113 waren einstmals von dem syrakusanischen König Agathokles geschlagen worden und wurden nunmehr in ihrer eigenen Stadt belagert. Jedermann glaubte, man hätte dieses Unglück aus keiner andern Ursache verdient, als weil man die grausame Gewohnheit, dem Saturn ihre eigenen Kinder nach dem Los aufzuopfern, verändert und dafür andere Kinder geopfert hätte, die man bloß deswegen gekauft und insgeheim erzogen hatte. Diesen Fehler zu verbessern und den erzürnten Himmel zu versöhnen, erneuerten sie die alte Gewohnheit durch Aufopferung zweihundert junger vornehmer Knaben114, die man durch das Los dazu erlesen. Diese Gewohnheit nahm bei den Karthaginensern so stark überhand, daß sie noch zu Tertullians115 Zeiten heimlich beobachtet wurde, obschon Tiberius, dieselbe abzuschaffen, das kräftigste Mittel gebraucht hatte, da er nämlich die[151] Priester, die dergleichen unschuldige Opfer brachten, kreuzigen ließ. Als ganz Italien vor dem Hannibal erzitterte, bestimmte das Los seinen ältesten Sohn zu dieser barbarischen Aufopferung. Die Mutter desselben aber, die vielleicht niemals das Abscheuliche bei dieser Gewohnheit bemerkt hatte, sah dasselbe damals ein und stellte es dem karthaginensischen Rat so nachdrücklich vor, daß dieser es nicht wagen wollte durchzudringen, weil man sich sowohl vor den Göttern als vor Hannibal fürchtete, und in der Tat mehr von der Erbitterung des letzteren befürchtete, als man von der Versöhnung des ersteren hoffen konnte. Es ward eine Gesandtschaft an den Hannibal abgeschickt, seinen Willen darüber zu erfahren. Hannibal wollte nicht, daß sein Sohn sterben sollte. Es wäre besser, sagte er, wenn sein Sohn leben bliebe, denn da könnte er dem Vaterland dienen. Er wollte schon zusehen, daß so viel Römer ums Leben gebracht würden, daß sich die Götter darüber nicht würden beschweren dürfen, als ob er ihnen ein Opfer entzogen hätte. Er bittet diese, sie sollten Zuschauer bei dem Metzeln abgeben, das er anrichten wollte.


Vos quoque Dii patrii, quorum delubra piantur

Caedibus, atque coli gaudent formidine matrum,

Huc laetos voltus, totasque advertite mentes.116

Ihr Götter meines Volks, die Menschenblut versöhnt,

Die ihr der Mütter Furcht so gern zum Opfer habt,

Schaut her, und lenkt auf mich ein freudiges Gesicht

Und euern ganzen Sinn.


Ich würde Sie allzusehr ermüden, mein Herr, wenn ich Ihnen alle die Exempel erzählen wollte, die ich hiervon gelesen habe. Die Kirchenhistorie, die Sie vollkommen innehaben, wird Ihnen auch schon so viel davon anführen, daß ich es nicht nötig habe, an eine größere Sammlung zu gedenken. Man sieht daselbst, daß die Heiden die Christen immer anklagen, als ob diese an dem Unglück schuld wären, welches das Reich beunruhigte, weil sie gegen[152] den Götzendienst predigten und denselben an solchen Orten abschafften, wo die Götter am mächtigsten gewesen waren. Der Tyrann Maximus wirft ihnen dieses in seinen Edikten vor, wie solches Eusebius117 berichtet. Ist es Wunder, sagt Porphyrius118, daß die Stadt seit so langer Zeit mit der Pest heimgesucht wird, nachdem Äskulap und andere Götter daraus verbannt worden sind? Seit der Zeit, da man Jesum anbetet, können wir nicht die geringste Hilfe von den Göttern erlangen. Die Hauptabsicht des Heiligen Augustinus in seinem Buch von der Stadt Gottes ist diese: Er will den Heiden antworten, die sich beklagten, daß die Verwüstung der Stadt Rom und alle Verheerungen der Goten im Römischen Reich einzig und allein daher gerührt, weil man die Götzen so geringschätzig gehalten. Der Einfall des Radagast119 in Italien mit zweihunderttausend Mann erweckte ein entsetzliches Murren gegen die christliche Religion. Man vergrößerte die Unordnungen, die unter den christlichen Kaisern entstanden, und erhob die Glückseligkeit des heidnischen Roms, und diese war es, was der beredte Symmachus sich höchst angelegen sein ließ. Er hatte120 wohl gar das Herz, an die christlichen Kaiser zu schreiben, der Hunger und die andern Drangsale, die das Land ängstigten, wären eine Züchtigung für die Verachtung der Götter und ihrer Diener. Man dürfte deswegen weder den Einfluß der Gestirne noch die Härte des Winters, noch die Dürre des Sommers anklagen. Der Zorn der Götter sei schuld daran. Man habe den Priestern und vestalischen Jungfern die Besoldung abgezogen, die zu ihrem Unterhalt gedient hätte. Ebendiese christlichen Kaiser schafften das Opfer ab, das die abgöttischen Ägypter dem Nilstrom brachten, wenn er ihr Land nicht überschwemmte. Allein sie hätten sich beinahe einen entsetzlichen Aufruhr in diesem Land zugezogen. Die Ägypter wollten durchaus dieses Opfer wieder anfangen, als einmal die Wasser des Nils zurückblieben und sie gewiß glaubten, daß die darauf erfolgte Unfruchtbarkeit daher rührte, weil man diese heiligen Zeremonien eine Zeitlang ausgesetzt hätte.121[153]


70. Anwendung der obigen Anmerkungen bei dem aus der Theologie genommenen Grunde

Was werden Sie, mein Herr, zu dieser langen Abschweifung sagen? Sie werden unfehlbar glauben, ich habe meinen theologischen Grund ganz und gar vergessen. Allein, gedulden Sie sich nur ein wenig, Sie werden sehen, daß ich mich wieder zurechtfinden werde, und habe ich mich gleich bisher in den abgöttischen Ländern aufgehalten, so soll es nicht zu meinem Schaden geschehen sein. Denn da ich erwiesen: 1. daß diejenigen Dinge, die man als Zeichen des erzürnten Himmels angesehen, zwar den Götzendienst zu befördern, nicht aber die Sünde in der Seele des Menschen zu entkräften geschickt gewesen; 2. daß die Teufel kein besseres Mittel, die Abgötterei auszubreiten, gefunden haben, als daß sie die Völker durch wahre und erdichtete Wunderzeichen erschreckt; 3. daß die wirkliche oder vorgegebene Erscheinung eines Wunderzeichens allemal die Gelegenheit zu neueren Arten der Verehrung falscher Götzen gewesen; da ich alles dieses, sage ich, weitläufig gezeigt habe, so habe ich augenscheinlich erwiesen: Wenn Gott diese großen und ungeheuren Kometen, die für Zeichen des erzürnten Himmels angesehen wurden, durch ein Wunderwerk hervorgebracht hätte, so müßte er mittels seiner Wunder die Bemühung der Teufel, die Menschen in dem heidnischen Aberglauben immer dümmer zu machen, haben befördern wollen, welches man ohne Gotteslästerung weder sagen noch denken kann. Ich sage es noch einmal: Kometen am Himmel anzünden und dieses bei solchen Umständen, darin sich die Heiden befanden, hieß eigentlich nichts anders, als die Abgötterei auf dem ganzen Erdboden, nur den kleinen Winkel des Gelobten Landes ausgenommen, verdoppeln wollen, und frei davon zu reden, mehr konnte sich Gott davon nicht versprechen.


71. Wie abscheulich die Abgötterei in den Augen Gottes ist

[154] Überlegen Sie einmal, wie schlecht dieses Verhalten mit dem Begriff übereinstimmt, den wir von Gott haben, und ob es möglich ist, daß derjenige Gott, der durch seine Propheten bezeugt, daß ihm nichts abscheulicher sei als der Götzendienst; der mehr Unwillen gegen sein Volk blicken läßt, wenn es auf den Bergen oder unter grünen Bäumen opfert und wenn es die Götter der Heiden verehrt, als wenn es Straßenraub, Totschlag und Ehebruch begeht; der sein Gesetz durch doppeltes Verbot anfängt, keiner andern Gottheit als ihm allein zu dienen; der diesem seinem Verbot ein desto größeres Gewicht zu geben, sich unter dem Bild eines allmächtigen und eifrigen Gottes darstellt, und die Sünde der Väter an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied heimsuchen, die Frömmigkeit der Väter aber an den Kindern bis ins tausendste Glied belohnen will; der also, um den Menschen zu zeigen, wie ernstlich er ihren Gehorsam in diesem Stück forderte, sie an demjenigen Ort angreift, wo sie am empfindlichsten sind, teils durch die Drohung eines eifrigen Gottes (ein Begriff, der den Schrecken einer sowohl schleunigen als strengen Rache erweckt), teils durch Verheißungen einer Barmherzigkeit, die noch undenkbar weiter geht als die Schärfe seines Eifers; der, um zu zeigen, wie weit das Verbrechen der Götzendiener alle anderen Laster übertrifft, jenes verbietet und das Verbot desselben mit angeführten Drohungen und Verheißungen begleitet, anstatt daß er den Straßenraub und Totschlag, die Unreinigkeit und Verleumdung nur schlechtweg untersagt; der die Anbetung des Goldenen Kalbes mit der allergrößten Züchtigung bestraft, da er nämlich sein Volk in verkehrtem Sinn dahingegeben, daß es des Himmels Heer angebetet und sich dadurch das Elend einer bejammernswürdigen Landesverweisung und Gefangenschaft zugezogen hat, wie solches der erste glorwürdige Märtyrer des Evangeliums, der heilige Stephanus122, versichert; und der endlich nicht[155] einmal zugeben will, daß man Fleisch, das den Götzen geopfert worden ist, essen soll: Überlegen Sie einmal, mein Herr, sage ich, ob es möglich ist, daß dieser Gott, der solches alles getan hat, von Zeit zu Zeit habe neue Sterne am Himmel erscheinen lassen können, um dadurch allen Völkern einen Schrecken einzujagen und ihnen daher zu unausbleiblichen Handlungen der Abgötterei Anlaß zu geben? Denn soviel ist gewiß: Jedermann nahm zu denselben seine Zuflucht, weil man sie für zu bequem hielt, ihre Verbrechen auszusöhnen und den Zorn Gottes zu entwaffnen. Wie hätte aber Gott dazu Anleitung geben können, daß z.B. die Gallier und Karthaginenser eine so große Menge Menschen lebendig opfern sollten, da dieses ein Greuel ist, welchen Gott durch den Mund seiner Propheten an dem jüdischen Volk so oft verflucht hat, welches gleichfalls wie andere Völker, den Götzen zu Ehren, die Kinder verbrennen ließ. Dieser Greuel war eben die Ursache, warum Gott den König Achas und Manasses so exemplarisch gezüchtigt hat.


72. Daß die Ursache, warum die Kometen vor Christi Geburt nicht üble Vorboten sein können, noch jetzt gilt

Sofern dieser Grund ersichtlich macht, die Kometen, die vor der Ausbreitung des Evangeliums erschienen, könnten unmöglich durch ein Wunderwerk sein hervorgebracht worden, Gott könnte unmöglich die Absicht dabei gehabt haben, die Menschen im voraus vor den Übeln zu warnen, welche er in seinem Zorn ihnen zubereite; so muß auch dieses wahr sein, daß diejenigen Kometen, die nach der Zeit erschienen, ebensowenig durch ein Wunderwerk, den Menschen künftiges Unglück vorherzusagen, erschaffen worden sind wie jene.

Denn fürs erste: Sind die Kometen vor der Berufung der Heiden nicht von Gott geschickte Zeichen gewesen, so sind sie schlechterdings Wirkungen der Natur gewesen,[156] ebenso wie die Verfinsterungen und Erdbeben. Und ist das letztere wahr, so wäre es ebenso lächerlich, wenn man sagen wollte, die Kometen hätten nach der Bekehrung der Heiden ihre Art verändert und wären nun nicht mehr Werke der Natur, sondern Wunderzeichen, wie es lächerlich sein würde, wenn man behauptete, die Sonnen- und Mondfinsternisse wären seit der Zeit in übernatürliche Wirkungen verwandelt worden. Sind also die Kometen nichts anderes als Werke der Natur, so können sie unmöglich zukünftiges Unglück vorbedeuten; erstlich, weil sie in keiner natürlichen Verknüpfung mit künftigen Übeln stehen, wie ich solches schon gezeigt habe und im Folgenden noch gründlicher erweisen werde; zum anderen, weil wir keine Offenbarung haben, die uns lehre, Gott habe dieselben ebenso zu Zeichen zukünftiger Unglücksfälle gesetzt, wie er etwa den Regenbogen zu einem Merkmal bestimmt hat, daß inskünftige keine Sintflut mehr kommen werde.

Fürs andere gilt der Grund für die Zeiten vor Christi Geburt auch für die Zeiten nach derselben. So bewunderungswürdigen Fortgang auch das Kreuz des Sohnes Gottes gehabt hat, so sind doch die meisten Menschen Abgötter geblieben oder Mohammedaner geworden. Jetzt sogar, da das Christentum so ausgebreitet ist und bis in die neue Welt gedrungen ist, kann man nicht in Abrede stellen, daß nicht die meisten Völker des Erdbodens in entsetzlicher Finsternis stecken sollten. Hätte also Gott die Absicht, durch Kometen die Strafruten seines Zorns zu verkündigen, so müßte er wahrhaftig willens sein, die falsche und die abgöttische Andacht in der ganzen Welt wieder anzuflammen, die Anzahl derer, die nach Mekka wallfahrten, zu vergrößern und die Opfer zu vermehren, die daselbst beständig dem schändlichsten Betrüger, den die Sonne jemals beschienen, gebracht werden, neue Moscheen aufbauen zu lassen, den Torlaquien und Derwischen zur Erfindung neuer abergläubischer Dinge Anlaß zu geben; mit einem Wort, er müßte haben wollen, man sollte abscheulichere Dinge vornehmen, als man außerdem[157] vorgenommen haben würde. Denn sind gleich Jupiter und Saturn in der Welt ganz unbekannt geworden, so tut man sich doch heutzutage ebensowohl wie vor diesem die Schande an, daß man den ungereimtesten und gottlosesten Abgöttereien ergeben ist.


73. Von der abscheulichen Abgötterei der heutigen Heiden

Ich will nicht einmal an die Greuel gedenken, die in Peru und Mexiko noch vor kurzem im Schwange gingen, noch die Menschenopfer berühren, die man den Göttern zu Ehren für Märtyrer erklärte123 und welche die Spanier an den Orten, wo sie Platz genommen, abgeschafft haben. Wer weiß nicht, daß die Indianer, Chinesen und Japaner die erschrecklichsten Ausschweifungen in Ansehung der Religion begehen? Sie beten Affen und Kühe an. Sie fragen den Teufel124 auf brennenden Bergen um Rat. Sie verehren ihre Götter so stark, daß sie sich lebendig begraben lassen oder sich ersäufen, bloß um ihre Andacht dadurch an den Tag zu legen, und dadurch bauen sie sich eine Stufe zur Verheiligung. Sie erbauen dem Teufel und insbesondere dem Fürsten der Teufel Tempel, welches doch die alten Heiden niemals taten. Mit einem Wort, sie verfallen auf Dinge, die nur ein blinder und tollkühner Aberglaube eingeben kann. Nun wissen Sie, mein Herr, wie genau dieses zusammenhängt: zu glauben, der Gott, den man verehrt, sei erzürnt worden, und ihm den gewöhnlichen Dienst mit größerem Eifer als sonst zu erweisen. Will man also, eine abgöttische Nation solle erkennen, der Himmel sei über sie erzürnt, so muß man auch wollen, sie solle mit verdoppeltem Eifer die Übungen ihrer Religion ausüben. Folglich, wenn Gott Kometen in der Absicht hervorbrächte, den Menschen seinen Unwillen zu verkündigen und um sie zu erinnern, daß er sie heftig strafen würde, sofern sie ihn nicht versöhnten, so müßte er wollen, alle ungläubigen Völker sollten mit neuem[158] Eifer ihre Zuflucht jedes zu seinem abscheulichen Götzendienst und zu seinen gottlosen Zeremonien nehmen. Das ist aber falsch und gotteslästerlich. Folglich ist es der Religion gemäß, wenn man sagt, nach göttlicher Absicht könnten die Kometen unmöglich irgendein Unglück vorbedeuten. Doch ist wohl zu merken: Wenn irgendwo außerordentliche Luftfeuer irgendeiner Stadt oder einem Volk, das den wahren Gott kennt, erscheinen, wie z.B. dergleichen ehemals über der Stadt Jerusalem sich sehen ließen, so kann man sie gar wohl für Zeichen ansehen, die durch eine ganz besondere Vorsorge des Himmels abgeschickt worden sind.


74. Daß die Kometen besondere Merkmale haben, woraus man schließen kann, daß sie nicht Zeichen sind

Das darf man sich aber nicht einbilden: Ein Gestirn, das jeden Tag die Welt durchstreicht und welches sowohl Christen als Heiden, Franzosen und Spaniern zu drohen scheint, sei ein Wunderzeichen, von dem jede Nation glauben müsse, Gott habe es ausdrücklich deswegen gemacht, damit es ihr zukünftiges Unglück verkündigen solle. Ich habe meine Gründe dagegen bereits angeführt, und ich kann es noch ferner erweisen, daß eine jede Nation nicht verpflichtet sei, Unglücksfälle beim Erblicken der Kometen zu befürchten. Die Geschichte bezeugt es, und selbst die Betrachtung dessen, was bei unseren Lebzeiten in der Welt vorgeht, lehrt es uns, daß Gott niemals die Menschen alle zugleich züchtigt. Die allgemeinsten Drangsale verschonen zuweilen ganze Nationen. Die göttliche Vorsorge teilt Glück und Unglück dergestalt aus, daß jeder nach der Reihe sein Anteil davon bekommt. Niemals aber hat man seit der Sintflut eine allgemeine Züchtigung auf einmal gesehen. Niemals hat man eine allgemeine Austeilung von Glücksgütern zu gleicher Zeit und an allen Orten gesehen. Gott müßte den Lauf seiner Vorsorge ganz und gar umkehren, wenn er anders handeln wollte. Da nun[159] eine so große Anzahl von Kometen bereits erschienen ist und Gott, nach dem Zeugnis der Erfahrung, niemals ein so außerordentliches Verhalten angenommen, warum wollte man sich einbilden, wenn ebendieselben Gestirne heutzutage erschienen, Gott werde nun etwas tun, was er sonst niemals bei dergleichen Gelegenheit zu tun gewohnt gewesen? Wir wissen aus den Begebenheiten, die auf die Kometen erfolgt sind, daß, wenn diese erschienen, die Vorsorge niemals die Absicht gehabt hat, alle Nationen der Welt in einen Abgrund von Übeln zu stürzen. Vielmehr wissen wir, daß sie alsdann willens gewesen, viele Völker des Erdbodens mit Glück zu überschütten. Folglich ist es nicht notwendig, daß alle Völker auf Erden, wenn sie Kometen sehen, urteilen müssen, sie würden viel Unglück auszustehen haben. Ja, es ist sogar nicht möglich, wenn man den Lauf der Vorsorge betrachtet, daß sie dieses zu glauben verpflichtet sein könnten, denn gemeiniglich bedient sich Gott der einen Nation, die andere zu züchtigen, und gibt dieser die Güter, die er jener weggenommen. Hätten zu derjenigen Zeit, da die Perser das Ende ihrer Monarchie befürchten mußten, die Makedonier den Untergang besorgt, würden nicht die letzteren voller Schrecken gewesen sein? Daraus folgere ich: Wäre es die Absicht Gottes, daß alle Völker, die einen Kometen sehen, ihren bevorstehenden Untergang besorgen sollten, so müßte er haben wollen, viele Völker sollten sich betrügen. Da es nun gottlos ist zu glauben, daß Gott dergleichen Absichten habe, so ist es auch unmöglich, daß die Makedonier z.B. bei Strafe einer Todsünde wären verpflichtet gewesen zu glauben, derjenige Komet, den sie bei Antritt der Regierung Alexanders sahen, drohe ihnen den erschrecklichsten Untergang. Da also Gott ganz und gar nicht die Menschen verpflichten kann, falsch zu urteilen, so ist es unmöglich, daß er die Absicht haben könnte, alle Menschen in der Welt sollten urteilen, ein Komet sei ein Vorbote ihres Unglücks. Und das müßte doch seine Absicht allerdings sein, wenn die gemeine Meinung wahr wäre. Folglich ist es eine falsche und unbegründete[160] Meinung, und man müßte sie gottlos nennen, sofern nur die Anhänger derselben auf die Umstände mehr achtgäben, wenn sie solche für Zeichen des bevorstehenden Fluches ausgeben. Es ist höchst wahrscheinlich, daß man sie nicht für Zeichen, die Gott abschicke, ansehen würde, wenn man gründlich einsähe: 1. Daß sie keine besonderen Merkmale haben, daraus gewisse Völker schließen könnten, sie insbesondere würden dadurch gemeint. 2. Daß, sofern sie den Zorn Gottes gewissermaßen verkündigen, sie solchen allen Völkern überhaupt ankündigen müßten, sowohl denen, die Gott segnen, als auch denen, die er züchtigen will. 3. Daß es sehr zweideutige Zeichen sind, die z.B., wenn sie den Untergang des griechischen Reiches vorbedeuten, zugleich das Glück der Ottomanen prophezeien, wenn sie das Absterben eines Papstes vorherverkündigen, zu gleicher Zeit die Erhebung seines Nachfolgers vorbedeuten, und wenn sie den Tod eines Weltbezwingers prophezeien, ebensowohl Vorboten der Freudenfeuer sein können, die in allen denjenigen Ländern würden angezündet werden, die unter das schwere Joch seiner Herrschaft zu fallen besorgten. 4. Daß es so allgemeine und undeutliche Zeichen sind, daß man darin kein Merkmal einer Sache, die wirklich geschehen soll, vielmehr als einer solchen, die niemals erfolgen wird, wahrnehmen kann. 5. Daß es Zeichen sind, die viele Umstände mit sich führen, die sich für die Weisheit und Heiligkeit Gottes gar nicht schicken. Ich habe deren einige bereits berührt, da ich von den Verfinsterungen geredet habe, und mein theologischer Grund hat keinen andern Zweck als diesen.

Sie können davon denken, mein Herr, was Sie wollen. Ich für meine Person kann es mir nicht einbilden, daß Gott bei Erschaffung der Kometen, im Absehen auf uns, einen andern Endzweck habe, als derjenige ist, den er bei allen Werken der Natur gehabt hat. Alle diejenigen, die mittels der Kenntnis natürlicher Dinge sich zur Gottheit schwingen, lernen in der Tat die Absichten kennen, welche Gott bei Erschaffung der Kreaturen gehabt hat.[161]

Aber ich kann nicht begreifen, daß ein Mensch die Absicht Gottes richtig treffen sollte, wenn er dasjenige für ein Wunderwerk ansieht, was doch keines ist. Meines Erachtens ist es unmöglich, daß Gott jemals den Zweck haben könnte, uns in Irrtümer zu stürzen. Wollte also Gott die Menschen vor bevorstehenden Unglücksfällen warnen, so glaube ich ganz gewiß, daß er dazu solche Mittel wählen würde, die nicht nur denen, welche er bedrohen wollte, sehr verständlich sein müßten, sondern auch für diejenigen, denen er seine Gnade bezeigen wollte, nichts Drohendes in sich enthalten würden. Das mag genug sein, die Kometen von derjenigen Stufe herabzustoßen, darauf man sie nebst anderen Wunderzeichen, die den Zorn Gottes verkündigen, gesetzt hat. Denn nur der fabelhaften Gottheit des Pans und Appollons kommt es zu, einen blinden Lärm zu machen und sich durch Rätsel zu erklären.


75. In was für Sinn man sagen könne: Gott bedrohe diejenigen, die er nicht strafen will

Ich weiß wohl, was man vom Donner gesagt hat125: Er schreckt viele und trifft wenige. Ich weiß auch, daß die Weisheit bei Hinrichtung der Rebellen auf gleiche Weise zu handeln pflegt.126 Doch das beweist nur so viel: Gott verhänge seine Strafgerichte auf ein Volk, damit die Nachbarn desselben seine Gerechtigkeit fürchten und dadurch bewegen werden möchten, ihr gutes Verhalten fortzusetzen, um solchergestalt die Glückseligkeit, die sie bereits genießen, zu verlängern. Und dieses ist von dem Irrtum derjenigen weit entfernt, welche behaupten, eine gewisse Wirkung der Natur sei ein Wunderwerk, Gott bringe dasselbe ausdrücklich deswegen hervor, damit alle Völker des Erdbodens von seiner Seite ihrer bevorstehenden Vernichtung möchten vergewissert werden. Indessen hat Gott nicht einmal daran gedacht, denn eben zu der Zeit ist er manchmal willens, vielen Nationen Freude und Siege zuzuschicken. Dazu kommt noch, daß[162] der Donner uns so leicht treffen kann und uns bereits so viel Schaden zugefügt hat, daß man gar keinen Irrtum begeht, wenn man glaubt, er könne uns treffen, dahingegen man nicht den geringsten Grund für sich hat, zu glauben, ein Komet habe jemals das geringste Unheil verursacht oder nur verursachen können. Überdies würde man auch falsch urteilen und kein christliches Werk verrichten, wenn man sagen wollte, der Donner sei ausdrücklich erschaffen worden, bloß um die Völker zu züchtigen.


76. Es ist falsch, daß diejenigen Völker, welche nach dem Erscheinen der Kometen glücklich gewesen, solch ihr Glück durch ihre Bekehrung verdient

Was diejenigen betrifft, welche sagen möchten, freilich bedrohten die Kometen alle Völker des Erdbodens, denn in der Tat habe Gott den Vorsatz, alle zu bestrafen. Daß aber einige unter diesen den Zorn Gottes entwaffneten, das hätten sie ihrer wahren Buße zuzuschreiben. Darauf antworte ich ihnen nichts anderes, als daß sie sich offenbar betrügen. Ich würde ihnen höchlich verbunden sein, wenn sie mir zeigen wollten, was das für eine Buße gewesen, dadurch die Makedonier die Gerechtigkeit Gottes ausgesöhnt und statt der Züchtigungen, die ihnen kraft des besagten Kometen bestimmt waren, so viele Reichtümer, ja selbst die Krone des Darius verdient haben. Ich möchte auch gern von ihnen wissen, was das für andächtige und bußfertige Handlungen gewesen, welche Mahomet II. von den Unglücksfällen befreit haben, davon er, vermöge der Kometen, die unter seiner Regierung erschienen, sein Anteil bekommen sollte. Er war der größte Atheist, der jemals unter der Sonne gewesen. Seine Leute begingen die entsetzlichsten Verbrechen, und doch brachten sie immer ein Königreich und eine christliche Provinz nach der anderen unter ihre Botmäßigkeit.

Laßt uns daher zugeben, die Absicht Gottes beim Hervorbringen der Kometen sei gar nicht, alle Völker des Erdbodens[163] zu züchtigen. Seine Vorsorge befindet es allemal für besser, einen nach dem andern zu strafen. Die Makedonier waren nicht frömmer als die Perser, indessen, weil die Zeit einmal da war, darin Gott beschlossen hatte, die Monarchie der letzteren zu stürzen, so unterwarf er sie den Makedoniern. Mit der Zeit mußten auch diese den siegreichen Waffen der Römer unterliegen. Die Römer häuften Siege auf Siege, sie bezwangen weit und breit Königreiche und Republiken, ohne daß sie frömmer waren als diejenigen, welche Gott in ihre Hände gab. Sie spannen, so zu reden, ihre Seide und häuften dabei immer die Gerichte Gottes über ihren Kopf, wie solches der heilige Augustin127 anmerkt, wenn er den Götzendienern, welche dem Christentum die Schuld der allgemeinen Drangsale zuschrieben, klärend vor Augen legt: Alles Unglück der römischen Republik sei als eine Folge ihrer Laster und Unordnungen anzusehen. Dem sei, wie ihm wolle, durch Gewalttätigkeiten entstand die Herrschaft der Römer, auf gleiche Art ist sie auch zerteilt worden. So zeigt die göttliche Vorsorge von einer Zeit zur andern, was beinahe alle Tage durch natürliche Ursachen geschieht: darunter einige getrennte Wolken in eins zusammenbringen, daß der ganze Himmel davon schwarz wird, andere hinwiederum diese große Wolke auseinandertreiben und dieselbe in unzählige kleine Wolken zerteilen.

Was ich hier von den Völkern des Erdbodens angeführt habe, daß nämlich immer eines nach dem andern gestraft wird und daß diejenigen, welche die Reihe zuerst trifft, deswegen nicht die strafbarsten sind, solches ist nicht eine bloße Mutmaßung. Gott selbst bestätigt es durch den Mund des Propheten Jeremia: Ich habe die Erde gemacht und gebe sie, wem ich will. Ich habe alle diese Lande in die Hand meines Knechts Nebukadnezars, des Königes zu Babel, gegeben. Ihm und seinem Sohne und seines Sohnes Sohne sollen alle Völker dienen, bis daß die Zeit seines Landes auch komme.128 Es wäre ungereimt, wenn man sich einbilden wollte, der König zu Babel wäre heiliger und frömmer gewesen als der König der Juden, und bloß[164] dieser seiner Frömmigkeit halber hätte er ein so mächtiges Reich überkommen. Er war vielleicht gottloser als alle die Könige, welche ihm Gott unterwürfig machte. Doch da die Reihe an die Chaldäer noch nicht gekommen war, so war seine Herrschsucht ein glückliches Laster, dessen sich Gott bediente, die Völker zu züchtigen, deren Züchtigung er nicht länger aufschieben wollte. Einige Zeit hernach kam die Reihe auch an die Chaldäer. Die Meder und Perser, die ebenso gottlos waren wie jene und nur weiter hinten als jene in dem Buch der Vorsehung standen, zerstreuten sie und überwältigten dieselben, bis es ihnen endlich um nichts besser ergangen ist. Man erinnere sich doch der ausdrücklichen Erklärung des Sohnes Gottes, die er bei Gelegenheit derjenigen von sich gab, welche vom Turm erschlagen und bei dem Opfer umgebracht worden sind129, und sage nicht mehr, daß diejenigen, welche andere züchtigen, frömmer sein müßten als diejenigen, die gezüchtigt werden. Ich gebe zu, daß die Langmut Gottes den Sündern nicht eher die Strafe seiner Gerechtigkeit empfinden läßt, bis sie ihr Sündenmaß voll gemacht haben. Daraus könnte man meines Erachtens folgern, die bisher verschonten Völker hätten das Ihrige noch nicht angefüllt, sondern vielmehr diese, welche Strafe leiden müßten. Allein aus der Anfüllung dieses Sündenmaßes kann man nicht schließen, daß eine Nation weniger oder mehr Verbrechen ausgeübt hat als die andere. Sein Maß erfüllt haben, heißt: Die unglückliche Stunde erleben, da Gott zu strafen beschlossen hat. Wer zweifelt aber, daß diese unglückliche Stunde bald mit einem kleinem, bald mit einem großem Maß verknüpft sein könne, nach dem es Gott für gut befindet, die Begebenheiten zu verändern und seine unumschränkte Freiheit sehen zu lassen? Es gibt Leute, die in den Gedanken stehen, man fände in der Historie, daß die Veränderung der Reiche ordentlich nach Verlauf einer gewissen Anzahl Jahre erfolge, ja, sie führen ich weiß nicht wieviel Reichsveränderungen an130, die alle in hundert Jahren nach der Reihe erfolgt sein sollen. Ich mag mir die Zeit nicht nehmen, so kindische Dinge[165] zu widerlegen, und es reut mich beinahe, daß ich solches schon im Vorbeigehen getan habe. Ich möchte es gern alle Menschen wissen lassen, daß ich es nicht einem einzigen unter ihnen zutraue, mir aus der Historie zu erweisen, daß Gott zum Bekanntmachen der Wirkungen seiner Gerechtigkeit sich allemal an ein bestimmtes Maß seiner Langmut gebunden habe. Nichts ist unendlicher als die Mannigfaltigkeit in den Wegen Gottes.


77. Daß die Kraft des Gebets einiger weniger guter Leute in der wahren Religion in den falschen Religionen nicht statthat

Will man sagen, es habe doch wenigstens einige fromme Seelen gegeben, welche durch ihr Gebet und ihren guten Wandel ihre Nation von demjenigen Anteil der Unglücksfälle befreit haben, die ihr durch die Kometen vorherverkündigt worden, so will ich es zugeben, daß man solches in Ansehung derjenigen Völker sage und glaube, welche die wahre Religion besitzen. Man könnte mir zwar verschiedenes dawider einwenden. Kann Gott durch das Gebet einer kleinen Anzahl Leute, die ihr ganzes Leben in Werken der Frömmigkeit zubringen, bewegen werden, einer ganzen Nation gnädig zu sein, so scheint es, Gott fasse nicht einmal den Entschluß, dieses Volk zu vernichten, solange diese kleine Anzahl Leute dasselbe erhält. Kann die Wirkung der Kometen durch die Bekehrung der Menschen gehemmt werden, so muß solches durch die Bekehrung der Gottlosen und nicht der Frommen geschehen, deren Seelen Gott schon angenehm sind und die mit ihrer demütigen Verehrung des unendlichen Wesens gar nicht so lange warten, bis Wunderzeichen erscheinen. Ist ein kleiner Haufen frommer Seelen vermögend, den Arm des Höchsten zum Besten einer ganzen Nation zu entwaffnen, so scheint es ja, daß diejenigen Völker, bei denen die wahre Kirche zu finden ist, die schweren Schläge des rächenden Himmels niemals empfinden könnten[166] noch einander jemals selber aufreiben würden, was doch wirklich geschieht; denn es ist doch noch immer unter diesen Völkern ein Überbleibsel frommer und heiliger Seelen. Aller dieser Schwierigkeiten ungeachtet, will ich doch Zugeben, daß die guten Handlungen der besagten kleinen Anzahl wahrer Christen, die sich Gott einzig und allein widmen, den Himmel bewegen, der ganzen Nation von oben herab gnädig zu sein. Es ist mir bekannt, daß der Sieg sich bald auf des Josua, bald auf der Feinde Seite lenkte, je nachdem Moses131 seine Hände gegen den Himmel zu aufrecht hielt oder sinken ließ. Ich weiß auch, daß man gesagt hat, die Heiligen erhüben aus ihren Grotten und einsamen Orten, darin sie sich verborgen hätten, durch ihr Fasten und Gebet die Materie des Donners bis gen Himmel, von dannen derselbe die Feinde der Christenheit zu Boden schlüge. Und meines Erachtens kann man gar wohl sagen: Wenn fromme Seelen sich Gott widmen, so widmen sie sich zugleich dem Vaterland und verschaffen demselben eben die Vorteile, welche die heidnische Einfalt der freiwilligen Aufopferung eines Kodros oder Decius fälschlich zuschrieb.

Eine gleiche Kraft aber kann man, ohne sich zu versündigen, dem Gebet der vestalischen Jungfrauen oder den Peinigungen der Ungläubigen wohl nicht zuschreiben. Wie sollte doch dieses die Sünden der andern aussöhnen können, da es ausgemacht ist, daß die Opfer der Heiden und die übrigen Stücke ihres Götzendienstes unter denjenigen Verbrechen, dadurch sie sich den Fluch Gottes zugezogen haben, obenan stehen müssen? Die Gedanken Catos, welche er zu der Mutter eines sehr lasterhaften Sohnes sagte: Wenn sie die Götter um das Leben ihres Sohnes bäte, so wäre das nicht sowohl ein Gebet als vielmehr eine Verwünschung der Stadt Rom, schicken sich überhaupt auf alle die Gebete, welche man an die Götzen gerichtet. Man darf sich darin an die Worte des Symmachus gar nicht kehren132, welcher unter anderem den christlichen Kaisern auch dieses mit vorwarf: Sie hätten durch Einziehen der Besoldung der vestalischen Jungfrauen und Priester sich[167] an solchen Personen vergriffen, welche die Ewigkeit des Reiches durch den Beistand und Schutz des Himmels unterstützten, dessen Segen sie den römischen Waffen zuzögen.133


78. Notwendige Abschweifung

Es sind noch einige andere Schwierigkeiten übrig, die ich beheben muß, weil sie die Stärke meines siebenten Grundes schwächen könnten, wenn ich dieselben nicht gründlich auflösen wollte. Ich habe mir vorgenommen, solches insoweit ins Werk zu richten, wie es nötig ist. Vorher aber werde ich mir die Freiheit nehmen, eine Abschweifung zu machen, sollte ich auch den Vorwurf, den Sie mir schon so oft gemacht haben, noch einmal von Ihnen hören müssen, ich bliebe nämlich niemals bei der Hauptsache, sondern verfiele immer auf Nebendinge.


