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[1122] [Basel, 18. Juli 1876]
Sei es zum Guten, lieber getreuer Freund, was Du mir da meldest, zum wahrhaft Guten: das wünsche ich Dir aus ganzem vollen Herzen. So willst Du denn im Jahre des Heils 1876 Dein Nest bauen, wie unser Overbeck, und ich meine, Ihr werdet mir, dadurch daß Ihr glücklicher werdet, nicht abhanden kommen. Ja, ich werde ruhiger an Dich denken können: wenn ich Dir auch in diesem Schritte vielleicht nicht folgen sollte. Denn Du hattest die ganz vertrauende Seele so nötig und hast sie und damit Dich selbst auf einer höheren Stufe gefunden. Mir geht es anders, der Himmel weiß es oder weiß es nicht. Mir scheint das alles nicht so nötig – seltne Tage ausgenommen. –[1122]
Vielleicht habe ich da eine böse Lücke in mir. Mein Verlangen und meine Not ist anders: ich weiß kaum es zu sagen und zu erklären.
Diese Nacht fiel's mir ein, einen Vers daraus zu machen; ich bin kein Dichter, aber Du wirst mich schon verstehen.
Es geht ein Wandrer durch die Nacht
Mit gutem Schritt;
Und krummes Tal und lange Höhn –
Er nimmt sie mit.
Die Nacht ist schön –
Er schreitet zu und steht nicht still,
Weiß nicht, wohin sein Weg noch will.
Da singt ein Vogel durch die Nacht. –
– »Ach Vogel, was hast du gemacht?
Was hemmst du meinen Sinn und Fuß
Und gießest süßen Herz-Verdruß
Auf mich, daß ich nun stehen muß
Und lauschen muß,
Zu deuten deinen Ton und Gruß?«
Der gute Vogel schweigt und spricht:
»Nein, Wandrer, nein! Dich grüß ich nicht
Mit dem Getön!
Ich singe, weil die Nacht so schön:
Doch du sollst immer weiter gehn
Und nimmermehr mein Lied verstehn!
Geh nur von dann' –
Und klingt dein Schritt von fern nur an,
Heb' ich mein Nachtlied wieder an,
So gut ich kann.
Leb wohl, du armer Wandersmann!«
So geredet zu mir, nachts nach der Ankunft Deines Briefs.
F. N.
Nebst den allerherzlichsten Glückwünschen meiner Schwester.[1123]
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