21. Akkumulation und erweiterte Reproduktion

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Es wurde in Buch I gezeigt, wie die Akkumulation für den einzelnen Kapitalisten verläuft. Durch die Versilberung des Warenkapitals wird auch das Mehrprodukt versilbert, in dem sich der Mehrwert darstellt. Diesen so in Geld verwandelten Mehrwert rückverwandelt der Kapitalist in zuschüssige Naturalelemente seines produktiven Kapitals. Im nächsten Kreislauf der Produktion liefert das vergrößerte Kapital ein vergrößertes Produkt. Was aber beim individuellen Kapital, muß auch erscheinen in der jährlichen Gesamtreproduktion, ganz wie wir gesehn bei Betrachtung der einfachen Reproduktion, daß der sukzessive Niederschlag – beim individuellen Kapital – seiner verbrauchten fixen Bestandteile in Geld, das aufgeschatzt wird, sich auch in der jährlichen gesellschaftlichen Reproduktion ausdrückt.

Wenn ein individuelles Kapital = 400c + 100v ist, der jährliche Mehrwert = 100, so ist das Warenprodukt = 400c + 100v + 100m. Diese 600 werden in Geld verwandelt. Von diesem Geld werden wieder 400c umgesetzt in Naturalform von konstantem Kapital, 100v in Arbeitskraft, und – falls der gesamte Mehrwert akkumuliert wird – außerdem 100m verwandelt in zuschüssiges konstantes Kapital, durch Umsatz in Naturalelemente des produktiven Kapitals. Es ist dabei unterstellt: 1. daß diese Summe unter den gegebnen technischen Bedingungen genügend ist, sei es zur Ausdehnung des fungierenden konstanten Kapitals, sei es zur Anlage eines neuen industriellen Geschäfts. Es kann aber auch sein, daß die Verwandlung von Mehrwert in Geld und die Aufschatzung dieses Geldes für viel längre Zeit nötig ist, bevor dieser Prozeß statthaben, also wirkliche Akkumulation, Erweitrung der Produktion eintreten kann. 2. Es ist vorausgesetzt, daß in der Tat schon vorher Produktion auf erweiterter Stufenleiter eingetreten; denn um das Geld (den in Geld aufgeschatzten Mehrwert) in Elemente des[485] produktiven Kapitals verwandeln zu können, müssen diese Elemente als Waren auf dem Markte kaufbar sein; es macht dabei auch keinen Unterschied, wenn sie nicht als fertige Ware gekauft, sondern auf Bestellung angefertigt werden. Bezahlt werden sie erst, nachdem sie da sind, und jedenfalls nachdem mit Bezug auf sie wirkliche Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter, Ausdehnung der bisher normalen Produktion, bereits stattgefunden hat. Sie mußten potentiell, d.h. in ihren Elementen da sein, da es doch nur des Anstoßes der Bestellung, d.h. eines dem Dasein der Ware vorausgehenden Kaufs derselben und ihres antizipierten Verkaufs bedarf, damit ihre Produktion wirklich stattfinde. Das Geld auf der einen Seite ruft dann die erweiterte Reproduktion auf der andern ins Leben, weil deren Möglichkeit ohne das Geld da ist; denn Geld an sich selbst ist kein Element der wirklichen Reproduktion.