79. Achter Grund: Die Meinung, als ob die Kometen Vorboten allgemeiner Drangsale wären, ist ein altväterischer Aberglaube der Heiden, der durch das Vorurteil des Altertums sich in die Christenheit eingeschlichen und darinnen beibehalten wurde

Meine Absicht bei dieser Abschweifung ist folgende: Ich will aus allem demjenigen, was ich angemerkt habe, die wahre Ursache des Vorurteils entdecken, welches in der Welt herrscht, daß nämlich die Kometen Unglückszeichen sein sollen. Ich setze demnach voraus: Diese Meinung ist ein Überbleibsel des heidnischen Aberglaubens, welcher von den Vätern auf die Kinder fortgepflanzt worden ist, teils weil er in den Herzen aller Menschen schon allzu tief eingewurzelt war, teils weil die Christen, um überhaupt zu reden, ebensowohl wie andere Menschen an der Krankheit daniederliegen, da man alle Dinge zu Vorbedeutungen machen will.


80. Von der großen Neigung der Menschen, zukünftige Dinge zu wissen und ihre Wirkungen

[168] Es ist leicht zu begreifen, warum die Heiden so fest glaubten, daß die Kometen, Verfinsterungen usf. großes Unglück vorbedeuteten. Man darf nur erwägen, wie geneigt die Menschen von Natur sind, sich wegen des Zukünftigen zu ängstigen, was für eine unersättliche Begierde sie haben, künftige Dinge zu wissen, und wie gewohnt sie sind, aus Sachen, die nicht oft geschehen, Geheimnisse und etwas Außerordentliches zu machen. Aus dieser unersättlichen Begierde, zukünftige Dinge zu erfahren, sind ich weiß nicht wieviel Arten der Wahrsagungen entsprungen, die alle unbegründet und lächerlich sind und womit sich doch die Menschen gemeiniglich beholfen haben. War jemand so boshaft, daß er sich die Schwäche der Men schen zunutze machen wollte, und fehlte es ihm nicht an Scharfsinnigkeit, etwas zu erfinden, das zu dieser Absicht dienen konnte, so verfiel er alsbald darauf, ich will so viel sagen: Er fing sogleich an, sich der Wissenschaft zukünftiger Dinge zu rühmen. Daher entsprang die Sterndeuterkunst. Diejenigen, welche anfingen, die Bewegung des Himmels zu untersuchen, hatten dabei keine andere Absicht als diese, eine so bewundernswürdige Wirkung genauer kennenzulernen, und da es vermutlich Geister waren, die mehr Liebe für die Wissenschaften als für das Wohl der Welt hegten, so mochten sie wohl eben nicht willens sein, aus der Astrologie eine Spitzbubenkunst zu machen. Nach der Zeit aber haben sich gottlose Leute gefunden, welche die Schwäche des Menschen eingesehen und sich dieselbe haben zunutze machen wollen. In der Absicht breiteten sie überall aus, die Wissenschaft der Gestirne lehre das Gegenwärtige, Vergangene und Zukünftige. Für Geld konnte also ein jeder sein zukünftiges Glück zu wissen bekommen. Um die Leute desto besser zu betrügen, beredete man sie, der Himmel sei ein Buch, darein Gott die Geschichte der Welt aufgezeichnet hätte, und es käme nur darauf an, daß man diese Schrift Gottes, welche in der[169] Zusammensetzung der Sterne bestünde, lesen könnte, so wäre es leicht, diese Geschichte vorauszusehen. Sehr gelehrte Männer, unter anderen Plotin und Origenes134, haben sich das überreden lassen. Der letztere will sogar seine Meinung durch einen starken Grund bekräftigen und führt zu dem Ende aus einem apokryphischen Buch, das dem Patriarchen Joseph zugeschrieben wird, eine Stelle an, darin der Patriarch Jakob mit folgenden Worten seine Kinder anredet135: Ich habe in dem Verzeichnis des Himmels alles dasjenige gelesen, was euch und euren Kindern widerfahren wird. Insbesondere hat man das Erscheinen der Kometen zu seinem Vorteil angewendet und denjenigen Schrecken zu nutzen gesucht, welchen sie durch ihren langen Schweif verursachen. Die Zeichendeuter erinnerten dabei, es wären schädliche Gestirne. Sie sagten solches insonderheit, nachdem sie erfahren, daß sie sich durch dieses Mittel gewissermaßen notwendig machten, indem ein jeder von ihnen wie von einem Orakel eine umständliche Erzählung der durch die Kometen vorbedeuteten Unglücksfälle wissen wollte. Gleiche Gelegenheit, ihre Geschicklichkeit sehen zu lassen, gaben ihnen die Verfinsterungen an die Hand. Andere nahmen daher Anlaß, sich verschiedener anderer Arten der Wahrsagungen zu rühmen, z.B. der Geomantie, Chiromantie, Onomantie usf. Nach und nach wurde die Welt unvermerkt so voller Aberglauben, daß man alle Dinge für Vorboten zukünftiger Dinge ansah, zumal da man diese Art von Wissenschaften zu einem Stück der Religion gemacht und den hauptsächlichsten Gottesdienst in den Untersuchungen der Wahrsager gesetzt hatte. Diejenigen, welche sich nicht anders unentbehrlich machen konnten, als daß sie den Pöbel mit dem Zorn Gottes schreckten, gründeten sich hierin hauptsächlich auf die Kometen und machten es zu einem Sprichwort: Sobald ein Komet erschiene, sei Unglück zu vermuten. Solchergestalt wußten sie im trüben zu fischen, wie Titus Livius berichtet. Bei Gelegenheit einer ansteckenden Krankheit, welche nach einer großen Dürre im Jahr 326 vom Lande in die Stadt[170] sich ausgebreitet hatte, schreibt dieser Geschichtsschreiber136 : Die Krankheit habe sogar durch die Geschicklichkeit derjenigen, welche sich durch anderer Aberglauben bereichern, die Gemüter angegriffen, so daß man überall neue Zeremonien wahrgenommen habe. Solchergestalt hat der Teufel, der darin gewonnen Spiel hatte und der voraussah, daß der heidnische Aberglaube ein untrügliches Mittel sei, sich unter dem Namen falscher Götter auf hunderterlei verschiedene Arten anbeten zu lassen, die alle vor dem obersten Herrscher aller Dinge verflucht und abscheulich waren, immer seine betrügerische Arglist blicken lassen, sooft Zeichen am Himmel oder ungewöhnliche Sterne erschienen. Denn er durfte nur die abgöttischen Völker bereden, es wären dieses Merkmale des Zorns der Götter, und es würde alles zugrunde gehen, sofern man ihnen nicht Opfer von Menschen, Vieh usf. brächte.


81. Daß die Staatsverständigen den Aberglauben der Vorbedeutungen unterhalten haben

Die Politik hat zuweilen auch Sorge getragen, die Vorbedeutungen im Ansehen zu unterhalten, damit sie Grund hätte, die Untertanen entweder schüchtern zu machen oder ihnen ein gutes Vertrauen beizubringen. Wären die römischen Soldaten starke Geister gewesen, so würde des Tiberius Sohn Drusus nicht das Glück gehabt haben, die Empörung der pannonischen Legionen zu stillen, die nicht mehr zu bändigen waren. So aber fiel zu allem Glück eine Verfinsterung ein, welche diese Aufrührer dergestalt erschreckte, daß Drusus, der diesen ihren Schrecken nach seiner Geschicklichkeit sich zunutze machte, mit ihnen machen konnte, was er wollte.137 Eine Mondfinsternis machte die Armee Alexanders des Großen einige Tage vor der Schlacht bei Arbela so schüchtern, daß jeder Soldat in den Gedanken stand, der Himmel gäbe ihnen dadurch ein Merkmal seines Zorns, und durchaus nicht weiter marschieren wollte. Ihr Murmeln zielte auf eine offenbare[171] Empörung, als Alexander den ägyptischen Wahrsagern, welche in der Kenntnis der Gestirne sonderlich bewandert waren, Befehl erteilte, sie sollten ihre Meinung von dieser Verfinsterung in Gegenwart der Offiziere von der Armee öffentlich heraussagen. Die Wahrsager hielten sich nicht auf, das Geheimnis ihrer Physik zu erklären, welches sie vor dem gemeinen Mann verborgen hielten, sie versicherten bloß dem König, die Sonne sei für die Griechen, der Mond aber für die Perser, und sooft der letztere verfinstert würde, so hätten diese ein großes Unglück zu besorgen. Sie führten auch viele alte Beispiele von persischen Königen an, welchen nach den Mondfinsternissen die Götter in der Schlacht zuwider gewesen wären. Nichts ist so kräftig, setzt Q. Curtius138 hinzu, wie der Aberglaube, den Pöbel im Zaume zu halten. So unbändig und wankelmütig er ist, so wird er doch allemal lieber den Wahrsagern als seinen Oberhäuptern gehorchen, sofern sein Gemüt durch ein eitles Bild der Religion gerührt ist. Da also die Antwort der Ägypter unter dem Heer bekanntgemacht worden ist, erwachte die vorige Hoffnung und Herzhaftigkeit. Ebendieser Alexander, da er in Bereitschaft stand, über den Fluß Granikos zu gehen, und zugleich bemerkte, daß der Umstand der Zeit seine Armee furchtsam machte, denn es war der Monat Defius, und von diesem sagte man, daß er von alters her den Unternehmungen der Makedonier zuwider gewesen wäre; so ließ er bekanntmachen, man würde diesem gefährlichen Monat den Namen des vergangenen geben, weil er wohl wußte, wieviel Gewalt ein falscher Religionsskrupel über kleine und unverständige Geister zu haben pflegt. Die erschrockenen Gemüter desto herzhafter zu machen, gab er dem Aristander, seinem Oberwahrsager, der damals opferte, um die Überfahrt glücklich zu machen, heimlich den Rat, er sollte durch Hilfe eines gewissen Saftes es so weit bringen, daß man auf der Leber des Opfers lesen könnte: Die Götter würden dem Alexander gewiß den Sieg erteilen. Dieses ausgebreitete139 Wunder erfüllte die Gemüter mit so großem Vertrauen,[172] daß jedermann schrie, man dürfte nunmehr, nach so augenscheinlichen Zeugnissen des Schutzes der Götter, keine Sorge mehr tragen. Die Geschichte dieses großen Helden enthält noch andere Exempel von gleicher Verschlagenheit, ob er gleich immer gesagt hat, er wolle bloß durch Tapferkeit siegen. Und was noch mehr zu bewundern ist, ebendieser Held, der andern einen blauen Dunst vor die Augen machen ließ, ward zuweilen selbst betrogen, denn in gewissen Gelegenheiten war er sehr abergläubisch. Themistokles140 konnte die Athenienser nicht dahin bringen, daß sie die Stadt verließen und sich auf das Meer begäben, zur Zeit des Krieges mit dem Xerxes. Er nahm die Religion zu Hilfe, wandte Göttersprüche vor und ließ dem Volk durch die Priester sagen, die Minerva habe die Stadt verlassen und sei dem Hafen zugegangen. Philipp, König in Makedonien, ein Mann, der am besten verstand, wie er seine Feinde durch heimliche Verständnisse, die er mit Geld unterhielt, überwinden sollte, hatte so viel Delphische Orakelsprüche zu seinem Befehl, wie er nur wollte. Und daher kam es auch, daß Demosthenes, welcher nicht ohne Grund vermutete, die Priesterin ließe sich durch des Philipps Geschenke bestechen, die Parteilichkeit, welche sie gegen ihn blicken ließ, so lebhaft durchzog, wie solches Minucius Felix und vor ihm Cicero angemerkt.

Es ist leicht zu begreifen, daß ebendieselben Staatsmaximen, welche den Aberglauben der Völker in Ansehung der anderen Wunderzeichen unterhalten, solchen auch in Ansehung der Kometen werden unterstützt haben. Denn wenn ein Komet erschien und man einen benachbarten Prinzen bekriegen wollte, so war nichts leichter, als daß man durch die Sterndeuter bekanntmachen ließ, dieser Komet sei ein Unglückszeichen, insbesondere für diesen Prinzen. Man sagte wohl gar im Ernst, was vielleicht Vespasian nur zum Scherz von einem Kometen gesagt hat141, der unter seiner Regierung erschienen: Das wäre der König der Parther mit seinen langen Haaren, und jener habe sich mehr dafür zu fürchten als er, der ein kurzes Haar[173] trüge. Das hieß zu gleicher Zeit, die Seinigen beherzt, die anderen aber schüchtern machen. Es erscheint aus der sechsten Satire des Juvenals, daß man es so gemacht habe. Denn indem er uns den Charakter von einer Zeitenträgerin gibt, so stellt er sie vor, wie sie in Gesellschaft erzählt, man sähe Kometen, welche dem König von Armenien und dem König der Parther Unglück droheten. Ihre Länder und Städte wären auch schon durch Ergießungen der Flüsse und Erschütterungen der Erde verwüstet worden, welches, wie Sie wissen, mein Herr, außer dem gegenwärtigen Übel, das es brachte, für eine böse Vorbedeutung gehalten wurde.


Instantem regi Armenio, Parthoque Cometen

Prima videt: famam rumoresque illa recentes

Excipit ad portas, quosdam facit isse Niphatem

In populos, magnoque illic cuncta arva teneri

Diluvio, nutare urbes, subsidere terras,

Quocunque in trivio, cuincunque est obvia, narrat.

Welch Unglück der Komet, welch allgemeine Not

Er den Armeniern und dann den Parthern droht

Sieht sie zuallererst. Sie geht von Tür zu Tür,

Schnappt da manch Märchen auf; und manches stammt von ihr;

In wie so manches Land Niphat den Einfall tut;

Das Erdreich decke dort die stärkste Wasserflut;

Es wanke jede Stadt; es zittre jedes Land:

Dies macht sie überall und jedermann bekannt.


Sie sehen hier den Charakter eines Zeitungsschreibers, der ums Brot schreibt. Er weiß allemal eine große Anzahl unglücklicher Begebenheiten, die das feindliche Land verwüsten oder dasjenige, was in feindliche Hände kommt. Es fehlt ihm niemals an der Erzählung vieler trauriger Vorboten, die den Feinden nichts Gutes versprechen. Wer zweifelt, daß nicht die Freunde Cäsars überall werden gesagt haben, der Komet, der nach seinem Tode erschienen, sei ein Merkmal des gegen die Mörder erzürnten Himmels[174] und ein gewisses Zeichen des Schutzes, welchen die Götter denjenigen erteilen wollten, welche seine Ermordung rächen würden. Sie haben unfehlbar gelesen, daß Mahomet einen berühmten Zeichendeuter bestochen, um überall zu verkündigen, es würde eine große Veränderung in der Welt vorgehen und ein großer Prophet eine neue Religion aufrichten. Warum dieses? Die Gemüter vorzubereiten, damit sie sich nicht solchen Begebenheiten widersetzten, welche sie gleichsam für vorherbestimmt und unvermeidlich anzusehen hätten. Haben also die Großen vieles dazu beigetragen, daß man die Kometen für üble Vorboten angesehen, so hat der Pöbel an seinem Beitrag es auch nicht ermangeln lassen. Gemeine Leute sind von Natur geneigt, aus geringen Dingen Prophezeiungen zu ma chen. Sodann befindet sich auch noch bei ihnen eine gewisse Bosheit, vermöge welcher sie sich leicht überreden, diejenigen, die am Ruder sitzen, verwalteten das Regiment nicht nach Gottes Gefallen. Daher machen sie alsdann ihre Glossen darüber, warum man das gemacht, warum man jenes nicht gemacht habe. Und solchergestalt hat nach der Zeit die Staatskunst mit dem Vorurteil der Völker nicht wohl zurechtkommen können, weil man sich zuletzt die fälschliche Einbildung gemacht hat, die Kometen droheten insbesondere Königen und Fürsten den Untergang.


82. Daß die Lobredner vieles zur Unterhaltung des Aberglaubens, in Ansehung der Vorbedeutung, beigetragen

Allen diesen Ursachen des so allgemeinen Vorurteils muß man noch die Schmeichelei der Poeten und Redner hinzufügen. Wenn diese Herren das Lob ihrer Helden verfertigten, so brauchen sie unter anderen Lehrsprüchen auch folgenden: Die ganze Natur habe Ehrfurcht gegen ihn, sie wende alle ihre Kräfte nur für ihn an, sie bekümmere sich über sein Unglück, sie verspreche ihn der Welt noch nr="175"/> ferner, und wenn die Welt sich seines Besitzes unwürdig gemacht, so zünde der Himmel, der ihn wieder zu sich nehmen wolle, neue Lichter an usf. Hat doch Balzac vom Kardinal Richelieu eine so hyperbolische Redensart gebraucht, wenn er spricht: Einen ihm ähnlichen Minister zum Vorschein zu bringen, müßte die ganze Natur arbeiten. Gott verspräche ihn der Welt lange vorher, ehe er ihn wirklich kommen ließe. Man tadelte ihn deswegen, er verteidigte sich aber dadurch, daß er zeigte, andere wären noch weiter gegangen als er, z.B. einer von den Alten, welcher von gewissen Seelen gesagt hat: Der ganze Himmel sei beschäftigt, ihnen ihr Schicksal zu verfertigen, und jener berühmte Italiener zu unsrer Väter Zeiten, der geschrieben hat: Der ewige Verstand ging mit hohen Gedanken um und hatte eine große Absicht im Sinn, als er den Kardinal Hippolytus d'Est erschuf. Ich wundere mich, daß er nicht auch jenen Priester mit angeführt, welcher einstmals zum Kaiser Konstantin gesagt: Die göttliche Vorsorge sei damit nicht zufrieden gewesen, daß sie ihn der Beherrschung des Erdkreises würdig gemacht, sie habe zugleich Sorge getragen, ihm alle die Tugenden zu geben, welche verdienten, daß er nach diesem Leben mit dem Sohn Gottes im Himmel regiere. Unfehlbar hat der unglückliche Ausgang dieser sündigen Schmeichelei den Herrn Balzac verhindert, sich durch ein solch Exempel zu rechtfertigen. Denn Eusebius berichtet, daß Konstantin diesem unverschämten Redner ein Stillschweigen auferlegt hat.

Überhaupt kann man wohl sagen, daß die Schmeichler sich aller erstaunlichen Wirkungen der Natur bedient haben, um den Wert ihrer Helden zu erheben und den Großen der Welt zu gefallen. So bemühten sich die Poeten an dem Hofe des Augustus um die Wette, erweislich zu machen, der Tod Cäsars sei eine Ursache aller darauffolgenden Wunderzeichen gewesen. Horaz sagt es ausdrücklich in der Ode, die ich oben anführte, als ich erweisen wollte, daß die Ergießungen der Ströme für Unglückszeichen im Heidentum gehalten worden sind. Er behauptet: Der Tiberstrom[176] habe bloß aus Gefälligkeit gegen seine Frau Ilia, die den Tod Cäsars, ihres Anverwandten, hätte rächen wollen, das Land so grausam verwüstet. Er gibt zugleich zu verstehen, alle übrigen Unglücksfälle, welche das Reich betroffen oder noch betreffen würden, wären Wirkungen der Entleibung dieses Kaisers. Wenn wir dem Virgil142 Glauben beimessen, so betrübte sich die Sonne dergestalt über den Tod dieses Kaisers, daß sie die Trauer anlegte und ihr Licht so stark verdunkelte, daß man beinahe geglaubt, es nimmermehr wiederzusehen. Indessen hatte man kaum einen Kometen kurz nach des Kaisers Tod leuchten sehen, als andre Schmeichler sagten, es wäre dieses die vergötterte Seele Cäsars, weswegen man auch diesem Kometen zu Ehren einen Tempel widmete und den Cäsar mit einem Stern auf der Stirn vorstellte.143

Ist das nun nicht ein augenscheinlicher Widerspruch? Denn ist die Seele Cäsars vergöttert, glänzt sie im Himmel unter den Sternen, warum trauert die Sonne? Warum verhüllt sie sich in dunkle Schatten? Sollte sie nicht mehr Anteil an der Ehre des Himmels, dem sie angehört, nehmen als an dem Unglück der Stadt Rom? Wahrhaftig, Virgil schmeichelt sehr artig. Da die andern sagen, der Himmel sei durch Cäsars Tod mit einem neuen Stern beehrt worden, so versichert er, die Sonne verfinstere sich deswegen. Hätte er weniger gesunde Vernunft gehabt, so würde er seine Gedanken nach denen der andern eingerichtet und gesagt haben, die Sonne sei so böse geworden, da sie unter dem Gestirne einen neuen Stern erblickt hat, dem der Himmel mehr Ehre angetan als ihr, daß sie sich vor Scham versteckt habe. Allein, er war allzu verständig, als daß er einen Lobspruch hätte brauchen sollen, der, mit Erlaubnis des galanten Herrn Voiture und seines Sonetts, das er auf ein Frauenzimmer gemacht hat, welches sich bei Sonnenuntergang gebadet, allem Ansehen nach demjenigen frostig würde geklungen haben, auf den er gemeint war, denn dieser war; wie einer von seinen Hofleuten sagte, einem Rosse zu vergleichen, das hinten ausschlägt, wenn man es auf eine üble Art schmeichelt.144 Aber was[177] sollen wir vom Ovid sagen, der seine Verwandlungen mit der Verwandlung Cäsars in einen Kometen endigt und uns versichert, daß unter anderen vielen Wunderzeichen, die vor dieses Kaisers Tod vorhergegangen, die Sonne außerordentlich blaß und der Mond mit Blut gefärbt erschienen?

Hier haben Sie, mein Herr, das wahre Mittel, alle diese Schwierigkeiten aufzulösen. Diese sinnreichen Köpfe hatten insgesamt nur eine Absicht, nämlich durch ihre Lobeserhebungen sich bei dem Kaiser Augustus beliebt zu machen. Denn Cäsars halber, der nicht mehr imstande war, sich für Schmeicheleien erkenntlich zu zeigen, würde man wohl nicht viel Verse gemacht haben, wenn er nicht eine Person zum Nachfolger gehabt hätte, die um ihre Ehre ungemein besorgt gewesen. Also lobte man den Cäsar bloß seines Nachfolgers halber. Es war daher einerlei zum Lobe dieses Prinzen, man mochte sagen, die Sonne sei vor dem Tode des Cäsars oder nach demselben verdunkelt worden. Deswegen sagt es Virgil auf diese, Ovid auf eine andere Art, beide aber haben auf eine geschickte Art mit dem Lob des Augustus geschlossen, das sehr wohl geraten und so hoch getrieben worden wie nur möglich.


83. Zu wieviel Dingen ein Komet hat dienen müssen

Daraus kann man sehen, daß einerlei Komet zu vielerlei Absichten dienlich gewesen. Augustus ließ es sich aus politischen Absichten gar wohl gefallen, daß man die Seele Cäsars darunter vorstellte, denn für seine Partei war es ein großer Vorteil, wenn man glaubte, man verfolge die Mörder eines Mannes, der nun unter die Götter aufgenommen wäre.

Es war dieses die Ursache, warum er diesem Kometen einen Tempel145 aufbauen ließ und öffentlich bezeugte, daß er ihn für einen sehr glücklichen Vorboten ansähe. Diejenigen, welche es mit ihm hielten, doch aber so leichtgläubig nicht waren, daß sie diese Verwandlung der Seelen[178] in Sterne hätten für wahr halten sollen, glaubten wenigstens oder beredeten andere: Die Götter bezeugten durch diesen Kometen, wie erzürnt sie gegen den Brutus und Cassius wären. Diejenigen, die im Herzen noch gute Republikaner waren, sagten im Gegenteil, die Götter bewiesen dadurch ihren Unwillen, daß man nämlich nicht die Partei der Retter des Vaterlandes unterstützen wollte, und auch diese letzteren mochten auf seiten ihrer nichts vergessen, diesen Kometen nach dem damaligen Aberglauben sich zunutze zu machen. Und kurz: Die Poeten fanden darin Gelegenheit, nicht nur prächtige Beschreibungen zu machen und die ganze Natur zur Ehre ihres vergötterten Helden in Bewegung zu setzen, sondern auch ihren noch lebenden Helden zu schmeicheln, darauf es auch am meisten abgesehen war.

Ich sage dieses nicht nur als eine Mutmaßung. Geben Sie sich einmal die Mühe und sehen Sie die Stelle aus dem Virgil an, die ich Ihnen bereits angeführt habe. Sie werden gewahr werden, daß er also schließt: Es gefiele wenigstens den Göttern, die wohl das Herz gehabt hätten, zu sehen, daß die Flächen in Thessalien von dem Blut der Römer zweimal wären überschwemmt worden, nicht zu verhindern, daß Augustus das Reich wieder in Schwung brächte, welches sie hätten verderben lassen. Der Himmel beneide Rom schon lange wegen des Bisitzes Augusts' und sei gar nicht wohl damit zufrieden, daß er so oft auf Erden triumphiere. Lesen Sie auch das letzte Kapitel von den Verwandlungen des Ovids, Sie werden darin antreffen, daß, wenn Cäsar unter die Götter versetzt worden, er solches den Verdiensten seines Nachfolgers, den er an Kindes Statt angenommen habe, ebensowohl wie seinen eigenen zu danken gehabt. Ich will Ihnen den Verdruß ersparen, den Sie beim Suchen aller dieser Stellen haben möchten. Hier haben Sie eine, die gewiß vollkommen artig ist und von der Seele Cäsars redet:


Simul evolat altius ista

Flammiferumque trahens spatioso limite crinem,

[179] Stella micat: Natique videns benefacta, fatetur

Esse suis maiora, et vinci gaudet ab isto;

Hic sua praeferri quamquam vetat acta paternis

Libera fama tamen, nullisque obnoxia iussis

Invitum praefert, unaque in parte repugnat.

Der Stern schwingt sich empor und streut sein flammicht Haar

Durch den so weiten Raum. Er wird den Sohn gewahr,

Sieht seine Wohltat an, räumt ihm den Vorzug ein

Und schätzt sich's für ein Glück, von ihm besiegt zu sein.

Der Sohn begehrt den Rang vor seinem Vater nicht:

Allein der freie Ruf, der frei vom Zwange spricht,

Folgt hier des Vaters Wort; und da er ihn erhebt,

Sieht man, daß er dem Sohn nur hier zuwiderlebt.


Besorgte ich nicht, Ihnen durch Anführung allzu vieler Stellen beschwerlich zu fallen, so wollte ich Ihnen die Schmeichelei anführen, der man sich gegen den Kaiser Adrian bediente, als er über das Absterben seines Lieblings, des Antinous, tödlich betrübt war, da man ihm nämlich sagte, seine Seele wäre in einen Stern verwandelt worden, weil eben zu der Zeit sich ein neuer Stern sehen ließ. Ich würde Ihnen den Claudian146 anführen, der daraus eine glückliche Vorbedeutung für den Kaiser Honorius zog, weil am hellen Mittag, ungefähr um die Zeit seiner Geburt, ein Stern erschienen. Ich würde hinzusetzen, man habe gesagt147, daß der Himmel durch zwei bewundernswürdige Kometen die bevorstehende Größe des Mithridates vorherverkündigt habe, davon der eine das Jahr, da er geboren worden, und der andere, da er zu regieren angefangen, am Himmel gestanden. Ich würde nicht vergessen, daß die Vogeldeuter, als sie wegen der Ergießung des Tiber befragt worden, die in eben der Nacht geschehen war, darin Oktavius den Zunamen Augustus bekommen hattet zur Antwort gegeben, es bedeute dieses den hohen Gipfel der Ehre, den er erreichen würde. Daraus[180] kann man sehen, daß die Poeten nicht die einzigen gewesen sind, welche die Natur der Neigung der Großen gemäß eingerichtet haben. Mit einem Wort: Ich würde hundert andere Stellen anführen, daraus man erweisen könnte, daß die Begierde zu gefallen, zu schmeicheln und Dinge wunderbar zu machen der Grund gewesen, warum man schlechterdings natürliche Wirkungen für außerordentliche Wunderzeichen ausgegeben hat. Ging ein König oder eine Königin mit Tode ab, nachdem kurz vorher ein Komet erschienen war, gleich sagte man überall: Es habe der ganzen Natur dieses große Unglück geahnt, deswegen sei sie in Bewegung geraten und habe neue Sterne zum Vorschein kommen lassen. Und da dieses so oft gesagt wurde, so fingen die Menschen endlich an zu glauben, wenn sich Kometen sehen ließen, so sei es ein Zeichen, daß die Natur eine ähnliche Ahnung habe. War bei der Geburt eines mächtig und sieghaft gewordenen Prinzen ein Komet erschienen, wie bemüht waren nicht die Lobredner, wenn sie nach den Lehrsätzen der Rhetorik die vorhergehenden und mitfolgenden Zeichen dieser Geburt durchgingen, vor allen anderen den neuerschienenen Stern herauszustreichen. Mit einem Wort: Es war unmöglich, daß man den Kometen dafür hätte ansehen können, was er wirklich gewesen, nämlich für ein natürliches Gestirn. Wieviel Leute gab es nicht, die insgesamt ein Wunderwerk aus ihm machen wollten. Je mehr man den Menschen kennenlernt, je mehr findet man, daß der Hochmut seine herrschende Neigung ist und daß er mitten in seinem traurigsten Elend doch noch nach Ehre strebt.148 So eine elende und hinfällige Kreatur er ist, so hat er sich doch einbilden können, er könnte nicht sterben, ohne daß die ganze Natur in Unordnung geriete und der Himmel gezwungen würde, neue Kosten aufzuwenden, die Pracht seines Leichenbegängnisses mit Fackeln zu beleuchten. Närrischer und lächerlicher Hochmut! Hätten wir einen richtigen Begriff von dem Weltgebäude, so würden wir bald einsehen, daß der Tod oder die Geburt eines Prinzen ein so geringer Umstand in Ansehung[181] der ganzen Natur aller Dinge ist, daß es sich der Mühe nicht verlohnt, daß man sich im Himmel deswegen nur regen sollte. Wir würden mit demjenigen, der unter den Weltweisen des alten Roms die erhabensten Gedanken gehabt hat, sagen: Die Vorsorge Gottes erreiche uns zwar auch, und wir wären allerdings ein Gegenstand derselben, ihr Endzweck aber gehe auf weit wichtigere Dinge als unsere Erhaltung, und obzwar die Himmelsbewegungen149 uns große Vorteile zuwege brächten, so könnte man doch nicht sagen, daß dieser ungeheure Körper sich bloß der Erde zu Gefallen bewegte.150 Vergeben Sie, daß ich einem Gedanken meinen geringen Beifall nicht versage, der von denjenigen niemals für orthodox erklärt werden wird, welche die Kometen als Vorboten ansehen. Es haben sich allzu viele Leute unterfangen, ihnen diese Eigenschaft beizulegen, wie wäre es denn möglich gewesen, diesen Irrtum zu vermeiden?

Wenn Sie dabei noch dies erwägen: Daß der Weltlauf allemal unzählige Zerrüttungen und Unglücksfälle mit sich bringt und es daher auch nach dem Erscheinen der Kometen daran nicht fehlen kann, daß in der Welt mehr Fälle von außerordentlichem Unglück wie ausnehmendem Glück erfolgen, daß die Menschen das Böse allemal besser im Gedächtnis behalten als das Gute, daß diese, was die Prophezeiungen betrifft, sich eher durch eine betrügen lassen, welche ungefähr eingetroffen, als daß sie sich durch zwanzig andere, die falsch gewesen, auf bessere Gedanken sollten bringen lassen, daß sie also bei denjenigen Kometen, welche etwas Böses nach sich gezogen haben, aufmerksamer gewesen sind als bei denjenigen, die davon nichts verursacht, daß es mehr gekrönte Häupter gibt, welche eines ordentlichen Todes sterben, als deren, die wie Mithridates umkommen. Wenn Sie, sage ich, alles dieses nebst meinen anderen angeführten Anmerkungen erwägen, so werden Sie leicht begreifen, daß es beinahe nicht anders hat sein können: Die Heiden haben müssen überhaupt von der Meinung eingenommen sein, daß die Kometen Unglückszeichen wären.
[182]

84. Warum die Christen in Ansehung der Kometen ebendas Vorurteil haben, das bei den Heiden anzutreffen war

Nun darf man sich ebensosehr nicht wundern, warum die Christen von ebendemselben Vorurteil eingenommen sind, denn sie sind Nachkommen der Heiden und, die Abgötterei ausgenommen, haben sie fast ebendie Schwachheiten, die die Heiden gehabt haben. Das große Werk der Predigt der Apostel bestand darin, den wahren Gott und seinen Sohn, der Gott und Mensch zugleich war, der für uns gestorben und auferweckt worden ist, bekanntzumachen, das menschliche Herz mit Liebe zu Gott und zu einem heiligen Wandel zu erfüllen, den Götzendienst abzuschaffen und die Herrschaft des Lasters gänzlich auszurotten. Dies war der Zweck, worauf die Bekanntmachung des Evangeliums abzielte. Im übrigen hatte Gott ganz und gar nicht die Absicht, indem er die Heiden aus ihrer Finsternis herausriß und sie in das Reich seines wunderbaren Lichtes versetzte, wie die Schrift redet, bessere Philosophen aus ihnen zu machen, ihnen die Geheimnisse der Natur zu entdecken, sie gegen die Vorurteile und pöbelhaften Irrtümer dergestalt zu befestigen, daß es ihnen unmöglich sein sollte, darein zu verfallen. Die Erfahrung zeigt solches augenscheinlich. Man sieht eben nicht, daß diejenigen Personen, welchen Gott die Schätze seiner Gnade im Überfluß mitteilt, welche er mit dem stärksten Glauben und einer recht brennenden Liebe anfüllt, den durchdringendsten Verstand besäßen, mit der größten Bündigkeit schlössen und über tausenderlei falsche Schlüsse hinweg wären, die gegen der Seelen Seligkeit nichts zu bedeuten haben. Man kann daher gar wohl sagen, daß die Heiden die christliche Religion angenommen und alle die Vorurteile beibehalten haben, welche sie noch im Heidentum, in Ansehung natürlicher Dinge oder überhaupt in solchen Dingen, hatten, welche die Glaubenswahrheiten nicht aufheben.

Sie sind allzu gelehrt, mein Herr, als daß ich Ihnen diese Anmerkung erst machen dürfte, und Sie würden dieselbe[183] einsehen, wenn Sie auch Ihr Lebtag nichts als des Herrn Nicole Schriften gelesen hätten, denn hier haben Sie eine Stelle aus diesem Meisterstück, welches er aus einer recht christlichen Bescheidenheit nur Proben der Moral nennt, wo er sich also ausdrückt: Obgleich Jesus Christus voller Wahrheit war, wie der heilige Johannes sagt, so sieht man doch nicht, daß er sich unterfangen, den Menschen andere Irrtümer zu nehmen als diejenigen, welche Gott und die Mittel ihres Heils angingen. Er wußte alle ihre Vergebungen in Dingen, die die Natur betrafen. Er verstand besser als jemand das Wesen der wahren Beredsamkeit. Die Wahrheit vergangener Begebenheiten war ihm vollkommen bekannt. Und dennoch hat er niemals seinen Aposteln Befehl erteilt, weder die Irrtümer der Menschen in der Naturlehre zu bestreuen, noch denselben die Kunst, geschickt zu reden, beizubringen, noch auch ihnen die unzähligen Fehler, die man in ihren Historienbüchern antraf, vor Augen zu legen.151

Es erhellt aus den Schriften der Kirchenlehrer, die sich vom Heidentum bekehrt haben, daß, wenn sie vorher Platoniker gewesen, sie noch die Art und den Geist dieser Sekte beibehalten haben. Es ist daher gar kein Zweifel, diejenigen, welche geglaubt haben, die Verfinsterungen, die Kometen, die Erdbeben und dergleichen Dinge wären üble Vorboten, werden solches auch noch nach ihrer Bekehrung geglaubt und gedacht haben, sofern sie nur dasjenige dem Zorn Gottes und ihren Sünden zuschrieben, was sie sonst der Unterlassung einer abergläubischen Zeremonie zugeschrieben haben, so wäre diese Meinung so böse eben nicht, denn auf solche Art haben sich die Irrtümer des Pöbels, die im Heidentum überhandgenommen hatten, bei der Gesellschaft der Gläubigen von Zeit zu Zeit mit eingewurzelt, nur diejenigen ausgenommen, welche die Geheimnisse der Religion offenbar übern Haufen werfen. Denn sobald man gesehen, daß eine Meinung nicht als ketzerisch verdammt worden ist, so ist man, ohne viel Umstände zu machen, dem großen Haufen nachgefolgt, der davon eingenommen gewesen ist.152 Wenig Leute gaben[184] sich die Mühe, zu untersuchen, ob die allgemeinen Meinungen wahr oder falsch sind. Ist es nicht genug, sagt man bei sich selbst, daß unsere Väter dieselben auch gehabt haben?


