Betriebsdienstvorschriften, -anweisungen

[287] Betriebsdienstvorschriften, -anweisungen (working or service regulations, general rules and regulations; règlements, prescriptions, instructions d'exploitation; regolamenti prescrizioni, istruzioni di servizio o di esercizio), die von den oberen Verwaltungsstellen (Direktionen) für die Handhabung des gesamten Betriebsdienstes oder für einzelne Dienstzweige – soweit eine Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde vorgeschrieben ist, nach Einholung dieser – herausgegeben werden. Sie enthalten teils umfassende bleibende Anordnungen für die Besorgung eines bestimmten Dienstes oder Dienstzweigs, teils Erläuterungen zu diesen oder Verfügungen vorübergehender Bedeutung (Dienstbefehle).

Mit Rücksicht auf die große Zahl der Dienststellen und Beamten, denen die B. mitgeteilt werden müssen, werden diese Vorschriften bei größeren Verwaltungen in nach Bedarf erscheinenden Verordnungsblättern bekanntgegeben. Solche Verordnungsblätter bestehen beispielsweise bei den preußisch-hessischen Staatsbahnen (Eisenbahnverordnungsblatt, Eisenbahnnachrichtenblatt für die Gesamtverwaltung, Amtsblätter für die Bezirke der einzelnen Eisenbahndirektionen), bei den bayerischen Staatsbahnen (Verkehrsministerialblatt für das Königreich Bayern – eisenbahndienstlicher Teil), bei den österreichischen Staatsbahnen (Amtsblatt des k. k. Eisenbahnministeriums für den Dienstbereich der Staatseisenbahnverwaltung, Amtsblätter der Staatsbahndirektionen, Verordnungsblatt für Eisenbahnen und Schifffahrt, Anzeigeblatt für die Verfügungen über den Viehverkehr), bei den französischen und belgischen Bahnen (Ordres de Service, Ordres généraux, während hier Anweisungen vorübergehender Bedeutung als Circulaires bezeichnet zu werden pflegen).

Die B. für die einzelnen Dienstzweige und Dienstposten werden in der Regel in Buchform herausgegeben und den einzelnen Bediensteten ausgehändigt. Die Zahl solcher Anweisungen ist sehr groß und steigt bei einzelnen Verwaltungen weit über 100.

Die Dienstgeschäfte der Betriebs- und Verkehrsbeamten hängen so eng und vielseitig zusammen, daß von dem einzelnen Bediensteten nicht nur die Kenntnis der Vorschriften für den eigenen Dienst, sondern zum großen Teil auch jene der Vorschriften für den Dienst anderer Beamten gefordert wird. So muß ein Zugführer außer den Anweisungen für den Zugführerdienst auch die für den Wagenwärter-, Bremser-, Schaffner-, Lokomotivführer-, Heizer-, Bahnwärter- und Weichenstellerdienst geltenden Vorschriften sowie noch zahlreiche andere Dienstanweisungen, soweit sein Dienstkreis berührt wird, kennen. Da nun der Umfang dessen, was ein Beamter aus den für die Beamten anderer Dienstzweige herausgegebenen Vorschriften kennen muß, in den meisten Fällen im Verhältnis zu dem gesamten Inhalt sehr geringfügig ist, so muß jeder Bedienstete aus den Einzelvorschriften das für ihn Wissenswerte mühsam heraussuchen. Man ist deshalb vielfach dazu übergegangen, für die wichtigsten Dienstzweige Vorschriften herauszugeben, die die Handhabung des Dienstes im Zusammenhange und im Zusammenwirken der verschiedenen Beamten darstellen. Für den Abfertigungs- und Beförderungsdienst war das schon früher geschehen. Im Betriebsdienst hatte man aber damit zurückgehalten, weil die Ansicht vorherrschte, es müsse jedem Beamten eine seinen Dienst zusammenfassende besondere Anweisung ausgehändigt werden, um ihn für seine Dienstführung voll verantwortlich machen zu können. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß es zur Ausbildung des Personals im verantwortlichen Betriebsdienst und zur einheitlichen Handhabung dieses Dienstes durchaus geboten ist, zusammengehörende Vorschriften auch im Zusammenhange darzustellen und die Zahl der Dienstvorschriften, in denen dies geschieht, möglichst zu beschränken. Aus diesen Erwägungen heraus sind die auf den deutschen Eisenbahnen seit dem Jahre 1907 bestehenden Fahrdienstvorschriften (s.d.) entstanden, die auf Grund der Betriebsordnung und in Verbindung mit dem Signalbuch eine einheitliche Handhabung des Fahrdienstes auf Grund der BO. sicherstellen. – Der gleiche Zweck wird bei der Herausgabe der Betriebspläne (s.d.) für Nebenbahnen mit einfachen Betriebsverhältnissen verfolgt.

