Blasrohr

[378] Blasrohr (blast pipe, exhaust pipe; tuyère d'échappement; tubo soffiante, scappamento), Vorrichtung in der Rauchkammer der Lokomotive zur Zuführung der für die Verbrennung nötigen Luftmenge.

Die natürliche Zugerzeugung wird in der Regel durch einen entsprechend hohen Schornstein erzielt. Der auf den Lokomotivkesseln angebrachte Schornstein kann jedoch wegen seiner geringen Höhe nicht den erforderlichen Zug hervorbringen, es muß daher für die Zuführung der für die Verbrennung notwendigen Luftmenge auf künstlichem Wege gesorgt werden.

Die für die Lokomotivkessel in Verwendung stehende einfachste Vorrichtung hierfür ist das B., das vermittels des durch dieses abgehenden Dampfes die nötige Wirkung erzeugt.

Durch das B. tritt der Dampf, nachdem er in den Zylindern der Lokomotive gewirkt hat, in den unteren Teil des Schornsteins, und reißt infolge der hohen Geschwindigkeit, mit der er diesen durchströmt, die im Schornstein und in der Rauchkammer befindlichen Gase mit sich fort. Hierdurch entsteht in der Rauchkammer eine Luftverdünnung.

Der aus dem B. in den Schornstein austretende Dampf verhindert die äußere Luft, auf diesem Wege die Luftverdünnung aufzuheben, dagegen strömen die Feuergase durch die Siederohre und aus der Feuerkiste zur Rauchkammer.

Infolge dieses Vorganges entsteht in der Feuerkiste eine Abnahme der Pressung der darin befindlichen Gase, weshalb die äußere atmosphärische Luft durch den Rost in die Feuerbüchse eintritt. Auf diese Weise ist also durch die Blasrohrwirkung der künstliche Zug für die Verbrennung hergestellt.

Schon Trevithick hatte an seiner im Jahre 1804 für die Werkbahn in Pen-y-darren gebauten Lokomotive den aus dem Zylinder entströmenden Dampf in den Rauchfang abgeleitet. Weder Trevithick aber, noch Hedley (1813) und Stephenson, die ebenfalls den ausströmenden Dampf in den Rauchfang ableiteten, waren sich der anfachenden – saugenden – Wirkung des Auspuffdampfes bewußt. Die dem Dampfe beim Verlassen der Zylinder noch innewohnende Kraft verwendete erst Hackworth, Maschinenmeister der Stockton-Darlington-Bahn, an der von ihm im Jahre 1827 gebauten Lokomotive »Royal George« zur Anfachung des Feuers, indem er das Ausströmrohr in die Achse des Rauchfanges setzte und das Ende dieses Rohres konisch einzog. Erst die, nachträgliche Anbringung dieses von Hackworth erfundenen B. sicherte der Stephensonschen Lokomotive »Rocket« den Sieg bei dem Wettbewerb in Rainhill 1829.

Bei Lokomotiven mit Innenzylindern wird immer, bei Lokomotiven mit Außenzylindern in der Regel, der von den Zylindern kommende Auspuffdampf schon unter dem Rauchkasten durch ein Kreuzstück in ein zentral im Rauchkasten stehendes B. (Standrohr) geführt. Dieses Standrohr (in England, Frankreich, Amerika und Österreich vielfach angewendet) verdeckt zwar die mittleren Siederohre, so daß es beim Wechseln der Siederohre entfernt werden muß (grundsätzliche Anordnung Abb. 141 u. 142). Diese Anordnung ermöglicht aber, besonders bei hochliegendem Kessel und kurzem Rauchfange, eine so tiefe Lage der Blasrohrmündung in bezug auf die Siederohre – einige hundert Millimeter über Kesselmittel – daß die Saugwirkung sich gleichmäßig über alle Siederohre verteilt.

Die in den letzten Jahrzehnten des verflossenen Jahrhunderts auf dem Kontinent (Deutschland, Österreich u.s.w.) meist angewendete Vereinigung der von den Außenzylindern abzweigenden Ausströmrohre in einem oberhalb der Siederohre, dicht unter dem Rauchfanguntersatz liegenden Kreuzstück (grundsätzliche Anordnung Abb. 132136) gibt zwar die Siederohre frei, bedingt aber zur Erzeugung guter Zugwirkung einen langen Rauchfang.