85. Einführung verschiedener heidnischer Zeremonien in das Christentum

Es ist sogar wahr, daß, da man in der ersten Kirche gewahr worden ist, die allzu große Einfalt des Gottesdienstes, welche die Apostel gelehrt haben, schicke sich nicht für diejenige Zeit, da die Hitze des Eifers abgenommen, und es erfordere daher die christliche Klugheit, in den Gottesdienst verschiedene Zeremonien einzuführen, daß man alsdann, sage ich, insbesondere diese Bräuche dazu erwählt hat, welche unter den Heiden am meisten in Schwange gegangen, weil man entweder dieselben überhaupt für geschickt angesehen, eine Ehrfurcht für heilige Sachen bei dem Volk zu erregen, oder weil man geglaubt hat, es würde dieses ein Mittel sein, die Ungläubigen anzulocken und sie durch eine gewissermaßen unvermerkte Veränderung zu Jesu Christo zu bringen. Wenn die Hugenotten uns die Ähnlichkeit unserer Zeremonien mit den Gebräuchen der alten Heiden vorwerfen und dieselbe sogar durch richtige Stellen erweisen, so gibt es viele von unseren Lehrern, welche ihnen ins Gesicht sagen, daß dies falsch sei, es wären lauter Verleumdungen, die von den reformierten Predigern ersonnen worden, um unsere Religion verächtlich zu machen. Diejenigen aber, welche so geschickt wie redlich sind, geben dieses zu153 und führen tüchtige Gründe an, das Annehmen verschiedener Gebräuche aus dem Heidentum zu rechtfertigen. Sie sagen, es hieße dieses die Schätze von Ägypten zum Bau der Stiftshütte anwenden, wie die Juden getan haben. Man ahme darin dem Salomo nach, der von einem abgöttischen König die Materialien und Bauverständigen zum Tempelbau des wahren Gottes hat kommen lassen. David154 habe[185] sich kein Gewissen daraus gemacht, mit der Krone voller Edelsteine zu prangen, die er dem Götzenbild Melchom vom Kopfe gerissen. Gott erlaube ja den Juden, sich mit ihren Sklavinnen zu verehelichen und die Moabiterinnen in Töchter Zions zu verwandeln, sofern sie ihre Nägel beschnitten, ihnen das Haar abschören und in Ansehung ihrer gewisse Reinigungen vornähmen.155 Und also könnten auch wir nach geschehenen Einschränkungen und gewissen Reinigungen die Beute des Heidentums uns zunutze machen, wie solches der heilige Hieronymus anmerkt. Der Kardinal Varonius gibt es zu, daß die Kirche solches oft getan habe, denn nachdem er sehr aufrichtig zugestanden, daß das Lichtmeßfest seinem Ursprung nach ganz und gar heidnisch sei, so setzt er hinzu: Vielen anderen abergläubischen Gebräuchen der Heiden sei eben das widerfahren; man habe sie nämlich auf eine löbliche Art in die Kirche eingeführt, nachdem sie vorher durch einen heiligen Gebrauch gereinigt und geheiligt worden sind.156 Urteilen Sie nun, mein Herr, ob die Irrtümer und Vorurteile der Heiden in Ansehung der Vorbedeutungen so gar viel Schwierigkeit gefunden, sich in die christliche Religion mit einzuschleichen, da man den falschen Gottheiten nichts zuschrieb und nur die Zeremonien ihrer falschen Religion aus Gnade annahm, nachdem sie vorher gehörig gesäubert worden.


86. Daß die falschen Bekehrungen der Heiden viele Irrtümer in das Christentum einführten

Es ist noch ein Umstand, der Gelegenheit gegeben, daß die Irrtümer des Heidentums in die christliche Kirche versetzt worden sind. Ich meine die große Menge der Falschbekehrten. Denn wieviel glauben Sie wohl, mein Herr, daß Heiden gewesen, die nur dem Scheine nach, unter Konstantins und Theodosius, den Götzendienst abgeschworen, als die christliche Religion die herrschende ward und man getauft sein mußte, um bei demjenigen wohl gelitten zu[186] sein, der unser Glück befördern sollte? Vielleicht waren deren noch nicht so viele, als noch die christlichen Kaiser die Heiden aus politischen Absichten verschonen mußten. Allein, ich irre sehr, wenn zu der Zeit, da Theodosius sich's in allem Ernst vornahm, das Heidentum auszurotten, nicht viele von den Heiden gewesen, welche, ohne einen andern Beweggrund zu haben als diesen, um mit dem Fürsten einerlei Religion zu sein, in den Schoß der Kirche aufgenommen worden sind. Ich behaupte ein Gleiches von den Franzosen, welche Heiden waren, da sich Clovis zum christlichen Glauben bekehrte. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Gott einige davon erleuchtet habe und daß seine Vorsorge, welche sich sehr oft unsrer Neigungen bedient, um uns von unsern Irrwegen abzuführen, sich auch des starken Eindrucks bedient habe, welchen das Exempel eines großen Königs in den Gemütern machen kann, um die Augen einiger seiner Hofleute zu öffnen. Es ist aber auch sehr wahrscheinlich, daß viele darunter gewesen, die sich taufen lassen haben, bloß damit sie es mit der stärksten Partei halten möchten. Sind die heidnischen Philosophen, welche die Rede mit angehört haben, die Konstantin vor den Vätern des Nicänischen Konzils zum Beweis der Gottheit Christi gehalten, dadurch mehr gerührt worden als durch alle die Schutzschriften der Christen, die sie jemals gelesen? Ist die christliche Religion ihnen niemals so glaubwürdig vorgekommen, als da ein großer Kaiser in aller seiner Majestät für dieselbe redete, so können ja wohl auch viele von den Hofleuten durch den Anblick eines großen Königs, der das Evangelium annimmt, und durch die Gewalt eines so großen Exempels bewegen worden sein, ihm nachzufolgen, ohne die Sache weiter zu untersuchen. Man kann daher sagen, daß zu diesen glücklichen Zeiten das Beispiel einiger Leute zur Überzeugung der andern von einer Provinz zur andern gedient habe und daß also viele Personen aus allerhand Ständen und Lebensarten in die Kirche gekommen, ohne daß sie eine wahre Berufung gehabt und alle ihre Vorurteile mit hineingebracht haben.


87. Von der Neigung der Menschen, es mit der herrschenden Religion zu halten, und was das der wahren Kirche für Schaden bringt

[187] Der Herr von Mezerai157 führt von der Katharina von Medici einen Umstand an, der mir merkwürdig zu sein scheint. Als es in der Schlacht bei Dreux um die königliche Partei im Anfang übel aussah, strichen einige Flüchtlinge bis nach Paris, wo sie ausbreiteten, es wäre alles verloren. Katharina von Medici, ohne darüber in Bewegung zu geraten, sagte nur soviel: Wohlan! Man wird also Gott auf französisch anbeten müssen, und fing zugleich an, den Freunden des Prinzen von Condé zu schmeicheln und die neuen Meinungen der Religion zu loben. Man sieht daraus, daß sie den Untergang der katholischen Religion in diesem Königreich mit Gelassenheit würde angesehen haben und daß sie ganz bereit gewesen, dieselbe der Partei von der neuen Religion aufzuopfern, sofern sie die stärkste geworden wäre. Diese Menge von Hoffräuleins, die sie nur dazu hielt, um sich Anhänger zu machen, es mochte kosten, was es wollte, würde ebensoleicht zu überreden gewesen sein, man müßte Gott auf französisch anbeten, sofern nur der siegende Prinz von Condé dieselben mit Vorteil an reformierte Herren vermählt hätte. Und also würde ein jeder nach dem Exempel der Königin sich die neue Religion haben belieben lassen, entweder um ihre Bedienungen zu behalten oder durch das Ansehen des Prinzen einige zu erlangen. Es beruhte also nur auf einer Schlacht, die durch die königlichen Heere hätte dürfen gewonnen werden, so wäre aus der herrschenden Religion eine geduldete und verschmähte geworden, die man haufenweise verlassen hätte, um desto leichter emporzukommen. Dreißig Jahre darauf wäre ebendas er folgt, wenn Heinrich IV. die Ligue durch Gewalt der Waffen hätte trennen können. In diesem Falle würde man keine Unterredungen zu Sureine angestellt, keine Versprechen getan haben, sich belehren zu lassen. Der siegreiche König würde seiner Religion halber kein Bedenken getragen haben,[188] er würde sie auf den Thron gesetzt haben, und für die Katholiken würde es ein großes Glück gewesen sein, wenn sie ein Edikt von Nantes erhalten hätten, um wenigstens nur geduldet zu werden. Man würde auf eine schnöde Art mit ihnen verfahren sein, und weil die Hugenotten damals noch so erhitzte Eiferer unter sich hatten, die zu Land und Wasser umherzogen, um einen Judengenossen zu machen, so wie wir deren heutzutage durch die Gnade Gottes und des Königs haben, so würde man von nichts als von Bekehrungen haben sprechen hören. Alle Aufseher der Provinzen würden Marillacs gewesen sein, und ich weiß nicht, mein lieber Herr, was Sie und ich jetzt sein würden. Es kommt mir sehr wahrscheinlich vor, daß Ihr Herr Großvater, der eine schöne Bedienung und viel Kinder hatte, würde ein Hugenotte geworden sein, um diese Bedienung zu behalten und seine Familie zu unterstützen. Sie würden also wohl gar jetzt reformierter Prediger in Paris sein. Denn hätte ihr Vater das gute Geschick, das Sie zum Studieren hatten, und Ihr theologisches Naturell gesehen, so würde er Sie gewiß zur Kirche bestimmt haben. Was meine Vorfahren betrifft, so glaube ich ganz gewiß, sie würden ebendas getan haben, was ich die Hugenotten in meiner Nachbarschaft alle Tage tun sehe, welche, um nur ein für allemal von der frommen und christlichen Überlast der Pfaffen und Mönche loszuwerden, und um die Vorteile im Himmel und auf Erden zu erlangen, da man ihnen verspricht, sie sollten von allen Abgaben und von aller Ungerechtigkeit, die ihnen oft durch einen sehr unordentlichen Eifer (das ich doch nicht gern gegen jedermann sagen möchte) angetan worden ist, völlig frei sein, sich stellen, als ob sie katholisch würden.

Nun ist es aber gewiß, alle diese vermeintlichen Bekehrungen unserer Voreltern würden ihre heimliche Verehrung der Jungfrau Maria, der Heiligen, der Reliquien, der Bilder und der Ordenskleider nicht verhindert noch die fromme Leichtgläubigkeit aus ihren Herzen gerissen haben, die ihnen von der Wiege an in Ansehung der Wunder, des Fegefeuers und was daraus fließt, eingeblasen[189] worden ist. Wir würden ebenfalls. Sie und ich und unseresgleichen, etwas davon behalten haben, so gute Calvinisten wir auch gewesen sein würden. Das sage ich Ihnen deswegen, daß, wenn man eine Religion nur aus politischen Absichten annimmt, man alle seine Vorurteile nicht ablegt, und das haben viele Heiden getan, indem sie sich zum christlichen Glauben bekannt haben,


88. Anmerkung über die gegenwärtigen Bekehrungen der Hugenotten

Es ist mir lieb, daß ich hierauf verfallen bin, weil es mir Gelegenheit gibt. Sie zu fragen, was Sie wohl von den vielen Siegen denken, die wir unaufhörlich über die vermeintliche reformierte Religion erhalten. Ich weiß. Sie sind ein sehr eifriger Katholik, und ich kenne wenig Leute, die es Ihnen darin gleichtun. Ich könnte daher beinahe auf die Gedanken geraten, Sie hätten so viel Freude über die Siege, die wir über die reformierte Partei davontragen, daß Sie nicht Zeit genug übrigbehielten, die Folgen und Umstände derselben zu untersuchen. Doch da ich sonst weiß, daß Ihr Eifer Sie nicht verhindert, einen gründlichen Verstand zu haben, so kann ich es mir einbilden, daß Sie weiter hinaussehen als andere. Weil ich daher Ihre Gedanken in diesem Fall nicht recht erraten kann, so wollte ich Sie wohl um Eröffnung derselben gebeten haben. Darf ich nur den Anfang machen, um Sie zu einer solchen Vertraulichkeit zu bringen, so ist der Handel richtig, denn dieses sind meine wahren Gedanken davon.

Ich finde nicht, daß man dem wahrhaften Geist des Christentums nahekommt, wenn man die Bekehrung mit Geld und dadurch erzwingen will, daß man das Schicksal derjenigen, welche sich nicht bekehren, unglücklich macht. Ich gebe zu, daß bei den Umständen, darin die Calvinisten von Frankreich sich jetzt befinden, diese Mittel sich ungemein wohl schicken, sie von ihrer Religion abzubringen;[190] denn sie haben jenes erste Feuer und jene Hitze verloren, welche alle großen Veränderungen begleitet und die sich dieser Ursache halber in einer großen Stärke bei ihren Vorfahren befanden. Allein, frei zu reden, ich glaube nicht, daß es das wahre Mittel sei, gute Katholiken aus ihnen zu machen, und darauf sollte man doch einzig und allein bedacht sein. Wir haben ohnedem schon so viel liederliches und gottloses Gesindel unter uns, daß wir den lieben Gott vielmehr bitten möchten, er wolle doch alle diejenigen aus seiner Kirche herausjagen, welche dieselbe durch ihren unordentlichen Wandel verunehren, als daß wir die Anzahl derselben durch eine solche Menge falsch bekehrter und socinianischer Prediger, die sich von Tag zu Tag mit einfinden, vergrößern sollten.

Sie werden mir unfehlbar sagen, das sei nicht die Meinung derjenigen, welche an der Ausrottung des Calvins arbeiten, daß sie nämlich die Menge der liederlichen Leute, die unter uns sind, vermehren wollten. Ich glaube es auch, mein Herr. Allein Sie wissen wohl, was man aus der Philosophie denjenigen antwortet, welche viel trinken und doch versichern, sie hätten die Absicht nicht, sich vollzutrinken. Man spricht zu ihnen: Hätten sie nicht gleich die Absicht (formaliter) ausdrücklich, so hätten sie dieselbe doch wenigstens interpretative, das heißt, sie hätten eine Absicht, die man vernünftigerweise so auslegen könnte, als wollten sie sich betrinken. Wir wollen das ebenfalls von unsern Bekehrern sagen. Sie wollen zwar nicht formaliter, ausdrücklich, daß die Hugenotten böse Katholiken werden sollen, sie wollen es aber doch interpretative, weil sie solche Dinge wollen, die schlechterdings zu einer falschen Bekehrung Anlaß geben. Denn sie verlangen, die Hugenotten sollen arm sein, wenn sie bei ihrer Religion verbleiben; sie sollen ihre Bedienung, ihre Ämter einbüßen, sie sollen tausend schimpflichen Anfällen ausgesetzt sein, sie sollen sich nicht versammeln können, ohne tausenderlei Verdrießlichkeiten auszustehen. Man bietet ihnen allerhand Vergnügungen an, wenn sie ihrem Glauben abschwören, man befreit sie von einem sehr[191] schweren Joch, man erleichtert ihnen den Zugang zu Reichtümern und Ehrenstellen. Man müßte die Natur des Menschen gar nicht kennen, wenn man nicht wissen wollte, daß in jetzigen Zeiten eine unzählige Menge von Leuten anzutreffen sei, die alles glauben würden, was man nur wollte, sofern sie so viel damit gewinnen könnten.

Da wir zwei Arten von Bekehrern haben, die einen in kurzen, die anderen in langen Röcken, so glaube ich nicht, daß man von beiden auf einerlei Art urteilen dürfe. Diejenigen, die in langen Kleidern gehen, scheinen mehr Verantwortung auf sich zu haben als die andern, teils weil sie alle diese Arten zu bekehrendem König beigebracht haben, teils weil ihnen auch aus der Kirchenhistorie die Verdammung dieser Arten bekannt sein muß; dahingegen die Bekehrer mit kurzen Röcken bloß den Befehl des Königs ausrichten und in dem Stande nicht sind, daß sie wissen könnten, was die alten Kirchenlehrer davon sagen.

Sie erlauben, daß ich Ihnen eine Stelle aus dem Sokrates158 anführen darf, die zu gleicher Zeit erweist, daß diese Arten zu bekehren von den alten Christen verworfen worden sind und eine unzählige Menge angereizt haben, ihrem Glaubensbekenntnis abzuschwören. Ich weiß wohl, daß Ihnen diese Stelle nicht unbekannt ist, allein Sie wissen vielleicht nicht, daß ich dieselbe auch weiß. Ich will daher, wenn Sie erlauben, mich mit derselben bei Ihnen breitmachen. So schreibt Sokrates: Was die allzu große Grausamkeit betrifft, die man unter der Regierung Diokletian gebraucht hatte, deren wollte sich der Kaiser Julianus nicht bedienen. Und dennoch verfolgte er die Kirche. (Merken Sie wohl die folgenden Worte.) Denn ich nenne das eine Verfolgung, wenn Leute, die ruhig leben, auf was für eine Art es auch sein möge, beunruhigt werden. Nun beunruhigte er aber die Christen auf folgende Art: Er gab ein Gesetz, darin er ihnen das Studieren verbot, damit sie, sagte er, durch Hilfe der Wissenschaften nicht mehr so leicht den heidnischen Philosophen antworten könnten. Er entfernte sie auch von aller Kriegsbedienung nr="192"/> bei Hofe und von aller Verwaltung der Provinzen, und so zog er ihrer viele teils durch Liebkosungen, teils durch seine Freigebigkeit, zum Götzendienst. Man sah damals wie in einem Schmelztiegel, welches falsche und welches wahre Christen waren, denn die wahren Christen verließen ihre Bedienungen mit Freuden und waren bereit, lieber alles zu erdulden, als den Glauben zu verleugnen, diejenigen aber, welche, anstatt daß sie hätten Christen sein sollen, der wahren Glückseligkeit Reichtümer und Ehrenstellen vorzogen, besannen sich nicht lange, den Göttern in opfern. Er gedenkt alsdann eines Sophisten mit Namen Ecebolius, der ein wahres Bild unzähliger Leute ist. Er hatte allemal die Religion, die die Kaiser hatten. Unter der Regierung Konstantins stellte er sich, als ob er einen bewundernswürdigen Eifer für das Evangelium hätte, aber unter dem Julian schien er dem heidnischen Aberglauben ungemein ergeben zu sein. Nach dem Tode Julians, als das Christentum wieder auf den Thron kam, nahm auch der Sophist wiederum den Namen eines Christen an. Endlich berichtet Sokrates, daß unter diesem abtrünnigen Kaiser die Christen gezwungen worden sind, ungeheure Summen Geldes zu bezahlen, um sich von der Verbindlichkeit, den Götzen zu opfern, loszukaufen.

Ein jeder ehrliche Mann wird diese Art zu bekehren für verdammlich erklären, und wären die Götter des Julians vernünftig gewesen, so würden sie für denjenigen Christen eine Abscheu gehabt haben, welche ihnen nur deswegen geopfert, damit sie von der Geldstrafe loskämen, welche sie sonst zu zahlen auf das strengste wären angehalten worden. Was für Gefallen wird daher Gott wohl an so vielen Hugenotten haben, die sich nur ums liebe Brot bekehren? Gott, sage ich, der unendlichemal mehr verdient, daß man ihn bloß seinetwegen verehrt, als die heidnischen Gottheiten.

Ich bin beinahe gewiß versichert, Sie werden nicht glauben, daß ich in der Kirchenhistorie so stark bewandert sei, daß ich von einem griechischen Bischof mit Namen Asterius,[193] der zu Ende des 4. Jahrhunderts gelebt, sollte gehört haben. Und doch ist es wahr, daß ich diesen Namen kenne und seine Homilie gegen den Geiz gelesen habe, darin ich eine Stelle gefunden, die sich nicht übel hierher schickt: Wer ist derjenige, ruft er aus, der die Christen gezwungen, sich dem Götzendienst zu überlassen? Ist es nicht die Begierde nach Reichtümern? Ist es nicht die Hoffnung, das Versprechen, irdische Güter und Ehrenstellen zu erlangen, das ihnen die Ungläubigkeit gegeben, welches diese Elenden bewogen, die Religion zu ändern, die man sonst mit Kleidern ändert. Wir erinnern uns noch der Beispiele der ersteren Zeiten, und wir haben deren auch sehr betrübte in unsern Tagen gesehen. Denn als der Kaiser (Julian) die Larve vom Gesicht nahm und auf einmal entdeckte, was er so lange Zeit verborgen hatte, als er öffentlich den Götzen opferte und die andern durch allerhand Belohnungen anreizte, ein Gleiches zu tun, wieviel gab es nicht deren, die die Kirche verließen, um mit den Götzendienern Gemeinschaft zu haben? Wieviel waren deren nicht, die, durch allerhand Lockspeisen angekirrt, sich durch die Gottlosigkeit fangen ließen?

Man darf nicht zweifeln, daß die Heiden nicht ebendas sollten gesagt haben, als die christlichen Kaiser die Abgöttischen durch die Hoffnung, ihr Glück zu machen, zur wahren Religion gezogen. Und auch dieses ist gewiß, sie hätten mit Grund behaupten können, daß viele von ihnen abgingen, bloß um dem Fürsten gefällig zu werden. Denn es ist ausgemacht, wie ich schon angemerkt habe, daß zu des Konstantins, Theodosius und Clodoväus Zeiten der größte Teil der Heiden, welche gute Hofleute sein wollten, entweder weil sie gar kein Gewissen gehabt oder weil sie geglaubt, sie könnten Gott auf allerhand Art verehren, die wahre Religion angenommen hat. Gott weiß es, was für Dank das Evangelium ihnen dafür schuldig ist und wie viel die Wahrheit dabei gelitten hat! Diese Falschbekehrten; sind ein Same des Aberglaubens und der Irrtümer gewiesen, davon die Kirche vielleicht noch nicht frei ist. Wir haben für jetzt von unsern Falschbekennern gerade[194] das Gegenteil zu besorgen, nämlich einen Samen des Unglaubens, der nach und nach unsern Grund umreißen und mit der Zeit alle die ehrwürdigen Dinge, welche bei uns am meisten im Schwange sind, bei unserm Volk verächtlich machen wird. Gehen wir nun in diesen Stücken ab, wie wird es mit den Gründen unsers Glaubens aussehen, welche bloß auf der Unfehlbarkeit und folglich auf der Unveränderlichkeit der Kirche beruhen? Sagen Sie mir nicht: Wenn auch unsere neuen Katholiken nach und nach die Abschaffung gewisser Gebräuche bei uns einführten, so blieben doch die Entscheidungen der Konzilien unangetastet. Der Bischof von Condom mag sagen, was er will. Meines Erachtens kann man die Unfehlbarkeit der Kirche nicht retten, wenn man den Protestanten zu Gefallen die Kirchengebräuche abschafft, welche ihnen anstößig vorkommen. Ich werde vielleicht Gelegenheit finden, davon weitläufiger mit Ihnen zu sprechen, ehe ich noch schließe. Ich werde sie nicht eben suchen, aber wenn sie sich zeigen sollte, so verspreche ich Ihnen, daß ich sie nicht vorbeilassen werde.

159Wenn ich an die Anmerkung gedenke, welche die Rabbiner machen, daß die Heiden, welche in großer Anzahl und als Judengenossen das Volk Gottes bei seinem Ausgang aus Ägypten begleitet haben, die ersten Urheber des Goldnen Kalbes und aller Empörungen der Israeliten in der Wüste gewesen sind, so zittere ich der katholischen Kirche halber und bilde mir gewiß ein, diese Neubekehrten werden bei Gelegenheit mehr als hundertmal gegen viele Dinge ein Murren erwecken, welche ihnen desto anstößiger erscheinen werden, weil dieselben sie und insbesondere Gott angehen. Es gibt verständige Leute160, welche dafürhalten, die entsetzliche Menge der Sekten unter den Türken käme daher, weil es Leute von verschiedenen Religionen gewesen, welche teils aus Eigennutz, teils mit Gewalt Mohammedaner geworden. Die Griechen, die solches getan, da sie aus einem Land waren, welches die Schule der Künste und Wissenschaften gewesen, haben die alten Meinungen der Weltweisen mit dem abgeschmackten[195] Zeug des Korans vermischt, damit sie nicht wohl zufrieden sein mochten. Die Russen, Moskowiter, Zirkassen und andere dergleichen Nationen haben auch etwas von dem Ihrigen hinzugesetzt, und das hat die Sekten auf eine unzählige Art vervielfältigt. Was ich von den Rabbinern angemerkt habe, ist der Schrift161 ganz gemäß. Sie bezeugt an zwei Orten, daß eine große Menge Menschen mit den Kindern Israels aus Ägypten gezogen, und an einem andern Ort, daß ebendiese diejenigen gewesen, welche angefangen zu murren. Doch ich gehe zu weit von meinem Zweck ab. Ich will wieder umkehren.


89. Beweise der wirklichen Einführung der heidnischen Irrtümer in das Christentum

Sofern die Anmerkungen, die ich gemacht habe, nicht hinlänglich erweisen sollten, daß die Heiden verschiedene Irrtümer in das Christentum, zu dem sie sich bekehrt, eingeführt haben, welche sich nachgehends durch die gemeine Sage darin festgesetzt hat, so will ich noch einen Beweis anführen, gegen welchen man nichts einwenden kann, weil es ein Beweis ist, der sich auf unleugbare Geschichte gründet.

Es erhellt aus den Predigten der alten Kirchenväter, daß die Christen ihrer Zeit in den Gedanken gestanden, wenn man aus allen Leibeskräften schrie, so verschaffte man dadurch dem Mond, der verfinstert worden, eine Linderung, daß er wieder zu sich käme wie von einer Ohnmacht, die ihm den Garaus würde ge macht haben, wenn man nicht wacker geschrien hätte. Der heilige Ambrosius162, der Verfertigt der 215. Predigt von der Zeit, welche unter denen des heiligen Augustinus mit steht, der heilige Eloy, Bischof zu Noyon, haben gegen diesen Mißbrauch scharf geredet, voraus man sehen kann, daß er bei denjenigen, unter welchen er redete, im Schwange gegangen. Es erhellt auch aus den Homilien des heiligen Chrysostomus und aus den Schriften des heiligen Basilius, des heiligen Augustinus[196] u.a.m., daß die damaligen Christen darauf gewisse Prophezeiungen gegründet, wenn jemand in gewissen Umständen genießt, wenn man unterwegs eine Katze, einen Hund, ein übel berüchtigt Frauenzimmer, eine Jungfer, einen Einäugigen oder einen Lahmen antraf, wenn man an etwas anstieß oder beim Ausgehen mit dem Mantel hängenblieb, wenn ein Glied bebte usf. Der heilige Eloy, um seine Gemeinde von dergleichen abergläubischen Dingen zu befreien, bezeugt ihnen, man wäre zum Teil noch heidnisch gesinnt, wenn man beim Aus- und Eingang darauf achtgäbe, was uns begegne oder was die Leute trügen. Man darf nur des Herrn Thiers Schrift nachlesen, um durch das Ansehen der Päpste, der Provinzialkonzilien, der Synodalstatuten, der Väter und anderer wichtiger Schriften überzeugt zu werden: 1. daß obenangeführte und noch viele andere abergläubische Dinge sich unter den Christen befinden; 2. daß sie ein Überbleibsel aus dem Heidentum sind.

Wenn wir auch das Geständnis so großer Männer nicht hätten, so wäre es leicht zu erweisen, daß dieses eine Krankheit ist, die ursprünglich aus dem Heidentum gekommen. Denn außerdem, daß diejenigen, welche die Religion Jesu Christi gepredigt, nichts Ähnliches gelehrt haben, so sieht man noch aus den Überbleibseln des Altertums, daß alle diese abergläubischen Dinge unter den Heiden im Schwange gegangen. Bei diesen war es eine allgemeine Meinung, die Mondfinsternisse entstünden durch die Kraft gewisser Worte, durch welche man den Mond vom Himmel herab und auf die Erde herunterzöge, wo er einen Schaum163 auf die Kräuter werfen müßte, die alsdann zu Beschwörungen der Zauberer dienlich wären. Wollte man also den Mond von der Qual, die er litte, befreien und die Kraft der Zauberei zunichte machen, so müßte man, sagten sie, verhindern, daß er die besagten Worte nicht hören dürfte, und das könnte man zuwege bringen, wenn man ein entsetzliches Geschrei anfinge. Daher versammelte man sich mit ehernen Instrumenten, mit Trompeten und Pauken, wie heutzutage, wenn[197] man Musik machen will. Die Perser beobachten noch jetzt diese lächerliche Zeremonie, wie Pietro della Valle berichtet. Sie ist auch in dem Königreich Tunquin164 üblich, wo man sich einbildet, der Mond schlüge sich zu der Zeit mit einem Drachen. Sie werden unfehlbar, indem Sie dieses lesen, dasjenige überdenken, was in den Psalmen steht: Die Otter verstopfe ihr Ohr, daß sie die Stimme des Beschwörers nicht höre; und mir zugeben, daß die Christen, welche dem Mond durch ihr Schreien zu Hilfe kommen wollte, ihren Irrtum in dem Heidentum geschöpft haben.

Ich will die Zeit sparen und nicht mehr zeigen, daß alle übrigen abergläubischen Gebräuche, die von den Kirchenvätern bestraft worden, unter den Heiden im Schwänge gegangen, weil die Sache ohnedem klar ist. Das will ich noch anmerken: Den Heiden haben wir die vermeintliche brennende Kraft des Hundsterns, davon die Poeten so viele Beschreibungen um die Wette ausgearbeitet, die vermeintliche Bedeutung so vieler Unglücksfälle, die wir den Verfinsterungen zuschreiben, und alle astrologischen Hirngespinste zu danken. Daraus folgt, daß der Irrtum, darin wir in Ansehung der Vorbedeutungen des Kometen stecken, aus ebendieser Quelle entspringt und folglich dieselbe Art des Aberglaubens ist. Bei dem Hundstern mache ich noch mit Ihrer Erlaubnis diese Anmerkung: Die Römer waren von seinem üblen Einfluß so stark überzeugt, daß, um ihn zu versöhnen, sie ihm alle Jahre rote Hunde nahe bei dem Tor opferten, welches porta catularia hieß165, entweder wegen des Sterns, dem zu Ehren das Opfer geschah, oder weil das Opfer, das man brachte, einen ähnlichen Namen hatte oder vielmehr beider Ursachen halber. Denn es war beinahe nicht möglich, darin einen Unterschied zu machen, weil die Ursache, warum man vielmehr einen Hund als sonst eine andere Art von Opfern brächte, keine andere war als die Gleichförmigkeit der Namen. Die anderen Völker166, welche dem Hundstern opferten, waren dabei so spitzfindig nicht. Wir lesen nicht, daß sie Hunde viel mehr als sonst etwas geopfert, und das war ein geringerer Irrtum. Denn was ist wohl[198] lächerlicher, als sich einzubilden, ein Stern achte ein Tier höher als das andere. Doch alle diese Völker waren sowohl abergläubisch als abgöttisch. Die Christen haben nur das letztere Übel in Ansehung der Kometen und des übrigen verworfen, das erstere aber beibehalten.


90. Warum die Kirchenväter diejenigen nicht verdammt haben, welche die Vorbedeutungen der Kometen glaubten

Ich gebe zu, ich habe nicht gelesen, daß die Kirchenväter den Aberglauben in Ansehung der Kometen bestraft haben, wie sie sonst bei anderen Dingen getan. Aber das kommt ohne Zweifel daher: 1. Weil es so leicht nicht ist, die Eitelkeit desselben einzusehen, wie es wohl leicht ist, den seichten Grund anderer abergläubischer Dinge zu erkennen. Denn es ist so augenscheinlich nicht, daß die Erscheinung der Kometen nichts vorbedeutet, wie es augenscheinlich ist, daß ein Niesen nichts bedeutet. 2. Weil die üblen Folgen von diesem Aberglauben so häufig nicht sind wie diejenigen, die aus anderen abergläubischen Neigungen entspringen. 3. Weil sie geglaubt haben, der Schrecken der Gerichte Gottes, der durch Erblicken eines Kometen in der Seele der Sünder erregt worden, könnte dieselben zur Buße erwecken. 4. Weil sie zuallererst selbst betrogen worden sind, indem ihre große Einsicht sich mehr auf die Wahrheiten der Religion als der Natur erstreckte. Dem sei, wie ihm wolle, da an Beweggründen von unbezweifelter Gültigkeit, die Menschen zur Furcht der Gerichte Gottes und zur Lebensbesserung zu bewegen, kein Mangel zu befürchten ist, warum wollte man nicht untersuchen, ob die Furcht der Kometen begründet sei oder nicht, gesetzt, daß man auch dadurch die Menschen von einer zwar eingebildeten, doch nützlichen Furcht befreien sollte? Sonst müßte man ja das Verhalten derjenigen gutheißen, welche christliche Betrügereien begehen, tausenderlei Fabeln lehren, Wunderwerke nach Belieben erdichten,[199] wenn sie dadurch der Frömmigkeit zu helfen vermeinen. Gleichwohl ist dieses ein von dem Geist der Kirchen sehr entferntes Verhalten. Laßt uns unsere Phantasien, sagt der große Augustinus167, nicht zu Gegenständen der Religion erheben; die geringste Wahrheit ist besser als alles das, was man zur Lust erfinden könnte. Es kommt mir sogar vor, es stritte dieses schlechterdings gegen die Absicht des Heiligen Geistes, welche er in diesen Worten des Jeremias168 bekanntgemacht hat: Ihr sollt euch nicht fürchten vor den Zeichen des Himmels, wie die Heiden sich fürchten, wenn man den Völkern mit den Vorbedeutungen der Kometen einen Schrecken einjagen wollte.