Bei den preußisch-hessischen Eisenbahnen werden nach Anhang I zu § 4, 4, der Drucksachenordnung die B. persönlicher Art »Dienstanweisungen«, die übrigen »Dienstvorschriften« genannt. Erstere sind in Großoktav in derselben Größe wie die Fahrdienstvorschriften und Fahrplanbücher hergestellt, so daß sie im Dienst leicht mitgeführt werden können, letztere in Quartgröße. In jeder Dienstanweisung wird mitgeteilt,[287] welche B. dem Beamten persönlich ausgehändigt und welche ihm durch die Sammlungen der vorgesetzten Dienststelle zugänglich gemacht werden. Von besonders wichtigen Teilen anderer Dienstanweisungen oder Vorschriften wird ein Auszug der persönlichen Dienstanweisung des Beamten beigefügt. Auf diese Weise wird erreicht, daß jeder Beamte nur die Vorschriften erhält, die er zur Ausübung seines Dienstes und zu seiner Weiterbildung benötigt.

Die österreichischen Bahnen besitzen in den »Vorschriften für den Verkehrsdienst« und in den »Signalvorschriften« ebenfalls einheitliche, für alle Haupt- und Lokalbahnen verbindliche Dienstvorschriften für die Ausübung des Verkehrs- und Signaldienstes. Die Verkehrsvorschriften für Hauptbahnen beruhen auf den einvernehmlich mit Ungarn festgestellten »Grundzügen der Vorschriften für den Verkehrsdienst auf Hauptbahnen«. Ferner bestehen in Österreich einheitliche Dienstvorschriften der Staats- und Privatbahnverwaltungen für den Abfertigungsdienst.

Für die Schweiz bestehen gleichfalls einheitliche B., insbesondere ein allgemeines Reglement vom 1. November 1895 für den Fahrdienst auf ein- und doppelspurigen Normalbahnen.

Auch bei den belgischen Staatsbahnen besteht ein zusammenfassendes Règlement d'Exploitation. Dieses Reglement zerfällt in mehrere Teile, darunter fascicule II: Service des manœuvres et mesures locales pour l'usage des voies, des signaux et des appareils de manœuvres des stations; fascicule III: Organisation du service des trains; fascicule IV: Organisation de la marche des trains.

Bei den französischen, italienischen und anderen Bahnen bestehen einerseits besondere B. für den Stationsdienst, anderseits für den Fahrdienst. Die letzteren sind wieder getrennt für ein- und zweigleisige Strecken.