Über die Wirkung des B. stellte zuerst der englische Ingenieur Clark eingehende Versuche an; das Verdienst, auf theoretischem Wege die Wirkung des B. klargestellt zu haben, gebührt aber Zeuner (s. Zeuner, Das Lokomotivblasrohr. Zürich 1863). Die weiter hierüber angestellten rechnerischen und praktischen Versuche – Goss 1892, Amerika, Troske, Glasers Annalen. 1895; v. Borries, Organ. 1896, ferner die aus früherer Zeit stammenden Arbeiten von Prüßmann, Grove, Grashoff u.s.w. – behandeln dieses Problem immer im Zusammenhang mit [379] dem Rauchfang, da B., Rauchfang und Rauchkasten einen Saugapparat bilden, in dem die genannten Teile bezüglich ihrer Abmessungen in bestimmtem Zusammenhang stehen.

Für eine gute Wirkung des B. ist es von größter Wichtigkeit, daß der wirkende Dampfstrahl genau konzentrisch und axial durch den Schornstein strömt und daß Rauchkammertür, Rauchkammerboden und Wandungen vollkommen luftdicht sind, weil sonst die Luftverdünnung vermindert oder zerstört wird, anderseits auch die in dem Rauchkasten angesammelten Kohlenteilchen – die Lösche – durch die eintretende Luft glühend werden oder in Brand geraten, wodurch Abzehrungen der Rauchkastenwände entstehen.

Die durch die Saug- und Stoßwirkung des der Blasrohrmündung entströmenden Dampfes in der Rauchkammer entstehende Luftverdünnung ist, zeichnerisch dargestellt, eine den Dampfschlägen folgende Wellenlinie. Erst bei hohen Geschwindigkeiten nähert sich diese Wellenlinie einer Geraden.

Die Luftverdünnung in der Rauchkammer, gemessen durch ein einfaches Wasserbarometer, erreicht beim Anfahren 250–300 mm Wassersäule und sinkt bei den normalen Betriebsleistungen auf 80–180 mm Wassersäule. Die Fahrgeschwindigkeit hat, wie Versuche von Direktor Busse (Organ, 1894) ergaben, auf die Höhe der Luftverdünnung wenig Einfluß. Sie wächst – gleichen Brennstoff vorausgesetzt – fast direkt proportional mit der Füllung der Zylinder und ist um so größer, je dickere Schicht die Kohle auf dem Roste zuläßt.

Aus der Proportionalität der Luftverdünnung mit dem Füllungsgrad folgt, daß das B., richtige Abmessungen aller den Saugapparat bildenden Teile vorausgesetzt, selbsttätig die der jeweiligen Leistung entsprechende Menge Luft zur Verbrennung der Kohle ansaugt, d.h. sich von selbst der Leistung anpaßt.

Da der den Wirkungsgrad der Lokomotive vermindernde Gegendruck auf den Kolben durch den ausströmenden Dampf mit Zunahme der Geschwindigkeit und des Füllungsgrades wächst, verdienen jene Anordnungen des B. den Vorzug, die mit größtem Mündungsquerschnitt, also kleinster Ausströmgeschwindigkeit und kleinster Luftverdünnung, die nötige Luftmenge durch den Rost ansaugen (Abb. 141 u. 142).

Eine Änderung des Querschnittes der Blasrohrmündung während der Fahrt, zur Vergrößerung der Austrittgeschwindigkeit des Dampfes oder der Luftverdünnung, ist nach vorstehendem nur erforderlich, wenn das B. an sich nicht richtig bemessen ist oder wenn die zur Verteuerung gelangende Kohle Eigenschaften hat – Schlackenbildung, Wachsen der Brennstoffsdichte durch Gehalt an Gestein – die eine Vermehrung des Luftzuges erfordern, oder wenn die Lokomotiven, bedingt durch geologische Verhältnisse des Landes und durch Beschaffungskosten, mit den verschiedensten Brennstoffsorten – Braunkohle abwechselnd mit Schwarzkohle – gefeuert werden müssen.