91. Es ist unrecht, diejenigen zu tadeln, welche nicht sogleich glauben, daß eine Wirkung ein Wunderwerk ist

Erlauben Sie, daß ich bei Gelegenheit die Ungerechtigkeit derjenigen anmerke, welche die Weltweisheit darin schelten, daß sie daselbst natürliche Ursachen sucht, wo der Pöbel mit aller Gewalt keine haben will. Das kann nirgends anders herkommen als von einem höchst falschen Grundsatz, daß nämlich alles dasjenige, was man der Natur gibt, dem Gebiet Gottes entzogen werde. In einer gesunden Weltweisheit ist die Natur nichts anderes als die Wirkung Gottes selbst, der entweder nach gewissen Gesetzen, die er mit der höchsten Freiheit festgestellt, oder durch Anwendung der Kreaturen wirkt, die er gemacht hat und erhält. Dergestalt sind die Werke der Natur ebensowohl Wirkung der Macht Gottes wie die Wunder und erfordern nicht weniger Allmacht als die Wunderwerke, denn es ist ebenso schwer, einen Menschen durch die ordentliche Zeugung hervorzubringen, wie einen Toten aufzuerwecken. Der ganze Unterschied zwischen den Wundern und den Werken der Natur besteht darin, daß die letzteren geschickter sind, uns zu erkennen zu geben, Gott sei der freie Urheber alles dessen, was die Körper verursachen, und uns aus dem Irrtum zu ziehen, darin wir in[200] dem Fall stecken könnten; daher man auch sehr natürlich Schließt: Dasjenige, was durch ein Wunder geschähe, sei entweder eine Wirkung der besonderen Güte oder Gerechtigkeit Gottes. Doch daraus folgt noch nicht, man solle es übelnehmen, wenn die Weltweisen sich an die Natur so lange binden, wie sie nur können. Denn wie Plutarch169 bei Gelegenheit des Perikles und Anaxagoras sehr wohl angemerkt hat: Die Kenntnis der Natur befreie uns von einem Aberglauben, der voller blinder Schrecken ist, und erfülle uns mit einer wahren Ehrerbietung, die mit Hoffnung der Glückseligkeit vergesellschaftet sei. Haben die Heiden170 selber angemerkt, es sei in der Religion ungemein viel und mehr als sonstwo daran gelegen, daß man sich nicht durch Gründe einer blinden Leichtgläubigkeit leiten lasse, man müsse vielmehr die Sache genau untersuchen, weil man, wenn man eine gegründete Zeremonie nicht annehme, in Gottlosigkeit verfalle, und wenn man ungeziemende Gebräuche einführe, sich in kindische Alfanzereien verwickle; haben, sage ich, die Heiden schon diese Wahrheit einsehen können, sollten wir es nicht mit allem Dank annehmen, wenn die christlichen Weltweisen uns von all den Vorurteilen befreien, welche vermögend sein würden, die männliche und gründliche Schönheit unseres Gottesdienstes zu beflecken? Es ist in der Tat so viel Gefahr dabei, die Gebräuche, die sich auf falsche Dinge gründen, möchten aus der Art schlagen, daß man niemals einen Irrtum, er sei von was für einer Art er wolle, dulden soll. Ich gebe es zu, es gibt nicht so viel Ärgernis, wenn man Irrtümer bestreitet, ehe sie durch einen langen Besitz in dem Gemüt eines ganzen Volkes eingewurzelt sind, als wenn es scheint, daß das Altertum sie geheiligt habe. Da aber gegen die Wahrheit keine Verjährung stattfindet, so wäre es unrecht, wenn man sie beständig in Vergessenheit lassen wollte, unter dem Vorwand, weil sie niemals bekannt gewesen. Ich gebe auch zu, daß man große Bescheidenheit und Behutsamkeit brauchen müsse, wenn man alte Irrtümer der Religion angreift. Daher auch jemand bei Gelegenheit von dergleichen Dingen gesagt[201] hat: Es gäbe viele Wahrheiten, davon der Pöbel nicht allein nichts zu wissen brauchte, sondern daß es so gar gut sei, wenn er das Gegenteil davon glaube.171 Alle Staatsverständigen und Kirchenbediente beinahe sind dieser Meinung zugetan. Aber ich sage doch, wenn man alle Vorsicht gebraucht, welche die christliche Klugheit von uns fordert, so muß es erlaubt sein, die Wahrheit aller Dinge zu untersuchen und bekanntzumachen.


92. Auf welche Weise die Gnade der Natur zurechthilft

Noch eine, Anmerkung, mein Herr, über dasjenige, was ich von den Christen gesagt habe, daß sie nämlich zum Aberglauben in Ansehung der Vorbedeutung ebenso geneigt sind wie andere Menschen. Das sollte doch nicht sein. Die Erkenntnis, welche der Glaube uns von der Natur Gottes mitteilt, und der gründliche Unterricht derjenigen, welche uns christliche Wahrheiten vortragen, sollten uns vor dieser Schwachheit bewahren. Aber leider; der Mensch bleibt Mensch! Die göttliche Vorsorge hat es nicht für gut befunden, ihre Gnade auf den Untergang unserer Natur zu gründen, sie gibt uns nur eine Gnade, welche unsre Schwachheit unterstützt. Da also der Grund unserer Natur, die immer zu unendlichem Betrug, Vorurteilen, Neigungen und Lastern geneigt ist, beständig dableibt, so ist es moralischerweise unmöglich, daß die Christen, bei aller der Einsicht und Gnade, die Gott über sie ausschüttet, nicht in ebendie Irrtümer verfallen sollten, darein andere geraten.


93. Wie sehr die Christen von den Vorbedeutungen eingenommen wurden

Es ist was Bejammernswürdiges, wenn man das Verzeichnis der abergläubischen Dinge sieht, welche Herr Thiers gesammelt hat und die noch unter den Christen im Schwange gehen, ungeachtet der Bestrafungen, Drohungen[202] und Verbote, welche mehr als tausendmal durch die Konzilien und Synoden sind wiederholt worden. Es sind in diesem Verzeichnis nicht nur abergläubische Sachen von der niederträchtigsten Art enthalten, sondern auch gotteslästerliche Dinge (die aber auf eine scheinbare Art bemäntelt worden sind) und schändliche Kirchengebräuche. Ich habe bereits an einem andern Ort berührt, wie stark die Raserei, künftige Dinge von einem Sterndeuter zu erfahren, den ganzen Okzident besessen gehabt hat. Endlich hat man davon abgelassen, aber die Neugierigkeit ist immer noch so stark, daß man noch zu schändlicheren Mitteln seine Zuflucht nimmt. Was die Prophezeiungen betrifft, welche man auf tausend ungefähre Fälle gründet, so kann man sagen, daß das christliche Volk davon auf eine unheilbare Art eingenommen worden. Es sind nur zwei Tage, als ich die lateinische Historie des Prioleau durchging und darin wahrnahm, daß man im Jahre 1652 eine schlimme Vorbedeutung daraus gemacht, da man gesehen, daß dem Prinzen von Condé der Degen aus dem Gehänge gefallen, als er die Walstatt in Augenschein genommen, wo einer von seinen Vorfahren bei Jarnac das Leben eingebüßt.172 Hier war nichts, das nicht von ungefähr geschehen wäre, und ich bin versichert, daß dieser große Prinz, der einen so heroischen Verstand wie großmütiges Herz hat und darin ein größerer Held ist als Alexander, welcher sehr abergläubisch war, diese vermeintliche Vorbedeutung für nichts geachtet habe. Indessen ward es doch bekannt und überall ausgebreitet. Fällt ein Gemälde, ein Pfeiler oder eine Uhr um, so macht die ganze Stadt hundert Anmerkungen darüber. Man spricht niemals davon, ohne Mutmaßungen mit einfließen zu lassen, welche gemeiniglich auf den Untergang derjenigen abzielen, die den Pfeiler hatten setzen oder ihre Wappen auf die Uhr stechen lassen. Zu Rom, wo man bei solchen Dingen spitzfindiger ist als sonst irgendwo in der Welt, wo man sogar aus dem Namen eines Kardinals wissen will, ob er auf den Päpstlichen Stuhl werde erhoben werden, kostet es unfehlbar, nach den Gedanken des Pöbels,[203] dem Papst einem Kardinal oder einem König das Leben; wenigstens soll es eine Veränderung der Herrschaft zu bedeuten haben.

Im Anfang waren unsere Zeitungen mit dergleichen Märchen gar reichlich angefüllt. Den 23. Jänner 1632 schrieb man unter dem Artikel von Wien, es wäre eine Mißgeburt von zwei Kindern, die zusammengewachsen, geboren worden, ein Turm umgefallen, den der Kaiser nach der Niederlage des Königs in Böhmen in der Schlacht bei Prag bauen lassen, und ein Staatsrat gestorben, dabei die Ausleger der Wunderzeichen allerhand Dinge zu erinnern hätten. Die Mißgeburt sollte ein sehr seltsames Bündnis bedeuten. Der umgefallene Turm könnte nichts anderes bedeuten. Wiewohl man dieses nicht völlig hätte heraussagen wollen, als den Verlust aller Vorteile, welche das Haus Österreich durch die Niederlage des Königs in Böhmen erhalten, welchem letzteren zum Besten eben das seltsame Bündnis geschlossen werden würde. Es können politische Absichten bei Bekanntmachung dieser Neuigkeit gewesen sein, wie ich solches angemerkt habe, da ich den Charakter feiner Zeitungsträgerin nach dem Sinn Juvenals anführte, und Herr Naude mag unfehlbar darauf gedacht haben, da er in dem Gespräch des Mascurat alles dasjenige dem Zeitungsschreiber zuschreibt, was Juvenal in dieser Stelle berührt hat. Dem sei, ihm wie ihm wolle, man kann daraus sehen, daß das Volk heutzutage ebenso gesinnt ist wie vor diesem, wo man sich mit Fabeln und Mutmaßungen behalf. Es ist mir lieb, bloß Frankreichs halber, daß unsere Zeitungsschreiber schon seit langer Zeit diese Art von Neuigkeiten andern Nationen überlassen haben, welche von dem gegenwärtigen Kometen uns hundert ungereimte Dinge erzählt haben. Ich kenne viele Leute, denen es auch lieb ist und die es lieber sehen, wenn unser Zeitungsschreiber ihnen dasjenige mitteilt, was ihm die Jesuiten aus London zur Rechtfertigung ihrer heiligen und eifrigen Unternehmungen in diesem Königreich geschrieben oder auch wie die Bekehrungen in Poitou an der Spitze von fünf oder sechs Kompanien Reiter unter[204] dem allmächtigen Ansehen eines beherzten Befehlshabers ablaufen. Ich kenne, sage ich, viele Leute, denen ein größerer Gefallen geschieht, wenn man ihnen fliegende Nachrichten von der Börse mitbringt, als wenn man ihnen solche läppischen Erzählungen der Wunderdinge mitteilt. Etwas will ich Ihnen noch sagen, das Sie vielleicht mehr als alles übrige zum Beifall bewegen wird, wenn ich behaupte, daß die vorgefaßte Meinung von den Vorbedeutungen in dem Verstand der christlichen Völker ungemein stark eingewurzelt sei. Jedermann weiß die Veränderung in Religionssachen, die die Kirche im letzten Jahrhundert erlitten hat, und was für einen unbarmherzigen Krieg die Protestanten allem demjenigen angekündigt haben, was sie päpstlichen Aberglauben nannten. Die Calvinisten taten sich in diesem Krieg vor allen andern hervor und verschonten nichts, was ihnen abergläubisch zu sein schien. Bei all dem berührten sie den Aberglauben der Vorbedeutungen im geringsten nicht. Sie sind davon so stark eingenommen wie wir, und ihre Skribenten sind damit ganz angefüllt. Ein Deutscher mit Namen Peucer173, ein geschickter Mann, ein Schwager Melanchthons, ein starker Feind der römischen Kirche, und was noch mehr, ein Arzneiverständiger, führt ich weiß nicht wieviel Wunderdinge an, die seinem Vorgeben nach viele wichtige Begebenheiten sollen vorbedeutet haben. Wolf, ein sehr hitziger Lutheraner, erwähnt beinahe auf jedem Blatt ein Gesicht oder eine Lufterscheinung oder eine unglückliche Mißgeburt, und das will viel sagen, weil er zwei große Folianten von merkwürdigen Erzählungen zusammengetragen. Sofern Ihnen ein Buch zu Gesicht kommen sollte, das den Titel führt: Fatidica sacra, und von einem Holländer mit Namen Neuhusius ist verfertigt worden, so werden Sie mir unfehlbar Beifall geben, daß es sehr schwer ist, in der Materie von guten und üblen Prophezeiungen noch weiter zu gehen. Wir wollen uns daher nicht wundern, wenn Christen, die nur kürzlich aus dem Heidentum bekehrt worden sind, eine große Menge von abergläubischen Dingen beibehalten haben.


94. Wie stark die Geschichtsschreiber in das Wunderbare verfallen, z.B. Karl des Fünften seine

[205] Die Neigung, gewissen Begebenheiten ein wunderbares Ansehen Zu geben, davon die weltlichen Skribenten so stark eingenommen gewesen, beherrscht auch unsere christlichen Schriftsteller und legt ihnen öfters so kindische Anmerkungen in den Mund, daß man sich darüber wundern muß. Was ist z.B. läppischer als die Anmerkung des Sandovals, wenn er in dem Leben Kaiser Karl des Fünften schreibt: Die Königin Margaretha, Philipp des Dritten Gemahlin, wurde den ersten Weihnachtstag früh zwischen neun und zehn Uhr geboren, gleich als bei Erhebung des Sakraments auf einer Kirche geläutet wurde, welches, setzt er hinzu, ein Zeichen ihrer großen Gottesfurcht gewesen. Man habe einige Tage nach Beerdigung dieses Kaisers einen großen Vogel vom Morgen her auf die Kapelle des Klosters St. Just zufliegen gesehen. Ein Franziskanermönch zu Guatemala in Westindien habe gesehen, wie eben derselbe Kaiser von den Teufeln angeklagt und seiner guten Absichten halber losgesprochen worden, wie Gott darauf den Karl bei der Hand an die für ihn in dem Paradies bestimmte Stelle geführt. Wie lieb würde es ihm gewesen sein, wenn er hätte sagen können, ein Komet oder eine Verfinsterung habe das Absterben dieses Kaisers vorher verkündigt. Denn da dergleichen kurz vor dem Tod der Kaiserin erfolgte, so vergaß er nicht, uns zu versichern, daß es Vorbedeutungen dieses Todes gewesen. Er muß vergessen haben, daß in der Tat in dem Jahr, da Karl der Fünfte starb, ein Komet, und noch dazu ein ganz besonderer, erschienen, der sich erst gegen Mitternacht zu neigte, endlich aber über dem Kloster St. Just stehenblieb und bei dem Absterben Karls verschwand, daß also zu gleicher Zeit, als der Kaiser sein Leben beschloß, der Komet auch weg war, und sobald jener tot war, dieser auch nicht mehr gesehen wurde. Welch ein Schade für den Sandoval, daß solche herrliche Dinge ihm nicht beigefallen sind.
[206]

95. Wenn man sagt: Die Kometen bedeuten das Absterben der Könige, so macht man den gehörigen Unterschied nicht unter denen, deren Tod nachteilig ist, und unter denen, deren Hinscheiden nichts Böses nach sich zieht

Vielleicht werden Sie denken, weil Karl der Fünfte der Welt eine geraume Zeit schon abgestorben war, ehe er zu leben aufhörte, so konnte Sandoval sich nicht einbilden, daß ein Komet oder eine Verfinsterung seinen Hintritt verkündigt hätten. Allein, betrügen Sie sich nicht, mein Herr, darauf wird eben nicht gesehen. Auf der einen Seite sagt man, die Kometen bedeuten großes Unglück, und auf der andern rechnet man unter dieses Unglück das Absterben der Könige und Königinnen, ohne zu untersuchen, ob ihr Tod etwas Erhebliches nach sich zieht und in den Welthändeln eine Veränderung verursacht, welches sich oft zuträgt. Zum Beispiel der Tod Karls des Fünften wurde weder von seinen Freunden noch Feinden gerechnet, weil seine Entfernung von den Menschen alle diese großen Leidenschaften, welche ganz Europa erregt hatten, in eine Begierde verwandelt hatten, niemanden zu beunruhigen, ausgenommen etwa die Mönche in St. Just, welche er, wie man sagt, nicht hat schlafen lassen. Wir finden in der Geschichte viele Beispiele gekrönter Häupter, deren Tod ihren Staaten gar nicht nachteilig gewesen, weil es Fürsten waren, welche Nachfolger hinterließen, die ebenso würdig und noch wohl würdiger waren zu regieren und von ihren Untertanen mehr geliebt wurden als sie. Ich will deren nicht einmal gedenken, welche niemals zeitig genug sterben können, weil ihr Leben eine Strafrute, nicht nur der Nachbarn, sondern auch der Untertanen ist. Wir können darunter den Johann Basilides, Großfürsten in Moskau, rechnen, welcher 1584, zwei Jahre nach dem Erscheinen eines Kometen, verstorben ist. Was den türkischen Kaiser Soliman betrifft, so wird man mir zugeben, daß sein Tod das allgemeine Wohl der Christenheit, ja ganz Europas gewesen. Es ist daher sehr übel geschlossen, wenn[207] man überhaupt folgert, die Kometen hielten sich insbesondere in die Regenten, weil sie die Vorboten der göttlichen Gerichte wären. Denn ist es nicht gewiß, daß das lange Leben einiger Fürsten ein Werkzeug der allerschärfsten Gerechtigkeit gewesen ist? Könnte man daher nicht mit mehrerem Recht von den Kometen behaupten, sie prophezeitem ihnen ein langes Leben, als daß man sagt, sie bedeuteten ihren Tod? Fast in diesem Sinn hat Lucanus174 von der Erhaltung des Marius geredet, und so verstand dasselbe der Verfertiger eines lateinischen Sinngedichtes175 auf einen Kometen, welcher die Katharina von Medici außerordentlich beunruhigt hatte, weil derselbe nach Aussage aller Sterndeuter ein Vorbote des Absterbens einer Königin und eines großen Unglücks sein sollte.


Spargeret audaces cum tristis in aethere crines

Venturique daret signa Cometa mali;

Ecce suae Regina timens male conscia vitae,

Credidit invisum poscere fata caput.

Quid, Regina, times? Namque baec mala si qua minatur

Longa timenda tua est, non tibi vita brevis.176

Es warf der Drohkomet den kühngestreckten Schweif,

Um der erschrocknen Welt ein Unglück anzudeuten:

Ach rief die Königin, ich bin zur Strafe reif;

Ich mag mich immerhin zu meiner Gruft bereiten.

Nein! Fürstin, soll der Stern des Unglücks Deutung geben;

So droht er nicht den Tod, er droht dein langes Leben!


Ich habe schon etlichemal des Kometen gedacht, welcher erschien, als Alexander der Große den makedonischen Thron bestieg. Wäre er kurz darauf verstorben, wie es leicht geschehen konnte, was würde man nicht gesagt haben? Unfehlbar würde man es unter die hauptsächlichsten[208] von dem Kometen vorbedeuteten Unglücksfälle gerechnet haben. Und doch hat der Ausgang erwiesen, daß der Tod dieses jungen Fürsten, wenn er zehn oder zwölf Jahre eher erfolgt wäre, das größte Glück für die Welt gewesen sein würde, ja daß man dem menschlichen Geschlecht keinen größeren Dienst hätte erweisen können, als wenn man diesen Tollkühnen sogleich in der Jugend hätte verderben lassen.


Heureux si de son temps pour cent bonnes raisons,

La Macedoine eût eu des petites maisons

Et qu'un sage tuteur l'eût en cette demeure,

Par avis de Parens, enfermé de bonne heure!

Ach hätten dazumal die guten Makedonen

Ein Tollhaus aufgebaut, worin Verrückte wohnen;

Und hätt ein Vormund ihn, klug und gewissenhaft,

Nach seiner Freunde Rat, beizeiten hingeschafft!

Gottsched


Bewundernswürdige Verblendung der Menschen! Wenn es Könige gibt, deren Leben wegen der besonderen Drohung derjenigen Kometen in Gefahr steht, welchen man das Amt auferlegt, die betrübtesten Unglücksfälle zu verkündigen, so sollen es diejenigen sein, welche sich viel Ruhm und eine furchtbare Macht erworben! Allein im Gegenteil ist es weit wahrscheinlicher, daß ebendieselben diejenigen sind, welche die göttliche Gerechtigkeit am liebsten erhalten will, wenn sie willens ist zu strafen. Sie werden dies desto eher glauben, wenn ich Ihnen sage, daß dieses der Gedanke eines erlauchten Weltbezwingers gewesen. Denn ein Zeugnis wie das seinige gilt in Dingen von dieser Art soviel wie tausend.

Geben Sie daher auf das Folgende wohl acht. Es ist ein französischer Offizier, ein seht geschickter Mann177, der es bekanntmacht.

»Ich habe ehemals vom König in Schweden einen wunderlichen Satz beweisen hören, welcher ungefähr auf Folgendes ankam. Es lobte jemand sein großes Glück in[209] Deutschland und behauptete in seiner Gegenwart, daß seine Tapferkeit, seine wichtigen Anschläge und seine trefflichen Kriegsunternehmungen die vollkommensten Werke der Vorsehung wären, die man jemals gesehen. Ohne ihn; würde das Haus Osterreich sich den Weg zur Universalmonarchie gebahnt und den Untergang der protestantischen Religion beschleunigt haben. Man bemerke wohl aus den Wundern seines Lebens, daß Gott ihn zum Besten der Menschen habe lassen geboren werden und daß diese ungemessene Größe seiner Herzhaftigkeit ein Geschenk der Allmacht und eine augenscheinliche Wirkung seiner unendlichen Güte wäre. Sprecht vielmehr, erwiderte der König, daß es ein Zeichen seines Zorns ist. Ist der Krieg, den ich führe, ein Mittel, so ist es unleidlicher als Eure Krankheit. Gott verläßt niemals das Mittel, um das Äußerste in Dingen zu erreichen, es sei denn, daß er jemand strafen wollte. Es ist ein Zug seiner Liebe gegen die Völker, wenn er den Königen nur ordentliche Seelen gibt. Wer nicht einen außerordentlich hohen Geist besitzt, der faßt auch nur solche Anschläge ab, die sich für ihn schicken. Der Ruhm und Ehrgeiz stören ihn nicht. Legt er sich auf Regimentssachen, so werden seine Staaten dadurch glücklicher, und läßt er etwas von seinen Sorgen einem! seiner Untertanen zukommen, mit dem er sein Ansehen teilt, so ist das größte Übel, das daraus kommen kann, dieses: Daß der sein Glück auf Kosten des Volkes macht, daß er einige Auflagen ausschreibt, um Geld zu bekommen und seinen Freunden fortzuhelfen, und daß seinesgleichen über ihn murren, weil es ihnen sauer ankommt, seine Gewalt zu ertragen. Doch das sind leichte Übel und nicht von der geringsten Erheblichkeit, wenn man sie mit denjenigen in Vergleich zieht, welche die Gemütsart eitles großen Königs verursacht. Diese unermeßliche Neigung zur Ehre, die ihn um alle Ruhe gebracht, verpflichtet ihn notwendigerweise, dieselbe auch seinen Untertanen zu nehmen. Er kann seinesgleichen in der Welt nicht erdulden. Er hält diejenigen für Feinde, welche seine Vasallen nicht sein wollen. Es ist ein Strom, der[210] die Orte verheert, durch welche er fließt, und da er seine Waffen so weit trägt, wie seine Hoffnung hinreicht, so erfüllt er die Welt mit Schrecken, mit Elend und Unordnung.«

Sehn Sie, mein Herr, wie diejenigen, welche dem allgemeinen Wahn in Ansehung der Kometen zugetan sind, aus einem Irrtum in den andern verfallen.


96. Verfolgung der spanischen Großsprecherei bei dem Lobe Karls des Fünften

Die großsprecherischen Einfälle der Spanier bei dem Lobe Karls des Fünften sind so hoch getrieben, daß sie die Verdienste dieses großen Fürsten nicht erheben, sondern vielmehr seiner Ehre nachteilig sind. Denn wenn die Leser bei einem Geschichtsschreiber merken, daß er sich durchgehend Zwang antut, alle Dinge auf der wunderbaren Seite darzustellen, so argwöhnen sie, er wolle sie mit erdichteten Märchen unterhalten. Sodann gibt es auch viele Leute, die es nicht gerne sehen, wenn ein Geschichtsschreiber mit Gewalt zum Lobredner werden will. Bei einer solchen Parteilichkeit wird man erstlich gegen ihn und sodann auch gegen seinen Helden außerordentlich aufgebracht, daß man danach von den Verdiensten dieses Helden nichts mehr glauben mag.

Ich verweise Sie auf das letzte Werk des P. Maim bourg178, wo Sie die übermäßigen Schmeicheleien sehen können, darein die Geschichtsschreiber Karls des Fünften bei Gelegenheit des berühmten Sieges über den Herzog von Sachsen 1547 verfallen. Man begnügte sich nicht damit, daß man gesagt hat, ein Adler sei während einiger Zeit ganz gemächlich über der spanischen Infanterie weggeflogen, solange sie auf einer Schiffsbrücke über die Elbe gesetzt, und ein großer Wolf, der aus dem nächsten Wald herausgekommen, sei von den schon übergesetzten Soldaten erschossen worden. Man versicherte sogar in vollem Ernst, daß die Sonne still gestanden habe, um den Kaiserlichen[211] Zeit zu lassen, einen völligen Sieg zu erhalten, welches eine Erneuerung eines der größten Wunder war, welche Gott zur Bestätigung seines Volkes in dem Lande Kanaan getan hatte. Und das sind nicht etwa Erzählungen, welche in fliegenden Blättchen auf die erste Nachricht eines Staatsboten ausgebreitet werden, es sind Geschichtsschreiber von großem ansehen, die es in wohl ausgearbeiteten Schriften gesagt haben. Es ist ein Sandoval, Philipps des Dritten Geschichtsschreiber und Bischof zu Pampelona, der noch dazu sagt, die Sonne habe an dem Tag der Schlacht in Frankreich, Deutschland und Piemont blutrot ausgesehen; es ist ein Don Louis d'Avila, ein Kammerjunker des Kaisers und Großbefehlshaber von Alcantara, der in der Armee Karls des Fünften eine ansehnliche Bedienung hatte und bei der Schlacht mit zugegen war. Er redet von diesem Wunder als ein Zeuge, der es mit Augen angesehen, und ist also glücklicher darin als der Herzog von Alba, Generalleutnant des Kaisers, und einer von denen, welche den meisten Anteil an dem Ruhm dieses Tages gehabt. Unser König Heinrich II., der von dem Wunder hatte reden hören, wollte von ihm wissen, was davon zu halten sei. Seine ganze Antwort bestand darin: Er hätte an demselben Tag so viel auf der Erde zu tun gehabt, daß er darauf nicht achtgegeben, was am Himmel vorgegangen.


97. Erinnerung an die französischen Geschichtsschreiber

Es fällt mir nichts bei, was ich diesen Erscheinungen entgegensetzen könnte, nachdem der P. Maimbourg179 dieselben mit seiner gewöhnlichen Scharfsinnigkeit und Beredsamkeit widerlegt hat. Ich wollte nur, daß die Stichelreden dieses Jesuiten unsern Franzosen zur Lehre dienten, damit sie sich in acht nehmen und nicht in das Hochtrabende der Spanier verfallen mögen, wenn sie von dem Ruhm unseres Königs reden, welcher nach dem Geständnis von ganz Europa einer der größten Fürsten von der Welt ist. Denn, wie ich schon bei Gelegenheit Karls des[212] Fünften gesagt habe, nichts ist der wahren Ehre eines großen Monarchen nachteiliger, als wenn die Geschichtsschreiber sich unaufhörlich bemühen, ihn durchgehend über alles zu setzen, was jemals von andern Helden gesagt worden. Man kann ihnen ebendas sagen, was gewissen Ketzern vorgeworfen wurde, da sie Gott einen Körper zuschrieben, aber den allergrößten Körper, den man sich nur einbilden konnte: Fecistis molem, fecistis minorem. Ihr habt ihn groß gemacht und habt ihn dadurch kleiner gemacht. Wenn ich diese Bemühung sehe, so stelle ich mir die alten Sophisten aus Griechenland vor, welche sich dadurch erhielten, daß sie Lobreden verfertigten, dabei sie aber keine Nachrichten brauchten, sondern in der Ausarbeitung sich nach den Begriffen richteten, welche sie sich selbst von allem demjenigen machten, was den größten Schein des Wunderbaren haben konnte.

Sofern man nur sonst nichts als die Reden der Französischen Akademie haben wird, welche beständig das Hohe, die Ausrufungen und die verwegensten Figuren anbringen, so wird das Übel so groß eben nicht sein. Man sucht nicht leichtlich die Verdienste eines Königs in einer Rede oder in einer Zeitschrift oder Lobrede. Man weiß schon, bevor man noch diese Art von Schriften liest, daß ein König darin allemal der größte Monarch von der Welt ist, selbst Alexander und Cäsar nicht ausgenommen. Man leidet es also ohne Murren, wenn man daselbst lauter prächtige Begriffe antrifft. Aber wenn unsere Geschichtsschreiber sich durch die Ehre, die sie von den prächtigen Beschreibungen haben würden, blenden lassen und Lobredner abgeben, so werden sich wiederum die Spanier über uns aufhalten, und ganz Europa wird uns lächerlich machen, so wie es vordem die Spanier ausgelacht hat, da sie die Lobeserhebungen ihres Karls des Fünften und ihres Philipps II. unbegreiflich hochgetrieben haben.

Allem Ansehen nach werden diejenigen, welche ihrer Pflicht gemäß an der Historie unseres Königs arbeiten, sich erinnern, daß man nicht von ihnen fordere, große Leidenschaften und hohe Lehrsprüche auf der Schaubühne[213] zum Vergnügen zu erdichten und vorzustellen, noch auch satirische Abbildungen des Lächerlichen zu erfinden, sondern daß die Rede davon sei, wie man geschehene Dinge treulich erzählen solle. Ihr Geist ist auch sonst schon von der Beschaffenheit, daß sie so leicht nicht glauben, daß die Sonne ihren Lauf aufhielte, um zu einer Schlacht Zeit zu geben, wie die Spanier solches erzählt haben, oder daß die Mauern kraft eines Fläschchens sogleich umfallen sollten, wie dies die Mauern der Stadt Angoulême unter der Regierung des Clodoväus nach einigen Aussagen180 getan haben. Ich weiß auch nicht, ob sie sich bei Erzählung dergleichen Wunderwerke eben allzu gefällig machen würden. Vermutlich würde man ihnen sagen, die Tapferkeit der Franzosen brauche das alles nicht, ihr Feuer und ihre Behendigkeit habe das Stillstehen der Sonne nicht nötig, um fertig zu werden; das wäre nur gut für die Spanier und Deutschen, die von Natur langsam und schwer sind. Und also kann man sich auf diese beiden Herren181 verlassen.

Ich hatte, noch von einem dritten Geschichtsschreiber182 Ihro Majestät gute Hoffnung, bevor ich den Brief gelesen, der all einen Prälaten geschrieben worden ist und sich in einer ganz neuen kleinen Schrift183 befindet, die wohl wert wäre, daß man sie gründlich widerlegte. Sie merken wohl, daß ich von dem berühmten Geschichtsschreiber der Französischen Akademie rede, und Sie wissen, daß die Vortrefflichkeit seines Verstandes und seiner Schreibart und die Achtsamkeit, womit er diese berühmte Gesellschaft beschrieben, Gelegenheit genug geben, etwas Großes von seinem Vorhaben, uns des Königs Leben zu liefern, zu hoffen. Ich war einer mit von denen, die sich das Beste von ihm versprachen. Allein, ich gestehe es Ihnen, dieser Brief hat meine Hoffnung um ein großes vermindert. Ich sehe daraus, daß der Herr Verfasser sich ungemein viel Mühe gibt, die geringen Gunstbezeigungen in Ordnung zu bringen, welche den Hugenotten, wenn sie sich bekehren, zugute kommen. Er zerstreut sich in tausenderlei geringen Sorgen, die, meinem Bedünken nach,[214] sich für einen Mann, der an einer so wichtigen Historie, wie Ludwigs des Großen seine ist, arbeitet, gar nicht schicken. Glauben Sie, mein Herr, daß ein Geschichtsschreiber, der einiger Wechsel halber, die man für die neuen Katholiken ausgestellt hat, sich so viel Sorgen macht, der die richtigsten Verzeichnisse dieser Bekehrten genau durchsucht, der tausend Mittel hervorsucht, um das wenige Vermögen, welches er in Händen hat und das er mit dem Öl und Mehl der Witwen vergleicht, für alle Bekehrten, die sich darstellen, zulänglich zu machen; der aber, um zu seinem Zweck zu kommen, die Herren Bischöfe durch zugeschickte Erinnerungsschriften ermahnen muß, sie sollten wirtschaftlicher sein und sich das Beispiel des Bischofs zu Grenoble zum Muster vorstellen, der siebenhundert bis achthundert Personen bekehrt hätte, ohne mehr als tausend Gulden in allem dabei aufzuwenden. Glauben Sie, mein Herr, sage ich, daß ein Geschichtsschreiber, der über das, was ich gesagt habe, die Zeit auf das sorgfältigste nachrechnete, wie lange es nämlich sei, daß sich jemand bekehrt habe, und der ausdrücklich haben will, man solle ihm keine Wechsel für Leute schicken, die schon seit sechs oder sieben Monaten bekehrt worden, und ob man gleich fünfzig Gulden einem Bekehrten geben könnte, so solle man es doch nicht allemal tun, weil es nötig sei, dabei alle mögliche Häuslichkeit zu beobachten; glauben Sie, mein Herr, sage ich noch einmal, daß ein Geschichtsschreiber, der sich in dergleichen Dingen so viel Mühe gibt, allzu geschickt sei, uns eine gute Historie von Seiner Majestät zu liefern? Wenn Sie es glauben, so erlauben Sie mir wenigstens zu sagen, daß wir beide nicht allemal einerlei Meinung sind.

Ich besorge sehr, dieses Werk möchte hin und wieder Spuren des Aberglaubens enthalten, und vielleicht würde man gar sagen, alle Siege des Königs wären Belohnungen der Befehle, die er gegeben oder die er hätte geben sollen, um die Hugenotten auszurotten. Es wäre doch schade, wenn ein so sinnreicher Kopf sich so elend vergehen sollte, und ist irgendein Mittel da, solches zu verhindern, so wollen[215] wir es daran nicht ermangeln lassen. Sie sind mit verschiedenen Personen, die er sehr hochhält, genau bekannt, insbesondere mit Herrn N. N. und mit Herrn N. N. Geben Sie ihm doch durch diese zu verstehen, daß er große Gefahr laufe, sein ganzes Werk durch die allzu viele Gemeinschaft mit den Bekehrern zu verderben; man bekomme durch die Verwaltung so schlechter Dinge, deren Aufsicht ihm anvertraut sei, einen ganz besonderen Verstand und ganz neuen Geschmack, und es stünde dahin, da er in den Händen der Klerisei völlig vertieft sei, ob er sich's nicht am meisten angelegen sein lassen würde, von den frommen Handlungen seines Helden zu reden. Nicht nur alle Ketzer, sondern auch viele Katholiken erwarten dieses von ihm, und wenn er bei der Historie von der Ausrottung der Calvinisten allzu umständlich sein wollte, so würde er seinen Ruhm verlieren, denn jedermann würde daraus schließen, er habe die schönen Stellen in dem Leben eines großen Monarchen nicht zu unterscheiden gewußt.

Doch was lenke ich, daß ich einem Geistlichen, wie Sie sind, dergleichen Verrichtung auftrage? Ich bitte Sie deswegen um Verzeihung, und es ist mir leid, daß ich Ihnen soviel davon gesagt habe. Nein, mein Herr, Sie sind es nicht, den ich bitten will, dem Geschichtsschreiber des Königs die Nachricht zu geben, daß es nicht gut sei, alle Dinge umständlich zu erzählen. Ich kenne jemanden, der dieses Amt ohne Widerrede auf sich nehmen wird. Derselbe sagte einstmals, wenn er die Geschichte unserer Zeit abfassen seilte, so würde er sich an einer prächtigen Beschreibung des Übels, welches die Ketzereien der Kirche und dem Staat verursachen, begnügen lassen und das große Glück zugleich mit anführen, welches aus der Wiederbringung aller Sekten zur wahren Kirche entspringt. Sodann würde er mit wenig Worten berühren, Seine Majestät habe, durch diese wichtigen Wahrheiten gerührt, dem Königreich dieses herrliche Glück auf eine solche Art verschafft, welche sowohl einem sehr christlichen König als auch einem Helden anständig gewesen. In die Untersuchung[216] aber aller Mittel und Wege, die dem König dabei vorgeschlagen worden sind, würde er sich nicht einlassen, weil eben dadurch die Ehre dieses großen Fürsten augenscheinlich Schaden leiden würde. Es ist freilich nötig, sagte er, daß ein Monarch, der zu großen Dingen geboren ist und welcher schon an den Ufern des Hellesponts sein sollte, wo einer von seinen Geschichtsschreibern ihn seit mehr als sechs Jahren mit festem Fuß erwartet, sich die Mühe gibt, einigen Hebammen das Handwerk zu legen und die Ausübung ihrer Kunst einigen andern zu verschaffen; daß er alle Verzeichnisse der Neubekehrten durchsieht und beim Überschlag der Kosten, die bei jeder Bekehrung aufgewandt werden, mit sich zu Rate geht, ob es dienlich sei, daß man wichtiger Umstände halber den Neubekehrten eine größere Beisteuer als fünfzig Gulden zukommen lasse. Und das soll der Mann sein, dessen ich mich in der Absicht bedienen will, daß man den Handel der Bekehrung in dem Leben Ludwigs des Vierzehnten nicht haarklein erzähle. Er steht bei dem Geschichtsschreiber in großem Ansehen, und vielleicht bringt er ihn auf bessere Gedanken, insbesondere bei Gelegenheit der königlichen Verordnung, worin Kinder von sieben Jahren für fähig erklärt werden zu unterscheiden, daß die römische Kirche der göttlichen Offenbarung näherkomme als die vermeintlich reformierte. Es ist auch dieses ein Umstand, den man beileibe nicht berühren muß, sofern man sich raten läßt.