Wenn Kapitalist A z.B. während eines Jahrs oder einer größren Anzahl von Jahren die sukzessive von ihm produzierten Mengen von Warenprodukt verkauft, so verwandelt er auch damit den Teil des Warenprodukts, der Träger des Mehrwerts ist – das Mehrprodukt –, also den von ihm in Warenform produzierten Mehrwert selbst sukzessive in Geld, speichert dies nach und nach auf und bildet sich so potentielles neues Geldkapital; potentiell wegen seiner Fähigkeit und Bestimmung, in Elemente von produktivem Kapital umgesetzt zu werden. Tatsächlich aber vollzieht er nur einfache Schatzbildung, die kein Element der wirklichen Reproduktion ist. Seine Tätigkeit besteht dabei zunächst nur im sukzessiven Entziehn von zirkulierendem Geld aus der Zirkulation, wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß das zirkulierende Geld, das er so unter Schloß und Riegel sperrt, eben selbst noch – vor seinem Eintritt in die Zirkulation – Teil eines andern Schatzes war. Dieser Schatz des A, der potentiell neues Geldkapital ist, ist kein zusätzlicher gesellschaftlicher Reichtum, ebensowenig wie wenn es in Konsumtionsmitteln verausgabt würde. Aber Geld, das dem Umlauf entzogen, also vorher in ihm vorhanden war, mag vorher schon einmal als Schatzbestandteil gelagert haben oder Geldform von Arbeitslohn gewesen sein, Produktionsmittel oder andre Ware versilbert, konstante Kapitalteile oder Revenue eines Kapitalisten zirkuliert haben. Es ist ebensowenig neuer Reichtum, als Geld, vom Standpunkt der einfachen Warenzirkulation aus betrachtet, Träger nicht nur seines vorhandnen, sondern seines zehnfachen Werts ist, weil es zehnmal im Tag umgeschlagen, zehn verschiedne Warenwerte realisiert hat. Die Waren sind ohne es da, und es selbst bleibt, was es ist (oder wird noch geringer durch Verschleiß) in einem Umschlag oder in zehn. Nur in der Goldproduktion – soweit das Goldprodukt Mehrprodukt[486] enthält, Träger von Mehrwert – ist neuer Reichtum (potentielles Geld) geschaffen, und nur soweit das ganze neue GoldproduktA36 in Zirkulation tritt, vermehrt es das Geldmaterial potentieller neuer Geldkapitale.

Obgleich kein zuschüssiger neuer gesellschaftlicher Reichtum, stellt dieser in Geldform aufgeschatzte Mehrwert neues potentielles Geldkapital vor, wegen der Funktion, für die es aufgespeichert wird. (Wir werden später sehn, daß neues Geldkapital auch auf andrem Weg, als durch allmähliche Vergoldung von Mehrwert entspringen kann.)

Geld wird der Zirkulation entzogen und als Schatz aufgespeichert durch Verkauf der Ware ohne nachfolgenden Kauf. Wird diese Operation also als allgemein vorsichgehend aufgefaßt, so scheint nicht abzusehn, wo die Käufer herkommen sollen, da in diesem Prozeß – und er muß allgemein aufgefaßt werden, indem jedes individuelle Kapital sich in Akkumulationsprozedur befinden kann – jeder verkaufen will, um aufzuschatzen, keiner kaufen.

Stellte man sich den Zirkulationsprozeß zwischen den verschiednen Teilen der jährlichen Reproduktion als in gerader Linie verlaufend vor – was falsch, da er mit wenigen Ausnahmen allzumal aus gegeneinander rückläufigen Bewegungen besteht –, so müßte man mit dem Gold- (resp. Silber-)Produzenten beginnen, der kauft, ohne zu verkaufen, und voraussetzen, daß alle andren an ihn verkaufen. Dann ginge das gesamte jährliche gesellschaftliche Mehrprodukt (der Träger des gesamten Mehrwerts) an ihn über, und sämtliche andre Kapitalisten verteilen pro rata unter sich sein von Natur in Geld existierendes Mehrprodukt, die Naturalvergoldung seines Mehrwerts; denn der Teil des Produkts des Goldproduzenten, der sein fungierendes Kapital zu ersetzen hat, ist schon gebunden und darüber verfügt. Der in Gold produzierte Mehrwert des Goldproduzenten wäre dann der einzige Fonds, aus dem alle übrigen Kapitalisten die Materie für Vergoldung ihres jährlichen Mehrprodukts ziehn. Er müßte also der Wertgröße nach gleich sein dem ganzen gesellschaftlichen jährlichen Mehrwert, der erst in die Form von Schatz sich verpuppen muß. So abgeschmackt diese Voraussetzungen, so hülfen sie zu weiter nichts, als die Möglichkeit einer allgemeinen gleichzeitigen Schatzbildung zu erklären, womit die Reproduktion selbst, außer auf Seite der Goldproduzenten, um keinen Schritt weiter wäre.

Bevor wir diese scheinbare Schwierigkeit lösen, ist zu unterscheiden: Akkumulation in Abteilung I (Produktion von Produktionsmitteln) und in Abteilung II (Produktion von Konsumtionsmitteln). Wir beginnen mit I.[487]

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1963, Band 24, S. 485-488.
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