Man baut daher sehr oft das B. mit veränderlicher Mündung, sei es mit vom Führer durch einen Zug verstellbaren Klappen, Klappenblasrohr (Abb. 135 u. 136), oder verstellbarer Birne (Abb. 137 u. 138). Dieses B. mit nach Bedarf veränderlicher Mündung erfordert jedoch eine sorgfältige Instandhaltung. Eine einfache Bauart, die jedoch nur die Wahl zwischen zwei Querschnitten zuläßt, ist in Abb. 139 dargestellt.

Die Kappe, durch die die Querschnittverengung bewirkt wird, ist an einer vom Führer zu betätigenden Welle befestigt.

Die erste Ausführung dieser Kappe erfolgte 1866 an Lokomotiven, die von der Maschinenfabrik der Staatseisenbahn-Gesellschaft in Wien (Direktor Haswell) für die Köln-Mindener Bahn gebaut wurden. Seit Ende der Achtzigerjahre wird diese Bauart unter dem Namen Maccallan-B. in England vielfach ausgeführt.

An eigentlichen Saugapparaten ergeben Ringdüsen einen besseren Wirkungsgrad als Zentraldüsen; es lag daher nahe, die Blasrohrmündung nach dem Grundsatz der Ringdüse auszugestalten. Fast gleichzeitig entstanden 1877 die Ringblasrohre von A. Friedmann in Wien (Abb. 140) und Smith in England. Eine weitere Entwicklung dieser Bauart ist, angepaßt dem Standrohre, das Vortex-B. von Adams (Abb. 141 u. 142), das in England und Frankreich große Verbreitung fand.

Da die Ausströmperioden der beiden Zylinder sich infolge der 90°-Stellung der Kurbeln teilweise decken, ist bei Blasrohrköpfen nach Abb. 133136 eine gegenseitige Hemmung der ausströmenden Strahlen nicht ausgeschlossen und auch in den Indikatordiagrammen nachweisbar.

Das einfachste Mittel dagegen ist eine entsprechende Neigung der Ausströmrohre beim Anschluß an den Blasrohrkopf (Abb. 133 u. 134).

Eine vollständige Trennung beider Dampfstrahlen ist bewirkt bei dem B. nach Kordina, das vielfach bei den ungarischen Staatsbahnen ausgeführt wurde (Abb. 137 u. 138).

Um auch beim Stillstand der Lokomotive das Feuer anfachen zu können, ist im Rauchkästen[380] unterhalb des Rauchfanges und axial mit dem B. ein Strahlapparat angebracht, der oft auch als B., richtiger als Hilfsgebläse oder Schnelldampfer (s.d.) bezeichnet wird.

Über die Lage der Blasrohrmündung gegenüber dem Siederohrbündel und Abstand der ersteren von der engsten Stelle des Rauchfanges sowie über die vorteilhafteste Größe der Mündung – Blasrohrquerschnitt – s. Rauchfang.

Literatur: Troske, Vorteilhafteste Abmessung der Blasrohre. Glasers Ann. 1895. – Hoffmannsches Blasrohr. Zentralbl. d. Bauverw. 1903. – Die Lokomotiven der Gegenwart. Wiesbaden 1003, S. 179 ff. – Stockert, Handbuch des Eisenb.-Maschinenwesens. 1908, Bd. 3. – Strahl, Untersuchung und Berechnung der Blasrohre und Schornsteine von Lokomotiven. Organ. 1911.

Gölsdorf.

Abb. 132.
Abb. 132.
Abb. 133.
Abb. 133.
Abb. 134.
Abb. 134.
Abb. 135.
Abb. 135.
Abb. 136.
Abb. 136.
Abb. 137.
Abb. 137.
Abb. 138.
Abb. 138.
Abb. 139.
Abb. 139.
Abb. 140.
Abb. 140.
Abb. 141.
Abb. 141.
Abb. 142.
Abb. 142.
Quelle:
Röll, Freiherr von: Enzyklopädie des Eisenbahnwesens, Band 2. Berlin, Wien 1912, S. 378-381.
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Faksimiles:
378 | 379 | 380 | 381
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