Was die Sparsamkeit betrifft, welche Herr Pelisson den Bekehrern so stark anriet, so glaube ich wohl, daß er davon nichts sagen würde, wenn ihn auch schon niemand vor den Stichelreden warnte, die man darüber machen könnte. Er würde dasselbe wohl niemals geschrieben haben, wenn er vorhergesehen, daß man es drucken lassen würde. Denn was ist schimpflicher für den König, als wenn er spricht: 1. Das Hauptmittel, dem geringen Vorrat, der zur Bezahlung der Bekehrten bestimmt wäre, abzuhelfen, sei in der wunderbaren Vorsorge Gottes zu suchen, welche das Öl und Mehl der Witwe vermehrt und die fünf Brote vergrößert[217] habe. 2. Die Herren Prälaten oder auch andere, welche die Sorge für die Bekehrungen aus christlicher Liebe auf sich nehmen wollten, könnten sich bei dem König, der alle diese Verzeichnisse der Bekehrten zu Gesicht bekäme, nicht gefälliger machen, als wenn sie dem Beispiel des Bischofs zu Grenoble nachahmten, der es fast niemals auf fünfzig Gulden gebracht und beinahe allemal mit viel weniger ausgekommen ist. Ganz Europa hat Nachricht von dem ungeheuren Vermögen und von dem prächtiger Aufwand, den er überall blicken läßt, und in einer Sache, welche die Religion angeht, kommt und sagt man, das Vermögen dazu sei sehr gering, aber den sichersten und hauptsächlichsten Trost erwarte man durch ein Wunderwerk von demjenigen, welcher das Öl und Mehl der Witzen vermehrt. Man könne sich, setzt man noch hinzu, bei dem König nicht beliebter machen, als wenn man mit dem Geld, das er für die Bekehrten bestimmt hat, fein häuslich umginge.

Was die Wunderzeichen anlangt, so wird, wie ich hoffe, dieser Geschichtsschreiber sein Buch damit nicht anfüllen, wenn man ihm deswegen guten Rat erteilt. Ganz anders ist es mit so vielen andern Schriftstellern geistlichen und weltlichen Standes beschaffen, welche sich unterfangen, die Geschichte unserer Zeit zu beschreiben. Sie sind schon bereit, uns mit Wundern und Vorbedeutungen zu überhäufen. Desto schlimmer ist es, mein Herr. Denn kein abgeschmackterer Irrtum ist wohl in der Welt nicht, als der bei den Vorbedeutungen vorkommt. Je mehr ich daran gedenke, je mehr werde ich davon überzeugt, und es fehlt nicht viel daß ich mich nicht über diejenigen entrüste, welche uns dergleichen Wunderdinge erzählen. Indessen ist alles voll davon. Unsern Geschichtsschreibern fehlt es daran sowenig wie andern. Sehen Sie einmal den Herrn de Perefixe an, der die Ehre gehabt hat, des Königs Lehrmeister zu sein, und als Erzbischof von Paris gestorben ist. Er führt in seiner Historie Heinrichs des Vierten, ich weiß nicht wieviel, Wunderzeichen an, welche vor der Ermordung dieses Prinzen vorhergegangen sind, und was[218] das Wundersamste dabei ist, alle diese Wunderdinge sind denjenigen vollkommen ähnlich, welche die Heiden bei einer ähnlichen Begebenheit würden ausgebreitet haben. Lauter Betrügerei!


98. Widerlegung des französischen Geschichtsschreibers, welcher behauptet, daß es Wunderzeichen vor dem Tode König Heinrichs des Vierten gegeben

Der traurige Todesfall dieses guten Königs war Ursache, daß man tausend Dinge zusammenlas und vergrößerte, welche alle nach dem Lauf der Natur erfolgen und die man mit Stillschweigen übergeht, wenn keine merkwürdige Begebenheit darauf erfolgt, und daher kam es, daß die Zeit, welche vor diesem Tod vorherging, nach dem Wahn der Menschen durch gewisse wunderbare Erscheinungen von andern Zeiten unterschieden wurde. Vielleicht gab es auch deren in diesem Jahr mehr als sonst, wie es oft zu geschehen pflegt, daß bloß kraft der allgemeinen Gesetze der Natur in gewissen Jahren hundert Dinge nacheinander erscheinen, dergleichen niemand gesehen zu haben sich erinnern kann. Wäre man damit zufrieden gewesen, daß man deswegen dem Jahr 1610 einen besonderen Charakter beigelegt hätte, so hätte ich nichts dabei zu erinnern. So aber hat man behauptet, diese Erscheinungen wären ausdrücklich deswegen zum Vorschein gekommen, um das Elend von Frankreich und den traurigen Tod seines Königs vorzubedeuten. Das ist ein Irrtum, der mir höchst ungereimt vorkommt. Denn wenn es wahr wäre, so müßten diese Erscheinungen außerordentlicherweise entweder von Gott oder von dem Teufel sein hervorgebracht worden. Wollte man sagen, Gott habe sie außerordentlicherweise erweckt, so würde man ihm ein Verhalten zuschreiben, das sich für seine Weisheit ganz und gar nicht schickt. Weil die vermeintlichen Vorbedeutungen kein Wahrzeichen desjenigen bei sich führen, welches Gott dem Vorgeben nach den Menschen andeuten will. Wollte[219] man es den Teufeln zuschreiben, so würde man nur spotten. Das lassen sie wohl bleiben, daß sie ein so christliches Königreich durch Wunderzeichen erschrecken sollten, wie se es wohl in heidnischen Ländern tun. Denn was gewönnen sie damit? Sie würden machen, daß man unrecht Gut wiedererstattete, daß die Leute zur Beichte gingen und deren mehr. Und das suchen sie gar nicht. Da sie überdies zukünftige Dinge nicht wissen, so können sie auch nicht vorhersehen, zu welcher Zeit große Veränderungen erfolgen sollen, und also sind sie nicht imstande, derselben Vorbedeutungen zu erwecken. Schickt uns Gott etwa Vorboten, um uns zu überzeugen, daß das Zukünftige in seiner Gewalt steht? Dies ist der Gedanke eines sehr verständigen Geschichtsschreibers, welcher viele vor dem Tode! Heinrichs IV. vorhergegangene Wunderzeichen anführt und diese Anmerkung dabei macht: Es scheine, als ob es mit allen den Erinnerungen, welche der Himmel ihm gegeben, nicht sowohl darauf abgesehen gewesen, ihn aus der Gefahr zu erretten, sondern vielmehr die Menschen zu belehren, es herrsche eine unumschränkte Macht, welche das Zukünftige, weil sie es kenne, nach ihrem Gefallen einrichte.184 Allein dieser Gedanke ist, der angeführten Gründe halber, so unrichtig wie die andern. Denn wer zweifelte damals, als der große Heinrich ermordet wurde, in! Frankreich daran, daß eine unumschränkte Macht herrsche, welche das Zukünftige in ihrer Gewalt hat? Sind das nicht allemal die ersten Gründe einer jeden Religion auf der Welt? Alle diejenigen, welche Gebete verrichten, Gelübde tun, Opfer bringen, die Götzen, die Wahrsager und Zeichendeuter um Rat fragen, welche den Prophezeiungen und Torheiten der Zigeuner und dergleichen Glauben beimessen, bezeugen sie nicht offenbar, daß sie von einer gewissen Macht überzeugt sind, die in der Welt ist und der das Zukünftige unter worfen ist? Wie weit würde es mit uns gekommen sein, wenn Gott noch in einem so christlichen Königreich Wunder tun müßte, um uns von einem Unglauben zu heilen, den nicht einmal die Heiden gehabt haben? Wann würden wir gläubig werden,[220] wenn wir, um nur versichert zu sein, daß Gott das Zukünftige kennt, nötig hätten, daß Gott Wunder auf Wunder und Zeichen auf Zeichen häufte? Laßt uns daher sagen: Die Absicht der Vorsorge ist nicht diejenige, welche der Herr von Mezerai ihr zuschreibt, denn das wäre eine Absicht, die so vergeblich wäre, wie sonst keine ist. Und da er überdies zugibt, daß dasjenige, was man Wunderzeichen nennt, gar nicht dazu dient, uns vor der Gefahr zu behüten, so muß er auch zugeben, daß es nach der Absicht der Vorsorge uns statt der Vorbedeutung nicht dienen kann. Ich werde an einem andern Ort noch etwas sagen, um diese Folgerung zu bestärken, und insbesondere, wenn ich die Anmerkungen werde zu Ende gebracht haben, die ich dazu bestimmt habe, Ihnen zu zeigen, wie eingenommen die Christen für die Wunderzeichen sind.


99. Neue Proben der Neigung, so die Christen haben, die Wunderzeichen und Vorbedeutungen zu glauben

Ich finde in einer Schrift Agobards, Bischof zu Lyon, welche im Jahr 833 verfertigt worden ist, eine Stelle, die so trefflich für mich redet, daß ich mich nicht enthalten kann, dieselbe anzuführen. Dieser gelehrte Prälat verfertigte dieses Buch in der Absicht, einer Menge von Leuten den irrigen Wahn zu benehmen, da sie zu seiner Zeit glaubten, es gäbe Zauberer, deren Gewalt sich so weit erstreckte, daß sie Hagel, Sturm und Ungewitter erwecken könnten, sooft es ihnen gefällig wäre, die Landfrüchte zu verderben, und welche mit dieser Kunst mit den Einwohnern eines gewissen Landes, das Magonia heißt, handelten; die alle Jahre auf Luftschiffen ankämen, um das Getreide einzuladen, welches das Ungewitter verdorben, wofür sie alsdann den Zauberern den Wert bezahlten. Man glaubte alles dieses so gewiß, daß dieser Bischof einstmals sich ungemein viel Mühe geben mußte, drei Männer und eine Frau aus den Händen des Pöbels zu erretten, die sie steinigen wollten, in Meinung, daß sie aus diesen Schiffen herausgefallen[221] wären. Dies ist die gemeldete Stelle, wie sie zu Ende der Abhandlung steht: Eine so große Torheit hat sich schon der armen Welt bemächtigt, daß die Christen dergleichen ungereimtes Zeug für wahr halten, welches man vordem den Heiden nicht hätte einreden können.185

Ich mag nicht untersuchen, ob es wahr ist, wie er schreibt, daß man zur selben Zeit leichtgläubiger gewesen als zur Zeit des Heidentums, mir ist genug, wenn ich weiß, daß man es sehr gewesen. Daher kam es, daß man kurz darauf die Historie nach Romanart zu schreiben und den Taten tapferer Männer tausend Fabeln anzudichten anfing, wie z.B. der Roland, Kaiser Karls des Großen Enkel, war, welches den Geschmack der Leser vollends verdarb, so daß man sich nicht getraute, ihnen etwas vorzulegen, das in dergleichen Schreibart nicht abgefaßt war. Ein Exempel davon kann man an dem geistlichen Werk sehen, welches Jacobus von Voragine, Erzbischof zu Genua, zu Ende des 13. Jahrhunderts aufsetzte und gegen welches Melchior Kanus, der gelehrte spanische Bischof, in seinen Locis communibus im 11. Buch so erzürnt zu sein scheint. Ein anderer Doktor186 in der Theologie soll mit Ihrer Erlaubnis dasjenige bestätigen, was ich von dem Geschmack gesagt habe, der in gewissen Jahrhunderten geherrscht hat. Hören Sie einmal, wie er davon redet: Das war der Fehler oder vielmehr die grobe Einfalt vieler von unsern Vorfahren, daß sie sich einbildeten, sie könnten bei Beschreibung der Handlungen erlauchter Männer nicht beredt sein, wenn sie statt der Zierate in Reden, wie sie dafürhielten, nicht in ihre Werke poetische Erdichtungen oder etwas dem Ähnliches mit einmischten und folglich die Lügen mit der Wahrheit vermengten.187 Da dem also ist, so glaube ich beinahe, die Geschichtsschreiber der Kreuzzüge machen uns oft was weis, und das ist allem Ansehen nach die Meinung des P. Maimbourg.188 Denn so redet er, nachdem er die Schlacht bei Iconium, welche Friedrich Barbarossa im Jahr 1190 gewonnen, erzählt hat: »Was bei diesem Sieg das Wundersamste war, bestand darin, daß der Überwinder fast nichts verlor. Viele schreiben[222] dieses der besonderen Beschützung des heiligen Georgs und des heiligen Victors zu, welche man ordentlich in der Armee anrief und die man nach einiger Aussage vor den Scharen hat schreiten sehen. Es kann sein, daß in der Tat etwas Außerordentliches dabei vorgegangen, wie solches manchmal, selbst nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift, sich zugetragen. Es kann auch sein, daß, da man oft erzählen gehört, wie die himmlischen Scharen während des ersten Kreuzzuges bei der Schlacht zu Antiochien erschienen, die durch diese Erzählung eingenommene Einbildungskraft einiger Leute mit diesen Gedanken angefüllt gewesen und sich dergleichen Erscheinungen vorgestellt hat. Dem sei, wie ihm wolle, soviel ist gewiß, ein ansehnlicher und gar nicht leichtgläubiger Kavalier mit Namen Ludwig von Helfenstein versicherte dem Kaiser ebendasselbe und beteuerte vor der ganzen Armee mit einem Schwur, so wahr er ein Pilgrim des heiligen Grabes und ein Kreuzbruder sei, daß er mehr als einmal gesehen, wie der heilige Georg an der Spitze der Scharen die Feinde in die Flucht gejagt habe, welches alsdann auch von den Türken selber bekräftigt wurde, welche aussagten, sie hätten an der Spitze der christlichen Armee gewisse ganz weißgekleidete Völker gesehen, die unter den Unsrigen nicht mehr befindlich waren. Ich gebe zu, man sei ganz und gar nicht gebunden, dergleichen Erscheinungen, die meistens großem Betrug unterworfen sind, für wahr zu halten, allein ich weiß auch, daß ein Geschichtsschreiber aus eigener Macht diejenigen nicht verwerfen soll, welche durch ein so merkwürdiges Zeugnis, wie das obige ist, unterstützt werden, und da man ihm die Freiheit läßt, solche nicht zu glauben, so hat er kein Recht, durch ihre Unterdrückung seinen Lesern diejenige Freiheit zu nehmen, vermöge welcher sie alsdann, wenn sie dieselben gelesen, davon urteilen können, was sie wollen.« Die Anmerkung eines so berühmten Geschichtsschreibers, den man gar nicht in dem Verdacht haben kann, als ob er dem Unglauben der Hugenotten hätte aufhelfen wollen, ist ein starker Beweis dessen, was ich gesagt habe.[223]

Hier haben Sie etwas, das erst kürzlich geschehen ist. Sie wissen, daß die Trauung des Königs von Spanien mit der königlichen Prinzessin zu Fontainebleau den 31. des Augustmonats 1679 geschehen ist und daß diese Prinzessin nicht lange danach nach Paris gekommen, wo sie eine unzählige Menge von Glückwunschreden hat anhören müssen. Doch vielleicht wissen Sie nicht, daß bei den Ordensbrüdern des Oratoriums man Ihre Majestät versicherte: »Die Ehe, durch eine ewige Verbindung zwei der größten Monarchien von der Welt und einen allgemeinen Frieden zu verknüpfen, sei ihrer geheiligten Person aufbehalten und der Welt schon längst vom Himmel versprochen worden. Kaiser Karl der Fünfte (dies ist der Beweis des himmlischen Versprechens) habe dieses durch die geheimnisvollen Lilien vorherprophezeit, welche er mit eigenen durchlauchten Händen in dem Garten seiner Einsamkeit gegen das Ende des Augustmonats im Jahr 1558 gepflanzt hat. Denn in dem Augenblick, da dieser große Monarch kurz darauf, im Herbst ebendesselben Jahres, mit Tod abgegangen, habe diese Lilienzwiebel jählings einen Stengel zwei Ellenbogen lang mit einer vortrefflichen Blume getrieben, die so ausgebreitet und wohlriechend gewesen, wie diese Art Blumen in Spanien in ihrer ordentlichen Jahreszeit zu sein pflegen. Das war ein gewisses Zeichen, Madame, daß eine bewundernswürdige Lilie in Spanien Ende des Augustmonats würde versetzt werden, zu einer Zeit, da die Ehre dieses Reiches eine Art der Verdunklung zu erleiden scheinen würde, um dahin in dem Herbst mit dem frieden die Annehmlichkeiten des Frühlings zu bringen usf.«

Das Wundersame hier ist nicht darin zu suchen, daß man an der Spitze einer der gelehrtesten Gesellschaften von der Welt sich unrichtiger Gedanken gegen eine Königin bedient habe, die, ungeachtet ihrer großen Jugend, allzuviel Verstand und Einsicht besaß, als daß sie nicht hätte einsehen sollen, daß dieses leere Bilder gewesen. Man muß mit denjenigen nicht so streng verfahren, welche öffentliche Reden ablegen. Wir wollen ihnen das Vorrecht[224] lassen, welches sie zu allen Zeiten besessen, die Sachen unter glänzenden und prächtigen, obgleich bei Gelegenheit falschen Bildern vorzutragen.189 Aber darüber verwundere ich mich, daß ein guter Teil von der unzähligen Menge von Leuten, welche diese Rede in dem Mercure galant gelesen, bei dieser Stelle in Eifer geraten ist und mit allem Ernst dafürgehalten hat, daß diese Lilie ein Vorbild der Vermählung des jetzt regierenden Königs in Spanien gewesen ist. So wahr ist es, daß wir gewohnt sind, überall Geheimnisse und Vorbedeutungen zu finden. Der Graf de la Roca, ein Enkel des Don Louis d'Avila und Geschichtsschreiber Kaiser Karls des Fünften sowohl als dieser, erzählt die Geschichte dieser wunderbaren Lilie auf eine andere Art und findet darin eine ganz andere Vorbedeutung, woraus man sehen kann, daß dergleichen Anmerkungen zuweilen ebenso falsch erzählt wie angewendet werden.


100. Neue Anmerkung, um zu erweisen, daß das Alter und die Allgemeinheit einer Meinung nicht ein Merkmal der Wahrheit ist

Geben Sie sich die Mühe und sehen Sie jetzt, ob man vermöge der Gleichheit, die sich zwischen den Alten und Neueren befindet, viele Ursache hat zu urteilen, daß die Kometen unglückliche Vorboten sind. Ich sage es noch einmal: Es ist ein reiner Betrug, wenn man behauptet, eine Meinung, die von einem Jahrhundert zum andern, von einem Geschlecht zum andern fortgepflanzt worden, könne unmöglich ganz und gar falsch sein. Sowenig man auch die Ursachen untersucht, welche gewisse Meinungen in der Welt festsetzen und welche dieselben vom Vater auf die Kinder fortpflanzen, so wird man doch allemal sehen, daß nichts unvernünftiger ist als ein solches Vorgeben. Man wird mir unfehlbar zugeben, daß es leicht sei, dem Pöbel gewisse Meinungen beizubringen, welche mit den Vorurteilen der Jugend oder mit den Leidenschaften des Gemüts eine Verwandtschaft haben, dergleichen alle[225] vorgegebenen Regeln der Vorbedeutungen sind. Ich verlange nichts mehr als dieses, denn das ist zulänglich, diese Meinungen zu verewigen, weil, etliche wenige philosophische Geister ausgenommen, niemand sich's in den Sinn kommen läßt, zu untersuchen, ob das, was man sagen hört, durchgehend der Wahrheit gemäß sei. Ein jeder nimmt an, man habe es schon vor diesem untersucht und die Vorfahren hätten sich schon genugsam vor dem Irrtum verwahrt; daher hält man es auch für seine Schuldigkeit, es der Nachwelt als eine unleugbare Sache bekanntzumachen. Erinnern Sie sich dessen, was ich sonst schon von der Trägheit des Menschen und von der Beschwerlichkeit gesagt habe, der er sich unterziehen muß, wenn er eine Sache gründlich untersuchen will, so werden Sie sehen, daß anstatt mit dem Minucius Felix zu sagen: Alles ist ungewiß unter den Menschen, aber je Ungewisser alles ist, desto mehr hat man Ursache sich zu verwundern, daß einige Menschen aus Ekel vor einer genauen Untersuchung der Wahrheit viel lieber die erste beste Meinung, die sich darstellt, blindlings ergreifen, als daß sie die Sachen langweilig um sorgfältig untersuchen sollten190, man vielmehr sagen müsse: Je ungewisser alles ist, desto weniger hat man Ursache sich zu verwundern, daß einige Menschen usf. Der Verfasser der Kunst zu denken191 merkt sehr verständig an, daß die meisten Menschen bereit sind, eine Meinung viel mehr als eine andere für wahr anzunehmen, weil sie gewisse äußerliche und fremde Merkmale daran wahrnehmen, davon sie urteilen, daß sie der Wahrheit gemäßer sind als der Falschheit, und die sie leicht unterscheiden, da indessen die tüchtigen und wesentlichen Gründe, voraus man die Wahrheit erkennen kann, schwer zu entdecken sind. Wie nun die Menschen allemal zu dem geneigt sind, was ihnen nicht schwer vorkommt, also neigen sie sich fast allemal auf diejenige Seite, wo sie diese äußerlichen Merkmale wahrnehmen. Nun wissen Sie aber, mein Herr, das Altertum und die Allgemeinheit einer Meinung wird sehr gern von unserem Verstand für eins dieser äußerlichen Merkmale angesehen.[226]

Ich sehe alle Tage Leute, die sich in acht nehmen, daß sie sich im Maimonat nicht verheiraten, weil sie gehört haben, daß eine solche Heirat von undenklichen Zeiten her unglücklich ausgefallen, und ich zweifle gar nicht, daß dieser Aberglauben, den wir von dem alten Rom bekommen haben und der sich darauf gründete, weil man daselbst im Maimonat das Fest der bösen Geister Lemuralia feierte, unter den Christen nicht bis ans Ende der Welt fortdauern sollte. Denn man braucht nichts mehr, um denselben in einer Familie beizubehalten, als daß man sich erinnert, ein Großvater oder ein Vetter habe ein Bedenken dabei gehabt. Das ist ein unwidertreiblicher Grund, und der einen desto größeren Eindruck in das Gemüt macht, wenn man sieht, daß Leute von Verstand in ebendem Vorurteil stecken. In der Tat, es gibt deren einige, welche, ohne abergläubisch zu sein, ihre Hochzeit aufschieben oder beschleunigen, um nur den Maimonat zu vermeiden, denn es ist ihnen daran gelegen, daß man nicht glaube, als ob sie sich dem Unglück überlassen hätten. In der Welt muß man nichts verabsäumen. Ein Kaufmann kann in der Tat unglücklich werden, wenn man die lächerliche Meinung hat, es drohe ihm ein Unglück, denn da verliert er seinen Kredit, und niemand mag Gemeinschaft mit ihm haben. Wann würde man fertig werden, wenn man alle die Ursachen, welche die Irrtümer des Pöbels unterhalten, untersuchen wollte?


101. Überzeugender Beweis des Irrtums, darin man sich in Ansehung der Vorbedeutungen befindet

Sogar die Heilige Schrift ist von dem Mißbrauch nicht ausgeschlossen. Denn diejenigen, welche aus völliger Überzeugung ausbreiten, daß die Art und Weise, womit Tamerlan seinen zwei Söhnen den Segen erteilt, da er nämlich den Kopf des ersteren untergedrückt und des anderen seinen in die Höhe gerichtet, eine Vorbedeutung von des letzteren Erhebung gewesen, da hingegen der andere niedrig[227] verblieben, gründen sich allem Ansehen nach auf das 48. Kapitel des ersten Buches Mosis, wo man liest, daß Jakob bei Segnung der zwei Söhne Josephs die rechte Hand auf den Kopf des Jüngsten gelegt hat, weil er durch einen prophetischen Geist vorhersah, daß er mächtiger werden würde als der Alteste. Indessen muß man einen großen Unterschied unter diesen beiden Segnungen anmerken. Der Tatar war von dem Zukünftigen nicht unterrichtet und konnte also die Bewegung seiner Hände nicht verändern, um eine Vorbedeutung dadurch zu bestimmen, und da Gott den Ungläubigen künftige Dinge nicht offenbaren will, so hat er auch hier die Hände des Tamerlans nicht auf eine solche Art geführt, daß man daraus eine Vorbedeutung dessen, was seinen Kindern begegnen würde, schließen könnte. Jakob im Gegenteil war mit einer himmlischen Offenbarung erfüllt, dadurch er das Schicksal seiner Nachkommen wußte, seine Handlungen und Worte nach diesem Wissen einrichtete, und also waren sie in der Tat Vorbedeutungen.

Man erwäge nur dieses: Da die Kenntnis des Zukünftigen bloß von Gott herrühren kann, so ist keine Vorbedeutung zufälligen Dinge, welche nicht unmittelbar von Gott bestimmt sein sollte. Soll demnach das Erblicken eines Wiesels etwas vorbedeuten, so muß der Grund davon in einem ewigen Gesetz Gottes zu suchen sein, welcher eine solche Bewegung des Wiesels mit etwas anderem verknüpft hat. Wie es nun ungereimt sein würde, wenn man sagen wollte, Gott habe eine unendliche Menge von dergleichen Verbindungen gemacht, um den Menschen das Zukünftige kennen zu lehren, das Zukünftige, sage ich, dessen Kenntnis, wie er spricht, er für sich behält, um die falschen Götter zusehenden zu machen192, und davon er nur einige Propheten aus besonderer Gnade etwas hat wissen lassen; wie es der Güte und Weisheit Gottes nicht anständig sein würde, wenn er, da er einmal willens wäre, uns ein Schicksal zu entdecken, dem wir nicht entgehen könnten, sich einer Art von so unbestimmten und dunklen Zeichen bedienen wollte, wie alle diejenigen sind, die man uns als[228] Vorboten des Künftigen angibt, so muß man allerdings zugestehen, daß dieses Sachen sind, welche von dem menschlichen Verstand und nicht von den Verordnungen der Vorsehung herrühren, wie solches Petronius193 in Ansehung der Träume wohl angemerkt hat.

Hier haben Sie zwei meinem Bedenken nach wichtige Gründe gegen die Vorbedeutungen. Fürs erste sind sie unzählig, wenn wir all demjenigen Glauben beimessen, was man uns bei dieser Gelegenheit erzählt. Kein Jahr verging zu Rom ohne Vorbedeutungen, und wenn wir uns die Mühe nehmen wollten, die Anmerkungen aneinanderzuhängen194, welche sich bei den Geschichtsschreibern in Ansehung der Vorbedeutungen befinden, die Gott von den Dingen, die auf dem Erdboden sich ereignen sollten, soll gegeben haben, so würden wir eine Kette bekommen, die durch alle Jahrhunderte ununterbrochen durchgehen würde. Befragen wir uns darüber bei leichtgläubigen Leuten, so werden wir finden, daß ihnen nichts Merkwürdiges begegnet sei, da sie nicht durch eine Vorbedeutung dazu sollten vorbereitet worden sein. Daraus kann man folgern, daß dieses lauter leere Einbildungen sind, weil auf der einen Seite klar erhellt, daß die Menschen unbeweglich glauben, es sei eine gewisse Macht, der das Zukünftige bekannt ist, und also ihr Unglaube Gott nicht bewegen kann, Wunder zu tun, um denselben auszurotten, und weil auf der andern Seite zu ersehen ist, daß, wenn Gott in der Tat Vorbedeutungen kommen ließe, er die Menschen außerordentlich und zugleich unaufhörlich vor ihnen bevorstehenden Dingen warnen müßte, welches einen Widerspruch enthält. Alsdann würde man einige Ursachen haben, mit dem Maximus Tyrius zu urteilen195, die Gottheit hielte sich immer auf der Herrstraße auf, um einem jeden Wanderer sein gutes Glück zu sagen.

Der andere Grund ist: Weil die besagten Vorbedeutungen nicht nur bevorstehende Dinge nicht auf eine unverständliche Art sagen, sondern auch nicht dazu dienen können, ihre Ankunft zu verhindern. Ich beweise es daraus:[229] Weil man niemals weiß, daß etwas die Vorbedeutung eines andern Dinges gewesen, bis dies andere gekommen ist. Denn so eingenommen wir von den Prophezeiungen sind, so glauben wir doch nicht, die Vorbedeutung eines nicht geschehenen Dinges gehabt zu haben. Ein Mensch, der sein Geld verspielt, ist so töricht, daß er sich einbilden sollte, es habe ihm geahnt, daß er gewinnen würde, und gesetzt, er hätte, bevor er verloren, gewisse Vorbedeutungen eines guten Glückes gehabt, so wird er diese nicht mehr für solche halten, sobald er gewahr wird, daß er sein Geld verloren. Die Heiden, wenn sie glaubten, es drohten ihnen unglückliche Vorboten, und wenn sie sich bemühtet, die Folgen davon zu hintertreiben, hatten, bevor die Dinge sich ereigneten, sehr dunkle und allgemeine Begriffe davon; und erfolgte nichts Widriges darauf, so glaubten sie leicht, daß dasjenige, was man für eine Vorbedeutung angesehen, in der Tat keine gewesen sei. Daher kann man behaupten, daß bloß der Ausgang versichert, ob eine Sache die Vorbedeutung einer andern gewesen sei oder nicht, und daß folglich die Vorbedeutungen an sich selber gar nichts dienen, das Übel zu verhüten. Ja, wenn die Vorbedeutungen uns in den Stand setzten, unserm Schicksal zu entgehen, so würde der Grund des Me zerai seine Gültigkeit verlieren, weil wir Ursache hätten zu glauben, es stünde in unserer Gewalt, das Zukünftige zu andern. Daraus würde folgen, daß wir Gott nicht die höchste Gewalt über das Künftige zuschrieben, welches doch der einzige Nutzen ist, welchen man nach dem Bedünken dieses Geschichtsschreibers aus der Kenntnis der Vorbedeutungen ziehen kann. Das einzige, wozu wir diese Kenntnis bestimmen könnten, besteht darin, daß man sagen könnte, Gott habe eine unendliche Anzahl Zeichen bestimmt, um uns das Zukünftige zu eröffnen, damit wir uns grämen könnten, bevor noch die Sachen erfolgt sind. Und wenn man dieses voraussetzt, so ist es wahr, Gott tut unaufhörlich Wunder, um alle Menschen ohne Unterschied, gute und böse, zu beunruhigen, bevor noch die Übel, die er ihnen zubereitet,[230] sie überfallen. Wie nun dieses dem Begriff, den wir von Gott haben und der uns denselben so groß und gütig darstellt, daß nichts Boshaftes, nichts Niedriges bei ihm stattfinden kann, höchst zuwider ist, so muß man notwendig schließen, daß er nicht der Urheber dieser Vorbedeutungen ist, die man uns so oft vorschwatzt, und daß folglich die Klagen, welche zuweilen die Heiden bei dieser Gelegenheit gegen die Gottheit geführt haben, höchst ungerecht und unbillig gewesen sind. Sie wünschten, daß sie doch Gott nicht auf eine doppelte Art unglücklich gemacht hätte: 1. durch die Vorboten des Übels, 2. durch das Übel selber, wie man solches aus dieser Stelle der Pharsale196 ersehen kann:


O warum hast du doch, du Herrscher dieser Welt,

Uns armen Sterblichen die Neugier zugesellt,

Die künftige Gefahr im voraus zu erblicken?

– – – – – Gib uns ein blind Gemüt,

Das nicht zu seinem Gram ein künftig Schicksal sieht,

Und laß uns bei der Furcht noch etwas Hoffnung hegen!


Verblendete Leute! Was von ihren unrichtigen Urteilen herrührte, das schrieben sie Gott zu. Sie selber waren die Urheber ihrer Vorbedeutungen, nicht nur weil sie sich ohne Grund einbildeten, daß es deren gäbe, sondern auch, weil sie ihrer Verblendung zufolge oft auf Sachen verfielen, von denen sie glaubten, daß sie vorherverkündigt worden sind, und nach diesen sich kräftig in ihrem Irrtum bestärkten, wenn sie sahen, was für Erfolg ihre vermeintlichen Vorbedeutungen gehabt hätten. Das ist eine von den Ursachen, welche die meisten Wahrsagungen in der Welt unterhalten hat. Ein Sterndeuter sagt einem Menschen vorher, er würde in kurzem sterben. Dieser ist so einfältig, daß er es glaubt, und so schwermütig wird, daß er davon stirbt. Dieser Tod kann einem ganzen Volk die Gewißheit der Sterndeuterkunst so wahrscheinlich machen, daß man es für unmöglich hält, ihren Prophezeiungen[231] zu entgehen. Sagt man also einem Mädchen, ihr Gestirn verheirate sie an den und den, gleich entschließt sie sich dazu als zu einer vorherbestimmten Sache. Die Heirat gerät dadurch, und der Betrug wird immer stärker und stärker.

Ich könnte diese Materie weiter ausführen. Doch da ich hauptsächlich mit den Kometen zu tun habe, so wird es mir genug sein, mein Herr, wenn Sie begreifen, daß es nicht nur sehr möglich sei, daß die allgemeine Meinung von ihren Vorbedeutungen falsch sein könne, wenn man die Art und Weise betrachtet, wie sie in den Gemütern eingewurzelt und fortgepflanzt werden, sondern daß sie schlechterdings, wegen des Widerspruches, welcher zwischen dieser Meinung und der Natur Gottes ist, falsch und unrichtig sein müsse.

Nach dieser langen Abschweifung bin ich bereit, mein Herr, Ihnen alle die Erläuterungen zu geben, die sie von mir wünschen können.

A..., den 23. Juni 1681


102. Erster Einwurf wider den aus der Gottesgelehrtheit hergeleiteten Beweisgrund: Gott habe Kometen hervorgebracht, damit die Heiden seine Vorsehung erkennen und nicht Gottesleugner werden möchten

Ich sehe nur einen einzigen Einwurf von Erheblichkeit gegen dasjenige, was ich durch meinen siebenten Beweisgrund festgesetzt habe. Man kann mir einwenden, Gott habe keineswegs die Absicht gehabt, den Götzendienst zu verstärken. Er habe nur der Welt zeigen wollen, daß es eine Vorsehung gäbe, welche Gutes und Böses austeile, die Menschen liebe, sie nicht ins Verderben stürzen wolle, bevor sie ihnen Zeit zur Bekehrung gegeben, und die daher ihre Liebe und Erkenntlichkeit verdient. Dies ist die wahre Absicht, wird man sagen, die Gott allemal gehabt hat, wenn er Kometen hat erscheinen lassen. Es schicke[232] sich auch dieser Endzweck vortrefflich für die Güte und Weisheit Gottes. Man könne nicht leugnen, daß die Kometen zur Abgötterei Anlaß gegeben, doch daran sind die Heiden schuld gewesen, weil sie das nicht einzusehen gewußt, was Gott von ihnen verlangte. Überdies sind doch die Kometen und andere Wunderzeichen von großem Nutzen gewesen, weil sie die Menschen verhindert haben, Gottesleugner zu werden, wodurch widrigenfalls die menschliche Gesellschaft zugrunde gegangen sein würde. Horaz meldet ausdrücklich197 daß der Donner, den er zu verschiedenen Malen bei heiterem Himmel gehört, ihn von dem Anhang des Epikurs, welcher die Vorsehung leugnete, abgezogen habe.