In England gilt für die gesamten Eisenbahnen eine gleichlautende Sammlung von Dienstvorschriften, die sich durch Klarheit und Kürze auszeichnet. Diese Sammlung (General Rules and Regulations) ist von den am Clearing House beteiligten Verwaltungen verfaßt, vom Handelsamt bestätigt und von allen Bahnen angenommen worden. Sie enthält in fortlaufend numerierten Artikeln sämtliche Vorschriften für die Beamten und Bediensteten des gesamten Betriebsdienstes. Allerdings steht es den einzelnen Verwaltungen frei, zu diesen Artikeln mit Zustimmung des Handelsamts Zusätze und Ergänzungen zu machen, allein die wenigsten Bahnen haben dies für nötig erachtet, und wenn örtliche Umstände Zusätze nötig gemacht haben, so sind diese auf ein geringes Maß beschränkt. Jeder Bedienstete ohne Ausnahme erhält eine solche Sammlung, erklärt durch eigenhändige Unterschrift, daß er sie sorgfältig gelesen, vollständig verstanden habe und daß er die Vorschriften für bindend anerkennt. Jeder ist verpflichtet, sie im Dienst stets bei der Hand zu haben. Alle Einrichtungen an der Bahn und den Fahrzeugen werden als bekannt vorausgesetzt und es entfallen daher Beschreibungen und Erläuterungen. Der erste Abschnitt enthält allgemeine Bestimmungen, die sich beziehen auf: Haltung im Dienst, Kenntnis der B., Entfernung vom Dienst, Tragen der Uniform, Benehmen gegen das Publikum; ferner ist darin das Verbot enthalten, die Wirtschaftsräume während der Dienstzeit zu betreten, Trinkgelder oder Geschenke anzunehmen, ein Nebengeschäft zu betreiben u.s.w. Endlich sind darin Warnungen für die Handhabung beim Kuppeln der Fahrzeuge, Überschreiten der Bahn u.s.w. enthalten. Der zweite Abschnitt betrifft die Einheit der Zeit und die Stellung der Uhren nach der Greenwicher Zeit. Der dritte Abschnitt behandelt die Signale, der nächste Abschnitt die Vorschriften, wie der Betrieb eingleisig aufrecht zu erhalten ist, wenn das zweite Gleis unfahrbar wurde. Weiter folgen die Vorschriften für den Gebrauch des Telegraphen und für die Blockeinrichtungen. Der nächste Abschnitt enthält die Vorschriften für die Stationsvorstände (stations masters), die sich auf 44 allgemeine Regeln beschränken. Ein besonderer Abschnitt enthält ferner die Vorschriften, die beachtet werden müssen, wenn auf einer im Betrieb befindlichen Linie neue Signale aufgestellt oder wenn an den Signalen Arbeiten ausgeführt werden. – Ein weiterer Abschnitt (42 Artikel) betrifft den Signalmann. Es werden darin alle Vorrichtungen zum Geben der Signale und zu ihrer Instandhaltung erläutert. Ein Abschnitt regelt den Dienst der Schrankenwächter bei Wegübergängen. – Der Abschnitt für die Zugbegleiter (58 Artikel) umfaßt den gesamten Dienst bei den Personen- und bei Güterzügen, u. zw. alle Verrichtungen bei Abfahrt, während der Fahrt, während des Aufenthalts in den Stationen, beim Bremsen u.s.w. Hierauf folgen die Vorschriften für die Lokomotivführer und Heizer, für die Bahnaufseher und alle bei Unterhaltung der Bahn beschäftigten Bediensteten, weiter Vorschriften für den Verkehr der Züge oder einzelner Lokomotiven auf eingleisiger Bahn. Die Erfolge dieser Dienstvorschriften sind allerdings zum Teil auf das tüchtige englische Betriebspersonal, das sich[288] durch besonderen Diensteifer und große Verläßlichkeit auszeichnet, zurückzuführen.

Ähnliche B. wie in England bestehen auch bei den Bahnen der unter englischer Herrschaft oder englischem Einfluß stehenden überseeischen Länder (z.B. Ägypten, Australien, Indien u.s.w.), ferner bei den Bahnen der nordischen Länder (z.B. Dienstreglement der norwegischen Staatsbahnen vom 13. Juni 1906).

In Amerika hatten früher nur wenige Bahnen gedruckte B. Sie wurden meistens durch mündliche Überlieferung unter den Beamten fortgepflanzt, und es wurde für die Sicherheit des Betriebs als ausreichend angesehen, die notwendigsten Regeln über die Bewegung der Züge, die Benutzung der Gleise und Signale sowie über die Obliegenheiten der einzelnen Beamten den Dienstfahrplänen beizudrucken. Erst in den Siebzigerjahren haben die älteren großen Eisenbahngesellschaften das Bedürfnis empfunden, die für die verschiedenen Dienststellen ausgegebenen Anweisungen zusammenzustellen und in einem Buche (Oktavformat mit gegen 100 Seiten Text) gedruckt als Dienstanweisung herauszugeben unter dem Titel: »Rules and regulations for the government of the transportation departement«. Die nach englischem Muster eingerichtete Baltimore- und Ohio-Eisenbahn hat bereits im Jahre 1866, die Pennsylvania-Bahn im Jahre 1874 eine solche Dienstanweisung erscheinen lassen. 1886 wurden von der General Time Convention einheitliche B. für die amerikanischen Bahnen (Uniform general Rules) ausgearbeitet und von den Verbandsverwaltungen angenommen. Diese Vorschriften behandeln, ähnlich wie die englischen, die allgemeinen Dienstpflichten der Betriebsbeamten, die Normalzeit, Fahrpläne, Signalordnung, dann die Zug- (Fahrdienst-) Vorschriften (s. Zeitung des VDEV. 1886, S. 1051 und 1069) ferner American Railway Association. Proceedings 1886–1902. Einführung und Fortbildung der gesamten B. der Eisenbahnen der Vereinigten Staaten. New York. 3 Bde.).

Breusing.

Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 287-289.
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