Zehntes Kapitel.

[97] 1. Nun folgt die Wasserspende.75

2. Wenn ein Kind unter zwei Jahren gestorben ist, sollen Mutter und Vater unrein sein.

3. Die anderen (Verwandten) bleiben rein.[97]

4. (Die Unreinheit dauert) eine Nacht oder drei Nächte.76

5. Sie begraben den Leib, ohne ihn zu verbrennen.

6. Wenn das Kind während der Geburtsunreinheit (der Mutter) stirbt, so dauert die Unreinheit bis zum Aufstehen (der Mutter), wie die Unreinheit durch die Geburt.

7. Hiebei77 findet keine Wasserspende statt.

8. Wenn ein Kind von mehr als zwei Jahren gestorben ist, sollen alle Verwandten bis zum Bestattungsplatze nachfolgen.

9. Einige schreiben vor, sie sollen dabei den Yama-Gesang singen und das Yama- Lied hersagen.78

10. Wenn ein Knabe stirbt, der schon zum Lehrer gegangen ist, so geschieht die Wahl79 des Bodens und das Uebrige in gleicher Weise wie bei einem, der das Feuer angelegt hat, bis zum Hingehen an den Rand des Wassers.

11. Mit dem Hausfeuer verbrennen sie ihn, wenn er das Feuer angelegt hat.

12. Stillschweigend mit Dorffeuer80 einen anderen.[98]

13. Einen Verwandten oder Verschwägerten sollen sie um (die Erlaubniss zur) Wasserspende bitten, mit den Worten: »wir wollen die Wasserspende vollziehen.«

14. »Vollziehet sie, und nicht öfter so!« antwortet dieser, wenn der Verstorbene noch nicht hundert Jahre alt war.

15. Bei einem anderen sagt er nur: »Vollziehet sie!«

16. Alle Verwandten gehen in das Wasser hinein bis zum siebenten Manne oder bis zum zehnten81.

17. Wenn sie in demselben Dorfe wohnen, thun es alle soweit sie sich einer Verbindung (mit dem Verstorbenen) erinnern.

18. Mit Einem Kleide82, die Opferschnur auf der rechten Schulter tragend.

19. Mit dem Goldfinger der linken Hand (das Wasser) fortschnellend, mit dem Spruche: »Von uns strahle das Unheil weg!«83

20. Das Gesicht nach Süden gewendet tauchen sie unter.

21. Dem Verstorbenen giessen sie einmal Wasser aus mit den zusammengelegten Händen, indem sie sprechen: »Du N.N. dieses Wasser dir!«

22. Wenn sie herausgestiegen und sich an einer reinen mit Gras bewachsenen Stelle niedergesetzt haben, sollen (die anderen) sie dort trösten.[99]

23. Ohne sich umzusehen gehen sie in das Dorf, in einer Reihe, die Jüngsten voran.

24. An der Thüre des Hauses kauen sie Picumanda-Blätter, spülen den Mund aus, berühren Wasser, Feuer, Kuhmist, Senfkörner und Oel, treten auf einen Stein und gehen hinein.

25. Drei Nächte in Keuschheit auf dem Erdboden schlafend sollen sie kein Geschäft verrichten oder verrichten lassen.

26. Gekaufte oder empfangene Speise sollen sie essen, nur bei Tage, und kein Fleisch.

27. Nachdem sie dem Verstorbenen den Kuchen dargebracht, indem sie beim Waschen, beim Darbringen (des Kuchens) und beim zweiten Waschen seinen Namen aussprechen84;

28. Sollen sie in einem irdenen Gefässe in derselben Nacht85 Milch und Wasser unter freiem Himmel hinsetzen und sprechen: »Gestorbener, hier bade!«

29. Drei Nächte dauert die Unreinheit durch die Leiche.

30. Nach einigen zehn Nächte.

31. Sie sollen nicht die eigene Lesung lesen.

32. Die festen Handlungen sollen sie aussetzen, mit Ausnahme solcher, welche in den drei Feuern vollzogen werden.86

33. Einige sagen: auch mit Ausnahme derjenigen, welche in dem Feuer in der Halle vollzogen werden.

34. (Wenn sie diese nicht aussetzen,) sollen andere dieselben vollziehen.

35. Diejenigen, welche den Verstorbenen berührt haben, sollen nicht in das Dorf gehen, bis die Sterne erscheinen.[100]

36. Wenn es bei Nacht ist, bis die Sonne erscheint.

37. Das Hineingehen und das Folgende87 wird auf gleiche Weise von den anderen (nicht verwandten) vollzogen.

38. Einen Halbmonat oder zwei dauert die Unreinheit.88

39. Ebenso soll verfahren werden89, wenn der Lehrer (gestorben ist).

40. Und bei den Eltern der Mutter.

41. Und bei unverheirateten Frauen.

42. Bei verheirateten sollen es die anderen90 thun.

43. Und sie sollen es bei jenen thun.91

44. Wenn einer auf der Reise stirbt, so sollen seine Verwandten von dem Augenblicke an, wo sie es erfahren haben, nachdem sie die Wasserspende dargebracht, die noch übrige Zeit (der Unreinheit) unrein bleiben.