103. Erste Antwort: Gott tut nicht Wunder, um ein Verbrechen durch Einführung eines anderen zu hintertreiben, z.B. die Gottesleugnung durch Aufrichtung des Götzendienstes

Ich gebe zur Antwort: Alles dieses hält demjenigen Unheil nicht die Waage, welches aus der Meinung, die ich widerlege, entsteht. Denn fürs erste scheint es nicht mit der Heiligkeit und Weisheit Gottes übereinzukommen, Wunder zu tun, um einem Übel durch ein anderes abzuhelfen. Man kann wohl sagen, daß Gott aus Finsternis Licht macht und daß seine unendliche Vorsehung selbst in der Verderbnis des Sünders Gelegenheit findet, sich bewundern zu lassen. Allein, es wäre ungereimt, wenn man sagen wollte, Gott schaffe diese Finsternis und Bosheit, damit er hernach daraus Licht machen und seine Gnade offenbaren könne. Es wäre gotteslästerlich, wenn man behaupten wollte, Gott tue Böses, damit etwas Gutes daraus erfolge, er verwickle alle Menschen in den Götzendienst, damit sie nur nicht Gottesleugner würden. Ist es aber gotteslästerlich, so zu reden, wie kann man denn sagen, Gott habe Wunder getan, welche, nach Beschaffenheit der damaligen Umstände, die Abgötterei notwendig[233] in das Herz des Menschen einpflanzen mußten? Wie kann man, sage ich, Gott diese Wunderwerke zuschreiben unter dem Vorwand, er verhindere dadurch die Ausbreitung der Gottesleugnung? Gesteht man nicht auf solche Art, Gott habe durch seine Wunder die Fortpflanzung der Abgötterei befördert, nur um die Atheisterei zu ersticken? Das ist, er habe ein sehr großes Übel befördert, nicht um ein sehr großes Gut dadurch zu erhalten (denn die Ausrottung der Gottesleugnung an und für sich kann weder jemanden selig machen noch Gott verherrlichen, wie er verlangt), sondern nur um ein größeres Übel zu verhüten. Fürwahr ein schöner Gegenstand, der sich für die Größe Gottes ungemein schickt und eine seiner Weisheit vortrefflich gemäße Absicht, wenn man vorgibt, daß er die Natur umkehre, damit er einem Übel durch die Erhaltung und Ausbreitung eines andern Übels den Ausbruch verwehre, das ebenso schlimm ist wie das erstere und gegen welches Gott allemal einen unendlichen Abscheu blicken lassen hat. Hat man jemals wahrgenommen, daß Jesus Christus oder die Heiligen Wunder getan, um eine Krankheit durch die andere, die Gicht z.B. durch die Wassersucht zu vertreiben? Was würden das für Wunder sein? Glauben Sie also nur nicht, mein Herr, daß Gott Wunderwerke verrichtet, damit er die Atheisterei durch Unterhaltung des Götzendienstes verhindern möge, und erinnern Sie sich, daß, da Gott einen so starken Haß gegen die Abgötterei bezeugt hat, es nicht wahrscheinlich sei, daß er ihrethalben etwas mehr getan, als daß er sie geduldet. Hätte er die Gottesverleugnung durch außerordentliche Mittel verbannen wollen, würde er wohl dazu solche gewählt haben, welche offenbar zur Beförderung dessen führten, was er so heftig verabscheut, was seinen Eifer entzündet, wie die Schrift redet.

Scheint es Ihnen nicht, mein Herr, daß dieser Begriff eines eifersüchtigen Gottes, dadurch er sich uns offenbart hat, uns Anlaß zu glauben gäbe, er wolle lieber gar nicht von Menschen erkannt werden, als zulassen, daß die ihm allein zuständige Ehre andern gegeben werde; und daß also,[234] wenn er ja durch seine Wunder sich der Freiheit des Menschen hätte widersetzen und ihr zuwiderhandeln wollen, er vielmehr würde verhindert haben, daß der Mensch nicht in Abgötterei statt in Gottesverleugnung verfallen möchte. Es kommt mir nicht zu, hierin etwas zu entscheiden. Nur so viel will ich sagen: Die Eifersucht eines Mannes sieht es weit lieber, wenn seine Frau gar niemand liebt, als daß er wünschen sollte, sie möchte die eine Hälfte ihres Herzens ihm, die andere aber einem andern zukommen lassen. Ich setze noch dies hinzu: Es ist nicht wahrscheinlich, daß Gott zum Gegenstand seiner Wunder entweder die Ausrottung der Gottesleugnung durch Erhaltung der Abgötterei oder die Ausrottung des Götzendienstes durch Einführung der Atheisterei habe erwählen können: 1. Weil die Gottesleugnung und die Abgötterei zwei Dinge sind, davon auch das beste nichts taugt, und beide zu nichts dienen können, als die Gottheit zu verunehren. 2. Weil es sonst schon ausgemacht ist, daß Gott nur übernatürlicherweise handelt, um seine Ehre auf eine merklichere Art bekanntzumachen und den Irrtum derjenigen desto nachdrücklicher zu bestreiten, welche ihn nicht auf die gehörige Weise erkennen.

Man sage mir daher nicht mehr, Gott habe Wunder getan, um die Atheisterei zu verhindern, es sei denn, daß man noch hinzusetze, er habe deswegen der Gottesleugnung gesteuert, damit er wahrhaftig erkannt und verehrt werden möge. Denn setzt man dieses nicht hinzu, so kann ich mit Recht behaupten, daß Gott die Atheisterei durch Wunderwerke aufgehoben, damit Jupiter und Minerva, Venus und Merkur und unzählige andere eingebildete Gottheiten durchgehend auf der ganzen Erde diejenigen Ehrenbezeigungen erlangen möchten, welche nur dem wahren Gott zukommen, welches doch schnurstracks der Offenbarung zuwiderläuft. Denn Gott hat sich darüber selbst erklärt und bei seinem Namen geschworen: Er wolle seine Ehre keinem andern geben noch seinen Ruhm den Götzen. Esra 42, V. 8. Man sage mir nicht, Gott sei doch wenigstens mittelbarerweise198 von denjenigen geehrt[235] worden, welche den Jupiter und die Juno anbeteten, denn es ist nicht unrichtiger und der Offenbarung mehr zuwider als dieses. Und obschon die Heiden allemal das Ansehen haben wollten, als verehrten sie eine Gottheit, und sie auch alles dasjenige, was sie angebetet haben, als ein Bild der Gottheit anbeteten, so hat sich doch Gott beständig erklärt, daß er diesen Dienst nicht als den seinigen ansehe, sondern als einen Raub und als eine unrechtmäßige Entwendung dessen, was ihm zugehöre, die er daher auf die schrecklichste Art bestrafen müsse. Sagen Sie mir nicht, mein Herr, es gäbe Kirchenlehrer, welche behaupteten, daß die Sterne durch eine ganz besondere Vorsorge an den Himmel gesetzt worden, um zu verhindern, daß die Menschen nicht Gottesleugner werden möchten, und um ihnen daher solche Gegenstände vor Augen zu stellen, welche der Anbetung würdig zu sein schienen. Setzen Sie mir ja nicht diesen Gedanken entgegen, denn er ist allzu abscheulich, als daß man ihn nicht verwerfen müßte, gesetzt auch, daß man ihn in verschiedenen Schriften der heiligen Väter fände. Man bewundere ihre Heiligkeit, sosehr man will, aber man gestehe auch, daß sie zuweilen sehr falsch urteilen. Ihre Sorbonne, mein Herr, nimmt nicht alles an, was Sie gesagt haben, und es geschieht sehr oft, daß, wenn sie das Fest derselben gefeiert und sich Ihrer Fürbitte empfohlen hat, sie sich kein Gewissen daraus macht, dieselben nach Möglichkeit zu widerlegen.


104. Zweite Antwort: Es ist niemals nötig gewesen zu verhindern, daß die Gottesverleugnung nicht anstatt der Abgötterei aufkommen möchte, und die Kometen hätten es auch nicht verhindern können

Doch gesetzt, die Heiligkeit und Weisheit Gottes hätten ihm erlauben können, Wunder zu tun, um die Gottesleugnung mittels der Abgötterei zu verbannen, so würde es[236] dennoch wahr sein, daß Gott deren niemals einige dieser Absicht halber getan hat, weil Gott nichts vergeblich tut, und es unnötig gewesen sein würde, wenn er durch Wunderwerke die gänzliche Verlöschung aller Religionen in der Welt hätte verhüten wollen. Es ist sittlicher und natürlicherweise unmöglich, daß eine ganze Nation, welche an einen Gott glaubt und gewisse Religionsgebräuche eingeführt hat, das Widerspiel von dem allen auf einmal zu glauben und zu tun anfangen sollte. Kann man es sich doch kaum einbilden, daß ein einziger Mensch, entweder durch Unvernunft oder durch falsche Spitzfindigkeiten, den Begriff von einer ersten Grundursache, von welcher alles herrührt und welcher alles unterworfen ist, in seiner Seele sollte ersticken können. Wie will man es daher für möglich ansehen, daß ein ganzes Volk, nachdem es in einer Religion erzogen und angewöhnt worden ist, die Götter bei widrigen Umständen um Hilfe anzuflehen, bei glücklichen aber ihren Dank abzustatten, daß ein ganzes Volk bei tausenderlei Empfindungen der Furcht, die es schon längt gehabt hat, und bei einer so großen Anzahl abergläubischer Leute, daraus es besteht, auf die gänzliche Verleugnung einer Gottheit verfallen könnte? Man darf die Neigungen der Völker nur ein wenig untersucht haben, so wird man mir zugeben, daß dieses eine unmögliche Sache ist. Wozu wäre es also nötig, so oft Kometen zu erschaffen, um ein Übel zu vermeiden, das nimmermehr erfolgen kann? Was ist vergeblicher als Wunderwerke von der Art?

Ja, wird man sagen, sie geben den Völkern, welche keinen Gott erkennen, Anlaß zur Bekehrung. Ich antworte, daß dieses nicht an dem ist. Denn wenn es wahr ist, wie einige Nachrichten versichern, daß man Völker gefunden, die sich zu gar keiner Religion bekannt haben, so folgt daraus notwendig, daß die Kometen nicht die Kraft besitzen müssen, die Lehre von Gott in den Ländern einzuführen, welche keinen zugeben. Und zudem gibt es Menschen, bei denen ordentliche und außerordentliche Wirkungen der Natur keinen Eindruck machen, die sich einbilden[237] können, daß die Welt von ungefähr entstanden ist, daß die Bewegungen am Himmel durch kein höchstes Wesen regiert werden, daß alles durch den ungefähren Zusammenfluß gewisser Dinge erfolge, so ist gewiß zu vermuten, daß sie in Ansehung der Gestirne und der Erscheinungen, die sich von neuem blicken lassen, ein Gleiches urteilen werden. Und also ist es schlechterdings unwahrscheinlich, daß ein Komet, er mag so lange am Himmel stehen, wie er will, einem Volk die Gedanken sollte beibringen können, daß ein Gott sei, da die so schönen und ordentlichen Werke der Natur, die Verfinsterungen, die Erderschütterungen, die entsetzlichen Sturmwinde, Donner und Blitz dasselbe von dem Dasein eines höchsten Wesens nicht haben überführen können.


105. Von der wundersamen Neigung der alten Heiden, die Zahl der Götter zu vermehren

Was diejenigen Völker betrifft, davon uns die alte Historie Nachricht gibt, so finden wir, daß gar keine Gefahr gewesen, als ob sie in die Atheisterei verfallen würden. Sie hatten sich vielmehr hauptsächlich in den Kopf gesetzt, ihre Götter und Religionen unendlich zu vermehren. Sie wissen die Anmerkung jenes christlichen Dichters199, welcher gegen den Symmachus schrieb: Die Stadt Rom vervielfältige ihre Götter nach der Zahl ihrer Siege. Es ist Ihnen auch unfehlbar der spöttische Einfall Juvenals200 bekannt, da er sagte, der arme Atlas habe eine solche Last von Göttern auf seinen Schultern, daß er sie kaum tragen könnte. Sie wissen, daß keine Art von Geschöpfen gewesen, welche die Heiden nicht vergöttert gehabt, daß sie sogar die Kräuter in ihren Gärten angebetet, daß sie den Winden und Ungewittern Opfer gebracht, daß sie der Unkeuschheit, der Schmähsucht, der Furcht, dem Fieber201, selbst dem Tod, der doch so unerbittlich ist, Altäre aufgerichtet haben, daß sie ihre Könige und Kaiser in den Götterstand erhoben haben, nicht allein, nachdem sie[238] durch den Tod von der Notwendigkeit befreit wurden, vermöge der sie ihre Schwachheiten ebensowohl wie andere Menschen mußten sehen lassen, sondern auch dann, da jedermann alle Arten der Unvollkommenheit an ihnen wahrnehmen konnte. Es ist hier nichts zuviel gesagt. Das sind Dinge, die von allen Kennern des Altertums zugegeben werden. Was ich in Ansehung der Könige und Kaiser gesagt habe, erhellt sowohl aus der Gewohnheit der Perser202, welche ihre Beherrscher mit einer eigentlich sogenannten Anbetung verehrten, deren sich verschiedene Ausländer aus einem Religionsskrupel weigerten, als auch aus den Gebräuchen der Römer, welche bei der Gottheit ihrer lebenden Kaiser schwuren und vor ihren Augen und mit ihrem Wissen und Willen203 ihnen Tempel und Altäre widmeten, wie man solches aus der außerordentlichen Gesandtschaft ersieht, welche die Bürger von Tarragona an den Kaiser Augustus mit der Nachricht abschickten, es sei ein Palmbaum auf dem Altar und in dem Tempel gewachsen, welchen sie ihm zu Ehren hätten aufrichten lassen. Es ist wohl wahr, daß dieses dem Kaiser sehr unglaublich vorgekommen, weil er ziemlich spöttisch zur Antwort gegeben204: Er sehe wohl, daß man nicht gar viele Opfer auf diesem Altar anzünden müßte. Indessen blieben sowohl dieser Tempel als Altar nebst noch vielen andern stehen, welche ebenfalls diesem Gott gewidmet waren. Einige darunter wurden durch eine eigene, bloß dazu aufgerichtete Gesellschaft von Priestern versehen, und einige waren sogar in dem kleinen Winkel des Erdbodens aufgerichtet worden, welchen doch der wahre Gott sich allein vorbehalten hatte; denn Sie wissen, daß Herodes dem Augustus auch im jüdischen Land Tempel auferbaut hat. Überhaupt war die Gewohnheit, die Kaiser zu vergöttern, unter den Heiden so eingewurzelt, daß, obschon Konstantin ihre falsche Religion verlassen und die christliche angenommen, diese auch bis an sein Ende beständig bekannt hatte, sie ihn dennoch205 nach seinem Absterben unter die Götter zählten. Das kommt mir beinahe ebenso wundersam vor wie die philosophische Gütigkeit[239] des Kaisers M. Aurelius, der seiner Gemahlin, die ihn durch eine freche und öffentlich bekannte Unkeuschheit entehrt hatte, sobald sie tot war, göttliche Ehre antun und überdies ihr noch einen Tempel aufbauen ließ.

Niemals ist ein Übel weniger zu besorgen gewesen als die Gottesleugnung, und folglich kann Gott nicht Wunder getan haben, dieselbe zu verhindern. Hätte also Gott durch Hervorbringen der Kometen das Reich der Abgötterei verstärken wollen, so müßte er es nicht deswegen getan haben, um ein größeres Übel zu verhüten, sondern er hätte Wunder getan, schlechterdings und eigentlich, um ein sehr großes Übel zu befördern, welches man doch ohne Gotteslästerung nicht sagen kann.


106. Dritte Antwort: Wenn es auch zu fürchten gewesen wäre, die Atheisterei möchte die Stelle der Abgötterei einnehmen, so hätte doch Gott nicht Wunder tun dürfen, um jene zu verhindern

Ich gehe weiter und sage fürs dritte: Wenn man auch Grund gehabt hätte zu befürchten, es möchte etwa die Atheisterei in der Welt aufkommen, so würde es doch schlechterdings nicht nötig gewesen sein, auf Wunderwerke zu verfallen, um diesem großen Übel vorzubeugen. Man durfte nur die Natur nach ihren Kräften wirken lassen, die Menschen und die Teufel sorgten schon so gut dafür, daß man sich darauf verlassen konnte.


107. Die Wirkungen der Natur konnten die Gottesleugnung verhindern

Da in der Tat die Körper immer einer gegen den andern wirken, so bringen sie von Zeit zu Zeit durch eine natürliche Folge tausend erstaunliche Dinge zum Vorschein, Mißgeburten, glänzende Lufterscheinungen, entsetzliche Sturmwinde, Überschwemmungen, ansteckende Seuchen[240] und greuliche Hungersnot. Und weil überall, wo man von der Religion was hält, der gleichen Dinge für besondere Wirkungen der Vorsehung angesehen werden, und man glaubt, daß sie deswegen geschehen, damit der Gottesdienst und die Andacht stärker als sonst getrieben werden möge, so ist es unmöglich, wenn die Welt bleibt, wie sie ist, daß die Menschen aus ihrem Herzen die Furcht und Lehre der Götter ausrotten sollten. Also war es unnötig, daß Gott die allgemeinen Gesetze der Natur hintenansetzte, er konnte in dem Fortgang und in der Verbindung natürlicher Ursachen außerordentliche Erscheinungen genug finden, um einen Schrecken einzujagen. Man darf die Begierde der Heiden, geringe Dinge für Wunderzeichen anzusehen, die wir oben berührt haben, nur ein wenig überdenken, so wird man leicht davon überzeugt werden.


108. Die Staatskunst konnte ebendasselbe verhindern

Doch obschon die Menschen für sich selbst geneigt genug waren, äußerlich andächtige Handlungen auszuüben, sobald sie glaubten, daß ihnen von selten des Himmels durch Wunderzeichen Unheil angedroht würde, so muß man überdies erwägen, daß die Staatskunst der Obrigkeit, welche über bürgerliche und der Religion zugehörige Sachen wachte, große Sorge getragen, die Menschen durch den Zaum der Furcht vor den Göttern in der Unterwürfigkeit zu erhalten. Man hat zu allen Zeiten zugestanden, daß die Religion ein Band der menschlichen Gesellschaft ist, und die Untertanen sind niemals besser im Gehorsam erhalten worden, als wenn man den Dienst der Götter geschickt dazwischenzubringen gewußt, und daß man die Völker niemals mit besserem Erfolg zur Verteidigung des Vaterlandes anzufrischen vermocht, als wenn man ihr Herz durch gewisse heilige Handlungen in Bewegung gesetzt hat, die man in gewissen Tempeln mit prächtigen Zeremonien unter der schon tausendmal verspürten Beschützung[241] gewisser Gottheiten vollendet hat, und wenn man sie endlich überredet gehabt, daß die Feinde, welche diese heiligen Orte entweihen wollten, durch die Prophezeiung der Opfer mit einer entsetzlichen Strafe bedroht würden. Damit alle diese Triebfedern in Bewegung gesetzt werden konnten, mußte nicht nur eine von der Obrigkeit bestätigte Religion im Schwange gehen, sondern die Untertanen mußten auch mit Furcht, Ehrerbietung und Ehrfurcht gegen alle Übungen dieser Religion eingenommen sein. Die Staatskunst erforderte daher, alles dasjenige sorgfältig in acht zu nehmen, was geschickt war, den Eifer für die Religion in den Gemütern zu unterhalten und ihnen eine starke Ehrerbietung für die geringsten Gebräuche derselben einzuflößen. Urteilen Sie nun, mein Herr, ob man bei sogestalten Sachen Grund gehabt hat zu befürchten, die Völker möchten in Atheisterei verfallen.


109. Der Vorteil der Priester konnte es auch verhindern

Weil sich die Ehrerbietung der Völker gegen Religionssachen sogar auf die Personen, welche damit zu tun hatten, erstreckte, so geschah es, daß diese Personen sich verschiedener Kunstgriffe bedienten, um abergläubische Gedanken in ihren Gemütern zu unterhalten, denn sie setzten sich dadurch in Ansehen und machten ihr Amt so wichtig, daß die vornehmsten Männer danach strebten. Es hat gekrönte Häupter gegeben206, die in der Vogeldeuterkunst etwas wollten getan haben. Der König Dejotarus war sein eigener Wahrsager, und es scheint, als ob er selbst zufolge der Prophezeiungen aus dem Fluge der Vögel es für gut befunden hat, des Pompejus Partei zu ergreifen, ob es gleich nicht gar zu glücklich für ihn ausgefallen. Viele sowohl ihrer Ämter als Standes halber ansehnliche Männer machten sich mit ebendieser Wissenschaft breit. Der römische Rat verordnete, man sollte sechs junge Knaben aus den besten Familien der Republik zu einem jeden Volk Hetruriens schicken, um daselbst die[242] Vogeldeuterkünste zu erlernen. Man hielt dafür, wenn man auf solche Art die Würde dieser Kunst durch die Geburt derjenigen, welche damit zu tun hätten, erhübe, so würde man den Mißbrauch verhüten können, darein gemeiniglich die Künste verfallen, wenn sie geizigen und eigennützigen Seelen in die Hände geraten.207 Aus diesem Grundsatz hat der berühmte Kardinal Pallavicini so gelehrt wie fromm erwiesen, daß die katholische Kirche in der Welt auf den Fuß einer weltlichen Herrschaft gesetzt werden müsse, damit durch Hoffnung großer Einkünfte Freiherren und andere Personen vom ersten Rang zu ihrem Dienst angelockt würden. Dieses macht eine Religion ungemein ansehnlich, denn wer wird es wohl wagen, die Zeremonien der Messe zu verachten, wenn man weiß, daß derjenige, der das Amt hält, das schönste Gefolge und den besten Tisch von der Welt hat.

Jedoch, da man durch ein solches Verhalten die Mißbräuche einer schändlichen Hantierung vermied, so verfiel man dabei in ein anderes Unheil, denn die Vogeldeuter von so vornehmem Stand, da sie dabei voller Hochmut waren, bearbeiteten sich je mehr und mehr durch Erfindung verschiedener Zeremonien, durch Auflegung eines neuen Joches vieler Gewissensskrupel und durch Bekanntmachung unzähliger Wunderzeichen, davon sie alsdann die Ausleger sein mußten, sich eine Herrschaft über die Seelen zuwege zu bringen. Diese Bedienung, darin sie die Wunderzeichen untersuchten und auf Mittel sannen, dieselben zu versöhnen, gab Anlaß, daß man sie für Mittler zwischen Göttern und Menschen ansah. Man überredete sich, sie hätten die Schlüssel des Himmels, sie könnten das dem Staat angedrohte Unglück abwenden, und mit einem Wort, auf ihnen beruhte die allgemeine Wohlfahrt. Urteilen Sie nun, mein Herr, ob die Wunderzeichen nach dem haben seltsam sein können. Zweifeln Sie wohl, daß man nicht die geringsten Wirkungen der Natur für Zeichen des erzürnten Himmels werde ausgegeben haben? Glauben Sie nicht, daß man werde Leute bestellt haben, welche mit der Nachricht in die Hauptstadt des Landes[243] gekommen, es sei am hellen Mittag ein Wolf mitten in eine Stadt gelaufen, man habe in der Luft Pferde wahrgenommen und dergleichen Dinge mehr? Die Oberpriester, gemeinen Priester und Vogeldeuter hatten Nutzen davon, wenn dergleichen Nachrichten beständig herumgingen, so wie es für die Advokaten und Ärzte ein Vorteil ist, wenn es Prozesse und Krankheiten gibt; und daher ließ man wohl nicht das Volk so viel Zeit gewinnen, daß es in seiner Religon hätte kaltsinnig werden können.


110. Wie gern es die Völker geglaubt, daß die Wunderzeichen nicht natürlich zugegangen

Man hatte das Volk so weit gebracht, daß es nicht dulden konnte, wenn die Weltweisen sich unterfingen, die Wunderzeichen aus natürlichen Gründen zu erklären. Denn Plutarch208 sagt ausdrücklich, daß man zur Zeit des Nikias, das ist in dem 4. Jahrhundert nach der Erbauung Roms, sich nur gegen die besten Freunde und mit viel Behutsamkeit von der Ursache der Mondfinsternis herausgelassen, welche Anaxagoras vor kurzem gelehrt hatte. Er setzt hinzu: Es wäre deswegen geschehen, weil das Volk zu der Zeit die Naturverständigen nicht leiden gekonnt, in der Meinung, als schrieben sie dasjenige einer notwendigen und unmerklichen Ursache zu, was bloß von den Göttern herkäme. Man habe aus dieser Ursache den Protagoras aus Athen verbannt und den Anaxagoras in ein Gefängnis geworfen, daraus ihn Perikles mit allem seinem Ansehen und mit aller seiner Beredsamkeit kaum befreien können. Erst nach langer Zeit habe das Volk, mittels der Erklärungen, welche es aus der Lehre des Plato geschöpft, der die Notwendigkeit natürlicher Ursachen der göttlichen Allmacht unterwürfig macht, mit der Weltweisheit in ein gutes Einvernehmen gelangen können. Ich würde den Eifer des Volkes billigen, wenn die Weltweisen den Vorsatz gehabt hätten, den göttlichen Einfluß von allen den Wirkungen, deren Ursachen sie erklärten, auszuschließen. Allein dies war es gar nicht, was den gemeinen Mann aufbrachte.[244] Das war der Fehler, wenn man die Wunderzeichen durch eine natürliche Ursache erklärte, so lief es dahinaus, daß sie nichts vorbedeuten könnten, und also verlor der Pöbel eine Menge eitler Einbildungen, die ihm so lieb waren, und den Wahrsagern entging das hauptsächlichste Stück ihres Amtes. Kaum kann sich Statius209 enthalten, daß er auf seine Helden nicht böse wird, welche gesehen, daß ein Pfeil, der an einen Baum trifft und also auf denjenigen, der ihn abgedrückt, wieder zurückkommt, und die, anstatt daß sie solches für ein von den Göttern außerordentlicherweise abgeschicktes Wunderzeichen ansehen und darauf deuten sollten, es würde Adrastes wieder in den thebanischen Krieg gehen, dasselbe ganz natürlich erklärten.


111. Daß das Priestertum und die weltliche Oberherrschaft zuweilen vereinigt gewesen

Ich mache ferner die Anmerkung, daß es Staaten gegeben hat210, darin die priesterliche Würde mit der königlichen verknüpft gewesen. Ich rechne darunter das Römische Reich. Denn es ist gewiß, wie die Kaiser sich der Zunftmeisterwürde bemächtigten, um sich zu geheiligten und unverletzlichen Personen zu machen und sich die ganze Gewalt des Volkes zuzueignen, so vereinigten sie auch mit ihrer kaiserlichen Majestät die Würde eines Hohenpriesters, um sowohl über Religionssachen sprechen zu können, als auch sich immer unverletzlicher zu machen. Denn es ist bekannt211, daß die Hohenpriester weder einer Strafe unterworfen gewesen sind, noch von ihren Handlungen weder dem Volk noch dem Rat Rechenschaft ablegen dürfen. Vermutlich geschah es auch deswegen, damit nicht eine Bedienung, die so viele Freiheiten hatte, in die Hände eines solchen geriete, der dieselbe zum Nachteil des Kaisers mißbrauchen möchte, wie das sehr natürlich erfolgen konnte. Diese Vereinigung dauerte lange Zeit nach der Taufe des Konstantin, bis sie endlich von dem Kaiser Gratianus aufgehoben und gleichwohl von einigen seiner[245] Nachfolger wieder hervorgesucht wurde. Man hat nach diesem eine ähnliche Vereinigung in dem Reich der Sarazenen gesehen, darin der Kalif zugleich das Haupt der Religion und des Staates war. In andern Ländern waren die Priester Richter; in Ägypten z.B. und bei den Galliern, wo die Druiden die ganze Aufsicht über den Dienst der Götter hatten und alle Privathändel schlichteten. An andern Orten kam es einerlei Stand, nämlich dem Adel, zu, Religionssachen zu entscheiden und die Ämter der Republik auszuteilen, geistliche und weltliche Gesetze auszulegen, dies war die Verordnung des Theseus in Athen. Wiederum bei andern, z.B. in der römischen Republik, war es der Rat, der nach dem Gutachten der Oberpriester, Vogeldeuter und Opferdeuter Prozessionen, Opferungen, heilige Gastmahle und dergleichen anordnete. Nunmehr gebe ich Ihnen zu überlegen, ob es nötig gewesen, daß man die Religion mit allen Kräften zu unterstützen Anstalt gemacht hat, da schon zwei Parteien darin miteinander übereingekommen, deren jeder insbesondere sehr viel daran gelegen war.


112. Von der Sorgfalt, diejenigen zu züchtigen, welche die Religion verachteten

So sieht man auch aus der Historie, daß man nichts von alledem vergessen, was der Verachtung der Religionszeremonien zuvorkommen und das Volk in diesem Stück bei seiner Ehrerbietung erhalten konnte. Man verurteilte den Sokrates in Athen zum Tode, weil seine Lehre die herrschende Religion des Irrtums verdächtig machte. Als der Senat in Rom dem Stadtrichter Petilius aufgetragen hatte, die Schriften des Königs Numa212 durchzulesen, die man in einem steinernen Kasten vierhundert Jahre nach seinem Tod gefunden hat, und den Bericht des Stadtrichters vernahm, welcher also lautete: Es wären Sachen in diesen Büchern enthalten, die von dem gegenwärtigen Zustand der Religion weit entfernt und folglich geschickt wären, tausend[246] Skrupel in den Gemütern des Pöbels zu machen, so ließ der Rat alle diese Bücher verbrennen, weil er mit Recht besorgte, es möchte das Volk, wenn ihm die Gedanken genommen würden, die damalige Religion sei ebendieselbe, welche Numa Pompilius von der Göttin Egeria erlernt, anfangen, dieselbe zu verachten. Es war dieses Vorurteil von den Vätern auf die Kinder fortgepflanzt worden. Denn die Veränderungen in dergleichen Dingen haben einen unvermerkten Fortgang und lassen sich in der Zeit, da ein Mensch lebt, kaum wahrnehmen, dergestalt, daß, wenn jemand stirbt, er allemal glaubt, er verlasse die Religion in ebendemselben Zustand, darin er sie gefunden hat, als er auf die Welt gekommen. Mittlerweile treibt dieser unvermerkte Fortgang nach einigen Jahrhunderten die Sache sehr weit.

Ebendieser Senat trug für die Erhaltung der Vogeldeuterreligion ungemeine Sorge und entsetzte die Leute von vornehmem Stand ihrer Ämter, sobald es das Ansehen hatte, als ob die Besitznahme nicht nach der Vorschrift der Vogeldeuterzeremonien geschehen wäre. Er bestrafte sogar den Konsul C. Flaminius sehr hart, weil er die Vogelwahrsagerei verachtet hatte, ob ihm gleich solches an der Erringung eines vortrefflichen Sieges213über die Gallier nicht hinderlich gewesen war. P. Claudius und L. Junius, die zur Zeit des ersten Karthaginensischen Krieges ebendiese Vogelwahrsagerei verachtet hatten, wurden noch weit nachdrücklicher bestraft, denn sie mußten es mit dem Leben bezahlen. Um zu verhindern, daß man nicht etwa das Joch der Gesetze der Vogeldeuter abschütteln möchte, so breitete man unter dem Pöbel aus, daß die Schlachten, die die Feinde gewonnen, Strafen derjenigen Verachtung wären, welche die Generäle gegen die Vorbedeutungen bezeigt, oder der Nachlässigkeit, die sie in Beobachtung der Religionsbräuche spüren lassen. Man sagte z. B., der Konsul Q. Flaminius wäre von dem Hannibal bei der Thrasymenischen See214 deswegen geschlagen worden, weil er so verwegen gewesen und die Schlacht geliefert, obgleich sein Pferd ihn abgeworfen hat, da er zum Angriff[247] kommandiert hat, und ob ihm schon die Nachricht gegeben, daß man die Fahnen nicht von der Stelle bringen könnte. Der Konsul Varro habe die unglückliche Schlacht bei Canna verloren215, weil er die Juno zum Zorn bewegt hat, indem er zu der Zeit, da die zirzensischen Spiele gefeiert wurden, einen wohlgebildeten jungen Komödianten in den Tempel des Jupiters Schildwacht gestellt hat216, eine Tat, die man nach etlichen Jahren durch verschiedene Opfer aussöhnen mußte.

Wenn Sie nun zu allen diesen Anmerkungen dasjenige hinzufügen, was ich oben berührt habe, daß nämlich die Teufel ihr möglichstes tun, die Völker durch tausenderlei Vorbedeutungen in Furcht zu jagen, weil sie wohl sehen, daß dieses keine Lebensänderung, wohl aber eine unendliche Menge abergläubischer und abgöttischer Handlungen zuwege bringen werde, so werden Sie leicht begreifen, mein Herr, daß die Welt vor der Gefahr der Gottesleugnung genugsam verwahrt gewesen, ohne daß sich Gott durch außerordentliche Mittel hat dareinmischen dürfen.


113. Daß die Teufel die Abgötterei lieber sehen als die Gottesleugnung

Dieses vorausgesetzt, erlauben Sie, daß ich einen Gedanken sagen darf, der mir einfällt. Es scheint, als ob der Teufel seine Rechnung besser in der Abgötterei als in der Gottesleugnung finde, und daß er folglich mehr Kunstgriffe anwenden werde, die Menschen in den Götzendienst als in die Atheisterei zu stürzen. Der Grund dieses Verhaltens ist meines Erachtens dieser: Ein Atheist gibt dem Teufel gar keine Ehre, weder mittelbar noch unmittelbarerweise, er leugnet sogar seine Wirklichkeit; da er hingegen an den Anbetungen, welche falschen Götzen geschehen, so viel Anteil nimmt, daß die Schrift an verschiedenen Orten sich erklärt, die Opfer, welche den falschen Göttern gebracht würden, brächte man den Teufeln.217 Die heiligen Väter lehren ebendasselbe. Dieser hochmütige[248] Geist und Feind Gottes nun muß es unfehlbar lieber sehen, wenn der Dienst, den man Gott geraubt, ihm entweder ganz oder zum Teil gegeben wird, wie er ihn in der Tat bekommt, wenn die Menschen abgöttisch sind, als wenn er gar nichts davon erhielte, wie es geschehen würde, wenn die Menschen Gottesleugner wären. Ich glaube sogar, er würde lieber mit dem wahren Gott den Dienst, welchen alle Menschen dem höchsten und unendlichen Wesen schuldig sind, teilen, als sie insgesamt in der Athe-isterei sehen wollen, denn diese Teilung würde hinreichend sein, alle Menschen zu verdammen und Gott die ihm gehörende Ehre zu rauben, welches alles ist, was der Teufel wünschen kann; und überdies würde sie noch dem Teufel eine Ehre verschaffen, die seinem Hochmut schmeicheln muß und die er unter den Atheisten nicht finden könnte. Es geht mit einem unrechtmäßigen Besitzer nicht wie mit dem, der das Recht in Händen hat, mit einem Nebenbuhler z.B., der auf die Frau seines Nachbarn ein Auge geworfen, wie mit dem Mann dieser Frau. Wenn dieser die Wahl hätte, seine Frau sollte entweder zugleich in ihn und in einen andern verliebt sein oder alle Menschen gleichgültig ansehen, so würde er das letztere erwählen, es wäre denn, daß es einer von den gemächlichen Männern wäre, welche die geheiligten Gesetze des Ehestandes mit Füßen treten und sich ganz leicht wegen der Untreue ihrer Weiber zufriedengeben, indem sie sich ihres Schadens bei andern Männern auch wieder zu erholen suchen. Ein Nebenbuhler aber fragt nichts danach, die Frau mag ihren Mann noch lieben oder nicht, wenn er nur eben die Vorrechte besitzt, die der Mann hat, es wäre denn, daß er von einer eingebildeten Zärtlichkeit eines Romanhelden eingenommen sei, die wohl niemals wirklich gewesen, sondern nur im Gehirn bestanden hat. Nehmen Sie, mein Herr, diesen Vergleich nicht übel, weil selbst die Schrift von der Abgötterei wie von einem Ehebruch redet, der gegen die Ehre eines eifersüchtigen Gottes ausgeübt worden, und erlauben Sie mir, daß ich mich dessen bediene zu erweisen, daß der Teufel es lieber sieht,[249] wenn die Menschen Gott und ihn anbeten, als wenn sie gar nichts anbeten.

Aus allem nun, was ich auf den Einwurf geantwortet habe, werden Sie, wie ich hoffe, mich nicht die Folgerung ziehen lassen, daß die Erscheinung der Kometen zur Abgötterei ungemein behilflich gewesen, und daß es also für die Welt ganz im geringsten nicht nötig war, zu verhindern, daß die Atheisterei nicht etwa die menschliche Gesellschaft zu Boden stürzen möchte, und daß folglich die Kometen nicht außerordentlich von Gott abgeschickte Zeichen gewesen.


114. Vierte Antwort: Daß die Gottesleugnung nicht ein größeres Übel ist als die Abgötterei

Da dem also ist, so kann ich's überhoben sein, die Abgötterei mit der Gottesleugnung zu vergleichen und zu zeigen, daß der Götzendienst wenigstens ebenso abscheulich ist wie die Atheisterei, denn ich habe es eben nicht nötig, daß dieser wunderlich scheinende Satz wahr sei. Ich habe einmal einem sehr geschickten Mann in Frankreich, und der zugleich ein so guter Christ ist wie einer, den ich kenne, zugehört, wie er denselben behauptete. Erlauben Sie, daß ich einige von seinen Gründen anführen und sie weiter auseinandersetzen oder erklären darf, nachdem ich es für gut befinden werde.


