I

Das Paar-Kapitel

1

Vom Herzen gehn die Dinge aus,

Sind herzgeboren, herzgefügt:

Wer bösgewillten Herzens spricht,

Wer bösgewillten Herzens wirkt,

Dem folgt notwendig Leiden nach,

Gleichwie das Rad dem Hufe folgt.


2

Vom Herzen gehn die Dinge aus,

Sind herzgeboren, herzgefügt:

Wer wohlgewillten Herzens spricht,

Wer wohlgewillten Herzens wirkt,

Dem folgt notwendig Freude nach,

Dem untrennbaren Schatten gleich.


3

»Gescholten hat man mich, verletzt,

Hat mich besiegt, hat mich verlacht«:

Wer solchen Sinn im Herzen hegt,

Von Feindschaft läßt er nimmer ab.


4

»Gescholten hat man mich, verletzt,

Hat mich besiegt, hat mich verlacht«:

Wer solchen Sinn zu bannen weiß,

Von Feindschaft läßt er eilig ab.


5

Es wird ja Feindschaft nimmermehr

Durch Feindschaft wieder ausgesöhnt:

Nichtfeindschaft gibt Versöhnung an;

Das ist Gesetz von Ewigkeit.


[619] 6

Die Menschen sehn es selten ein,

Daß Dulden uns geduldig macht:

Doch wer es einsieht, wer es weiß,

Gibt alles Eifern willig auf.


7

Den Wohl und Lust Erspähenden,

Den Sinnbetörten, Haltlosen,

Den Mittagmahl-Unmäßigen,

Den Trägen, Feigen, Schwächlichen,

Den hat der Tod in seiner Macht

Wie Sturmwind einen schwanken Baum.


8

Den Leid und Wehe Kennenden,

Den Sinnbezähmten, Standhaften,

Den karges Mahl Genießenden,

Den Unentwegten, Tüchtigen,

Den, wahrlich, zwingt der Tod nicht mehr,

Wie Sturm nicht zwingt die Felsenwand.


9

Wer ungeheilt von trübem Drang

Den trüben Rock ergreifen will,

Der Wahrheit und Entsagung fremd:

Dem ziemet nicht das Mönchgewand.


10

Doch wer geheilt von trübem Drang

Fest stehet in der Ordenszucht,

Der Wahrheit und Entsagung treu:

Ja, dem geziemt der trübe Rock.


11

Wer Unreales wähnt real,

Reales aber unreal,

Der irren Sinnes Wandelnde

Erreichet nicht Realität.


[620] 12

Doch wer Reales weiß real

Und Unreales unreal,

Der rechten Sinnes Wandelnde

Eilt rüstig zur Realität.


13

Gleichwie die Hütte, schlecht gedeckt,

Von Güssen rasch durchrieselt wird:

So wird ein schlecht gewahrtes Herz

Durchrieselt schleunig von Begier.


14

Gleichwie die Hütte, wohl gedeckt,

Von keinem Guß durchrieselt wird:

So wird ein wohl gewahrtes Herz

Durchrieselt nimmer von Begier.


15

Gequält hienieden, gequälet drüben,

An beiden Orten ist gequält der Sünder;

Den Qualentflammten erfaßt Entsetzen,

Erkennt er seine eigne Freveltat.


16

Beglückt hienieden, beglücket drüben,

An beiden Orten ist beglückt der Gute;

Den heiter Frohen erfaßt Entzücken,

Erkennt er seine eigne lautre Tat.


17

Es reut hienieden, es reuet drüben,

An beiden Orten reuet es den Sünder;

»Verruchtes tat ich«, seufzt er klagend,

Und heftiger schluchzt er an üblem Ort.


18

Es freut hienieden, es freuet drüben,

An beiden Orten freut sich der Gute;

»Verdienste hab' ich«, weiß er freudig,

Und seliger lacht ihm der reine Ort.


[621] 19

Mag einer viel Vortreffliches zwar sprechen,

Doch sorglos trägen Sinnes nicht erfüllen:

Dem Hirten gleich, der Herden andrer hütet,

Hat keinen Teil er am Asketentum.


20

Mag einer wenig Treffliches nur sprechen,

Doch ganz und gar der Lehre sich ergeben,

Erloschen der Begier, dem Haß, dem Wahne:

Der Einsichtige, völlig Herzerlöste,

Der nicht am Diesseits, nicht am Jenseits haftet,

Der hat Asketentumes Teil erlangt.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 616-617,619-622.
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