45. Wenn die Zeit schon vorüber war (als sie den Tod erfuhren), eine Nacht oder drei Nächte.[101]

46. Beliebig sind nun die Wasserspenden für einen Opferpriester, Schwiegervater, Freund, entfernten Verwandten, Mutterbruder und Schwestersohn.

47. Desgleichen für verheiratete Frauen.

48. Am eilften Tage soll er eine ungrade Zahl von Brâhmaṇas speisen, mit Fleisch.

49. Einige schlachten mit Beziehung auf den Verstorbenen auch eine Kuh.

50. Beim Darbringen der Kuchen soll der Verstorbene der erste der Väter sein, wenn er einen Sohn hat.

51. Der vierte Kuchen fällt aus.92

52. Einige schreiben vor, dass ein Jahr lang nur ein einzelner dargebracht werde.

53. Das Richtige ist aber: »kein vierter Kuchen ist«, so sagt das Brâhmaṇa.

54. Tag für Tag soll er für den Verstorbenen einem Brâhmaṇa Speise und einen Wasserkrug geben.

55. Einige setzen auch einen Kuchen vor.

75

Kp. gibt hier eine sehr umfangreiche Darstellung der Lehre von der durch Geburt oder Tod verursachten Unreinheit, mit Benutzung vieler Smṛĭtis, Purâṇas und anderer Werke älterer und jüngerer Zeit. Vp. beschränkt sich auf Pâraskara's Sûtra. Auf die nahe Uebereinstimmung von Yâjnavalkya's Gesetzbuch mit Pâraskara, welche besonders bei dem vorliegenden Gegenstande stattfindet, habe ich schon früher hingewiesen. S. Zeitschr. d.d.M. Ges. Bd. 7, p. 540.

76

Die Dauer der Unreinheit hängt nach Mn. 5, 67 davon ab, ob das Bereiten der Haarlocke schon an dem Kinde vollzogen ist. S. oben 2, 1, 1. Stirbt das Kind, vor derselben, so dauert die Unreinheit eine Nacht; wenn nach derselben, drei Nächte. Nach anderen bildet das Eintreten der Zähne die Grenze.

77

Bei einem Kinde unter zwei Jahren.

78

TA. 6, 5, 2. 3 stehen mehrere Verse, welche als Yama- Gesänge (yamagâthâs) bezeichnet werden. Einen derselben (ahar ahar nayamâno) führt Kp. zu unserer Stelle an, mit einigen Varianten. Als Yama-Lied (yamasûkta) nennt Mitâx. III, 1, b, 2 das Lied RS. 10, 14.

79

Raghunandana, çuddhi-t. Fol. 30, a, 2 erklärt nach der Hâralatâ das Wort joshaṇa durch saṃskâra: »die Weihe des Bodens.«

80

Dorffeuer ist das alltägliche (laukika) Feuer. Jr.

81

Yâjn. 3, 3 sagt: »die Verwandten bis zum siebenten oder zehnten«, saptamâd daçamâd vâpi, was die Mitâxarâ, offenbar unrichtig, erklärt: saptamadivasâd arvâk daçamadivasâd vâ, »innerhalb des siebenten oder zehnten Tages.«

82

Die sonstigen Bäder sollen in zwei Kleidern geschehen. Rghn. çuddhi t. Fol. 32, a, 4. Auch Râmacandra in seiner Paddhati zu Çânkh. Gṛĭ 4, 12 sagt, dass die regelmässigen Bäder in zwei Kleidern vollzogen werden müssen.

83

Nicht mit dem ganzen Verse (RS. 1, 97, 1), sondern nur mit der angeführten Zeile desselben, welche allein in die VS. (35, 6) aufgenommen ist.

84

Ueber die Aufforderung sich zu waschen, welche vor und nach der Darbringung des Kuchens an den Verstorbenen gerichtet wird, vgl. Kâty. Çr. 4, 1, 10 u.f.

85

In welcher er gestorben ist.

86

Vgl. Kull. zu Mn. 5, 84.

87

S. oben §. 24. – Vgl. Yâjn. 3, 14.

88

Einige beziehen diese Vorschrift auf diejenigen, welche einen Todten berührt haben. Für diese würde aber eine so lange Zeit nicht angemessen sein. Die Vorschrift ist vielmehr nach Mn. 5, 83 zu erklären und zu ergänzen: durch den Tod eines Verwandten ist ein Vaiçya einen Halbmonat unrein, ein Çûdra einen Monat, ein Kshatriya zwölf Tage, ein Brâhmaṇa zehn Tage. Jr. – Vgl. Yâjn. 3, 22. Gaut. 14, 1 u.f. Vishṇu Dh. Ç. 22, 1–4.

89

Die Wasserspende und die anderen Handlungen sollen vollzogen werden. Jr. Vp.

90

Ihr Mann und dessen Verwandte. Vp.

91

Die verheirateten Frauen für ihre Männer und deren Verwandte.

92

Es werden also nur drei Kuchen für den Vater, Grossvater und Eltervater dargebracht.

Quelle:
Indische Hausregeln. In: Abhandlungen der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band 6. Leipzig 1878, S. 97-102.
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