115. I. Beweis: Die Unvollkommenheit ist ebenso schlimm, wenigstens für die Natur Gottes, wie das Nichtsein

Er sagte fürs erste, es sei ebensoviel, wenigstens gegen die göttliche Natur, in eine sehr große Anzahl verschiedener Gottheiten verteilt und den Mängeln, welche man den Göttern des Heidentums zuschrieb, unterworfen zu sein, wie gar nicht zu sein. Die Heiden also, welche leugnen,[250] daß Gott ein einiges Wesen und ohne Unvollkommenheiten sei, urteilen ebenso ungereimt und nachteilig wenigstens für Gott wie die Atheisten, welche sein Dasein in Zweifel ziehen. Denn, wie Herr Marquis de Pianezze218 sehr wohl angemerkt hat, glauben, daß Gott nicht sei, ist eine Meinung, die lange nicht so schimpflich für ihn ist, als wenn jemand von ihm glaubt, daß er das nicht ist, was er sein soll. Wenn Gott, sagt Tertullian, nicht einig ist, so ist er gar nicht, denn man hat mehr Ehre davon, wenn man gar nicht ist, als wenn man anders ist, als man sein soll219 Es ist also mehr Torheit, mehr Unvernunft, mehr Unsinnigkeit, mehr Verblendung in der Meinung eines Menschen, welcher alle Götter der Griechen und Römer annimmt, deren Zahl fast unendlich ist, die allen Leidenschaften unterworfen und mit allen Verbrechen befleckt gewesen sind, die man nur von Menschen begangen sieht, als in der Meinung eines Gottesleugners. Plutarch ist noch weiter gegangen, indem er gesagt hat: Man tue der Gottheit mehr Schimpf an, wenn man sich dieselbe so einbildet, wie die Abergläubischen sich solche vorstellen, als wenn man glaubt, sie sei gar nicht, ich kann mich nicht genug verwundert, spricht er, wie man sagen kann, die Atheisterei sei eine Gottlosigkeit. Das sollte man vom Aberglauben und nicht von der Gottesleugnung sagen. Denn es ist wohl wahr, daß Anaxagoras vor diesem als ein Gotteslästerer ist verdammt worden, weil er behauptet hat, daß die Sonne von Stein sei, aber niemand hat bisher gesagt, daß die Cimmerier, welche nicht glauben, daß eine Sonne in der Welt sei, deswegen gottlos wären. Was? Derjenige, der nicht glaubt, daß es Götter gebe, ist gottlos, und derjenige, der für wahr hält, daß sie so sind, wie abergläubische Leute sich dieselben einbilden, hegt der nicht eine Meinung, deren Gottlosigkeit den Wahn eines Atheisten bei weitem übertrifft? Ich für meine Person würde es lieber sehen, wenn alle Menschen in der Welt sprächen, Plutarch sei niemals gewesen, als wenn sie sagten, Plutarch sei ein unbeständiger, leichtsinniger, zorniger Mensch, der durch die geringsten Beleidigungen aufgebracht[251] und über nichtswürdige Dinge verdrießlich werde, der es übel aufnehme, wenn man ihn nicht in die besten Gesellschaften mitnimmt, der sich grausam entrüste, wenn jemand Verrichtungen halber ihm nicht frühmorgens seine Aufwartung gemacht hat, er sei ein Mensch, der mit den Zähnen knirscht, wenn ihr an ihm vorbeigegangen, ohne ihn anzureden oder zu grüßen, der aus Rachgier euren Sohn auffangen und zu Hause auf die Folter spannen oder gleich die Nacht darauf wilde Tiere auf eure Äcker jagen lassen wird, um die Früchte daselbst zu verderben.


116. II. Beweis: Die Abgötterei ist nach den Kirchenlehrern unter allen Verbrechen das größte

Der zweite Grund ist: Weil die Kirchenväter ohne einige Ausnahmen gesagt haben, die Abgötterei sei das hauptsächlichste Verbrechen220 des menschlichen Geschlechts, die größte Sünde von der Welt221, die größte unter allen Sünden, das erste und letzte unter allen Übeln.222

Scotus ist ebender Meinung, wenn er spricht: Unter allen Sünden, die man gegen Gott begeht, welche doch alle sehr groß sind, scheint diejenige am abscheulichsten zu sein, da man dem Geschöpf göttliche Ehre erweist, weil man, soviel an uns ist, einen andem Gott in die Welt einführt und die Herrschaft der Gottheit vermindert223 Das Verbrechen der Christen, welche während der Verfolgung der Götzen opferten, wurde praevaricatio (Treulosigkeit) genannt und konnte nach der alten Kirchenzucht nicht einmal auf dem Totenbett vergeben werden und verschloß auf ewig den Eintritt in geistliche Bedienungen.


117. III. Beweis: Die Götzendiener sind gewissermaßen wahre Gottesleugner gewesen

Der dritte Grund ist: Daß, wenn man die Sache genau ansieht, man befinden wird, daß die Verehrer der Götzen[252] wahre Atheisten gewesen, welche ebensowenig Erkenntnis von Gott besessen haben wie diejenigen, welche seine Wirklichkeit ausdrücklich leugnen. Denn wie man den Menschen nicht kennen würde, wenn man sich einbildete, er sei von Holz, also heißt das auch nicht Gott erkennen, wenn man glaubt, er sei ein endliches, unvollkommenes, ohnmächtiges Wesen und habe viele seinesgleichen. Da also die Heiden den Gott nur unter diesem Bild erkannten, so kann man sagen, sie hätten ihn ganz und gar nicht gekannt und durch ihren Begriff dasjenige aufgehoben, was sie durch ihre Worte bestärkten, wie man es vom Epikur angemerkt hat.224 Und das hat Paulus sagen wollen225, wenn er den Heiden vorwirft, sie hätten gewußt, daß ein Gott sei, und ihn doch nicht als einen Gott gepriesen, sondern wären statt dessen in ihrem Dichten eitel und zu Narren geworden, da sie sich für weise gehalten haben, und hätten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild verwandelt, gleich den vergänglichen Menschen und den Vögeln und den vierfüßigen und kriechenden Tieren. Das heißt ausdrücklich, sie hätten zwar geglaubt, daß sie Gott erkennten, aber ihre Erkenntnis wäre zu einem Hirngespinst geworden, so voller Widersprüche, daß sie dabei in eine gänzliche Unwissenheit desjenigen Gottes, der Himmel und Erde gemacht hat, verfallen. An einem andern Ort226 sagt dieser Apostel ausdrücklich, die Heiden wären ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt.


118. IV. Beweis: Die Kenntnis Gottes dient einem Götzenverehrer nur dazu, daß seine Laster abscheulicher werden

Ist ein Unterschied zu machen unter der Gottesleugnung eines Abgöttischen und eines Atheisten, so kommt er hauptsächlich darauf an, daß die Gottesleugnung eines Götzendieners die Größe seiner Verbrechen nicht im geringsten vermindert; dahingegen ein Atheist, wenn er[253] unter denjenigen Völkern geboren worden, welche seit undenklichen Zeiten keinen Gott erkennen, seiner Unwissenheit halber einige Linderung der Strafe finden wird. Denn nach der guten Theologie und nach der ausdrücklichen Erklärung des Herrn Christi werden diejenigen, welche des Herrn Willen wissen und doch nicht tun, härtere Streiche leiden müssen als diejenigen, welche ihn weder getan noch erkannt haben. Dies setzt augenscheinlich voraus, daß mehr Bosheit in dem Verhalten der ersteren als der letzteren anzutreffen sei, und daß also Minutius Felix227 nicht Grund gehabt hat, ohne Einschränkung zu behaupten: Es sei ebenso große Bosheit, Gott nicht erkennen wie ihn beleidigen. Folglich ist es ein größeres Verbrechen, wenn ein Abgöttischer falsche Eide ablegt, Tempel plündert und andere Handlungen ausübt, von denen er weiß, daß sie sei nen Göttern nicht angenehm sind, als wenn ein Gottesleugner alle diese Dinge unternimmt. Folglich ist das Verhalten abgöttischer Leute schlimmer als das der Atheisten, denn da sie beide in Unwissenheit des wahren Gottes stecken und beide gleich unfähig sind, ihn zu verehren, so finden sich noch insbesondere bei den Abgöttischen gewisse Begriffe und vorgefaßte Meinungen, gegen die sie nicht ohne äußerste Bosheit und ohne augenscheinliche Verachtung ihrer Gottheiten handeln können. Ob nun gleich Gott an dem Dienst und an den Ehrbezeigungen, welche z.B. dem Jupiter und Neptun erwiesen worden, keinen Teil nimmt, sondern sie vielmehr für abscheuliche Dinge ansieht, welche alle seine Zornruten verdienen, so nimmt er doch an den Gottlosigkeiten teil, welche man gegen sie begeht. Wenn also ein Heide überzeugt war, Jupiter und Neptun wären seine Götter, und er entwendete Sachen, die ihnen geheiligt worden, und stieß Schimpfreden gegen sie aus, so wurde er vor Gott als ein Kirchenräuber und Gotteslästerer angesehen. Und das Verbrechen war nicht geringer, wenn dort Caligula seinen Jupiter zu einem Zweikampf herausforderte228 und, sooft er den Blitz vom Himmel herabfallen sah, Steine in die Höhe warf und ausrief: Stoß mich[254] aus der Welt, oder ich will dich hinausstoßen, als wenn ein Christ in Ansehung Jesu Christi ebendasselbe getan hätte, es wäre denn, daß die Überzeugung bei einem Christen größer wäre, als sie bei dem Caligula gewesen ist, oder daß der Mangel der Überzeugung sich bei diesem eher entschuldigen ließe als bei jenem. Denn wenn man urteilen will, ob ein Verbrechen größer ist als das andere in ebenderselben Art, so muß man nicht allein wissen, ob das eine bei größerer Einsicht begangen worden ist als das andere, sondern auch welcher von den Verbrechern das meiste durch seine Bosheit zu seiner Unwissenheit beigetragen hat; denn es kann zuweilen ein Mensch gewisse Dinge nicht wissen, weil er sich nicht darum bekümmern wollte, aus Furcht, er möchte, wenn er es erführe, dadurch von seinem gefährlichen Vorhaben abgezogen werden, in welchem Fall die Unwissenheit schlechterdings einen nicht entschuldigen kann. Wenn daher Caligula in einen solchen Grad der Wut und Unsinnigkeit gegen den Jupiter ausgebrochen, ungeachtet er ihn für denjenigen Gott, welcher die Blitze schießen läßt und der die Welt regiert, gehalten, so ist in seiner Handlung, caeteris paribus, ebensoviel Bosheit, wie in eines Christen seiner sein würde, der, ungeachtet er Jesum Christum für einen Gott erkennte, sich einer solchen Unmenschlichkeit gegen ihn schuldig machen wollte.

Daraus erhellt, daß die Plünderung der Götzentempel und das Umwerfen ihrer Bildsäulen nur dann gute Handlungen sein können, wenn sie aus einem guten Grund herkommen, das ist, wenn sie aus einem gesetzten Eifer für die wahre Religion geschehen, und daß folglich alle Handlungen der Heiden, wenn sie entweder gegen die Lehrsätze ihrer falschen Religion oder gegen die Einsicht ihres Gewissens begangen worden sind, in der Tat wirkliche Verbrechen sind, obgleich diejenigen Handlungen, welche sie zufolge ihrer Lehrsätze und nach ihrer falschen Erkenntnis unternehmen, nimmermehr gut sein können. Worüber man sich gar nicht wundern darf. Denn es müssen mehr Umstände bei einer Handlung sein, wenn sie gut,[255] als wenn sie böse sein soll.229 Anbeten, was man fälschlich für Gott hält, ist ein Stück der Abgötterei. Mit Füßen treten, was man fälschlich für Gott hält, ist ein Stück Gottlosigkeit. Dies sind zwei einander schnurstracks entgegengesetzte Handlungen, und dennoch bringen sie einerlei Wirkung hervor. Gott nimmt, so zu reden, den Schimpf auf sich, der den falschen Göttern von Leuten, welche sie für den wahren Gott hielten, angetan worden ist, aber er eignet sich die Ehre nicht an, welche den Götzen von denjenigen, die sie für den wahren Gott ansahen, erzeigt worden ist. Daraus erhellt, daß die Atheisten Gott nicht auf so vielerlei Art, noch mit so großer Bosheit beleidigen können wie die Götzendiener, und daß folglich Kometen außerordentlicherweise anzünden, damit die Menschen eher Abgöttische als Gottesleugner wür den, ebensoviel sein würde, als ob man die Menschen gottloser und unglücklicher machen wollte. Ich erinnere einmal für allemal mein Herr, daß ich von solchen Gottesleugnern rede, welche von dem Dasein Gottes nichts wissen, nicht, weil sie boshafterweise die davon gehabte Erkenntnis erstickt haben, damit sie sich ohne Bedenken in allerhand Verbrechen stürzen könnten, sondern weil sie niemals gehört haben, daß man einen Gott erkennen solle.


119. V. Beweis: Die Abgötterei macht die Bekehrung der Menschen schwerer als die Gottesleugnung

Der fünfte Grund ist: Daß nichts den Menschen ungeschickter macht, sich zur wahren Religion zu bekehren, als die Abgötterei. Denn ob es gleich Exempel gibt, daß die Abgöttischen und Abergläubischen, wenn Sie einmal bekehrt worden sind, mehr Eifer für die gute Sache haben als diejenigen, welche vor der Bekehrung in ihrer falschen Religion kaltsinnig und schläfrig waren, so ist doch, um überhaupt von der Sache zu reden, der Eifer bei einem Götzendiener eine weit schädlichere Gemütsverfassung als die Gleichgültigkeit, weil gemeiniglich ein[256] Mensch, der vom Aberglauben und seinen falschen Lehrsätzen eingenommen ist, der Wahrheit nicht so leicht nachgibt wie ein anderer, der nicht weiß, was er glaubt. Und solchergestalt wäre es beinahe besser, ein Atheist zu sein, als die abscheuliche Abgötterei der Heiden zu treiben, weil es sehr wahrscheinlich ist, daß Lehrer des Evangeliums, wenn sie unsere Geheimnisse erklärten und sie mit vielen herrlichen Wundern unterstützten, viel eher solchen Leuten die Augen öffnen würden, welche sich noch zu keiner Partei geschlagen hätten, ich will so viel sagen, die noch ohne Religion wären, als solchen Personen, die von dem Altertum ihrer Zeremonien närrischerweise eingenommen sind und in dem Glauben und Dienst ihrer Götzen längst ersoffen gewesen.


120. Vergleiche, die das erläutern

Die gesunde Vernunft fordert dieses, und die Erfahrung bestätigt es. Reden Sie mit einem Cartesianer oder mit einem Peripatetiker von einem Satz, der mit seinen Lehrsätzen, davon er eingenommen ist, nicht übereinstimmt, Sie werden befinden, daß er nicht sowohl sinnen wird, dasjenige einzusehen, was Sie ihm vortrugen, als vielmehr Gründe herauszufinden, es zu bestreiten. Reden Sie davon mit einem andern, der keiner Sekte zugetan ist, Sie werden ihn gelehrig und geneigt finden, ohne Widerrede nachzugeben. Man er fährt fast ebendasselbe, wenn man einen abergläubischen Ketzer oder einen solchen angreift, der nach der Redensart des Kardinals Pallavicini mehr unkatholisch als ketzerisch ist, magis extra vitia quam cum virtute, mehr ohne Laster als tugendhaft. So weiß man auch nach der gesunden Weltweisheit, daß es weit schwerer ist, eine Fertigkeit in einer solchen Seele zuwege zu bringen, welche schon eine entgegengesetzte Fertigkeit angenommen hat, als in einer anderen, die noch ganz leer davon ist. Es ist schwerer z.B. einen Menschen freigebig zu machen, der zeitlebens geizig gewesen, als ein junges[257] Kind, das weder geizig noch freigebig ist, ebenso wie es leichter ist, einem Körper, der noch niemals gebogen gewesen ist, eine gewisse Richtung zu geben, als einem anderen, der schon auf eine andere Art gebogen worden ist. Es ist daher ganz vernünftig, wenn man glaubt, daß die Apostel mehrere zu Christus würden bekehrt haben, wenn sie Leuten, die ohne Religion gewesen, gepredigt hätten, als sie deren in der Tat bekehrt haben, da sie das Evangelium Völkern verkündigt haben, welche durch einen blinden und dummen Eifer gegen die abergläubischen Verehrungen des Heidentums eingenommen waren. Und es ist nichts gewisser, als daß die entsetzlichen Verfolgungen, welche die ersten Christen auszustehen gehabt, aus einer Quelle des heidnischen Aberglaubens entsprungen sind, denn da es die allerbesten Untertanen von der Welt waren, welche beständig den der Obrigkeit schuldigen Gehorsam einschärften und die niemals den geringsten Schein blicken ließen, als ob sie Gewalt mit Gewalt abtreiben wollten, so konnte keine Staatsmaxime dasein, welche die Kaiser hätte antreiben sollen, ihnen übel mitzuspielen, viel weniger hatten die Befehlshaber in den Provinzen Ursache, die Befehle ihrer Herren mit größerer Wut auszuüben, als ihnen war anbefohlen worden.

Die wahre Ursache also, warum man den Christen Verfolgungen erweckte, war einzig und allein diese, weil sie die Götter des Heidentums insgesamt verwarfen. Der blinde Eifer gegen die Abgötterei war es, welcher die Kaiser gegen das Kreuz des Sohnes Gottes aufhetzte, oder vielmehr, welcher diejenigen, die bei dem Regenten Gehör fanden, antrieb, ihm alle diese Regungen des Hasses gegen die Christen beizubringen, die ihnen vorher selbst von andern waren beigebracht worden. Wäre niemand mit schädlichen Vorurteilen des Irrtums eingenommen gewesen, so würde man die christliche Kirche ohne Hinderung haben wachsen lassen, und hätte daher Gott durch ein Wunderwerk von Zeit zu Zeit Kometen hervorgebracht, so könnte man sagen, daß er von Zeit zu Zeit Wunder getan, um die Menschen zur Verwerfung seines gekreuzigten Sohnes[258] im voraus geschickt zu ma chen und sie durch ihren Eifer gegenüber der Abgötterei, der beim Erblicken der Kometen sich verstärkte, hartnäckig zu machen, die wahre Religion zu bestreiten.

Ich weiß wohl, daß der Widerstand der abgöttischen Heiden zur Verherrlichung der Größe und Macht Gottes und der Göttlichkeit des Evangeliums beförderlich gewesen ist, aber es würde ungereimt sein, wenn man behaupten wollte, daß Gott sich diese Mittel, seine Kraft zu verherrlichen, durch außerordentliche Wege verschafft habe. Weder seine Gerechtigkeit noch Güte erlaubt ihm, den Sündern die Gelegenheit zur Verhärtung zu erleichtern, obgleich seine Weisheit in der Verhärtung, darein die Sünder durch ihre eigene Schuld und gegen die Absicht Gottes verfallen, bewundernswürdige Mittel, seine Ehre bekanntzumachen, finden kann.


121. Es ist schwer, daß diejenigen, welche lange Zeit etwas geliebt haben, das Gegenteil zu lieben anfangen sollten

Und ob man mir gleich einwenden möchte, man dürfe den Eifer eines Götzendieners nur auf die gute Seite wenden, so würde ein wahrhaftig andächtiger Mensch aus ihm werden, da man bei einem Heiden, der sich aus der Religion nichts macht, nicht die geringste Zärtlichkeit des Gewissens finde, so sei hingegen bei einem abergläubischen Heiden ein guter Grund, darauf man bauen könne; es verhalte sich damit wie mit solchen Weibspersonen, welche ihrem Temperament nach zur Liebe geneigt sind und die, sobald sie nur merken, daß sie für die Welt nicht mehr taugen, alle ihre Gedanken auf Gott richten und ihn zärtlicher lieben, als sie vorher die Kreaturen geliebt haben; ein ruchloser Mensch, wenn er zur wahren Religion trete, bringe oft alle seine Unempfindlichkeit mit und dergleichen, so habe ich dennoch recht. Es ist möglich, daß alles dieses, was man hier einwendet, geschehen könne, ich[259] will es zugeben, allein, man wird auch nicht in Abrede stellen können, daß es Exempel gibt, die das Widerspiel erweisen. Es gibt Leute, welche die Fähigkeit ihres Herzens, die Eitelkeiten dieser Welt zu lieben, dergestalt erschöpfen, daß, wenn sie nun aus Alter oder aus Verdruß einen Ekel dafür bekommen, sie nichts mehr lieben und einen größeren Ekel gegen himmlische Dinge als für die Sachen dieser Welt verspüren. Es gibt wiederum andere, die der Welt nicht satt werden können und die sie bis ins späte Alter lieben, ungeachtet sie überall mit Kaltsinnigkeit abgewiesen werden. Andere hingegen, weil sie mit Verdruß sehen, daß man sie nicht mehr leiden kann, tun sich einige Gewalt an und wollen sich von der Welt losreißen; allein ihre schlechte Bekanntschaft mit himmlischen Dingen ist Ursache, daß ihnen dieselben so abgeschmackt vorkommen, daß sie sie sogleich wieder verlassen, um ihren ersten Herrn, der vor ihnen flieht, wieder einzuholen. Dieser letzteren gibt es nicht wenige, weswegen P.Rapin230 schreibt: Die meisten unter den Menschen, welche in den Eitelkeiten der Welt alt geworden sind und nun an ihre Seligkeit denken, sehen die Gottesfurcht als die letzte Zuflucht an, aber sie sehen in derselben nichts als Schwierigkeiten, weil sie sie auf eine gar zu menschliche Art betrachten. Der Ekel der Welt, die ihrer überdrüssig geworden, macht zwar, daß sie an Gott gedenken, aber nicht, daß sie die Süßigkeit schmecken, die man in dem Dienst desselben empfindet, sie blicken nur auf die Vergnügungen, welche sie verlassen, und sehen diejenigen nicht, die ihnen versprochen worden sind, und da sie vom Gegenwärtigen eingenommen sind, so sehen sie in dem Zukünftigen nichts, als was sie abschreckt. Alles dieses ist der allgemeine Lauf der Welt. Es finden sich zuweilen Leute, welche nebst ihrer Ketzerei zugleich die Ruchlosigkeit abschwören, welche von der Gottlosigkeit zur wahren Furcht Gottes gelangen und zuweilen auf recht abergläubische Handlungen verfallen, so wie jener König in Rom231, von dem T. Livius also schreibt: Es überfiel ihn eine langwierige Krankheit; mittlerzeit nahm sein nr="260"/> Hochmut mit den Kräften des Leibes so stark ab, daß, da er vorher sich's für den größten Schimpf hielt, mit heiligen Dingen umzugehen, er nunmehr auf einmal abergläubisch ward und auf allerhand Arten des Aberglaubens, große und kleine, verfiel und die ganze Stadt damit anfüllte. Das sind daher höchstens Ausnahmen, da eine der andern weichen muß. Und man handelt am vernünftigsten, wenn man dasjenige, was in andern Dingen unstreitig als eine Regel gilt, auch hier statt der Hauptregel annimmt: Daß nämlich ein Mensch, der von einer falschen Religion gänzlich eingenommen ist, dem Lichte der Wahrheit großem Widerstand tut als ein anderer, der sich noch zu keiner geschlagen gehabt. Man wird mir zugeben, daß der abtrünnige Julianus, wenn er ein Gottesleugner gewesen wäre, seiner gewöhnlichen Gemütsart nach den Christen kein Leid zugefügt haben würde, anstatt daß er ihnen unaufhörlich Überlast erwies, weil er von dem heidnischen Aberglauben auf eine so närrische Art eingenommen war, daß ein Geschichtsschreiber seines Glaubens232 ihn damit gewissermaßen höhnisch aufzieht, wenn er spricht: Er würde durch seine Opferungen die Welt von Ochsen entblößt haben, wenn er aus dem Feldzug gegen die Perser siegreich zurückgekommen wäre.


122. VI. Beweis: Weder Verstand noch Willen sind bei den Götzendienern besser beschaffen als bei den Gottesleugnern

Der sechste Beweisgrund ist dieser: Man mag die Heiden und Gottesleugner entweder nach der Beschaffenheit ihres Verstandes oder ihres Herzens ansehen, so wird man wenigstens ebensoviel Unordnung bei den ersteren wie bei den letzteren antreffen.


123. Erwägung des Urteils, das die Heiden über Gott fällten

[261] Wenn man die Gottesleugner in ihrem Urteil von der Gottheit, deren Wirklichkeit sie leugnen, ansieht, so nimmt man allerdings darin eine entsetzlich große Verblendung wahr, eine abscheuliche Unwissenheit in der Natur der Dinge, einen Geist, der alle Regeln des gesunden Verstandes übern Haufen wirft und eine so falsche und regellose Art zu schließen annimmt, wie man kaum beschreiben kann. Aber sehen Sie wohl, mein Herr, etwas Erträglicheres in dem Urteil, das die Heiden von Gott gefällt haben, die Heiden, sage ich, welche gedacht haben, es gebe eine sehr große Anzahl Götter, deren jeder seine eigenen Vorrechte, seine besonderen Absichten und Neigungen hätte, dergestalt, daß alle dem Jupiter erzeigten Ehrenbezeigungen zur Versöhnung der erzürnten Juno nichts beitrügen und man bei dem einen Gott in Gnaden stehen könnte, wenn man den andern zum Feind hätte; die Heiden, welche den Göttern verschiedene Geschlechter, Verhältnisse eines Vaters, eines Ehemannes, einer Frau und dergleichen Dinge, die nur unter Menschen gewöhnlich sind, zugeschrieben haben, die Heiden mit einem Wort, welche geurteilt, daß ein Kutscher, der während der Prozession den Zügel mit der linken Hand ganz von ungefähr und nicht aus Bosheit anfaßt, dennoch die gute Absicht eines ganzen Volkes verderben und verhindern könnte, daß nun der göttliche Unwille, der ohne diesen Umstand würde versöhnt worden sein, nicht im geringsten vermindert würde? Alle diese Urteile, welche die Heiden nebst noch vielen anderen, die man ohne Verdruß zu erwecken nicht anführen könnte, von der Gottheit gefällt haben, setzen augenscheinlich voraus, die göttliche Natur sei eingeschränkt und tausend Sinnlichkeiten und allerhand wunderlichen Grillen unterworfen, die man nicht einmal an einem ehrbaren Mann dulden würde, und folglich berauben sie dieses unendliche Wesen seiner Allmacht, seiner Ewigkeit, seiner geistlichen Natur, seiner[262] Gerechtigkeit und seiner andern Vollkommenheiten, außer denen es ebenso widersprechend ist, daß es sei, wie es widersprechend ist, sein Dasein zu leugnen. Noch mehr: Kein vernünftiger Mensch, sobald er zugibt, es sei unmöglich, daß die Wirklichkeit von der göttlichen Natur getrennt werden könne, wird in Abrede stellen, daß es noch weit unmöglicher sei, die Heiligkeit, die Gerechtigkeit und die unendliche Macht von der Wirklichkeit der göttlichen Natur zu trennen, daß es also weit mehr gegen die Vernunft liefe, daß Gott wirklich da wäre, daß er aber Mängel und Schwachheiten an sich hätte, als wenn er gar nicht da wäre. Dies erweist meines Erachtens, daß die Irrtümer, darein die Heiden in Ansehung der göttlichen Natur verfallen sind, wenigstens ein ebenso großer Schandfleck für die menschliche Vernunft gewesen, als die Gottesleugnung immer mehr sein kann.


124. Betrachtung über das Lächerliche der heidnischen Religion

Man sieht auch, daß die Heiden niemals ein ordentliches Lehrgebäude in der Religion oder Theologie aufzuweisen gehabt haben, darin einige Ordnung oder einiges Verhältnis in seinen Teilen gewesen ist. Alles zeigt darin Verblendung, Wut und Widerspruch, und ich bin gewiß, wenn es Geister gäbe, die den Men schen zwar nach seiner Erklärung, daß er ein vernünftiges Tier sei, nicht aber aus der Erzählung seiner Handlungen kennten, man selbige nimmermehr würde überreden können, daß die Bücher des Arnobius, des Clemens von Alexandrien, Tertullian, des heiligen Augustinus, des Firmicus Maternus usf. gegen das Heidentum, gegen eine Religion geschrieben worden sind, die in der Welt wirklich im Schwange gegangen. Sie würden sagen, es sei unmöglich, es wären Märchen und Romane, es wären von müßigen Personen zum Zeitvertreib ersonnene Bücher, da man allerhand Fratzen und Ungeheuer im Gehirn sich eingebildet, um hernach das Vergnügen[263] zu haben, sie wieder zu vernichten. Denn wie ist es wahrscheinlich, daß mit Vernunft begabte Geschöpfe nicht vielmehr ihren Gottesdienst auf ordentliche und wohl zusammenhängende Lehren und Urteile gründen würden, als daß sie auf Ungereimtheiten verfallen sollten, die, wie der Augenschein lehrt, sich in dem Lehrgebäude des Heidentums einander selbst aufheben.

Indessen ist es doch zur Schande des Menschen und zur Verdammnis des größten Teils der Menschen mehr als zu richtig, daß die Schriften dieser alten Lehrer nur allzu wahre Irrtümer widerlegen und die sogar unter den Gelehrten Verteidiger233 gefunden haben. Es ist wahr, es sind elende Verteidiger, denn was ich oben von der Sterndeuterkunst gesagt habe, daß sie eine Menge von Siegen für diejenigen abgibt, welche sich unterfangen, dieselbe zu widerlegen, das kann man in noch richtigerem Sinn von der Abgötterei der Heiden behaupten. Niemals hat man gegen die abscheulichen Abschweifungen derselben geschrieben, da man sie nicht durch das Gewicht unüberwindlicher Gründe zu Boden gedrückt hätte, und niemals hat man eine tüchtige Schutzschrift für dieselbe verfertigen können. Die Schuld davon lag gar nicht an dem Verstand derer, welche sich damit einließen, sondern vielmehr an der Sache selber, die an sich unvernünftig war. Es fehlte derselben so sehr an Beweisen, daß man nur ein wenig Geschicklichkeit haben durfte, wenn man den Ungrund derselben zeigen wollte, und selbst die größte Beredsamkeit konnte die Schwäche und Unzulänglichkeit derselben nicht erheben. Daß man also sich verwundern muß, wie ein sonst berühmter Dichter234 so viel Schüchternheit bezeugen kann, da er mit einem beredten Heiden sich in Streit einlassen will und sich dabei also ausdrückt: Er überlasse sein übel regiertes Schifflein den wilden Wellen einer See, die dasselbe leicht verschlucken könne. Man braucht statt aller Waffen nichts als eine Rute in der Hand zu haben (das sind die eigenen Worte des geschickten Mannes, dessen Rede ich hier anführe), so kann man alle Verteidiger der heidnischen Religion, wenn sie[264] noch so bewaffnet wären, völlig zu Boden werfen. Und es ist kein Zweifel, daß, wenn der furchtbare Carneades diese Sache zu verteidigen gehabt hätte, er mit aller seiner Beredsamkeit nichts ausgerichtet haben würde, von der doch Cicero selber sagt235, sie habe niemals etwas behauptet, ohne es bewiesen zu haben, und niemals etwas angegriffen, ohne es gänzlich übern Haufen zu werten, und die bei den Ratsherren in Rom, wohin Carneades nebst noch einigen andern von der Stadt Athen als Abgesandter war geschickt worden, einen solchen Eindruck machte, daß sie sich beklagten236, die Athenienser hätten Abgesandte zu ihnen geschickt, nicht sie zu überreden, sondern sie zu zwingen, alles dasjenige zu tun, was sie haben wollten, Cato, der Sittenrichter, war sogar der Meinung, man sollte diese Abgeordneten unverzüglich wieder zurücksenden237, weil die Gründe des Carneades einen so blendenden Schein hatten, daß man das Wahre von dem Unwahren nicht wohl unterscheiden konnte.


125. Man muß von der heidnischen Religion nicht nach demjenigen urteilen, was die Poeten davon gesagt haben

Übrigens ist meine Absicht gar nicht, die Heiden nach der Lehre ihrer Dichter zu bestreiten. Es würde unbillig sein, wenn man die Verantwortung aller der Beleidigungen von ihnen fordern wollte, welche diese Dichter den Göttern angetan, die sie auf alle Art und Weise lächerlich gemacht haben; bald, wenn sie dieselben in allerhand Arten der Gestalten versteckt, damit sie die regellosen Bewegungen ihrer Unmäßigkeit, ihres Hasses oder ihrer Eifersucht besänftigen könnten, bald, wenn sie sie alle zusammen an einen Ort sich versammeln lassen, damit sie Zeugen eines offenbaren Verbrechens sein möchten, darin einer von ihnen die Göttin, seine Frau, angetroffen und über welches einige die allerleichtfertigsten Anmerkungen zu machen wußten; bald, wenn sie dieselben vorgestellt,[265] wie sie über den hinkenden Gang ebendesselben Gottes, dessen Entehrung ihnen so sehr ins Auge fiel, oder über das Unglück ihr Gelächter gehabt, das der jungen Göttin, die ihnen den Nektar einschenkte, begegnete, da sie mit solchen Umständen fallen mußte, darüber nur unkeusche Augen ein Vergnügen haben konnten und worüber Jupiter so entrüstet zu sein schien, daß er sie augenblicklich ihres Amtes entsetzte; nicht zwar dieser Ursache halber, denn er spaßte so gern und hatte an solchen Dingen so große Lust wie ein anderer, sondern weil er einen Vorwand haben wollte, den schönen Ganymedes an die Stelle zu bringen, welchen er geraubt hatte, um die schändliche Liebe, die er zu ihm trug, zu sättigen; bald, wenn sie vorgegeben haben, daß sie von Menschen verwundet worden sind; und bald, wenn sie gedichtet, daß ihnen etwas aus dem Gedächtnis entfallen, und daß sie so lange gesonnen, bis ihnen der Angstschweiß ausgebrochen; woraus Lucianus Gelegenheit genommen zu dichten, daß der Jupiter einstmals in einer Götterversammlung steckengeblieben und sich auf den Anfang der Rede, welche er halten wollen, nicht hätte besinnen können, dafür er ihnen auf eine ziemlich gezwungene Art einige Perioden aus einer Rede des Demosthenes gegen den Philippus, die er auswendig gewußt, hergesagt hat. Ich bin es zufrieden, daß man alle diese Zeugnisse nichts gelten lasse, denn es ist bekannt, daß die Poeten sich schon das Recht angemaßt haben, alles zu verfälschen, und daß, wenn man die Gedichte unserer christlichen Dichter auf andere Sachen nach der Schärfe untersuchen wollte, kaum ein Sonett, eine Ode oder ein Lied übrigbleiben würde, das nicht von der Ketzerei, Gottlosigkeit oder von schändlichen Schmeicheleien angesteckt wäre, so daß wir dergestalt Ursache haben, wenn wir die Ehre der christlichen Sittenlehre retten wollen, nicht eine Religion danach zu verdammen, was die Poeten davon gesagt haben. Und wollte Gott, wir dürften uns nur über die weltlichen Gedichte unserer Poeten beklagen! Zu allem Unglück tun die Andachten, die sie in Versen schreiben, dem Evangelium mehr Unheil an als[266] ihre anderen Gedichte, die voller Ausschweifungen, niederträchtiger Redensarten und lächerlicher Einbildungen sind, welche, anstatt die Maria und die Heiligen im Paradies zu verehren, wie man vorgibt, die Religion denen, die draußen sind, dem Gelächter und Gespött auszusetzen.


126. Unordnung, die durch christliche Poeten verursacht wurde

Papst Urban VIII., der eine sehr schöne Elegie, die man seinen Gedichten vorgesetzt findet, verfertigt hat, darin er die Poeten, seine Mitbrüder, aufmuntert, heilige und geistreiche Gedichte aufzusetzen, ist in der Tat lobenswürdig. Er hätte aber noch besser getan, wenn er ihnen diese Erinnerung nicht sowohl als ein Dichter gegeben, sondern vielmehr als das Oberhaupt der Kirche ihnen untersagt hätte, jemals etwas anderes als geistliche Sachen zu verfertigen. Und da es ihm unmöglich war, dasjenige in Ansehung aller zu verrichten, was er bei demjenigen tat, der ihm ein Gedicht, das sich für einen Christen nicht wohl schickte, überliefert hatte, da er nämlich die darin vorkommenden unverschämten Dinge mit solchem Nachdruck tadelte, daß dieser arme Mensch sich darüber zu Tode grämte, so hätte er den Bannstrahl des Vatikans sollen blitzen lassen, um den Unordnungen zu steuern, welche aus der Poesie entspringen. Der berühmte Herr Thuanus macht die vernünftige Anmerkung, daß nach dem Absterben Heinrich des Zweiten sich Leute gefunden, die sich nicht gescheut haben, die Wahrheit von ihm zu sagen, oder die vielmehr eine allgemeine Musterung aller Unordnungen seiner Regierung gehalten, und daß diese die große Anzahl der Poeten an seinem Hof, deren niederträchtige Schmeicheleien für die Herzogin von Valentinois, seine Mätresse, ihre kindischen Spielwerke, dadurch sie den Geschmack junger Leute verdarben und sie von gründlichen Studien abhielten, und endlich ihre zärtlichen und verliebten[267] Lieder, welche in der Seele des noch jungen Frauenzimmers alle Eindrücke der Schamhaftigkeit auslöschten, für die schädlichsten Unordnungen angesehen haben. Belieben Sie selbst die Stelle bei dem Thuanus238 nachzulesen, denn ich merke wohl, daß mein Französisch die majestätische Schönheit seiner Ausdrücke entkräftet. Der Herr von Mezerai239 stimmt darin mit jenem Geschichtsschreiber vollkommen überein, denn er spricht: Man hätte Heinrich den Zweiten wegen seiner Liebe zu den Wissenschaften rühmen können, wenn nicht die Üppigkeit an seinem Hof, die durch sein Exempel unterstützt wurde, die vortrefflichsten Köpfe veranlaßt hätte, Romane voller abgeschmackter Fratzen und unkeusche Gedichte zu verfertigen, um die Unreinigkeit zu schmeicheln, welche die Belohnungen in der Hand hielt, und einem Geschlecht die Zeit zu vertreiben, welches unter Scherten und Lachen herrschen will.


127. Welches der öffentliche Gottesdienst unter den Heiden und deren Ehrerbietung für die Tradition gewesen

Man folge daher dem Rat der Königin240 deren Ehre Virgil so unverantwortlicherweise geschändet hat, wo nicht gegen die Wahrscheinlichkeit, doch gegen die Wahrheit, man verlasse die Dichter und glaube dafür den Geschichtsschreibern. Man untersuche die heidnische Religion nach ihrem Gottesdienst und nach ihren Zeremonien, man wird darin alles dasjenige finden, was ich von ihr gesagt und von ihr zu bedenken gegeben habe. Dies ist der Ort, wo man die groben Irrtümer der Götzendiener suchen muß, und nicht in der Meinung einiger Weltweiser. Denn außerdem, daß ihrer sehr wenige gewesen und sie also keine große Ausnahme haben machen können, so haben sie niemals das Herz gehabt, die herrschende Meinung zu reinigen, aus Furcht, daß es ihnen wie dem Sokrates gehen möchte. Und was die Verständigen und Vernünftigen unter[268] den Heiden anbelangt, welche, ohne Philosophen zu sein, zuweilen nicht so grobe Gedanken von der Gottheit haben mochten, so darf man sie freilich nicht gänzlich verwerfen; denn, wie es Cicero in der Person eines seiner Freunde uns sehr lebhaft abbildet, so hörten diese Leute die vernünftigen Gedanken der Weltweisen von der Natur der Götter mit Freuden an, sobald aber dies vorbei war, so machten sie es wie die anderen und folgten in dem Götzendienst und in den Zeremonien der Religion nicht den Begriffen eines Zeno, eines Kleanthes und eines Chrysippos, sondern schlechterdings der alten Sage, wie sie dieselbe von den Vogeldeutern und Priestern gehört hatten, ohne sich In Streit darüber mit ihnen einzulassen. Wenn von der Religion die Rede ist (so läßt Cicero241 einen seiner Freunde reden), so halte ich mich nicht an die Lehre des Zeno oder des Kleanthes oder des Chrysippos, sondern an dasjenige, was die obersten Priester Coruncanus, Scipio und Scaevola davon sagen, ich höre auch viel lieber den Vogeldeuter Lälius in seiner schönen Abhandlung von der Religion als irgendein Oberhaupt der stoischen Sekte. Ich bin niemals der Meinung gewesen, daß man ein einziges Stück in der Religion des römischen Volkes verächtlich ansehen müsse, und ich habe mir fest in den Kopf gesetzt, da unsere Republik und unsere Religion zu gleicher Zeit gestiftet worden sind, so muß unsere Religion bei den Göttern Beifall gefunden haben, denn außerdem würde unsere Republik nicht so mächtig geworden sein. So denke ich: Bist du ein Philosoph, so sage mir, was du glaubst, denn von einem Weltweisen nehm ich's ganz gern an, daß er mir Grund von meinem Glauben angebe, unsern Vorfahren aber traue ich blindlings und ohne daß sie nur den geringsten Grund meines Glaubens geben dürfen.

Was dünkt Ihnen von diesem Gedanken, mein Herr? Sie werden denselben nicht für abgeschmackt halten, wie Lactantius242 getan hat, denn Sie werden daraus abnehmen können, daß der Geist der katholischen Religion lange vor Christi Geburt bereits in Rom gewesen. Sie sehen hier[269] Römer, welche sich erklären, daß sie zwar die Erläuterungen und den Unterricht der Weltweisen nicht verwerfen wollten, sie würden sich aber demungeachtet an die Tradition und Gewohnheit halten. Es ist mir ganz lieb, daß wir uns mit diesem Altertum gegen die Calvinisten rühmen können, die sich zwar auch darauf beziehen, nur daß sie es in einem andern Sinn nehmen, da hingegen die Katholiken, selbst diejenigen unter ihnen, welche ebenso eifrig nicht sind und die zuweilen zuzugeben pflegen, daß überall Mißbräuche anzutreffen sind und daß die Ketzer nicht durchgehend Unrecht haben, auf diesen endlichen Schluß entweder völlig oder zum Teil verfallen:


Le meilleur est toûjours de suivre

Le prône de notre Curé.

Toutes ces doctrines nouvelles

Ne plaisent qu'aux folles cervelles;

Pour moi, comme une humble brebis,

Je vais où man Pasteur me range:

Il n'est permis d'aimer le change,

Que des femmes et des habits243

Es ist am besten, dem zu glauben,

Was unser Pfarrer sonntags sagt.

Denn alle diese neuen Lehren

Pflegt nur ein toller Kopf zu ehren.

So wie ein Schaf dem Hirten glaubt,

So folg ich meinem auch mit Freuden:

Der Wechsel ist sonst nicht erlaubt,

Als nur im Lieben und im Kleiden.


Das heißt denjenigen weislich nachahmen, welche, nachdem sie die Arzneikunst und Ärzte zum besten gehabt, sich dennoch, sobald sie krank werden, alles dasjenige gefallen lassen, was ihnen ihr Arzt verordnet. Wir sind nicht auf die Welt gekommen (sagte Herr Balzac), neue Gesetze zu machen, sondern den gefundenen zu gehorchen und uns an der Weisheit unserer Väter sowie an ihrer Erde und Sonne zu begnügen. Man könnte ihm schuld geben, daß[270] er diese Gedanken dem Heiden Cäcilius abgeborgt, weicher in dem Gespräch des Minucius Felix mit großer Beredsamkeit behauptet: Da alles in der Natur ungewiß sei, so sei nichts besser, als daß man sich an den Glauben der Vorjahren als den Aufenthalt der Wahrheit halte, daß man bei derjenigen Religion verbleibe, die man durch die Tradition erlernt hat, daß man diejenigen Götter anbete, für welche unsere Eltern uns schon eine Furcht beigebracht, bevor sie uns dieselben genau kennengelernt, und daß man von der Natur der Götter keinen Ausspruch tue, sondern sich darin nach den ersten Menschen richte, welche im Anfang der Welt die Ehre gehabt haben, sie entweder zu Wohltätern oder zu Königen zu haben244. Dieser Grundsatz hat mit den Begriffen des gemeinen Mannes so viel Ähnlichkeit, daß man früh oder spät darauf verfällt. Die Katholiken wollten ihn zwar nicht gelten lassen, wenn sich die Heiden desselben gegen die christliche Religion bedienten, und dennoch haben sie denselben gegen die Neulinge gebraucht, und es ist heutzutage einer von unsern stärksten Beweisgründen gegen die vermeintlichen Reformierten. Sie lachen darüber, aber Sie werden mit der Zeit ebenfalls darauf verfallen und sich dessen gegen alle diejenigen bedienen, die eine Trennung werden anfangen wollen, vielleicht haben Sie es auch schon getan.


128. Man muß von einer Religion nach dem Gottesdienst urteilen, den sie eingeführt hat. Gedanken über das Buch des Herrn Bischof von Condom

Daß ich gesagt habe, man müsse die heidnische Religion nicht nach dem ungereimten Verfahren der Dichter noch auch nach den herrlichen Reden der Weltweisen, sondern nach dem Gottesdienst, den sie eingeführt hatte und in dessen Gebrauch sie von der Obrigkeit unterstützt wurde, beurteilen, das, sage ich, wird niemand übelnehmen können, weil in der Tat dieses das einzige ist, was eine Religion[271] entweder freispricht oder verdammt und auch dadurch die ersten Kirchenlehrer das Heidentum gestürzt haben. Selbst der Herr Bischof von Condom, der kein Freund von dieser Lehrart zu sein scheint und der da behauptet, man müsse der katholischen Religion nichts zuschreiben als einzig und allein die Entscheidung der Konzilien, hat dennoch245 der heidnischen Religion die Schuld für alle die Mißbräuche gegeben, welche dort öffentlich vorgingen. Er macht sie herunter: weil ihre Geheimnisse, ihre Feste, ihre Opferungen, die Lieder, welche sie den Göttern zu Ehren singen ließ, die Gemälde, welche sie den Tempeln widmete, weil alles das sich auf die Liebesstreiche, Grausamkeiten und auf die Eifersucht der Götter bezogen. Er verwirft sie wegen der Unzucht, die sie der Göttin Venus zu Ehren angeordnet; und weil bei gefährlichen Umständen Privatpersonen und ganze Republiken der Venus unzüchtige Weibsbilder widmeten und die Wohlfahrt des Vaterlandes dem Gebet zuschrieben, das sie zu ihrer Göttin getan hatten: Wie man solches aus dem Gemälde sehen kann, das die Griechen in ihre Tempel nach der Niederlage des Xerxes und seiner furchtbaren Armeen setzen ließen. Das Gemälde stellte die Gelübde und Prozessionen dieser geschändeten Weibspersonen vor und enthielt folgende Überschrift, die der berühmte Dichter Simonides gemacht hatte: Hier diese haben die Göttin Venus angebetet, welche aus Liebe zu ihnen Griechenland errettet hat. Ebendieser Bischof von Condom wirft dem Heidentum vor, daß es seinen Göttern die Unreinlichkeiten der Schaubühne und die blutigen Kampfspiele der Fechter, das ist alles dasjenige, was man nur Verderbtes und Unmenschliches ersinnen konnte, gewidmet, und er lacht über die Erklärungen und Beschönigungen, welche die Weltweisen hierbei machen mußten, wenn sie auf die Einwürfe der Christen zu antworten hatten. Er verschont auch nicht einmal die jüdische Religion, ob er gleich zugibt, daß die Irrtümer, welche sich unvermerkt unter dem Pöbel einschlichen, nicht durch ein öffentliches Gebot zu Lehrsätzen der Synagogen geworden.[272]

Er hat recht, aber eben daraus kann man sehen, daß die Lehrart, deren er sich bedient hat, die katholische Religion den Protestanten schön und angenehm zu machen, im geringsten nichts taugt. Denn was liegt uns daran, werden sie sagen, daß man in den Schlüssen der Konzilien alle die Mißbräuche und all den Aberglauben nicht findet, der uns in der römischen Kirche so anstößig ist? Wenn wir nur sehen, daß sie öffentlich und feierlich eingeführt sind und daß sie ihren Gottesdienst ausmachen, so haben wir Grund genug, uns von ihrer Gemeinschaft abzusondern. Hätten sich die Heiden nicht auf gleiche Art verteidigen können? Konnten sie nicht ebensowohl sagen, dasjenige, was man ihnen vorwürfe, wären Mißbräuche, darein der gemeine Mann unvermerkt durch Nachsicht der Obrigkeit und durch Unwissenheit oder Geiz der Priester verfallen wäre; man würde aber nimmermehr beweisen können, daß alle Collegia der obersten Priester und Geistlichen, wenn sie gehörigerweise versammelt gewesen, dieses oder jenes so ausgemacht hätten. Es ist kein Zweifel, daß nicht die Heiden diese Entschuldigungen sollten angeführt haben, wenn sie so scharfsinnig gewesen wären wie der Herr Bischof von Condom. Aber was würde man ihnen geantwortet haben? Man triebe nur Spaß, wenn man sich auf diese Art verteidigen wolle. Ein Mann, den man bereden wollte, er sollte sich doch in einer Stadt niederlassen, wo Raub, Totschlag und alle Gewalttätigkeiten geduldet würden, und welchem man zu dem Ende alle Ratsbücher vorzeigte, darinnen keine einzige Verordnung stünde, daß man morden oder stehlen solle, würde allerdings Ursache haben, sich darüber aufzuhalten. Was geht mich das an, würde er sagen, es mag ein Gesetz von der Obrigkeit, welches den Totschlag und die Räuberei verordnet, dasein oder nicht. Genug, daß man in der Stadt ungestraft stiehlt und totschlägt, dies einzige hält mich schon ab, daß ich nicht darinnen wohnen mag. Es bleibt daher dabei: Die Ketzer können dem Herrn Bischof von Condom auf gleiche Weise antworten, und das einzige und wahrhafte Mittel, unsere Religion zu verteidigen, besteht darin, daß man zeige, sie[273] dulde nichts, als was gut sei; und es sei nicht allein an den Sätzen der Kirchenversammlungen, der Lehre nach, nichts auszusetzen, sondern auch der Gottesdienst, die Gewohnheiten und öffentlich eingeführten Lehren wären rein und heilig.

Solchergestalt redete unser Doktor. Er setzte noch hinzu, daß, ob er gleich ein guter Katholik wäre, so wollte er doch nicht der heidnischen Religion ein Gesetz aufdringen, davon die römische Kirche ausgeschlossen sein sollte. Man müßte beide nach ihrem äußerlichen Gottesdienst und öffentlich eingeführten Lehren beurteilen. Und solchergestalt fände er, daß, wenn man die Gottesleugner in Ansehung ihres Verstandes betrachtet, sie nicht abscheulichere Irrtümer hegen, als die Heiden gehabt haben. Doch davon will ich an einem andern Ort mehr sagen.


129. Die Gemütsbeschaffenheit der Gottesleugner, mitdem Sinn der Götzenverehrer verglichen

Wenn man die Gottesleugner nach ihren Begierden beurteilt, so ist klar, da sie nicht durch Furcht vor der göttlichen Strafe zurückgehalten noch durch die Hoffnung irgendeines himmlischen Segens ermuntert werden, sie müssen sich alle demjenigen überlassen, was ihren Leidenschaften kitzelt. Mehr können wir nicht von ihnen sagen, denn wir haben nicht die Jahrbücher von irgendeiner atheistischen Nation. Wenn wir deren einige hätten, so könnte man wissen, wieweit sich ein Volk in Lastern verginge, das keinen Gott erkennt, und ob es sich weiter verginge als ein anderes, das eine unzählige Menge von Göttern angebetet hat. Ich halte dafür, solange man noch keine sichere Nachricht von den Sitten, Gesetzen und Gebräuchen solcher Völker aufzuweisen hat, welche, wie man sagt, gar keine Religion haben sollen, so kann man versichern, daß die Götzendiener, was die Laster betrifft, so viel getan haben, wie die Götzendiener nimmermehr hätten tun können. Man lese einmal das Register aller der[274] Unordnungen, darein sich die Heiden gestürzt haben, so wird man sehen, daß die verstocktesten Atheisten nicht ärger hätten sein können. Und wenn man die weltlichen Geschichten nebst anderen Schriften des Altertums nachschlägt, so wird man augenscheinlich sehen, was ein vollkommener Atheist bei seiner viehischen und unnatürlichsten Unkeuschheit, bei einem unbändigen Ehrgeiz, bei dem schändlichsten Haß und Neid, bei einem unersättlichen Geiz, bei der wildesten Grausamkeit, bei der allergrößten Treulosigkeit hätte tun können, das ist von den alten Heiden in der Tat ausgeübt worden, ungeachtet sie beinahe Verehrer so vieler Gottheiten gewesen, wie es Kreaturen gibt.


130. Daß diejenigen, welche unter den Heiden sehr gottlos gelebt, keine Atheisten gewesen

Man sage mir nicht, daß diejenigen, welche diese Verbrechen unter den Heiden ausübten, im Herzen Gottesleugner gewesen sind, denn man muß von ihnen urteilen wie von Christen, welche eben dergleichen Laster begehen. Es wäre ungereimt, wenn man behaupten wollte, daß sie keinen Gott erkennen; das kann bei einigen wahr sein, aber von der größten Menge kann es nicht gelten, wie ich es Ihnen augenscheinlich dartun will, bevor ich diesen Punkt vorbeilasse. Wenn es also gleich wahr wäre, daß ein Tar-quinus Superbus, daß ein Caligula, daß ein Catilina, daß ein Nero, daß ein Heliogabalus keine Gottheit zugegeben hätten, so würde es dennoch abgeschmackt sein, wenn man ebendasselbe von allen Römern, welche Totschläger, Giftmischer, Meineidige, Lästerer, Unkeusche usf. gewesen, bejahen wollte. Es würde nicht einmal vernünftig sein, wenn man es von dem grausamen Nero versichern wollte, weil er nach dem Zeugnis des Suetonius246 es nicht wagen wollte, dem Gottesdienst der Ceres beizuwohnen, indem er wußte, daß es gewöhnlich war, durch einen Herold ausrufen zu lassen, es sollte kein Gottloser oder Lasterhafter[275] die Kühnheit haben und sich mit hinzugesellen. Dies ist ein augenscheinlicher Beweis, daß er ein unsichtbares gerechtes Wesen zugegeben hat und daß er überzeugt gewesen, es sei von ihm Gefahr zu besorgen, wenn man gewisse Zeremonien der Religion verachte.247 Eben dieser Suetonius berichtet, daß Nero mit Gewissensbissen geplagt worden ist und daß ihn zuweilen Träume und üble Vorbedeutungen erschreckt haben, daß, da er in Ansehung anderer abergläubischer Dinge veränderlich gewesen248, er bis an sein Ende in der Anbetung eines Götzenbildes in Gestalt eines Kindes verharrt hat, welchem er täglich dreimal geopfert, und daß er kurz vor seinem Tode die Eingeweide der Opfer fleißig zu Rate gezogen hat. Er war daher kein Atheist. Was den Tarquinus, Catilina, Caligula und Heliogabalus betrifft, so könnte man ebenfalls leicht erweisen, daß sie es nicht gewesen, denn der erste schickte seine eigenen Kinder nach Delphi, die das Orakel daselbst wegen eines Wunderzeichens, das er in seinem Haus gesehen hat und das ihm großen Kummer machte, um Rat fragen sollten; der andere widmete in seinem Haus einem silbernen Adler eine kleine Kapelle249, dem er große Ehrerbietung bezeigte, sonderlich wenn er einen Totschlag begehen wollte; der dritte suchte sich, wie ich schon gesagt habe, des Unrechts halber zu rächen, welches ihm seinem Bedünken nach Jupiter angetan hatte; und der vierte war für den Dienst desjenigen Gottes, dessen Priester er geworden war, so stark eingenommen, daß er die heiligsten Sachen aus dem anderen Tempel herausnehmen und in denjenigen Tempel bringen ließ, welchen er ihm zu Rom erbaut hatte.250 Er sagte sogar, er müßte auch noch die Religion der Juden, der Samariter und Christen hineinbringen, damit der Dienst seines Gottes den Dienst aller andern in sich begriffe. Alle Morgen opferte er ihm eine entsetzliche Menge Opfer. Er ließ ihm die schönsten Kinder, die er nur in Italien finden konnte251, aufopfern; und indessen daß die Oberpriester damit beschäftigt waren, so verrichtete er sein Gebet zu dem Götzen und beschaute selbst die Eingeweide der Opfer, damit[276] er die Vorbedeutungen seines Glückes bemerken könnte.252 Alles dieses beweist so stark, daß dieses verfluchte Untier kein Atheist gewesen, daß es nicht einmal nötig ist, seine Leichtgläubigkeit anzuführen, die er damals blicken ließ, als ihm einige prophezeit hatten, er würde eines gewaltsamen Todes sterben. Wenn also Nero, Tarquinus, Catilina, Caligula und Heliogabalus nicht Atheisten gewesen, mit was für Recht würde man behaupten können, daß alle diejenigen, die im Heidentum übel gelebt haben, keine Empfindung der Religion sollten gehabt haben? Würde man sich nicht lächerlich machen, wenn man leugnen wollte, daß ebendieselben Leute, welche einen so entsetzlichen Haß gegen die Christen bezeigten, diejenigen gewesen, die sich allen Unordnungen ergeben gehabt haben, die man nur unter den Heiden gesehen hat? Und würde man nicht ebenso auslachenswürdig sein, wenn man behauptete, die Städte und ganze Provinzen, welche mit so großer Wut und Grausamkeit gegen die Christen durch das ganze Römische Reich rasten, hätten keine Religion gehabt; da es unangezweifelt wahr ist, daß dieser Grimm der Götzenverehrer erstlich daher kam, weil sie dem Götzendienst ergeben waren und sie die Christen so erbittert dagegen sahen, und fürs andere, weil sie sich eingebildet hatten, daß die Christen ihres den Göttern angetanen Unrechts halber die einzige Ursache aller öffentlichen Drangsale wären?


131. Was die Kenntnis eines Gottes unter den Götzendienern für eine Wirkung hat

Ich sage daher so viel: Wenn man nicht wahrhaftig zu Gott bekehrt ist und nicht ein durch die Gnade des Heiligen Geistes geheiligtes Herz besitzt, so ist die Kenntnis eines Gottes und seiner Vorsorge ein viel zu schwacher Riegel, als daß sie die Leidenschaften des Menschen zurückhalten sollte, und folglich schweifen sie mit ebenso großer Freiheit aus, wie sie ohne diese Erkenntnis tun[277] würden. Alles, was diese Kenntnis zuwege bringen kann, geht nicht weiter als auf einige äußerliche Übungen, von denen man sich einbildet, daß sie die Menschen mit den Göttern versöhnen könnten. Man kann dadurch bewegen werden, Tempel aufzubauen, Opfervieh zu schlachten, Gebete zu verrichten oder andere dergleichen Dinge vorzunehmen, nicht aber eine strafbare Buhlschaft zu verlassen, ein übel erworbenes Gut wiederzuerstatten, die sündigen Lüste zu unterdrücken. Da also die sündige Lust die Quelle aller andern Laster ist und diese bei den Götzenverehrern ebenso stark herrscht wie bei den Gottesleugnern, so müssen die Götzendiener ebenso geschickt sein, alle Arten der Verbrechen zu begehen, wie die Atheisten, und weder diese noch jene könnten eine Gesellschaft aufrichten, wenn nicht ein stärkerer Zaum als die Religion, nämlich die menschlichen Gesetze, ihre Gottlosigkeit zurückhielte. Und daraus kann man sehen, mit wie schlechtem Grund man behauptet, daß eine unbestimmte und undeutliche Kenntnis einer Vorsorge sehr nützlich sei, das Verderben der Menschen zu entkräften. Der Nutzen davon zeigt sich gar nicht von dieser Seite, er ist mehr physikalisch als moralisch, ich will so viel sagen: Die Untertanen werden dadurch geneigter, an einem gewissen Ort zu bleiben und denselben zu verteidigen, wenn er angegriffen wird, als daß sie frommer dadurch werden sollten. Es ist bekannt, was das für einen Eindruck macht, wenn man denkt, man streite für die Erhaltung der Tempel und Altäre und der Hausgötter, pro aris et focis, wie mutig und beherzt man wird, wenn man einmal in der Hoffnung steht, man werde durch den Schutz der Götter siegen, und wenn man durch den natürlichen Abscheu, den man vor den Feinden seines Glaubens hat, aufgebracht worden ist. Dieses ist es, wozu eigentlich die falschen Religionen in Ansehung der Erhaltung der Länder und Republiken dienen. Keine andere als die wahre Religion führt außer diesem Vorteil auch noch den Nutzen mit sich, daß sie den Menschen zu Gott bekehren kann, daß sie ihm das Vermögen gibt, gegen seine Leidenschaften zu streiten,[278] und ihn tugendhaft macht. Und doch glückt es ihr nicht bei allen, welche sich zu ihr bekennen, denn der größte Haufen bleibt so stark in den Lastern kleben, daß, wenn die menschlichen Gesetze nicht noch dazu kämen, alle Gesellschaften unter den Christen gar bald zugrunde gehen würden. Und ich glaube ganz gewiß, eine Stadt wie Paris würde ohne ein unaufhörliches Wunderwerk binnen vierzehn Tagen in den betrübtesten Zustand von der Welt gesetzt werden, wenn man kein anderes Mittel gegen das Laster brauchen wollte als die Vorstellungen der Prediger und Beichtväter. Sagen Sie nun noch einmal, daß ein blinder Glaube von dem Dasein eines Gottes, der alle Dinge regiere, sehr kräftig sei, die Sünde zu unterdrücken. Glauben Sie vielmehr, daß diese Art des Glaubens die Götzenverehrer nur deswegen über die Gottesleugner erhebt, weil sie zur Befestigung der Republik dienen kann. Denn, Cardano253 mag sagen, was er will, eine Gesellschaft von Atheisten, da sie sich keiner Beweggründe der Religion, um sich beherzt zu machen, bedienen könnte, würde weit leichter auseinandergehen als eine Gesellschaft solcher Leute, welche Götter verehren, und ob er zwar nicht unrecht hat, wenn er sagt, daß die Lehre von der Unsterblichkeit der Seelen viele Unordnungen254 in der Welt durch die Religionskriege, die sie von Zeit zu Zeit erregt hat, zuwege gebracht habe, so ist es doch falsch, wenn man auch nur die Sachen nach politischen Absichten beurteilt, daß sie mehr Übel als Wohl gestiftet habe, wie er solches behaupten wollte.


132. Daß die Götzendiener die Atheisten in dem Verbrechen der beleidigten Majestät Gottes übertroffen

Wenn aber die Götzendiener in vielen Lastern es ebenso arg gemacht haben wie die Atheisten, so ist auch gewiß, daß jene in dem Verbrechen der beleidigten Majestät Gottes diese übertroffen haben. Denn ohne an die verwegenen Redensarten zu gedenken, welche sie gegen die Götter[279] ausgestoßen haben und die man in ihren Schriften findet, ohne daß ihre Urheber deswegen zur Rede gesetzt worden sind, die man, sag ich, in großer Anzahl255 nicht nur bei den Dichtern, sondern auch in Schriften in ungebundener Rede antrifft; weiß man nicht, daß die Heiden ihre Gottheiten abgesetzt haben, wenn sie nicht mit ihnen zufrieden waren? Weiß man nicht, daß sie ihre Tempel und ihre Bildsäulen eingeäschert oder mit Steinen geworfen haben? Alexander, der in seiner Jugend so viel Weihrauch den Göttern zu Ehren verschwendet hatte, daß ihn sein Hofmeister deswegen bestrafen mußte, und dessen Schwäche nach des Q. Curtius Bericht der Aberglauben war, entrüstete sich so sehr über sie, daß sie den Hephestion hatten sterben lassen, daß er nicht allein auf sie schimpfte, sondern auch ihre Altäre und ihre Bildsäulen umreißen ließ und sonderlich Befehl gab, daß man den Tempel des Äskulap, des Gottes der Arzneikunst, gegen den er hauptsächlich erbittert war, mit Feuer verbrennen sollte256 Augustus, der in seinem Religionseifer so weit ging, daß er sogar seinen vor kurzem ermordeten Oheim, den Cäsar, vergötterte, und der auf einen Tag diesem neuen ermordeten Gott dreihundert von den vornehmsten Leuten hatte aufopfern lassen; Augustus, sage ich, begnügte sich nicht damit, daß er nach dem Verlust seiner Flotte, den er durch Sturm erlitten, ausrief, dem Neptun zum Possen wollte er siegen, sondern er verbot auch, das Bildnis dieses Gottes bei der bevorstehenden Lustbarkeit der zirzensischen Spiele in Prozession zu tragen. Svetonius, der uns hiervon Nachricht gibt, erzählt an einem andern Ort, daß man an dem Tag, da Germanicus gestorben, die Tempel mit Steinen geworfen, Altäre umgerissen und daß es Leute gegeben, welche ihre Hausgötter zum Fenster hinausgeworfen.

Die Japaner257 machen es heutzutage beinahe ebenso, denn sie haben 365 Götzen, welche bestimmt sind, über die Person des Kaisers zu wachen. Diese führt man nach der Reihe auf die Wache, daß also jeder einen ganzen Tag auf der Schildwacht stehen muß. Widerfährt dem Kaiser[280] ein Unglück, so hält man sich an das Götzenbild, das denselben Tag die Wache hat, man peitscht es oder man schlägt es mit einem Stock und verbannt es auf hundert Tage aus dem Palast. Wenn die Chinesen ihre Götzen um den Fortgang ihrer Sachen befragen (welches auf solche Art geschieht, daß sie, nach einigen gesprochenen Gebeten, vor das Bild zwei Hälften einer kleinen Kugel, durch die ein Faden geht, hinwerfen) und nicht gleich das erste Mal einen glücklichen Wurf getan haben, so lassen sie es für das erste Mal damit genug sein, daß sie ihrem Götzen tausend Schimpfreden anhängen.258 Darauf ändern sie die Sprache, bitten ihn auf tausenderlei Arten und werfen noch einmal. Kommt es noch nicht so, wie sie wünschen, so schimpfen und peitschen sie den Götzen und schleppen ihn durchs Wasser und Feuer. Und also schlagen sie ihn bald, bald beten sie ihn wieder an, bis endlich die zwei Hälften der Kugel so fallen, wie sie es haben wollen.

Ich finde noch eine sehr himmelschreiende Gottlosigkeit in dem Verfahren der Heiden, und zwar darin, daß sie den Göttern die schändlichsten Personen an die Seite gesetzt haben, z.B. die Drusilla, deren blutschänderischer Umgang mit ihrem Bruder Caligula jedermann bekannt war, den Antinous, den Liebling des Kaisers Adrianus, dem man nicht allein zu Lebzeiten dieses Kaisers, sondern auch zweihundert Jahre hernach göttliche Ehre erwiesen, die beiden Faustinnen, Mutter und Tochter, die eine Kaiserin Antonini, die andere des Marcus Aurelius Gemahlin, alle beide von so ausgelassener Frechheit, daß die ganze Stadt sich dran ärgerte, sonderlich da die Tochter sich von einem Fechter schänden ließ, ob sie gleich den wackersten Gemahl von der Welt zur Ehe hatte. Alles dieses konnte dennoch dasselbe Volk, welches durch das üble Leben dieser Kaiserinnen war geärgert worden, nicht abhalten, daß es sie nicht nach ihrem Tode als Göttinnen sollte verehrt haben, welche Gottlosigkeit der Kaiser Julianus dem Kaiser Marcus Aurelius ausdrücklich vorwirft.259 Die Art und Weise, wie die Athenienser dem Demetrius göttliche[281] Ehre angetan, da er noch der liederlichste Mensch von der Welt war, ist ganz unbegreiflich.260

Dies sind Verbrechen, welche die Gottesleugner nicht verüben und die doch die Götzendiener begehen. Und was meinen Sie, was sind es für Verbrechen? Die allerschrecklichsten, die man sich einbilden kann, und solche Verbrechen, mit denen die allerschimpflichsten Gedanken für die Gottheit verknüpft gewesen. Denn einem Gott den Tempel niederreißen lassen, zur Strafe, weil er einen Menschen hat sterben lassen, heißt das nicht glauben, Gott könne von Menschen gerichtet werden, Gott solle nicht nach seinem Willen, sondern nach dem Gefallen des Menschen handeln, und wenn er es nicht tut, so habe der Mensch das Recht, ihn durch Einhalt der Ehrenbezeigungen, die man ihm vorher erwies, zu züchtigen, wie etwa ein Fürst seine Diener straft, wenn er ihnen ihre Bedienung nimmt? Heißt das nicht glauben, Gott sei ungerecht und man könne ihm ungestraft allen Schimpf antun? Mit einem Wort: Heißt das nicht, die Verachtung und den Übermut höher treiben, als jemals ein Gottesleugner getan hat? Ein Atheist erweist Gott keine Ehre, weil er nicht überzeugt ist, daß er da sei. Wenn er einen Tempel niederreißt, so beleidigt er, wie er glaubt, keine Gottheit. Ein Götzendiener aber, der ebendasselbe tut, versagt einem Gott, den er annimmt, die Ehre und versagt sie ihm deswegen, damit er ihn beleidigen könne. Es ist nicht so schimpflich, wenn jemandem irgendwo der Zutritt nicht gestattet wird, als wenn man ist aufgenommen worden und wird wieder fortgejagt.261 Daher sündigen die Götzendiener, wenn sie die Altäre, darauf sie schon geopfert hatten, wieder umreißen, weit gröber als ein Gottesleugner.

Entscheiden Sie einmal, sein Sie so gütig, folgende Frage: Wir wollen zwei Franzosen setzen. Der eine soll weder Ludwig dem Vierzehnten noch irgendeinem andern König gehorchen. Der andere aber soll den großen König, den uns Gott gegeben hat, verkennen und einen nichtswürdigen Menschen für den König von Frankreich verehren. Was meinen Sie, welcher von beiden würde den[282] König mehr beleidigen? Unfehlbar der letzte. Denn der erste Schritt bei einer Rebellion ist, wenn man seinem rechtmäßigen Herrn nicht gehorchen will; die allergrößte Treulosigkeit aber ist es, wenn man einen andern an seine Stelle setzt, und je weniger Verdienste derselbe hat, den man an jenes Stelle setzt, desto mehr beleidigt man den Fürsten, dem man Gehorsam zu leisten schuldig ist.

Sieht ein König, daß ihn seine Untertanen absetzen, weil sie in einer Republik leben wollen, so gibt er sich noch eher zufrieden, als wenn er gewahr wird, daß sie einen andern Monarchen wählen; denn in dem letzteren Fall geben sie zu verstehen, daß sie nicht aus Haß der Monarchie also verfahren, sondern weil sie einen Privathaß gegen ihren Beherrscher hegen. Aus diesen Betrachtungen wird man leicht einsehen können, daß die Götzendiener die Gottheit weit schimpflicher beleidigt haben als die Atheisten, weil sie, anstatt den wahren König der Welt zu verehren, eine unzählbare Menge eingebildeter Gottheiten an seine Stelle gesetzt haben.

Wenn Sie, mein Herr, diejenigen Anmerkungen hierherziehen, welche schon bei Anführung des fünften Grundes gemacht worden sind, und wenn Sie erwägen, daß die Vergötterung unkeuscher Personen ebenso große, wo nicht abscheulichere Vergehen in sich begreife, so werden Sie ganz gern zugeben, daß die heidnische Götzenverehrung schlimmer gewesen als die Gottesleugnung.

Ich weiß nicht, ob ich Sie noch bitten dürfte, folgende Betrachtung allen übrigen beizufügen. Es erhellt aus allen Göttersprüchen der alten Heiden, daß der Teufel die Menschen niemals zur Atheisterei angereizt und daß er hingegen alle ersinnliche Mühe angewandt, die Abgötterei in ihren Herzen zu unterhalten. Wenn die Frage ist, wie man die verschiedenen Stufen der Sünden festsetzen soll, so dünkt mich, der Teufel könne darin einen guten Richter abgeben. Und ist eine Kreatur, die sich auf die Verbrechen gut versteht, so ist es gewiß diese. Da nun also der Teufel selbst der Abgötterei den Vorzug gibt, so scheint es, daß sie sündiger sei als die Atheisterei. Diesen[283] Beweis würde ich für unumstößlich ausgeben, wenn ich mich nicht erinnerte, was ich oben für einen Grund dieses Vorzuges gegeben habe.

Was ich Ihnen noch von den Gedanken unseres geschickten Mannes, die ich hin und wieder erläutert, anzuführen übrig habe, das ist allzu wichtig und allzu schwer, als daß ich nicht etwas ausruhen sollte, ehe ich Hand anlege. Ich bleibe hier also auf eine kurze Zeit still stehen.

A..., den 9. Juli 1681[284]

Quelle:
Pierre Bayle: Verschiedene einem Doktor der Sorbonne mitgeteilte Gedanken über den Kometen, der im Monat Dezember 1680 erschienen ist. Leipzig 1975, S. 35-285.
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Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

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